Und täglich grüßt das Murmeltier? Von erneuten Streiks bei Amazon über dessen „Uberisierung“ bis hin zu der tonnenschwere Frage nach den Arbeiterrechten im digitalen Kapitalismus

Seien wir ehrlich – viele werden das kaum noch zur Kenntnis nehmen, wenn sie solche Meldungen lesen: Wieder Streiks bei Amazon: »Seit Jahren verweigert Amazon der Gewerkschaft ver.di Verhandlungen über einen Tarifvertrag. Daran änderten bis heute auch zahlreiche Streiks nichts.« Seit fast vier Jahren geht das nun schon so. Die Gewerkschaft  fordert eine Bezahlung der Amazon-Beschäftigten nach den Tarifverträgen des Einzel- und Versandhandels, davon will das US.-amerikanische Unternehmen nichts wissen. Ver.di ruft zu Streiks bei Amazon auf: »Rund um die Aktionstage „Black Friday“ und „Cyber Monday“ will die Gewerkschaft Ver.di den Onlinehändler Amazon bestreiken. Der Konzern zeigte sich gelassen.« Und diesem Artikel kann man entnehmen: »Gestreikt wurde an den sechs großen Amazon-Standorten Bad Hersfeld (Hessen), Leipzig (Sachsen), Rheinberg (NRW), Werne (NRW), Graben (Bayern) und Koblenz (Rheinland-Pfalz). Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi hatten sich 2.300 Amazon-Mitarbeiter an den Streiks beteiligt. Außer in Koblenz sollen die Arbeitskämpfe am Samstag fortgesetzt werden.« Zur Einordnung muss man wissen, dass Amazon bundesweit mehr als 12.000 festangestellte Mitarbeiter beschäftigt. Aber das geht doch schon seit Jahren so, wird der eine oder andere einwerfen und die Sache als eine verlorene für die dort Beschäftigten abhaken. 

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Die einen profitieren davon, die anderen fördern es. Lohndumping durch das Subunternehmerunwesen bei den Paketdiensten und darüber hinaus als europäisches Projekt

Das Thema der immer stärker um sich greifenden Wild-West-Bedingungen für viele Arbeitskräfte, die in der boomenden Branche der Paketdienste arbeiten, wurde in diesem Blog schon in vielen Beiträgen behandelt. Auch derzeit wird man mit unterschiedlichen Berichten in den Medien konfrontiert, die aber eines gemeinsam haben: Sie legen den Finger auf die große Wunde des Subunternehmerunwesens, das sich durch diese Branche frisst und die dabei ist, die letzten Standards „guter“ Arbeit zu schleifen. So berichtet das Politikmagazin „Panorama 3“ am 27. Juni 2017 unter der Überschrift System Hermes: Günstige Pakete nur mit Lohntricks? Darin eines dieser heutzutage so typischen Beispiele: »… in Neuenkirchen bei Osnabrück trafen wir auf junge Rumänen, die in manchen Monaten weniger als 4 Euro die Stunde verdienten. Sie arbeiteten als Paketzusteller für Hermes. Im Arbeitsvertrag war der Mindestlohn vereinbart, doch letztlich bekamen sie jeden Monat 850 Euro brutto – obwohl sie mehr als 200 Stunden im Monat Pakete ausgeliefert haben. Die Verträge hatten sie nicht direkt mit Hermes abgeschlossen, sondern mit dem Subunternehmer eines Subunternehmers, der im Auftrag von Hermes die Pakete verteilt.« Auch in der Sendung des Politikmagazins „Kontrovers“ am 28. Juni 2017 wurde unter der Überschrift Ausbeutung bei Paketzustellern berichtet, hier von einem Bulgaren, der in der bayerischen Provinz als Paketbote für einen Subunternehmer von Hermes arbeitet. Wie viele seiner Kollegen kommt er aus Südosteuropa und spricht kaum Deutsch. 

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Die Amazonisierung der Gesellschaft schreitet voran und Amazon stellt die Systemfrage auch bei den Paketdiensten

Die teilweise wirklich nur noch als katastrophal zu bezeichnenden Arbeitsbedingungen der Paketzusteller waren und sind immer wieder mal Thema in der Berichterstattung, auch hier wurde das Thema oft aufgerufen. Immer mehr, immer schneller und immer billiger – dieser Dreischritt im Gefolge der Amazonisierung unserer Gesellschaft wurde und wird bislang überwiegend auf dem Rücken der vielen (schein)selbständigen Subunternehmer ausgetragen, die das dann weiterreichen an ihre Beschäftigten. Und Amazon – auch selbst hinsichtlich der eigenen Arbeitsbedingungen seit langem in der Kritik – wächst weiter, wie der gesamte Bereich des Online-Handels.

Das amerikanische Unternehmen geht jetzt allerdings einen Schritt weiter: Amazon baut in USA eigenen Paketdienst auf, so ist einer der Artikel dazu überschrieben.

»Der Onlinehändler Amazon will künftig einen Großteil seiner Lieferungen in den USA selbst abwickeln. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters und beruft sich dabei auf die Aussagen von Lieferfahrern des Unternehmens. Die Fahrer sagten demnach, im Rahmen des internen Programms Amazon Flex seien bereits Pakete von Amazon selbst an Prime-Kunden geliefert worden. Den Informationen der Fahrer zufolge sollen sie nun auch normale Bestellungen über die Website amazon.com ausliefern. Geplant sei demnach ein Ausbau der Lieferflotte des Unternehmens, um in den USA mit Logistikunternehmen wie UPS oder FedEx in Konkurrenz zu treten. Eine Sprecherin des Unternehmens sagte, in Texas würden Fahrer von Amazon Flex bereits Pakete ausliefern.«

Amazon Flex – der Name ist schon Programm. Denn es wird jetzt kaum einen aufgeweckten Zeitgenossen überraschen, wenn man an dieser Stelle anfügen muss, dass die Flex-Fahrer „natürlich“ nicht bei Amazon angestellt werden bzw. sind:

»Die Fahrer sind dem Bericht zufolge keine Amazon-Angestellten, sondern arbeiten selbstständig und müssen unter anderem die Tankrechnung und Versicherungen selbst bezahlen, heißt es in dem Bericht weiter. Amazon könnte durch eine eigene Fahrerflotte seine milliardenschweren Logistikausgaben deutlich senken und die Kontrolle der Auslieferungen verbessern.«

Wer jetzt an dieser Stelle vielleicht einwenden möchte, na gut, aber das betrifft uns nicht, das findet in den USA statt, der muss eines besseren belehrt werden.

Schon in dem Artikel findet man am Ende diesen Hinweis:

»Auch in Deutschland arbeitet Amazon an einem eigenen Zustelldienst. Über ein Versandlager in Olching bei München will das Unternehmen testen, wie es sich als Konkurrenz zu DHL, Hermes und DPD aufstellen kann. Hat das Modellprojekt Erfolg, soll der Paketdienst ausgeweitet werden.«

Damit zeichnet sich eine Art Systemwechsel ab, so auch die Einschätzung von Frank-Thomas Wenzel in seinem Artikel Wie Amazon und Google den Einzelhandel verändern wollen:

»Bislang gibt es klare Arbeitsteilung: Auf der einen Seite der mit großem Abstand weltgrößte Onlinehändler Amazon, der hierzulande einen Marktanteil von fast 25 Prozent hat. Auf der anderen Seite die Paketdienste UPS, DPD oder die Posttochter DHL.«

So ist das im heutigen System. Warum dann einen eigenen Lieferdienst?

»Auch DHL und Co .verdienen am Ausliefern, das ist Geld, das Amazon gerne hätte. Bislang schreckte der Konzern davor zurück, weil die Liefervolumina von Amazon allein vielfach zu gering waren, um eigene Flotte zu betreiben. Das ändert sich aber mit dem stetigen Wachstum des Onlinehandels, der in Deutschland ungebrochen mit zweistelligen Prozentzahlen zulegt. Insider halten es für möglich, dass Amazon zunächst punktuell in Großstädten eigene Lieferdienste ausbaut. Außerdem könnten die Amazon-Transporter auch Waren von anderen Onlinehändlern ausliefern.«

Und der Online-Handel expandiert nicht nur rasant, auch der Wettbewerbsdruck steigt entsprechend:

»Der Wettbewerb im Onlinehandel wird härter. Um sich von der Konkurrenz abzusetzen, setzt Amazon alles darauf, schneller zu werden. Lieferung nur wenige Stunden nach der Bestellung: Darauf läuft es zumindest in großen Städten hinaus. Dies verlangt eine höchsteffiziente Logistik – das legt es nahe, alles aus einer Hand zu organisieren.«

In Deutschland gibt es nicht nur das bereits angesprochene Pilotprojekt in Olching bei München, sondern es werden Amazon-Manager zitiert, die darauf hinweisen, dass weitere Verteilzentren entstehen sollen, die möglichst nah an Großstädten angesiedelt werden sollen. Dort könnten dann auch eigene Lieferdienste eingesetzt werden.

Zwischenzeitlich setzt Amazon auf das Verteilen von Beruhigungspillen an DHL & Co.
»Glaubt man Amazon-Finanzchef Brian Olsavsky, muss sich die Tochter der Deutschen Post keine Sorgen machen. Der Konzern brauche die eigenen Lieferkapazitäten nur, weil die Paketlieferdienste zu manchen Zeiten nicht mehr hinterherkämen. Diese seien „nicht länger in der Lage, unsere gesamte Menge, die wir in der Spitze brauchen, abzuwickeln“, sagte Olsavsky in einer Telefonkonferenz mit Analysten«, kann man dem Artikel Amazon überfordert Paketdienste entnehmen.

Und weiter:

»Der eigene Dienst solle vor allem für Transporte zwischen Amazons Lagern und seinen Auslieferzentren eingesetzt werden. Auch für besonders schnelle Lieferungen, etwa im Rahmen von Amazon Now oder des Essenslieferdienstes Amazon Fresh, könnte Amazon die eigenen Fahrzeuge gebrauchen.«

Ach, Amazon Fresh. Die nächste Baustelle, die der Konzern auch in Deutschland aufmachen will.
Denn hier entwickelt sich ebenfalls ein heftiger Wettbewerb: Beim Geschäft mit den Dingen des täglichen Bedarfs tritt Amazon gegen zahlreiche Supermarktketten an, die gerade dabei sind ihre Lebensmittel-Lieferdienste massiv auszubauen.

Diese Aktivitäten mag die Aktionäre des Unternehmens erfreuen, sehen sie doch ein weiteres Wachstum von Amazon am Horizont. Aber für die Arbeitsbedingungen der Menschen, die bei den Paketdiensten arbeiten, bedeutet das bei den derzeitigen Bedingungen eine weitere Eskalation der für sie negativen Ökonomisierung in der Branche. Um so wichtiger wäre eine gewerkschaftliche Gegenmacht, um die erfahrbaren Auswüchse in den Griff zu bekommen. Das wird allerdings erheblich erschwert durch die vielen kleinen Subunternehmer, die hier unterwegs sind und denen es oft nicht besser geht als den eigenen Mitarbeitern.