Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hält Wort beim Thema Leiharbeit und Werkverträge

Wobei die richtige Formulierung so lauten muss: Sie hält sich genau an die Worte, die in der Bibel der Großen Koalition niedergeschrieben worden sind, also dem Koalitionsvertrag aus dem Dezember 2013. Es bleibt ihr angesichts ihres nicht mehr vorhandenen Spielraums innerhalb der Großen Koalition hinsichtlich jedweder Regulierungsvorhaben auf dem Arbeitsmarkt – losgelöst von ihrer Sinnhaftigkeit – auch gar nichts anderes übrig, denn die Unionsfraktion würde weitergehende Maßnahmen schon aus Prinzip verhindern. Frau Nahles hat in der ersten Phase mit dem Mindestlohn und der „Rente mit 63“ bekommen, was der Sozialdemokratie besonders wichtig war. Also aus Sicht der Koalitionsarithmetiker. Jetzt ist Schluss.

Nun liegt endlich ein Referentenentwurf zu den beiden noch offenen Arbeitsmarkt-Baustellen vor, die man in den Koalitionsverhandlungen als regelungsbedürftig vereinbart hat. Da ist eine Menge Zeit vergangen, waren doch andere Baustellen viel größer und teurer – Rentenpaket 2014 und Mindestlohn. Da mussten sich die Leiharbeit und die Werkverträge hinten anstellen. Nun aber soll es in die gesetzgeberische Zielgerade gehen und – für den einen oder anderen vielleicht irritierend – hat Frank Specht seine Meldung zum Referentenentwurf in der Online-Ausgabe des Handelsblatts so überschrieben: Nahles verlängert Leiharbeitsdauer. War das nicht anders, also genau anders herum geplant gewesen?

Werfen wir zuerst einen Blick in den Koalitionsvertrag aus dem Dezember 2013, was denn genau vereinbart worden ist.

Zum Thema Leiharbeit findet man dort auf S. 49-50 die folgenden Ausführungen:

»Arbeitnehmerüberlassung weiterentwickeln
Wir präzisieren im AÜG die Maßgabe, dass die Überlassung von Arbeitnehmern an einen Entleiher vorübergehend erfolgt, indem wir eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gesetzlich festlegen. Durch einen Tarifvertrag der Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung können unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Stammbelegschaften abweichende Lösungen vereinbart werden.
Die Koalition will die Leiharbeit auf ihre Kernfunktionen hin orientieren. Das AÜG wird daher an die aktuelle Entwicklung angepasst und novelliert:
• Die Koalitionspartner sind sich darüber einig, dass Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer künftig spätestens nach neun Monaten hinsichtlich des Arbeitsentgelts mit den Stammarbeitnehmern gleichgestellt werden.
• Kein Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern als Streikbrecher.
• Zur Erleichterung der Arbeit der Betriebsräte wird gesetzlich klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten grundsätzlich zu berücksichtigen sind, sofern dies der Zielrichtung der jeweiligen Norm nicht widerspricht.«  

Und was ist rausgekommen?

»Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wird die Höchstüberlassungsdauer bei der Leiharbeit nicht strikt auf 18 Monate begrenzen. „In einem Tarifvertrag der Einsatzbranche oder aufgrund eines solchen Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung können abweichende Regelungen vereinbart werden“, heißt es im Referentenentwurf …  „In tarifgebundenen Unternehmen sind damit längere Einsatzzeiten von über 18 montan möglich“, heißt es in dem Entwurf weiter. Ausgenommen von der Ausnahmeregel sind aber Unternehmen, die zwar Mitglied in einem Arbeitgeberverband sind, aber nicht der Tarifbindung unterliegen (sogenannte OT-Mitgliedschaft).«

Ganz offensichtlich will man mit diesem Regelungsansatz zwei Fliegen mit einer Klapper schlagen: Zum einen soll den Unternehmen im Prinzip die Option offen gelassen werden, Leiharbeiter auch länger wie 18 Monate zu nutzen, also wie bisher. Zugleich verknüpft man dieses Entgegenkommen damit, dass es sich um tarifgebundene Unternehmen handeln muss. Die anderen bleiben außen vor. Zur „18-Monats-Frage“ vgl. ausführlicher die Darstellung in meinem Blog-Beitrag 18 Monate und nicht länger. Oder darf es doch mehr, also länger sein? Die Leiharbeit und die Versuche, sie zu re-regulieren vom 1. August 2015.

Und wie sieht es aus mit den Werkverträgen?

Dazu auch hier ein Blick in den Koalitionsvertrag (S. 49):

»Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen verhindern
Rechtswidrige Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen zulasten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen verhindert werden. Dafür ist es erforderlich, die Prüftätigkeit der Kontroll- und Prüfinstanzen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu konzentrieren, organisatorisch effektiver zu gestalten, zu erleichtern und im ausreichenden Umfang zu personalisieren, die Informations- und Unterrichtungsrechte des Betriebsrats sicherzustellen, zu konkretisieren und verdeckte Arbeitnehmerüberlassung zu sanktionieren. Der vermeintliche Werkunternehmer und sein Auftraggeber dürfen auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht bessergestellt sein, als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betreibt. Der gesetzliche Arbeitsschutz für Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer muss sichergestellt werden. Zur Erleichterung der Prüftätigkeit von Behörden werden die wesentlichen durch die Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen ordnungsgemäßen und missbräuchlichen Fremdpersonaleinsatz gesetzlich niedergelegt.«

Und was ist rausgekommen (soweit man das anhand der Meldungen der Nachrichtenagentur sagen kann, denn der Entwurf ist noch nicht unter die Leute gebracht worden, sondern die Nachrichtenagentur AFP wird als Quelle angegeben)?

»Die Informationsrechte von Betriebsräten über den Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten werden gestärkt. Wann ein Werkvertrag vorliegt, soll anhand von acht Kriterien definiert werden, die bislang nur in der Rechtsprechung verwendet wurden. Nun werden sie explizit gesetzlich festgeschrieben.«

Da dürfen wir gespannt sein, wie man die Abgrenzungsfrage zu einem hyperkomplexen Themen- und Minenfeld wie der Abgrenzung von „echten“ Werkverträgen und illegaler Arbeitnehmerüberlassung rechtssicher mit acht Kriterien hinbekommen will.  

Insofern bewegt sich das, was sich nunmehr abzeichnet für die gesetzgeberische Umsetzung, im Rahmen dessen, was ich in meinem Blog-Beitrag Werkverträge als echtes Problem für Betriebsräte und Gewerkschaft. Und eine „doppelte Tariffrage“ für die IG Metall vom 24.09.2015 als Ausblick so formuliert habe:

»Von der nun anstehenden gesetzlichen Neuregelung der Werkverträge – auch wenn sich der Aktionstag hier ausdrücklich an Berlin gerichtet hat – werden sich die Gewerkschaften außer einem Informationsrecht für Betriebsräte nicht viel erwarten dürfen. Das von ihrer Seite aus geforderte Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte wird es nicht geben. Dazu ist der Widerstand der Arbeitgeber an dieser Stelle viel zu groß und die politischen Handlungsspielräume der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) innerhalb der Großen Koalition sind zu klein bzw. gar nicht mehr vorhanden, was weitere Regulierungen angeht. Die Formulierung im Koalitionsvertrag spricht nur von Informations-, nicht aber von Mitbestimmungsrechten, so dass sich die Union hier auch nicht weiter wird bewegen müssen.«

Drinnen sieht es wahrlich nicht rosig aus und von draußen wird gezerrt und gerüttelt. Die Leiharbeit vor gesetzlichen Änderungen und der DGB bringt seine Forderungen zu Papier

Zumindest die etwas älteren Semester werden sich alle erinnern an das Jahr 1985, als das Buch „Ganz unten“ von Günther Wallraff erschien und – man kann es so sagen – ein Ruck durch Deutschland ging angesichts der Schilderung desaströser Arbeitsbedingungen in der Undercover-Reportage, in der Wallraff als Türke „Ali“ unter anderem auch mit der Leiharbeit Bekanntschaft gemacht hat (vgl. anlässlich des 30jährigen Jubiläums das Interview mit ihm: „Ausländer sucht Drecksarbeit, auch für wenig Geld“). Auch heute noch hat die Leiharbeit (nicht nur) ein Image-Problem. Vor allem im Gefolge der erheblichen Expansion der Leiharbeit in den Jahren nach der großen Deregulierung im Zuge der „Hartz-Reformen“ 2003 ging ein gehöriger Anteil der zusätzlichen Leiharbeiter auf die offensichtliche Lohndumping-Strategie eines Teils der Unternehmen zurück, was dem eigentlichen Sinn der Leiharbeit, also die Abdeckung kurzfristiger Auftragsspitzen oder die temporäre Kompensation ausgefallener eigener Mitarbeiter, zuwiderläuft. Bei dieser Verschiebung hin zu einer dauerhaften Beschäftigung von Leiharbeitern (nicht zu verwechseln mit dauerhafter Beschäftigung der einzelnen Person) in den Entleihunternehmen ging es nicht nur um die Ausnutzung des Lohndifferentials zwischen Stamm- und flexibler Randbelegschaft sowie der Realisierung eines „atmenden Unternehmens“ aufgrund der hohen Flexibilität durch Leiharbeiter, von denen man sich ohne Probleme schnell wieder trennen bzw. umgekehrt die man schnell anheuern kann, wenn Bedarf besteht. Es wurde mit der expandierenden und weitgehend rechtlosen Randbelegschaft zugleich auch ein Druckmittel vergrößert gegen die Stammbelegschaft, die sich angesichts ihrer zumindest teilweisen Ersetzbarkeit zurückhalten sollte bei Forderungen gegenüber dem eigenen Arbeitgeber.

Insofern muss man von einer hoch problematischen Doppelwirkung der Leiharbeit ausgehen – zum einen in die Reihen der Stammbelegschaft hinein, zum anderen aber natürlich auch in Form oftmals deutlich schlechterer Arbeitsbedingungen für die Leiharbeiter selbst. Die Berichte darüber füllen eine ganze Bibliothek. Und auch der DGB, der sich mit dem Papier Risiken und Reformbedarf in der Leiharbeit nun zu Wort gemeldet hat, komprimiert in seinen Ausführungen die bekannten und immer wieder vorgetragenen „wunden Punkte“ hinsichtlich der Situation der Leiharbeiter selbst:

»Das besondere Dreiecksverhältnis zwischen Verleiher und Entleiher sowie der Leiharbeitskraft verlagert die Risiken des Arbeitsmarktes einseitig auf die Beschäftigten. So sind Leiharbeiter nach wie vor oft arbeitslos. Das Leitbild, ein Beschäftigter wird in verschiedenen Unternehmen eingesetzt, ist aber bei einem Verleiher dauerhaft angestellt, hat mit der Realität nichts zu tun. Die Risiken des flexiblen Arbeitsmarktes tragen die Beschäftigten, nicht die Arbeitgeber. Der Kündigungsschutz ist schwach. Rund die Hälfte der Arbeitsverhältnisse endet bereits vor Ablauf von drei Monaten. Insgesamt werden innerhalb eines Jahres rund eine Million Arbeitsverhältnisse beendet, obwohl nur 850.000 in der Branche beschäftigt sind. Leiharbeit ist nur selten eine Brücke in feste Beschäftigung, zumindest nicht bei dem Betrieb, in dem sie eingesetzt werden. Diese Brückenfunktion wird in der öffentlichen Debatte überschätzt. Leiharbeiter werden oft unterhalb ihrer Qualifikation eingesetzt. 40 Prozent der Leiharbeiter, die als Hilfskräfte eingesetzt werden, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Darüber hinaus fehlen Entwicklungsmöglichkeiten und Weiterbildung. Auch die gesundheitlichen Risiken sind höher als bei allen Beschäftigten insgesamt. Auch die sozialen Risiken sind hoch. Sechs Prozent der Leiharbeiter müssen ihren Lohn durch Hartz-IV-Leistungen aufstocken, weil das Einkommen zu gering ist. Hierfür wenden die Steuerzahler 200 Mio. Euro pro Jahr auf. Bei Arbeitslosigkeit greift der Schutz der Arbeitslosenversicherung für viele nicht. 38 Prozent derjenigen, die arbeitslos werden, rutschen direkt in Hartz IV, obwohl sie vorher sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben … Nach wie vor werden Leiharbeiter deutlich schlechter bezahlt als ver- gleichbare Beschäftigte in den Einsatzbetrieben.«

Und die Verleihunternehmen bedienen sich gerne und intensiv der Infrastruktur der Arbeitsagenturen und Jobcenter, man kann sogar soweit gehen zu sagen, ohne die würde das Geschäftsmodell nicht funktionieren:

»In keiner anderen Branche ist der Personalumschlag größer als im Verleihgewerbe. Allein den Arbeitsagenturen und Jobcentern melden die Verleiher im Jahresschnitt gut 700.000 Arbeitsstellen, Tendenz wieder steigend. Dies entspricht einem Anteil von rd. 35 Prozent aller deutschlandweit gemeldeten Stellen.
Arbeitslose sind ein wichtiges Rekrutierungsfeld für die Verleihbranche. 392.000 Arbeitslose haben innerhalb von 12 Monaten (Juni 2014 bis Mai 2015) als Leiharbeitskraft einen neuen Job gefunden. Jeder fünfte durch die BA vermittelte Arbeitslose, kommt somit in der Verleihbranche unter. Im Verleihgewerbe werden gut doppelt so viele Arbeitslose eingestellt wie im Verarbeitenden Gewerbe, obwohl diese Branche weit größer ist … Die Verleiher greifen … in starkem Maße auf Personengruppen zurück, die zuvor nicht oder instabil beschäftigt waren. Diese Arbeitnehmergruppen nehmen oftmals mangels anderer Alternativen auch schlechter bezahlte und nur vorübergehende Jobs an. Dies bedeutet aber nicht, dass sie stabil in den Arbeitsmarkt eingegliedert sind. Für den Verleiher sind Arbeitslose schnell verfügbar und können so kurzfristig und vorübergehend genutzt werden. Durch die hohe Verfügbarkeit dieser Gruppen können die Verleiher ihre Risiken leicht abwälzen. Sie haben kein Interesse daran, die Beschäftigen langfristig zu binden und auch bei Auftragsmangel zu halten.«

Soweit die Diagnose, die auch in vielen anderen Berichten schon anzutreffen ist. Was nun fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund mit Blick auf die demnächst anstehende nächste Regulierungsrunde der  Leiharbeit?

»Die Koalitionsparteien haben u.a. vereinbart die Überlassungshöchstdauer gesetzlich auf 18 Monate zu begrenzen und die Leiharbeitskräfte nach spätestens neun Monaten beim Entgelt mit den Stammarbeitskräften des Einsatzbetriebes gleichzustellen.« (DGB 2015: 14)

Das wird mitgetragen und unterstützt – wobei die beabsichtige Begrenzung der Überlassungshöchstdauer (die es bis zu den Hartz-Gesetzen gegeben hatte und die mal bei 3 Monaten gestartet ist, um dann im Laufe der Jahre seit 1985 immer mal wieder angehoben zu werden (zum 1.1.2002, also vor der Arbeit der Hartz-Kommission auf 24 Monaten, bei einer Gleichstellung mit den Stammbeschäftigten nach 12 Monaten) durchaus kritisch diskutiert werden muss (vgl. dazu meinen Blog-Beitrag 18 Monate und nicht länger. Oder darf es doch mehr, also länger sein? Die Leiharbeit und die Versuche, sie zu re-regulieren vom 1. August 2015). Aber die Gewerkschaften fordern weitere Schritte (vgl. hierzu DGB 2015: 14):

  • Streikbrecherarbeiten durch Verleihbetriebe müssen gesetzlich verboten werden. Die Verleihbetriebe haben sich zwar im Tarifvertrag verpflichtet, keine Streikbrecher einzusetzen. Der Poststreik hat aber gezeigt, dass es Schlupflöcher gibt, so sind z.B. ausländische Leiharbeiter eingesetzt worden. Ein gesetzliches Verbot schafft hier Klarheit und Gleichbehandlung.
  • Leiharbeitskräfte müssen bei den betriebsverfassungsrechtlichen Schwellenwerten berücksichtigt werden. So werden Arbeitgeber daran gehindert, durch das Auslagern von Arbeit auf Verleihunternehmen die Betriebsräte zu schwächen.
  • Darüber hinaus soll es nicht mehr möglich sein, einen Werkvertrag nachträglich in Leiharbeit umzuwandeln. Dieses Schlupfloch hatten viele Unternehmen offen gehalten, wenn sie Werkverträge konstruiert haben, die zweifelhaft waren. Wenn es zu einer Beanstandung kam, wurde der Werkvertrag in Leiharbeit „umgewandelt“, dies hatte zur Folge, dass der Einsatzbetrieb die Beschäftigten nicht als eigene Arbeitskräfte übernehmen musste. Das Verbot der Umwandlung soll also insbesondere „schwarze Schafe“ abschrecken.

Zum letzten Punkt: Dieser Regelungsvorschlag, um den berühmten „Reserve-Fallschirm“ der Werkvertragsunternehmen, die in Wirklichkeit keine echten Werkverträge durchführen, sondern unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung betreiben, aus deren Arsenal zu entfernen, was natürlich einen erheblichen Druck auf die (faktisch entleihenden) Unternehmen aufbauen würde, die Korrektheit der Werkverträge sicherzustellen, wurde bereits vor Jahren vom Arbeitsrechtler Peter Schüren vertreten. Vgl. hierzu meine entsprechende Forderung in Sell, S.: Lohndumping durch Werk- und Dienstverträge? Problemanalyse und Lösungsansätze (= Remagener Beiträge zur Sozialpolitik 13-2013), Remagen 2013.

Diese Regelung ist schon längst überfällig, denn seit einigen Jahren expandieren die Werkverträge – auch deshalb, weil die seit 2011 an Fahrt aufnehmende Re-Regulierung der Leiharbeit, vor allem aber die Einführung von Branchenzuschlägen beispielsweise im Metallbereich die Leiharbeit aus Sicht der entleihenden Unternehmen erkennbar verteuert hat, so dass man sofort begann, neue Umgehungsstrategien zu identifizieren.

Möglicherweise wird die in den kommenden Wochen aus dem Bundesarbeitsministerium erwartete Regulierung der Leiharbeit im Sinne der erwähnten Punkte Überlassungshöchstdauer und Gleichstellung kommen und als Erfolg gefeiert werden, während in der Realität viele Unternehmen schon weiter gezogen sind und versuchen, die „zu teure“ Leiharbeit durch andere Beschäftigungsformate zu ersetzen. Auch wenn die Werkverträge ebenfalls gesetzgeberisch eingehegt werden sollen – das wird wesentlich schwieriger werden als eine Regulierung der Leiharbeit (vgl. dazu meine Beiträge Werkverträge als echtes Problem für Betriebsräte und Gewerkschaft. Und eine „doppelte Tariffrage“ für die IG Metall vom 24. September 2015 sowie Outsourcing mit Folgen: Werkverträge im Visier. Die IG Metall versucht, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen vom 1. September 2015).

Werkverträge als echtes Problem für Betriebsräte und Gewerkschaft. Und eine „doppelte Tariffrage“ für die IG Metall

Während sich die Medien untereinander über die Abgas-Probleme des VW-Konzerns austauschen und ihr Augenmerk auf Personalien richten wie den Rücktritt des VW-Vorstandsvorsitzenden Winterkorn, war heute eine Menge los in den Produktionsstätten der deutschen Automobil-Industrie, eines der wichtigsten Branchen der deutschen Volkswirtschaft. Denn die IG Metall hatte zu einem bundesweiten Aktionstag gegen Werkverträge aufgerufen. Dazu aus der Berichterstattung beispielsweise Beschäftigte protestieren gegen Werkverträge in der Autoindustrie oder an anderer Stelle  Protesttag gegen Werkverträge. Und was sagt die Gewerkschaft selbst?  Gemeinsam gegen die Billig-Strategie der Arbeitgeber, so hat die IG Metall ihre Pressemitteilung dazu überschrieben: »Mehrere zehntausend Beschäftigte von Automobilherstellern und Zulieferern senden beim bundesweiten Automobil-Aktionstag der IG Metall gegen den Missbrauch von Werkverträgen eine deutliche Botschaft an Arbeitgeber und Politik: Wir lassen uns nicht spalten!« Der IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzen stellte zugleich klar, dass die IG Metall nicht grundsätzlich gegen Werkverträge sei, „sondern gegen die Werkverträge, die ausschließlich dazu genutzt werden, um Löhne zu senken und Arbeitsbedingungen zu verschlechtern.“ Mehr als 150.000 Arbeitsplätze in der Automobilbranche in den Bereichen Industrielogistik, Entwicklungsdienstleistung und Industrieservice seien bereits über Werkverträge ausgelagert.

Und was fordert die Gewerkschaft? Es sind vor allem zwei Punkte, die heute vorgetragen wurden:
Schluss mit der Auslagerung von Tätigkeiten, die zum Kerngeschäft eines Unternehmens gehören und unvermeidbare Auslagerungen nur an Dienstleister mit IG Metall-Tarifen und Betriebsräten. Die letzte Forderung berührt die „erste“ Tariffrage, vor der die Metallgewerkschaft steht. Gerade in der Automobilindustrie hat die IG Metall sehr hohe Organisationsgrade unter den Beschäftigten und entsprechende Einflussmöglichkeiten. Bei vielen Zulieferern und Werkvertragsunternehmen sieht das ganz anders aus, da gibt es oft noch nicht einmal einen Betriebsrat. Mindestens 44 Prozent der beauftragten Werkvertragunternehmen haben keine Tarifverträge, kann man dem Artikel Protesttag gegen Werkverträge entnehmen. Da sind wir schon bei der ersten „Tariffrage“ für die IG Metall. Deren Aktivitäten zum Thema Werkverträge kann und muss man auch als ein Signal an die Werkvertragsunternehmen verstehen, dass auch dort tarifvertragliche Regelungen gelten sollen. Aber es gibt noch ein anderes Problem, das die Gewerkschaft zu adressieren versucht: Ein Drittel der Werkverträge betreffen nach Gewerkschaftswahrnehmung die Produktion und damit den Kernbereich der Autoindustrie.

Bayerns IG Metall-Chef Jürgen Wechsler wird mit diesem Beispiel zitiert:

»Ein besonders dreistes Beispiel für einen Werkvertrag kennt er von BMW am Standort Dingolfing. „BMW hat dort eine Werkshalle leergeräumt und per Werkvertrag den Kontraktlogistiker Schnellecke ins Haus geholt“, sagt er. Der erledige mit 400 Leuten dort, was vorher BMW-Stammpersonal getan habe. Kontraktlogistik ist dabei ein ziemlich irreführender Begriff. Denn in dieser Branche wird weniger transportiert als vielmehr montiert. Im BMW-Beispiel werden angelieferte Teile auf dem Werksgelände zusammengeschraubt und dann an Autos montiert. Vorgesehen sind Werkverträge aber aus Sicht der IG Metall für Tätigkeiten wie das Streichen einer Werkshalle oder allenfalls noch deren Säuberung, nicht aber für die Kernarbeiten eines Unternehmens.«

Da sind wir schon bei einem zentralen Problem angekommen: Der Frage nach der Abgrenzung von „guten“ und „schlechten“ Werkverträgen. Um das an einem Beispiel zu illustrieren: Wenn man etwas anstreichen lassen will in seinem Unternehmen, dann beauftragt man eine Malerfirma und vereinbart einen Preis. Keiner würde auf die Idee kommen, dass das beauftragende Unternehmen Maler vorhalten sollte, um den vielleicht einmal im Jahr oder auch noch weniger oft anfallenden Bedarfen gerecht werden zu können – außer man kombiniert das mit anderen anfallenden Tätigkeiten, die dann von einer Person ausgeübt werden können.

Ganz anders stellt sich die Situation dar, wenn die Werkvertragsunternehmen sukzessive vordringen in den Kernbereich der Produktion, der bislang der Stammbelegschaft vorbehalten ist. Wenn es also bei einem „Logistikunternehmen“ eben nicht nur darum geht, Ware an die Pforten irgendeines Lagers zu fahren, sondern Tätigkeiten innerhalb des beauftragenden Unternehmens auszuüben. Und genau so sieht es in der Automobilindustrie mittlerweile aus, wenn man der Argumentation der Gewerkschaften folgt:

»Kontraktlogistik ist dabei ein ziemlich irreführender Begriff. Denn in dieser Branche wird weniger transportiert als vielmehr montiert. Im BMW-Beispiel werden angelieferte Teile auf dem Werksgelände zusammengeschraubt und dann an Autos montiert. Vorgesehen sind Werkverträge aber aus Sicht der IG Metall für Tätigkeiten wie das Streichen einer Werkshalle oder allenfalls noch deren Säuberung, nicht aber für die Kernarbeiten eines Unternehmens.«

Und das habe erhebliche Folgen für die Beschäftigten in den Werkvertragsunternehmen, wie der Vergleich mit der Stammbelegschaft verdeutlicht:

»Gegenüber dem Stammpersonal bekommen Beschäftigte bei Werkverträgen im Schnitt nur etwa halben Lohn, sagt Wechsler. Beim Beispiel Schnellecke in Dingolfing ist es nach Berechnung der IG Metall noch weniger. Statt tariflich 35 Wochenstunden arbeiten die auf dem BMW-Gelände Beschäftigten 40 Stunden. Sie erhalten nicht einmal halben Grundlohn, drei Tage weniger Urlaub und nur ein Drittel Urlaubsgeld. Höhere Leistungszulagen gleichen das nicht aus.«

Vor diesem Hintergrund ist der Aktionstag der IG Metall zu sehen, der sich einbettet in zahlreiche Aktivitäten dieser und anderer Gewerkschaften gegen „die“ Werkverträge. Und das bisherige Tun der IG Metall war und ist nicht ohne Erfolg.

Es tut sich was am Rand, so hat Jörn Boewe seinen Artikel überschrieben, in dem er über die Entwicklungen rund um Leipzig berichtet. Der Blick auf Leipzig ist deshalb interessant, weil sich hier ein „Automobilcluster“ entwickelt hat:

»Ein paar Kilometer nördlich von Leipzig, auf der grünen Wiese nahe der Autobahn A 14, stehen die modernsten Autofabriken Europas. BMW und Porsche bauen hier seit zehn Jahren Limousinen, Coupés, Cabrios, Geländewagen – alle im »Premiumsegment«. Niemand kann genau sagen, wie viele Menschen hier arbeiten. Der »Automobilcluster« Leipzig, wie der Produktionsstandort im Branchenjargon genannt wird, ist nach einem hochflexiblen Fertigungskonzept organisiert: Man spricht von der „atmenden Fabrik“. Gibt es viel zu tun, pumpt sie sich auf. Ist die Auftragslage mau, schrumpft sie.«

Und gerade hier finden wir auf den ersten Blick die Diagnose der Gewerkschaft bestätigt, dass die Werkvertrags-Beschäftigung immer stärker in die Kernbereiche der Produktion diffundiert:

»18.000 Menschen arbeiten nach Schätzungen der IG Metall in der Leipziger Autoindustrie, doch nicht einmal die Hälfte gehört zu den Stammbelegschaften von BMW und Porsche. Die Mehrheit sind Leiharbeiter oder bei Werkvertragsunternehmen beschäftigt, die als sogenannte produktionsnahe Dienstleister für die großen Hersteller tätig sind. Sie montieren Einzelteile und Komponenten und bringen sie „just in sequence“, in genau abgestimmter Reihenfolge, direkt an die Produktionsfließbänder von BMW und Porsche. Die Tätigkeiten sind unmittelbarer Teil der Produktion, von der sie nicht zu trennen sind.«

Die IG Metall hat nun einen Sozialreport Automobilcluster Leipzig veröffentlicht und sich die Situation der Beschäftigten genauer angeschaut. Ein Ergebnis: Fast 30 Prozent der Befragten verdienen inklusive aller Zuschläge weniger als 1.750 Euro brutto. Fast 44 Prozent sagen, ihnen fehle das Geld für Urlaub. Dabei arbeiten 90 Prozent auch an Wochenenden und Feiertagen. Das ist auch eine Folge der Tatsache, dass die Automobilindustrie den Standort Leipzig zu einem Labor für Produktions- und Arbeitszeitkonzepte gemacht habe. Dem allerdings hat sich die IG Metall gestellt. „Die harten Tarifauseinandersetzungen bei Schnellecke, Rudolph Logistik und der WISAG waren Meilensteine zu einem tariflichen Ordnungsrahmen. Lange Zeit waren die Arbeitsbedingungen bei den Kontraktlogistikern und Industriedienstleistern ungeregelt. Die Beschäftigten haben in diesen Konflikten erfahren, dass sie nicht per se prekäre Hilfskräfte an der letzten »verlängerten Werkbank« sind, sondern genauso Teil des Gesamtprozesses wie ihre Kolleginnen und Kollegen der Stammbelegschaften an den Endmontagebändern von BMW und Porsche“, so wird der IG Metall-Bezirksleiter Olivier Höbel zitiert. (Der ganze Report als PDF-Datei: IG Metall: Sozialreport Automobilcluster Leipzig. Zur Lage der Beschäftigten bei industriellen Dienstleistern. Wege zu einem gemeinsamen tariflichen Ordnungsrahmen. Frankfurt 2015).

Von den schrittweise Erfolgen der Gewerkschaft berichtet auch Jörn Boewe in seinem Artikel:

»Der Report zeigt aber auch, dass es etwa seit fünf, sechs Jahren eine Verbesserung der Situation gibt. Das Wiederanziehen der Konjunktur nach der Krise von 2008/2009 spielt dabei eine Rolle, aber auch eine veränderte Herangehensweise der Gewerkschaft. 2008 hatte sie eine großangelegte Kampagne zur Gleichstellung der Leiharbeiter gestartet und damit erstmals die »Arbeit am Rand« in den Blick genommen. In Leipzig suchten Gewerkschaftssekretäre Kontakt zu den Beschäftigten der zahlreichen Industriedienstleister und unterstützten die Wahl von Betriebsräten und Tarifkommissionen.

2010 konnte die IG Metall beim weltweit agierenden Autozulieferer Schnellecke einen Haustarifvertrag durchsetzen, was den Kollegen im Schnitt 400 Euro mehr pro Monat bedeutete. Der Durchbruch folgte zwei Jahre später beim Industrielogistiker Rudolph. Hier beteiligten sich die Beschäftigten sogar fünfmal an Warnstreiks. Weitere Tarifabschlüsse in anderen Firmen folgten. Auf diese Weise konnten Einkommenserhöhungen und kürzere Arbeitszeiten für insgesamt rund 2.400 Arbeiter durchgesetzt werden.«

Was man hier erkennen kann ist die mühsame, aber offensichtlich sukzessiv auch durchaus erfolgreiche Bearbeitung der einen Tariffrage: Wenn der Druck auf die Stammbelegschaften durch die immer stärkere Ausbreitung der Werkverträge in den Kernbereich hinein steigt, dann muss man eben die eigene Tarifpolitik auf diese vor- und nachgelagerten Bereiche ausdehnen, um das tarifpolitisch wieder in Griff zu bekommen.

Genau hier aber tut sich eine zweite Tariffrage auf. Gemeint ist die Tatsache, dass viele der Werkvertragsunternehmen der Logistik-Branche zugeordnet sind und hier gilt die Zuständigkeit einer anderen Gewerkschaft – von Verdi. Und da gibt es zunehmend Konflikte, denn die IG Metall muss immer stärker diese Zuständigkeitsgrenze überschreiten, um die ganze Wertschöpfungskette wieder unter ihr Dach zu bekommen. Das führt zu handfesten Konflikten – vgl. dazu den Beitrag Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: „Tarifeinheit“ aus einer anderen Perspektive vom 3. September 2014.

Es gibt also gute Gründe, „die“ Werkverträge zu einem Thema zu machen – allerdings sollen die Anführungszeichen verdeutlichen, dass es eben eine enorme Heterogenität der Werkverträge gibt und nicht alle können und dürfen unter dem Label „Lohndumping“ subsumiert werden. Hinzu kommt: Die Ambivalenz vieler Betriebsräte erklärt sich aus der Tatsache, dass natürlich in gewissem Maße ein Teil der schlechteren Bedingungen bei den Werkvertrags-Beschäftigten die besseren Bedingungen der Stammbeschäftigten stabilisiert. Insofern könnte am Ende des Prozesses das Ergebnis stehen, dass die IG Metall die an solchen Aktionstagen natürlich grundsätzlich beklagte Auffächerung der Tarifstruktur nach unten (aus der Perspektive des Niveaus der heutigen Stammbelegschaft) in geordneten Bahnen mitgehen wird (so meine These in dem Beitrag Outsourcing mit Folgen: Werkverträge im Visier. Die IG Metall versucht, den Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen vom 1. September 2015).

Von der nun anstehenden gesetzlichen Neuregelung der Werkverträge – auch wenn sich der Aktionstag hier ausdrücklich an Berlin gerichtet hat – werden sich die Gewerkschaften außer einem Informationsrecht für Betriebsräte nicht viel erwarten dürfen. Das von ihrer Seite aus geforderte Mitbestimmungsrecht der Betriebsräte wird es nicht geben. Dazu ist der Widerstand der Arbeitgeber an dieser Stelle viel zu groß und die politischen Handlungsspielräume der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) innerhalb der Großen Koalition sind zu klein bzw. gar nicht mehr vorhanden, was weitere Regulierungen angeht. Die Formulierung im Koalitionsvertrag spricht nur von Informations-, nicht aber von Mitbestimmungsrechten, so dass sich die Union hier auch nicht weiter wird bewegen müssen.