Schwer umsetzbar, verfassungsrechtlich heikel, politisch umstritten – das ist noch nett formuliert. Das Gesetz zur Tarifeinheit und ein historisches Versagen durch „Vielleicht gut gemeint, aber das Gegenteil bekommen“

Eine notwendige Vorbemerkung getreu dem Motto: Manchmal hilft der Blick ins Gesetz, in diesem Fall sogar in die Verfassung:


»Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden« (Artikel 9 Abs. 3 GG).

Die Rückversicherung auf das, was im Grundgesetz im Artikel 9 Absatz 3 normiert ist, macht Sinn vor dem Hintergrund, dass am heutigen 5. März 2015 im Deutschen Bundestag die erste Lesung des Gesetzes zur Tarifeinheit stattfinden wird. Der Bundestag selbst teilt uns dazu in seiner Vorschau auf die Plenarwoche mit: »Das Ziel, Tarifkonflikte mehrerer Gewerkschaften in einem Betrieb zu verhindern, verfolgt die Bundesregierung mit einem Gesetzentwurf (18/4062), der ab 12.30 Uhr auf der Tagesordnung steht. Es gehe darum, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern, schreibt die Bundesregierung. Diese wird aus ihrer Sicht gefährdet, wenn in einem Unternehmen mehrere Gewerkschaften für eine Berufsgruppe Tarifabschlüsse durchsetzen wollen und es dabei zu „Kollisionen“ kommt, die der Aufgabe der Ordnung des Arbeitslebens nicht mehr gerecht werden können, begründet die Regierung ihren Vorstoß. Das Gesetz sieht nun vor, die Tarifeinheit in einem Betrieb im Falle von Konflikten nach dem Mehrheitsprinzip zu ordnen. Können sich Gewerkschaften mit sich überschneidenden Tarifverträgen nicht einigen, soll künftig nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft gelten, die im Betrieb die meisten Mitglieder hat.«

Die Parlamentarier bekommen passend zur heutigen Behandlung des Gesetzentwurfs warme Worte des höchsten Arbeitgeberrepräsentanten des Landes mit auf den Weg: Arbeitgeberpräsident Kramer: Tarifeinheit sichert Tarifautonomie, so ist die Pressemitteilung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände überschrieben, der wir die folgende Botschaft entnehmen können:


»Ich appelliere an die Mitglieder des Deutschen Bundestags, den Gesetzentwurf für die Tarifeinheit zu unterstützen und damit die Tarifautonomie in Deutschland zu stärken … Die Wiederherstellung der Tarifeinheit ist ein wichtiger Beitrag, um die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern … Tarifkollisionen führen zu widersprüchlichen Regelungen, die sich im Betrieb nicht umsetzen lassen. Vielmehr tragen sie Streit in die Belegschaften.«


Nun könnte der eine oder die andere schon an dieser Stelle auf die Idee kommen, dass das irgendwie eine sehr einseitige Wahrnehmung dessen ist, was in vielen Betrieben passiert. Denn sind es wirklich (nur) miteinander konkurrierende Gewerkschaften, die zu „Tarifkollisionen“ führen? Was ist mit den vielen Unternehmen, die seit Jahren Teile ihrer Belegschaften „abschichten“ durch Auslagerung in Tochtergesellschaften mit einem anderen, niedrigeren Tarifgefüge? Man schaue sich derzeit nur als ein Beispiel von vielen die Aktivitäten der Deutschen Post DHL an – oder die von Karstadt, bei der Commerzbank und viele andere mehr. Und was ist mit der teilweise hyperkomplexen Nutzung ganz unterschiedlicher Beschäftigungs- und damit auch Lohnarrangements durch Leiharbeit und Werkverträge neben den (noch) tariflich abgesicherten Stammbelegschaften? Da sind die Unternehmen offensichtlich sehr wohl in der Lage, komplexe, sich unterscheidende, nicht selten erheblich miteinander konfligierende Beschäftigungsbedingungen zu managen. Und wird dadurch kein Streit in die Belegschaften getragen?

Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass sich der Deutsche Bundestag heute mit einem Gesetzentwurf zur „Tarifeinheit“ befassen muss? Auf der Seite 50 des Koalitionsvertrages zwischen CDU, CSU und SPD aus dem Dezember 2013 findet sich der folgende Auftrag an die Große Koalition: »Um den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben. Durch flankierende Verfahrensregelungen wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung getragen.« Diese Vereinbarung muss vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesehen werden, denn die Tarifeinheit („ein Betrieb, ein Tarifvertrag“) wurde 2010 vom Bundesarbeitsgericht gekippt. Damals wurde das in den Medien beispielsweise unter der bezeichnenden Überschrift Artenvielfalt im Unternehmen eingeordnet: »Eine Firma – zwei Tarifverträge? Bisher war das nicht möglich. Doch jetzt sagt das Bundesarbeitsgericht: Das geht sehr wohl. Arbeitgeber und die großen Gewerkschaften sind entsetzt, denn kleine Gewerkschaften bekommen mehr Macht.«

Der Hinweis auf das Entsetzen nicht nur auf der Arbeitgeberseite, sondern auch bei den Gewerkschaften ist deshalb von Bedeutung, weil beide Tarifparteien dafür gesorgt haben, dass der bereits zitierte Passus in den Koalitionsvertrag gekommen ist. Beide Seiten wollten vom Gesetzgeber eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit, um die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluss des 10. Senats vom 23.6.2010 – 10 AS 3/10 sowie Beschluss des 10. Senats vom 23.6.2010 – 10 AS 2/10) wieder zu korrigieren. In einer Pressemitteilung zu den beiden damaligen Entscheidungen hatte das Bundesarbeitsgericht ausgeführt: »Es gibt keinen übergeordneten Grundsatz, dass für verschiedene Arbeitsverhältnisse derselben Art in einem Betrieb nur einheitliche Tarifregelungen zur Anwendung kommen können.« Ganz offensichtlich soll es nun darum gehen, diesen übergeordneten Grundsatz zu schaffen, denn seit 2010 ist der Grundsatz dr Tarifeinheit gekippt und es gilt grundsätzlich die Tarifpluralität.

Allerdings hat die seit langem laufende Debatte über das Für und Wider einer gesetzlichen Regelung der „Tarifeinheit“ hinlänglich aufzeigen können, dass es eine Vielzahl an praktischen Problemen bei einer möglichen Umsetzung geben würde.

Aber die beiden eigentlich entscheidenden Punkte sind ganz andere, es geht hier um grundsätzliche Einwände gegen das geplante bzw. nunmehr als Entwurf vorliegende Gesetz, die bei einer entsprechenden Würdigung nur dazu führen können, dass man den ganzen Ansatz des Gesetzes als einen – möglicherweise historischen – Irrweg bezeichnen muss:

1. Die vielbeschworene Tarifeinheit mag historisch ihren Platz gehabt haben – und grundsätzlich spricht aus strategischen Gründen viel für ein einheitliches Vorgehen der Arbeitnehmerseite -, aber mit der betrieblichen Realität hat das immer weniger zu tun. Dieser Argumentationsstrang stellt nicht nur ab auf das beobachtbare professionelle Spiel vieler Unternehmen mit einer „multiplen (Nicht-)Tariflandschaft“, in der die Arbeitnehmer in ganz unterschiedliche Konfigurationen eingepasst werden. An dieser Stelle nur ein Hinweis auf die betriebliche Realität: Im vergangenen Jahr – und demnächst wieder? – stand ja vor allem der Konflikt bei der Bahn und die Konkurrenzbeziehung zwischen der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) und der zum DGB gehörenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und der Konflikt wurde immer als Beispiel zitiert für die angebliche Notwendigkeit einer Neuregelung der Tarifeinheit. Eine Berufsgruppe, zwei Tarifverträge – na und?, so die nur scheinbar provozierende Frage von Sabine Hockling in ihrem Artikel aus dem November 2014. Sie verweist in einem ersten Schritt auf die Argumentation der Unternehmensseite: »Die Bahn lehnt es prinzipiell ab, mehrere Tarifverträge für dieselbe Berufsgruppe einzugehen. Denn das bedeutet für sie einen höheren organisatorischen Aufwand: Unterschiedliche Löhne und Zuschläge müssen verwaltet werden, verschiedene Regelungen zu Arbeits- und Ruhezeiten erschweren die Dienstplangestaltung. Auch drohen aus Sicht der Bahn Konflikte innerhalb der Belegschaft, wenn die Angestellten unter verschiedenen Bedingungen arbeiten.« Das scheint prima facie nachvollziehbar, aber:

»Private Verkehrsbetriebe haben – anders als die Bahn – bereits Erfahrung damit, wie es ist, wenn ihre Angestellten mit von unterschiedlichen Gewerkschaften ausgehandelten Tarifverträgen leben müssen. Bei privaten Wettbewerbern der Deutschen Bahn seien parallele Tarifverträge von EVG und GDL eher die Regel als die Ausnahme, sagt Engelbert Recker, Chef von Mofair, dem Verband privater Nahverkehrsunternehmen.

„Man kann alles regeln – wenn man kein Prinzip aus seiner Haltung macht.“ Schwierigkeiten, etwa durch abweichende Arbeitszeiten oder Pausenregelungen, gibt es laut Recker in der Praxis nicht. „Das ist nur eine Frage der betrieblichen Organisation.“«

Es geht aber nicht nur um die Unternehmensseite, sondern auch um inner- bzw. zwischengewerkschaftliche Konflikte, die ein etwas anderes Licht werfen auf die nach außen so beschworene Tarifeinheit.

Beispielhaft hierfür ist der Konflikt zwischen den beiden DGB-Gewerkschaften IG Metall und ver.di. In dem Artikel Wetzels Brandbrief wird das beschrieben am Beispiel des Logistikdienstleisters Stute Logistics. Dort wurde von Gewerkschaftern versucht, mit Unterstützung der IG Metall eine Betriebsratswahl zu organisieren. Gleichzeitig hat ver.di versucht, bei Stute-Standorten Betriebsratswahlen einzuleiten, denn für die Logistik ist formal ver.di zuständig und nicht die IG Metall. Man muss wissen, dass der Hamburger Stute-Standort einst von Airbus ausgegliedert wurde und darauf bezieht sich nun die Argumentation, dass deshalb auch die IG Metall zuständig sei, weil es sich gleichsam um eine Art „verlängerte Werkbank“ handelt. Diese Perspektive ist aus Metallsicht durchaus schlüssig, denn wenn immer mehr Tätigkeiten, die in der Vergangenheit von der Stammbelegschaft ausgeübt wurden, auf Dritte unter Nutzung von Werk- und Dienstverträgen verlagert werden, dann kann man schon nachvollziehen, dass die IG Metall sich nicht beschränken will auf die kleiner werdenden Stammbelegschaften, sondern möglichst die gesamte Wertschöpfungskette, zumindest aber die unmittelbar vor- oder nachgelagerten Bereiche tarifvertraglich einzufangen, was aber kollidiert mit der Zuordnung der Logistikunternehmen, um die es hier vor allem geht, unter das Dach der Gewerkschaft ver.di.

Zurück zum Fallbeispiel Stute Logistics. Der ver.di-Sprecher Christoph Schmitz wird in dem Artikel so zitiert:

»Die IG Metall ist bei Stute wie eine Spartengewerkschaft aufgetreten«, kritisierte Schmitz. »14 Jahre lang hat sie dort keine Tarifforderungen gestellt. Erst nach dem ver.di-Abschluss hat sie an ausgewählten Standorten eine Auseinandersetzung für einen Haustarifvertrag begonnen.« Und das mit Macht. Die Metallergewerkschaft – die über weitaus größere Ressourcen verfügt als ver.di – warb an den Stute-Standorten Bremen, Hamburg-Finkenwerder, Hamburg-Hausbruch und Stade etliche Mitglieder, organisierte fünf Warnstreiks und erreichte daraufhin einen Haustarifvertrag, der den Beschäftigten monatlich 150 Euro mehr und bis Ende 2015 befristete Einmalzahlungen von weiteren 100 Euro monatlich bescherte. Ver.di zog nach und unterschrieb eine gleichlautende Vereinbarung, bei der die Einmalzahlungen allerdings auf einen Schlag überwiesen werden können.«

Unabhängig von der Bewertung des konkreten Sachverhalts – er steht stellvertretend für das Problem, dass es auch innerhalb der etablierten Gewerkschaften grundsätzlich – und so könnte eine These lauten: zunehmend – keine klaren und eindeutigen Zuordnungen zu einer „zuständigen“ Gewerkschaft gibt bzw. geben kann. Hinzu kommt mit einer gewissen Ironie: Die Devise „ein Betrieb, eine Gewerkschaft“ ist aus Sicht der IG Metall genau die Zieldimension, die hier anvisiert wird, denn der vorgelagerte Kontraktlogistiker wird durch die werkvertragliche Einbettung in den Gesamtzusammenhang zu einem „Quasi-Teil“ des Betriebs, den man nun nach seiner Auslagerung wieder unter die industriegewerkschaftlichen Fittiche zu nehmen versucht, was aber wie gesehen zu Konflikten mit anderen Gewerkschaften führt bzw. führen kann. Die Welt ist komplexer als die Theorie.

2. Aber der zentrale Haupteinwand gegen das Gesetz zur Tarifeinheit ist von fundamentaler Bedeutung für die Arbeitsbeziehungen und für das höchst komplexe Gebilde des letztendlich verfassungsrechtlich nur sehr allgemein und konkreter dann durch „Richterrecht“ strukturierten Streikrechts. Der Arbeitskampf bzw. das damit verbundene Drohpotenzial ist von zentraler Bedeutung innerhalb der ansonsten sicher nicht zugunsten der Arbeitnehmer überaus asymmetrisch ausgestalteten Arbeitsbeziehungen. Und an dieser Stelle kann man nur noch einmal darauf hinweisen, dass in den zurückliegenden Monaten zahlreiche Stellungnahmen aus ganz unterschiedlichen Lagern die Verfassungswidrigkeit des geplanten Gesetzes herausgestellt haben. Nach dieser Auffassung wird zu stark in ein Grundrecht eingegriffen. Aus der Flut an Veröffentlichungen zu dieser These vgl. nur den bereits Anfang 2014 publizierten Beitrag Schwarz-rotes Streikverbot von Detlef Hensche oder „Öffentlichkeit wird getäuscht“, ein Interview mit dem ehemaligen Verfassungsrichter Dieterich: »Es sei eine bewusste Täuschung der Öffentlichkeit, wenn die Bundesregierung behaupte, das Streikrecht werde nicht angetastet.«

In diesem Kontext auch sehr interessant ein Interview mit der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts  Ingrid Schmidt, die vor Einschränkungen des Streikrechts und der Koalitionsfreiheit per Gesetz warnt: Gewerkschaftsfreiheit in Gefahr. »Sie warnt davor, den Grundsatz der Tarifeinheit – „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ – per Gesetz festzuschreiben. Denn dadurch werde der Wettbewerb der Gewerkschaften um den besten Tarif in jedem Unternehmen verhindert.« Es geht deshalb um einen schwerwiegenden Eingriff in die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit. Auch mehrere Gutachten liegen mittlerweile vor, viele bestätigen die These von der behaupteten Verfassungswidrigkeit des Unterfangens.

Selbst der mehr als seriösen Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages hat sich mit der Materie befasst. Darüber berichtet die grüne Bundestagsabgeordnete Beate Müller-Gemmecke in einem Beitrag auf ihrer Webseite, denn sie hat dem Dienst die Frage einer verfassungsrechtlichen Bewertung des Gesetzentwurfs gestellt: Tarifeinheit – Ministerin sollte Gesetzentwurf zurückziehen.

»Laut dem Gutachten ist davon auszugehen, dass die gesetzliche Tarifeinheit die Koalitionsfreiheit nicht ausgestaltet, sondern dass es sich dabei um ein Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG handelt. Es ist ein Eingriff, weil die Koalitionsfreiheit als Freiheitsrecht das Abschließen von Tarifverträgen und Arbeitskämpfe schützt. Eingriffe in Grundrechte können zwar möglich sein, aber nur wenn sie gerechtfertigt sind. Das Ziel des Gesetzes – also die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern – reicht dafür aber nicht aus. Auch andere Begründungen für das Gesetz – also Zunahme von Arbeitskämpfen, Ordnungsfunktion der Tarifeinheit oder Betriebsfrieden – sind keine Gründe für ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit.

Auch die Betroffenheit Dritter bei Streiks im Bereich der Daseinsvorsorge (z.B. Verkehr) kann nicht als Rechtfertigungsgrund für die gesetzliche Tarifeinheit dienen, denn die Bundesregierung lehnt in der Begründung des Gesetzes genau dies – also eine Regelung ausschließlich im Bereich Daseinsvorsorge – ab. Alles in allem besteht also Zweifel, dass das Gesetz verfassungskonform ist.«

Die vielen unterschiedlichen Einwände haben den Gang der Dinge bislang nicht aufhalten können – und die federführende Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) läuft sehenden Auges in das offene Messer. Ein äußerst unangenehmes offenes Messer, denn zum einen gibt es durchaus sehr plausible Annahmen, dass das Gesetz, sollte es denn endgültig verabschiedet werden, vor dem Bundesverfassungsgericht gestoppt wird, zum anderen aber wird sich möglicherweise eine Sozialdemokratin als diejenige herausstellen, die das Streikrecht von Gewerkschaften im Kern beschnitten hat. Das wird der SPD – man denke an die Erfahrungen mit Hartz IV – sicher nicht gut tun.

Dietrich Creutzburg hat das Grundproblem thematisiert in seinem Artikel Nie wieder Lokführer-Streiks?

»Das Tarifeinheitsgesetz … stellt … allerdings nur neue Regeln für den Fall einer sogenannten Tarifkollision auf – während es das eigentliche Streikrecht jedenfalls nicht ausdrücklich begrenzt. Von einer Tarifkollision ist die Rede, wenn zwei konkurrierende Gewerkschaften jeweils unterschiedliche Tarifverträge für ein und dieselbe Berufsgruppe in einem Betrieb durchgesetzt haben oder durchsetzen wollen. Dann soll, so die Stoßrichtung des Gesetzes, dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden, das er am Ende tatsächlich unterschiedliche Tarifverträge innerhalb einer Berufsgruppe anwenden muss.

Falls sich die Gewerkschaften nicht untereinander auf ein abgestimmtes Vorgehen einigen können, soll daher notfalls – auf Antrag betroffener Tarifparteien – die Mehrheitsregel entscheiden: Diejenige Gewerkschaft, die im betroffenen Betrieb die meisten Mitglieder hat, soll mit ihrem Tarifvertrag den Vorrang erhalten. Die Minderheitsgewerkschaft, die in vielen Fällen die Berufsgewerkschaft sein wird, muss dann zurückstecken und erhält nur das Recht, den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft „nachzuzeichnen“, damit zumindest dieser auch für ihre Mitglieder gilt.«
Mit diesem Mechanismus behauptet die Bundesregierung einen Weg gefunden zu haben, den Vorwurf eines direkten Eingriffs in das Streikrecht entkräften zu können und damit natürlich auch der Angreifbarkeit des Gesetzes von dieser Seite aus. Aber dem ist nicht so:
»Mittelbar hat diese Regel allerdings auch Auswirkungen auf Streiks. Denn nach der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte (gesetzliche Regeln zu Arbeitskämpfen gibt es in Deutschland nicht) sind Streiks üblicherweise als unverhältnismäßig anzusehen, wenn damit etwas durchgesetzt werden soll, das gar nicht zulässig ist oder nicht angewendet werden kann. Das wäre für Tarifverträge einer Minderheitsgewerkschaft mit einiger Wahrscheinlichkeit der Fall. Die große Koalition setzt darauf, dass die Rechtsprechung im Ergebnis die Berufsgewerkschaften diszipliniert. Mehr noch: Sie hofft, dass alle Beteiligten gerichtliche Konflikte scheuen werden – und die konkurrierenden Gewerkschaften sich deswegen künftig lieber gleich im Voraus auf gemeinsame Tarifforderungen verständigen, um solche Tarifkollisionen zu vermeiden … Die größte Wirkung des Gesetzes wird voraussichtlich eine Unsichtbare sein: In Unternehmen und Branchen, in denen es bisher noch keine Berufsgewerkschaften gibt, werden potenzielle Gründer neuer Berufsgewerkschaften entmutigt – schließlich müssten sie gewissermaßen aus dem Nichts eine Mehrheit aus dem Boden stapfen, um nicht von der Kollisionsregel gebremst zu werden.«

Wie dem auch sei – sollte das Gesetz die parlamentarischen Hürden nehmen, dann wird es mit Sicherheit in Karlsruhe landen, vor dem Bundesverfassungsgericht. Der Ausgang dieses Verfahrens – bekanntlich ist es schon bei einem „normalen“ Gericht wie auf hoher See, wo man letztendlich in Gottes Hand ist – mag offen sein, wenn auch mit einem höheren Erwartungswert für ein Scheitern. Creutzburg versucht eine noch gleichgewichtige Prognose: »Zwei Gutachten zum Tarifeinheitsgesetz, die im Vorfeld geschrieben wurden, sind besonders prominent. Eines stammt aus der Feder des ehemaligen Verfassungsrichters Udo di Fabio und wertet das Gesetz als unzulässig. Das andere stammt aus der Feder des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier und gelangt zum gegenteiligen Ergebnis.«

Unabhängig davon hat man den Eindruck, dass hier, ob bewusst oder eher unbewusst, hinsichtlich des Streikrechts die Büchse der Pandora geöffnet werden soll. Während sich die Kanzlerin und die Union zurückhalten und mit dem Thema nicht infiziert werden, muss die Bundesstreikministerin Nahles die ganze Paketlast tragen und folgerichtig wird sich auch die Kritik auf sie und die SPD fokussiert. Und die Gewerkschaften, die anfangs in einem Bündnis mit den Arbeitgebern die neue große Koalition in die Richtung getrieben haben, die nun mit der 1. Lesung des Gesetzes im Bundestag weiter beschritten wird, sehen sich mittlerweile einer belastenden Polarisierung in Befürworter und Gegner ausgesetzt, ein veritabler Spaltpilz in der Gewerkschaftsbewegung. Ob sich das dafür wirklich lohnt? Wohl kaum.

Endlich viele neue Jobs. Und dann wieder: Aber. Die Deutsche Post DHL als Opfer und Mittäter in einem Teufelskreis nach unten

Sie arbeiten, kommen aber trotzdem kaum über die Runden: Mehr als drei Millionen Erwerbstätige in Deutschland leben unterhalb der Armutsschwelle. Ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren um 25 Prozent angestiegen. Solche Meldungen basieren auf einer Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes, über die in diesen Tagen berichtet wird: Danach lagen Ende 2013 rund 3,1 Millionen Erwerbstätige mit ihrem Einkommen unterhalb der „Armutsschwelle“ –  das waren immerhin 25 Prozent mehr als 2008. Über welche Beträge wir hier reden, verdeutlicht diese Erläuterung: »Als armutsgefährdet gilt, wer einschließlich aller staatlichen Transfers wie zum Beispiel Wohn- oder Kindergeld weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erzielt. 2013 lag diese Schwelle den Angaben zufolge in Deutschland bei 979 Euro netto im Monat.« Ebenfalls mit Schwellenwerten arbeiten auch die Wissenschaftler des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ), die jährlich ihre Berechnungen auf der Basis von SOEP-Daten zum Anteil der „Niedriglohnbeschäftigten“ in Deutschland aktualisieren. Das IAQ verwendet – wie auch das Statistische Bundesamt und Eurostat – eine „Niedriglohnschwelle“ von zwei Dritteln des mittleren Stundenlohns (gemessen am Median) in Deutschland. »Die Stundenlöhne wurden auf der Basis der Angaben zum Bruttomonatsverdienst und zur tatsächlich geleisteten Arbeitszeit berechnet. Es handelt sich demnach um die effektiven Stundenlöhne, die von vertraglich vereinbarten Stundenlöhnen abweichen können – etwa, wenn unbezahlte Mehrarbeit geleistet wurde«, so die Erläuterungen im neuesten Bericht zur Niedriglohnbeschäftigung (Thorsten Kalina und Claudia Weinkopf: Niedriglohnbeschäftigung 2012 und was ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € verändern könnte, IAQ-Report 2014-02). Ihre wichtigsten Befunde: »Im Jahr 2012 arbeiteten 24,3% aller abhängig Beschäftigten für einen Stundenlohn unterhalb der bundeseinheitlichen Niedriglohnschwelle von 9,30 €.« Und: »Die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten ist seit 1995 von 5,9 auf 8,4 Millionen im Jahr 2012 gestiegen, was einer Zunahme um rund 2,5 Millionen (bzw. 42,1%) entspricht. Der prozentuale Anstieg der Niedriglohnbeschäftigung war in Westdeutschland weitaus höher als in Ostdeutschland.« So weit, so schlecht – aber was hat das nun mit der Deutsche Post DHL zu tun?

Die hat in diesen Tagen mal wieder für Aufmerksamkeit gesorgt – mit der erst einmal positiv daherkommenden Nachricht, dass das Unternehmen aufgrund des boomenden Paketgeschäfts zahlreiche neue Arbeitsplätze schaffen will: „Wir rechnen mit 10.000 neuen Stellen bis 2020 und wahrscheinlich 20.000 in Summe bis 2025“, so wird der für das Brief- und Paketgeschäft zuständige Vorstand Jürgen Gerdes zitiert. Eigentlich ein Grund zur Freude, die allerdings sogleich wieder getrübt wird, wenn man zur Kenntnis nehmen muss, dass die neuen Mitarbeiter in eigens gegründeten Gesellschaften arbeiten sollen. »Der Hausvertrag der Post gilt für sie damit nicht, vielmehr sollen sich ihre Löhne an den Tarifen der Logistikbranche orientieren. Diese liegen vielfach unter denen des Bonner Konzerns.« Und auch hier wieder der bereits zitierte Post-Vorstand Gerdes im Original die Motivation zu diesem Vorgehen erklärend: „Die Paketzustellung ist auf Dauer nicht innerhalb der existierenden Tarifverträge machbar, weil der Wettbewerbsnachteil zu groß ist“, die Personalkosten bei der Deutschen Post DHL seien im Durchschnitt doppelt so hoch wie die der Wettbewerber.

Über was und wen wird hier gesprochen? Es geht um den Paketmarkt in Deutschland, der schon 2013 ein Marktvolumen von 8, 2 Mrd. Euro auf die Waage gebracht hat. Der Marktanteil der DHL lag bei beeindruckenden 42,3%, die anderen 57,7% entfielen – wenn man die Daten aus dem Geschäftsbericht der Deutschen Post DHL zugrunde legt – auf die Wettbewerber der DHL. Zu denen zählen Unternehmen wie die zur Otto-Gruppe gehörende Hermes, die seit 2011 mehrheitlich zur französischen Post gehörende DPD, die amerikanische UPS sowie die GLS, eine Tochter der britischen Staatspost Royal Mail. Der Paketmarkt macht seit geraumer Zeit einen gewaltigen Strukturwandel durch, dessen Verständnis für das, was jetzt bei der Deutschen Post DHL passiert, hilfreich ist. Dieser Strukturwandel besteht grob gesagt aus zwei Komponenten. Zum einen erleben wir eine gewaltige quantitative Ausweitung des Paketmarktes an sich, vor allem natürlich bedingt durch die Expansion der Online-Versandhändler wie Amazon und Zalando. Immer mehr Pakete müssen also transportiert werden, eine scheinbar sehr gute Nachricht für die Anbieter dieser Dienstleistungen. Marktbeobachter sprechen Unternehmen wie Amazon und Zalando aufgrund ihres stetig wachsenden Gewichts den Status von „systemrelevanten Kunden“ zu, die natürlich gegenüber den Paketdiensten über eine entsprechende und wachsende Marktmacht verfügen, die sie auch ausüben (müssen), man denke hier nur beispielsweise an deren Problematik, dass die Kosten durch viele Retouren (die gleichsam die Folge von in die Haushalte der Online-Käufer ausgelagerten Umkleidekabinen sind).

Jacqueline Goebel hat es mit der Überschrift ihres Artikels Wie das eigene Wachstum für Paketdienste zum Fluch wird auf den Punkt gebracht, was als zweite Komponente des Strukturwandels des Paketmarktes zur Kenntnis genommen werden muss: »Die Paketdienste stehen nicht erst seit dem Boom des Online-Handels unter Druck. Ausbaden müssen diesen Druck die Fahrer.« Dies hängt auch damit zusammen, dass früher überwiegend Material oder Waren versandt und ausgeteilt wurden, die sich Unternehmen untereinander geschickt haben – was heute aber nur noch auf 42% der Pakete zutrifft. Die Mehrheit des Paketaufkommens entfällt nun auf Privathaushalte, die bei den Versandhändlern bestellt haben. Das ist aber mit erheblichen betriebswirtschaftlichen Herausforderungen verbunden: Die Zahl der Pakete nimmt erheblich zu und gleichzeitig die Zahl der Haushalte, die jeweils einzeln beliefert werden müssen und von denen viele – anders als Unternehmen, die meistens mehrere Sendungen geliefert bekommen – während der Auslieferungszeiten nicht anzutreffen sind. Logische Folge ist, dass die Kosten pro Paket für die Zustelldienste steigen, besonders wenn es um Pakete in ländlichen Räumen geht. Nun könnte man natürlich theoretisch die steigenden Zustellkosten an die Auftraggeber weiterreichen, aber dieser Mechanismus ist gestört, wenn nicht sogar ausgehebelt, sollte man aufgrund der Konkurrenzsituation mit anderen Anbietern das nicht durchsetzen können.

Und die anderen Anbieter im Paketmarkt haben – das wurde bereits mit Blick auf die zwei bis zweieinhalb Mal so hohen Personalkosten der DHL angedeutet – Geschäftsmodelle, die auf eine Preisunterbietung der DHL durch niedrigere Personalkosten setzen und die natürlich gezielt von den sehr großen Auftraggebern gegen mögliche Preiserhöhungsforderungen der „teureren“ DHL in Stellung gebracht werden können. Hier nur ein Hinweis, über welche Beträge wir reden, wenn es um die mindestens doppelt so hohen Personalkosten der DHL geht: Der Einstiegslohn dort liegt bei 14 Euro, der durchschnittliche Stundenlohn wird mit 18 Euro angegeben, somit bekommt man einen ersten Eindruck, von welchen Stundenlöhnen wir bei den Konkurrenz-Unternehmen ausgehen (müssen). Das muss auch und gerade vor dem Hintergrund unterschiedlicher Geschäftsmodelle der Paketdienste gesehen und bewertet werden: Die DHL beschäftigt überwiegend eigene Paketzusteller, bislang war es so, dass von den 10.000 Zustellbezirken maximal 990 und damit weniger als 10% von Fremdfirmen abgedeckt werden dürfen. UPS beschäftigt je nach Quelle zwischen 60 und 70 Prozent der Fahrer als eigene Angestellte und auch die restlichen Fremdfirmenbeschäftigten haben vergleichsweise faire Bedingungen. Vergleichsweise zu wem? Am anderen Ende der Skala stehen Unternehmen wie DPD oder GLS, die gar keine eigenen Fahrer haben und die alles über ein Subunternehmer-Modell laufen lassen, über das man „hervorragend“ den Kostendruck von oben nach unten weitergeben kann, ohne pro forma die Verantwortung übernehmen zu müssen für die daraus resultierenden Zustände, unter denen vor allem die Fahrer zu leiden haben.

Die Deutsche Post DHL will nun die aktuelle Situation nutzen, um gleichsam in einem „Doppelschlag“ das angesprochene Kostendilemma zu den Wettbewerbern kleiner zu machen. Denn zum einen gibt es seit dem 1. Januar 2015 den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn, der – wenn er denn eingehalten wird – bei den Subunternehmern und darüber vermittelt dann auch bei den Paketdiensten insgesamt einen entsprechenden Kostendruck nach oben ausüben wird, zum anderen will man perspektivisch bei den eigenen Beschäftigten vom „hohen“ Lohnniveau runter und sich dem darunter liegenden Lohnniveau der Konkurrenten annähern. Erreicht werden soll dies über eine Spaltung der Belegschaft in „alte“ Bestandsfälle, die weiter unter den bestehenden Haustarifvertrag fallen und „neuen“ armen Schluckern, die man in eigens dafür gegründete Gesellschaften auslagern und deutlich schlechter vergüten will. Die Post beschäftigt derzeit im Brief- und Paketgeschäft in Deutschland rund 180.000 Mitarbeiter. „Diejenigen Menschen, die bereits bei uns unbefristet beschäftigt sind, sind nicht Zielgruppe der neuen Gesellschaften. Für sie gilt der Haustarifvertrag weiter“, so wird Post-Vorstand Jürgen Gerdes zitiert. Die Post hat nach seinen Angaben bereits 49 neue Gesellschaften gegründet, die die neuen Mitarbeiter einstellen sollen. Die neu gegründeten Gesellschaften laufen unter dem Namen DHL Delivery GmbH. Dieses Unternehmen gibt es schon seit längerem und es hat auch schon in der Vergangenheit für unrühmliche Schlagzeilen gesorgt (vgl. hierzu beispielsweise den Artikel Eine kleine Tochter macht der Post großen Ärger aus dem September 2013).

Nach Angaben der Post würden die ersten Gesellschaften ab sofort neue Mitarbeiter einstellen. Dabei würden befristet Beschäftigte der Post, deren Verträge auslaufen, bevorzugt. Die Post beschäftigt nach eigenen Angaben derzeit 14.700 Arbeitskräfte mit zeitlich befristeten Verträgen. Das ist knapp ein Zehntel der Gesamtbelegschaft in der Brief- und Paketsparte. Unter anderem in Rostock, Bremen und Frankfurt am Main sollen die Mitarbeiter der neuen Gesellschaften bald komplette Bezirke für die Paketzustellung übernehmen. Es geht bei der Nutzung der Auslagerung in neue Gesellschaften nicht nur um eine bedeutsame Lohnsenkung – nach Berechnungen der Gewerkschaft drohen den Betroffenen allein mit Blick auf den Stundenlohn Absenkungen von bis zu rund 20 Prozent. Die Tarifentgelte in der Logistik, an denen sich die neuen Post-Tochtergesellschaften orientieren sollen, beginnen bei Stundenlöhnen von knapp mehr als zehn Euro. An dem Logistik-Tarif orientiert sich auch der Versandhändler Amazon, der deshalb schon lange kritisiert wird. Verdi verlangt von dem US-Händler, die Löhne in seinen Verteilzentren an die des Einzelhandels anzupassen. Bei der Post geht’s jetzt also von oben nach unten.

Der Konzern werde auch bei den Arbeitszeiten flexibler, Überstunden würden leichter möglich. Mitbewerber wie Hermes liefern Pakete bereits jetzt regelmäßig bis in die Abendstunden aus, so die „Positivliste“ des Post-Vorstandes Gerdes. Billiger und flexibler, so lässt sich die Zielsetzung der Post auf den Punkt bringen.

Das verursacht nicht wirklich überraschend erhebliche Spannungen im Unternehmen: Verdi kritisiert neuen Tarifkurs der Post. Die Gewerkschaft spricht vom „Einstieg in den Ausstieg aus der Sozialpartnerschaft“, so Andrea Kocsis, die stellvertretende ver.di-Vorsitzende. Aus gewerkschaftlicher Sicht handelt es sich um einen klaren Fall von Tarif- und Mitbestimmungsflucht. Ein „sozialpolitischer Skandal ersten Ranges“ sei das, so die Gewerkschaft in einer Stellungnahme. Und ver.di hat gute Gründe, mehr als sauer zu sein über die Deutsche Post DHL:

»Nachdem das Unternehmen unter Ausnutzung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes mehr als 24.000 befristet Beschäftigte in Geiselhaft genommen habe, so Kocsis …, solle jetzt aus bestehenden Verträgen ausgestiegen werden. Mit der Post sei Ende 2011 vereinbart worden, im Falle des „signifikanten Absinkens der wirtschaftlichen Ergebnisse“ Gespräche aufzunehmen. Dieser Fall sei aber bislang nicht eingetreten. „Umso unerträglicher ist für uns, dass die Post mit diesem Manöver offensichtlich unseren Vertrag zum Ausschluss der Fremdvergabe und den Entgelttarifvertrag unterlaufen will“, sagt Kocsis.
Der Vertrag zum Ausschluss der Fremdvergabe läuft bis zum 31. Dezember 2015 und legt fest, dass maximal 990 Paketzustellbezirke von Konzerntöchtern oder Dritten betrieben werden dürfen.«

Apropos wirtschaftliche Lage des Konzerns: Bereits 2013 hat die Deutsche Post DHL bei 55 Mrd. Euro Umsatz mehr als 2 Mrd. Euro Jahresüberschuss gemacht (2,091 Mrd. Euro). Die Umsatzrendite lag bei 5,2% (gemessen am EBIT). Und die Prognosen für die Sparte, in dem sich die Paketdienste der DHL bewegen, klingen nicht nach einem echten Sozialfall: »Der operative Gewinn soll demnach 2014, 2015 und 2016 bei jeweils mindestens 1,3 Milliarden Euro liegen«, so Maris Hubschmid in dem Artikel Viele neue Jobs, aber schlechtere Bezahlung.

Die Deutsche Post DHL hat sich auf eine Rutschbahn nach unten gesetzt, aus einer vermeintlichen Marktlogik heraus, die rein betriebswirtschaftlich gesehen durchaus logisch ist und angesichts des immer wieder herausgestellten Lohngefälles zwischen Post und Konkurrenzunternehmen führt für die DHL aus deren Binnenperspektive auch kein Weg daran vorbei, eine solche Strategie zu versuchen (vgl. hierzu auch den Blog-Beitrag Was Amazon, die Deutsche Post und Daimler gemeinsam haben vom 28.12.2014). Das gleiche Muster erleben wir ja in vielen anderen Branchen auch, vor allem im hier besonders interessierenden Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen. Hier handelt es sich um Dienstleistungen, die in aller Regel nicht verlagerbar sind ins Ausland und die man auch nicht annähernd so rationalisieren kann wie beispielsweise die industrielle Produktion. Zumindest die letzte Meile zu den immer zahlreicher werdenden Kunden muss (noch) händisch abgearbeitet werden. Aber was betriebswirtschaftlich durchaus rational sein kann, erweist sich volkswirtschaftlich als Schuss ins eigene Knie und man landet dann dort, wo dieser Blog-Beitrag begonnen hat. Und um den Zynismus gleichsam „abzurunden“: Die Strategie der Lohnsenkung und der weiteren „Flexibilisierung“ wird scharf gestellt in einer Phase, in der sich die Arbeitsbedingungen in den Paketdiensten bereits erheblich verschlechtert haben (vgl. hierzu den Blog-Beitrag Paketdienste segeln auf der Sonnenseite der „Amazon-Gesellschaft“. Aber das hat seinen Preis, dessen Bezahlung wieder mal ungleich verteilt ist vom 09.12.2014). Die wahren „Helden“ der Amazon-Gesellschaft werden uns noch weiter beschäftigen.

Und abschließend nur noch eine Anmerkung zu einem Zusammenhang mit einem anderen, sozialpolitisch hoch brisanten Thema der Gegenwart: Die so genannte „Tarifeinheit“. In diesem Kontext haben die Arbeitgeber in ihrem Bemühen, die große Koalition zu einer gesetzgeberischen Regelung zu treiben, immer wieder als ein Argument darauf hingewiesen, sie wären total überfordert, mit einer Belegschaft, in der beispielsweise zwei Gewerkschaften um die Gunst der Arbeitnehmer und für deren Interessen agieren. Das wäre viel zu komplex. Ach ja, aber die Belegschaft zu spalten und mal eben 49 Tochtergesellschaften zu gründen, in denen dann die Mitarbeiter zu anderen Tarifen und Regelwerken arbeiten (müssen), das ist offensichtlich kein Problem. Da verstehe noch einer die Welt der Wirtschaft. Auch dort malt man sich die offensichtlich so, wie es gerade gefällt.

Foto: © Stefan Sell

Wenn unterschiedlich starke Arme eigentlich das Gleiche wollen und sich in die Haare kriegen: „Tarifeinheit“ aus einer anderen Perspektive

In der Politik geht es bekanntlich um Macht (und Gegenmacht) und in der Tarifpolitik gilt das nicht nur auch, sondern ganz besonders. Wenn die Gewerkschaften zu wenig oder gar keine Macht (mehr) haben, gemessen an der tarifpolitisch hoch relevanten Maßeinheit „Organisationsgrad“ mit der daraus resultierenden Optionalität eines Arbeitskampfes als eines der möglichen Druckmittel, um den Forderungen entsprechend Gewicht zu verleihen, dann sieht es schlecht aus für die Arbeitnehmerseite. Davon können viele Beschäftigte in vielen Branchen ein Lied singen. Nun soll es an dieser Stelle gar nicht um die grundsätzliche Problematik einer abnehmenden Tarifbindung gehen, wenn auch die Zahlen eine solche nachzeichnen, vor allem für die Abdeckung mit Branchentarifverträgen. 1996 arbeiteten in Westdeutschland 70 Prozent der Beschäftigten in Betrieben, in denen ein Branchentarifvertrag galt. Im Jahr 2013 waren es nur noch 52 Prozent. In Ostdeutschland sank der entsprechende Anteil der Beschäftigten von 56 auf 35 Prozent, berichtet das IAB. Firmentarifverträge galten 2013 für 8 Prozent der westdeutschen und rund 12 Prozent der ostdeutschen Arbeitnehmer.
Und es soll an dieser Stelle auch nicht um die derzeit wieder mit zunehmender Intensität geführten Debatte über eine gesetzliche Regelung der „Tarifeinheit“ gehen, denn die bezieht sich mit den so genannten kleinen, zumeist berufsständisch ausgerichteten „Spartengewerkschaften“ auf ein – anscheinend – klares Feindbild für die Arbeitgeberverbände und die DGB-Gewerkschaften. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD mit dem Titel „Deutschlands Zukunft gestalten“ aus dem vergangenen Jahr findet man auf der Seite 50 eine Absichtserklärung, deren gesetzgeberische Umsetzung derzeit erhebliche Kopf- und Bauchschmerzen bereitet: »Um den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben.«

Leichter geschrieben als getan. „Tarifeinheit ist kein Königsweg“, so beispielsweise Bert Rürup in einem Interview. Es ist vor dem Hintergrund der vielen schon seit längerem vorgetragenen Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit (vgl. beispielsweise Vom Sinn und Unsinn kleiner Gewerkschaften) nicht überraschend, wenn die Stuttgarter Zeitung berichtet: Berlin will Gesetz abschwächen. Danach soll in dem Gesetzentwurf zwar festgeschrieben werden, dass künftig der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Unternehmen maßgeblich sein soll. Was dies für das Streikrecht von Gewerkschaften bedeutet, will die Regierung aber nicht vorschreiben. Über die genaue Auslegung müssten dann die Gerichte entscheiden. Das hört sich nicht nur ein wenig an nach „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“. Das wäre und wird ein eigenständiges Thema für die Berichterstattung in diesem Blog.

In der Tarifpolitik geht es wie gesagt ganz besonders um Machtverhältnisse und das Vorhaben, den Einfluss kleiner, aber durchsetzungsfähiger Gewerkschaften zu begrenzen, ist ja par excellence ein Beispiel dafür. Allerdings könnte man den Eindruck bekommen, dass es bei der Frage nach „Tarifeinheit“ um die schutzbedürftigen Großgewerkschaften geht, denen rein mitgliederegoistische Spartengewerkschaften gegenüberstehen, die sich aus der Solidarität der Gesamtbelegschaften verabschiedet haben und radikal die Interessen kleiner, aber zumeist mit Flaschenhalscharakter ausgestatteter Berufsgruppen wie Piloten oder Lokführern vertreten. Unabhängig davon, dass die Wirklichkeit wie immer weitaus komplizierter ist, kann man eine der Grundfragen, um die herum die Tarifeinheitsdebatte kreist, auch innerhalb bzw. zwischen den DGB-Gewerkschaften selbst identifizieren: Wessen mehr oder weniger starker Arm soll es denn sein, der die Interessen der Belegschaften vertreten darf, kann oder muss?

Es geht technisch gesprochen um einen Zuständigkeitskonflikt zwischen Gewerkschaften. Den es eigentlich, also theoretisch, nicht geben dürfte, wenn der organisationspolitisch elementare Grundsatz der DGB-Gewerkschaften: „Ein Branche – eine Gewerkschaft“ nicht verletzt wird. Aber auch hier gilt: Die Wirklichkeit ist meistens grau und eben nicht schwarz oder weiß. Wie das in der tarifpolitischen Praxis aussehen kann, beschreibt Kai von Appen in seinem nicht mit Zuständigkeitskonflikt, sondern etwas lyrischer als Streit unter Schwestern überschriebenen Artikel.

Zuerst zum Sachverhalt: Der Flugzeughersteller Airbus hat wie so viele andere Firmen auch seine Logistik-Sparte vor einiger Zeit outgesourct, wie man neudeutsch sagt. Die damit verbundenen Tätigkeiten werden von dem Unternehmen Stute abgewickelt. Das Logistikunternehmen Stute ist zwar eine Tochterfirma des Logistikkonzerns Kühne + Nagel, arbeitet aber ausschließlich für den Flugzeugbauer Airbus. Mit 750 Beschäftigten an den Standorten Bremen, Hamburg und Stade. Jahrelang gab es in diesem Unternehmen keinen Betriebsrat und keine Tarifbindung. Formal zuständig nach den Organisationsprinzipien des DGB wäre der Fachbereich Post und Logistik der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Formal heißt aber bekanntlich nicht real, denn dafür braucht man eben eine Machtbasis in Form von Mitgliedern. Also ein Gewicht im Sinne des angesprochenen Organisationsgrades. Und hier wird es nun spannend, denn eine zweite Gewerkschaft betritt die Bühne:

»Während Ver.di sich bei Stute nur auf eine Handvoll Mitglieder stützen konnte, ist es der IG Metall gelungen, mehr als 60 Prozent der Belegschaften zu organisieren.«

Die rein formal für ein Logistikunternehmen eigentlich nicht zuständige IG Metall hat sich in diesem Fall als zuständig definiert: „Für uns gehören die Kollegen eindeutig zur Metallindustrie.“ Mit diesen Worten wird Heiko Messerschmidt, Sprecher der IG Metall Küste, in dem Artikel zitiert. Das Unternehmen hatte anfangs gehofft, die Tarifvertragsfrage länger aussitzen zu können angesichts der Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen den beiden DGB-Gewerkschaften. Aber als sich Beschäftigte in der IG Metall zu organisieren begannen, lenkte das Management ein und wandte in Form eines „Anerkennungstarifvertrags“ den Ver.di-Flächentarifvertrag Spedition und Logistik an, der weit günstiger ist für das Unternehmen als die Tarifnormen der IG Metall. Ein Vorstoß des Unternehmens, der IG Metall als angeblich nicht-zuständige Gewerkschaft Warnstreiks zu verbieten, scheiterte vor dem Landesarbeitsgericht. Diese fanden auch statt und die starke IG Metall drohte gewichtig mit einem unbefristeten Streik in dem Zuliefer-Unternehmen. Der nun hätte Airbus wegen seiner „Just-in-Time-Produktion in die Bredouille bringen können. Insofern ist es letztendlich nicht überraschend, dass nunmehr berichtet wird, dass sich der Airbus Logistik-Dienstleister Stute und die IG Metall Küste auf einen Haustarifvertrag verständigt haben. Die Metall-Gewerkschaft berichtet dazu in einer Pressemitteilung:

»Die 750 Beschäftigten des Airbus-Dienstleisters erhalten ab 1. September 150 Euro pro Monat mehr. Weitere 100 Euro als monatliche Einmalzahlung erhalten die Mitarbeiter bis zum Ende der Laufzeit des Tarifvertrages. Außerdem erhalten die Beschäftigten ab dem nächsten Jahr mindestens 28 Tage Urlaub im Jahr. Künftig wird zudem die Mehrarbeit vergütet. Für den sechsten Werktag werden Zuschläge von 25 Prozent pro Stunde bezahlt. Auszubildenden und Leiharbeiter profitieren ebenfalls von dem Tarifabschluss. Diejenigen, die ihre Abschlussprüfung mit befriedigend oder besser abschließen, erhalten künftig einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Auch Leiharbeitnehmer werden nach zwölf Monaten unbefristet im Unternehmen übernommen.«

Die gleichsam ausgesperrte Gewerkschaft Ver.di ist nicht nur not amused, sondern heftig verärgert. „Die IG Metall hat klar die Organisations-Abgrenzungsregelungen verletzt, was wir nicht hinnehmen“. Mit diesen Worten wird Ver.di-Bundessprecher Jan Jurczyk in dem Artikel zitiert. »Ver.di hat deswegen das DGB-Schiedsgericht angerufen, das am 1. Oktober tagt. Dessen Spruch wird auf die Gültigkeit des Tarifvertrages aber keine Auswirkungen haben«, so Kai von Appen.

Wie ist dieser Vorgang zu bewerten?

Man könnte ihn als einen betriebsspezifischen „Unfall“ bewerten, der vielleicht gewerkschaftsintern von Interesse sein mag, darüber hinaus aber keine weitere Relevanz hat.

Man könnte aber auch wahrnehmen, mit welchem Machtgefälle wir innerhalb der „etablierten“ Gewerkschaftslandschaft konfrontiert sind, auf der einen Seite die „Facharbeiteraristokratie“ der IG Metall und auf der anderen Seite die ärmeren Brüder und Schwestern aus den Reihen der extrem heterogenen Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die in vielen Bereichen zwar formal zuständig, aber gemessen an der Machtwährungseinheit Organisationsgrad nur wenig oder zuweilen gar nicht präsent ist. Nun ist das sicher ein Trumpf für die Beschäftigten, die unter dem Schirm der IG Metall stehen, zugleich war das aber auch ein Argument für viele Unternehmen, den Weg des Outsourcing zu beschreiten, um Teile der Belegschaften in andere tariffreie oder eben deutlich „günstigere“ Tarifsysteme zu schieben.

Und an dieser Stelle wird es richtig spannend, denn der Fall des Logistik-Dienstleisters Stute steht gleichsam stellvertretend für eine zu schlagende tarifpolitische Schneise, die für die IG Metall von zentraler organisationspolitischer Bedeutung ist und die in den kommenden Monaten und Jahren den strategischen Fokus der Metaller bestimmen könnte, wenn denn der Ansatz mit Leben gefüllt werden kann. Es geht hier um eine zentrale Infragestellung des Outsourcing-Prozesses, gleichsam um eine tarifliche Wiedereingliederungsstrategie. Natürlich nicht der Randbereiche, die auch zuerst ausgelagert worden sind – so naiv sind die Metaller nicht. Kein Metallgewerkschafter wird heute fordern, dass das in Cateringfirmen outgesourcte Kantinenpersonal wieder nach dem Tarifwerk der IG Metall zu vergüten ist. Die Zeiten sind definitiv vorbei. Aber die IG Metall ist nicht nur sensibilisiert für die ihren Kernbereich immer stärker bedrohende Hydra an Werk- und Dienstverträgen, die sich eben nicht (mehr) beschränken auf „echte“ Werkverträge, sondern die – angefeuert durch die sukzessive Re-Regulierung im Bereich der Leiharbeit – immer mehr in die Kernprozesse der Metallunternehmen diffundiert. Und dazu gehört auch die Logistik, deren Werkvertragsarbeitnehmer immer stärker eingebunden werden in Wertschöpfungsprozesse, die sich da befinden, wo die Kernbelegschaft befinden. Kommen sie dieser zu nahe und ist gleichzeitig das Tarifgefälle zwischen IG Metall-Welt und Zulieferer-Welt sehr groß, dann potenziert das logischerweise die Anreize für die Unternehmen, immer mehr Verlagerungen zu realisieren, zum einen spart das Geld, zum anderen wirkt das „lohndisziplinierend“ auf die schrumpfende Kernbelegschaft.

Vor diesem Hintergrund macht es aus Sicht der IG Metall durchaus inhaltlich Sinn, wenn man das vorgelagerte, aber immer stärker in das eigentliche Produktionszentrum vorrückende Geflecht an „Zulieferer“ (wieder) unter das (dann allerdings breiter werdende) Dach der IG Metall-Tarifwelt zu holen versucht.

Das Fazit entbehrt nicht einer scheinbaren Paradoxie:

  • Auf der einen Seite verhalten sich die Beschäftigten des Logistik-Dienstleisters Stute wie die Arbeitnehmer, die sich in Spartengewerkschaften organisieren. Die meisten von denen tun das sicher, weil sie sich davon höhere Löhne bzw. zukünftig bessere Abschlüsse versprechen als bei einem Verbleib oder der Organisation in der formal zuständigen, aber weniger machtvollen Gewerkschaft. Für die wird das zu einem echten Problem für deren Flächentarifvertrag, denn sollte das Ausscheren erfolgreich sein, dann droht eine Wiederholungstat in den Unternehmen, deren Beschäftigte eine realistische Chance haben, vergleichbar erfolgreich zu sein wie die Stute-Beschäftigten jetzt (denn man muss an dieser Stelle natürlich darauf hinweisen, dass das Ergebnis sicher nicht aus genereller Angst vor der IG Metall zustande gekommen ist, sondern weil die wirtschaftlichen Schäden eines Streiks für Airbus aufgrund der spezifischen Produktionsverhältnisse größer gewesen wären als die Kosten der Akzeptanz der Teil-Reintergration des Unternehmens in die IG Metall-Welt).
  • Auf der anderen Seite kann man aber zugleich und mit guten Argumenten darauf hinweisen, dass der vorliegende Fall auch bewertet werden kann als eine „Wiederherstellung“ von Tarifeinheit aus Sicht der IG Metall, denn das entstandene Tarifgefälle nach unten wird wenigstens ein Stück weit wieder verringert. Aber zu erwarten ist, dass auch die IG Metall dafür einen Preis zu zahlen haben wird und der wird wahrscheinlich aus einer weiteren Auffächerung der Tarifniveaus bestehen, um den Wiedereingliederungsprozess in der Fläche realisieren zu können.