Wenn Tönnies & Co. ihre Arbeiter nicht mehr über Subunternehmen und Werkverträge ausbeuten würden, dann kostet das eine Handvoll Cent. Zugleich aber ist die Engführung auf Werkverträge problematisch

»…Wir müssen raus ins Leben; da, wo es laut ist; da, wo es brodelt; da wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt.« (Sigmar Gabriel, 2009)*

*) Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Sigmar Gabriel auf dem SPD-Bundesparteitag der SPD am 13. November 2009 in Dresden, S. 12

Möglicherweise hat Sigmar Gabriel das mit dem Gestank nicht nur metaphorisch gemeint, sondern wörtlich genommen, als er sich von dem Fleischbaron Clemens Tönnies hat kaufen lassen: Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister ist von März 2020 bis mindestens Ende Mai 2020 für den Konzern tätig gewesen. »Gabriel erhielt bislang offenbar ein Pauschalhonorar von 10.000 Euro im Monat sowie ein zusätzliches vierstelliges Honorar für jeden Reisetag. Die Tätigkeit sollte auf zwei Jahre angelegt sein«, berichtete das ARD-Politikmagazin „Panorama“ unter der Überschrift Sozialdemokrat Gabriel beriet Fleischmogul Tönnies. Der freute sich. offensichtlich, dass er Gabriel einkaufen konnte: In Unterlagen zur Sitzung des Konzern-Beirats vom 26. Februar 2020 heißt es: „Es ist Clemens Tönnies gelungen, Herrn Sigmar Gabriel als Berater zu verpflichten. Er wird seine weiten Kontakte für die Tönnies Gruppe zur Verfügung stellen und aktiv Projekte begleiten.“ Dabei geht es dem Dokument zufolge insbesondere um den chinesischen Markt. Gabriel solle neue Transportmöglichkeiten mit der Eisenbahn nach China eruieren und die Verhandlungen mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium sowie China im Falle eines Ausbruchs der „Afrikanischen Schweinepest“ führen. Darüber hinaus gehe es auch um „Kommunikationsberatung in vom Auftraggeber ausgewählten Fällen“.« Die mittlerweile von vielen Seiten an Gabriel geübte Kritik und nicht selten auch Verachtung für sein Engagement kann der Betroffene nicht nachvollziehen: »Gabriel verteidigte … das von Tönnies gezahlte Gehalt in Höhe von angeblich 10.000 Euro monatlich: „Für normale Menschen sind 10.000 Euro viel Geld. Aber in der Branche ist das kein besonders hoher Betrag.«

Nun haben die beiden, also Gabriel und Tönnies, eine „gemeinsame Geschichte“, an die man durchaus erinnern muss, wenn man auf die zurückliegenden Wochen blickt, in dem kein halbwegs aufnahmebereiter Mensch den vielen Medienberichten über die schrecklichen Arbeitsbedingungen der osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmer entgehen konnte – die wie Pilze aus dem Boden emporgekommen sind, nachdem bekannt wurde, dass weit über 1.000 der verkauften Seelen in der seelenlosen Fleischfabrik Rheda-Wiedenbrück, wo „zu guten Zeiten“ 30.000 Schweine massakriert wurden – pro Tag!

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Vom Tauziehen um Werkverträge und Verantwortung für Menschen in der Fleischindustrie. Und von den Kriegsgewinnlern, die ihre Einkaufspreise optimieren

Eigentlich sollten Maßnahmen gegen die seit langem existierenden Missstände in der Fleischindustrie, die in diesen Tagen durch die zahlreichen Corona-Infektionen von osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmern für einen Moment lang an die Oberfläche der medialen und politischen Aufmerksamkeit geschwemmt worden sind, am Montag dieser Woche im „Corona-Kabinett“ der Bundesregierung beschlossen werden. So die Absicht des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD). Aber daraus wurde vorläufig erst einmal nichts. Entscheidung über Schlachthöfe verschoben, so ist einer der Meldungen dazu überschrieben: »Höhere Strafen bei Verstößen gegen Arbeitsschutzregeln – oder gar ein Verbot von Werkverträgen in der Fleischindustrie? Angesichts der Corona-Fälle in Schlachtbetrieben ringt die Koalition um eine Linie – bislang offenbar erfolglos.«

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Hängt nun ein Damoklesschwert über der Fleischindustrie oder wird sie (wieder) vom Haken gelassen?

Ein paar Tage der intensiven Berichterstattung über die seit vielen Jahren skandalösen Arbeitsbedingungen für einen immer größer gewordenen Teil der Beschäftigten in der deutschen Fleischindustrie liegen hinter uns. Die Aufregung im Umfeld Hunderter Corona-Infektionen unter den Werkvertragsarbeitnehmern hat das Thema bis in den Bundestag gespült und dort hat der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) markige Ankündigungen gemacht: Kern des Übels sei „diese Art von Sub-Sub-Sub-Unternehmertum“ in der Branche. Und der Minister kündigte an, bei der nächsten Sitzung des Corona-Kabinetts am 18. Mai ein Konzept für Konsequenzen vorzulegen.Man dürfe jetzt nicht bei der Empörung stehen bleiben. Dazu dieser Beitrag vom 15. Mai 2020: Jetzt aber: „Wir werden aufräumen mit diesen Verhältnissen“, sagt der Bundesarbeitsminister. Und meint die Zustände in der Fleischindustrie. Man darf gespannt sein. Entscheidend wird sein, ob wir gespannt sein dürfen, das etwas herauskommt. Dazu hat sich zwischenzeitlich auch der nordrhein-westfälische Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) geäußert, denn auch er hatte Konsequenzen aus den Skandalen gefordert.

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