Die Zahl der Rindviecher geht, die der Übergewichtigen geht auch. Aber Obdachlose sollen nicht gehen. In der Statistik

Nicht selten trifft man in Deutschland auf die verfestigte Meinung, wir seien ein Land der Statistik-Junkies. Alles wird gezählt. Die Zahl der (noch) lebenden Schafe, die der verkauften und versteuerten Zigaretten. Selbst die Umsätze im horizontalen Gewerbe werden mittels Näherungsverfahren geschätzt, was nicht ohne Aufwand abgeht. Das letzte Beispiel verdeutlicht aber auch, dass die Produktion von Zahlen in der Regel – von durchaus immer auch vorhandenen skurrilen Ausnahmen abgesehen – interessengeleitet ist, denn die Abschätzung der Einnahmen der Prostituierten dient als Ausgangsbasis für die Heranziehung dieser Personen zur Entrichtung von Steuern. Da ist es natürlich naheliegend, die These in den Raum zu stellen, auch die bewusste Nicht-Produktion könnte eine interessengeleitete Tat sein – was immer auch zu prüfen wäre vor dem Hintergrund der oftmals zur Verteidigung einer Nicht-Erhebung vorgetragenen Behauptung, aus methodischen Gründen könne man leider die gewünschten Daten nicht liefern.

Es geht konkret um die Menschen ganz unten, um Obdachlose. Die »Wohnungslosen werden nicht gezählt. Ist diese Statistik wirklich nicht machbar? Oder politisch nicht gewollt?«, so die Fragestellung in dem Artikel Obdachlose ohne Statistik von Timo Reuter. 

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Gute Bettler, schlechte Bettler? Was ein „sektorales Bettelverbot“ in Salzburg und eine Obdachlosenzeitschrift in Berlin miteinander zu tun haben

Wenn in den Medien über „Armut“ berichtet wird, dann findet man ganz oft eine Illustration mit Fotos, die Obdachlose oder bettelnde Menschen zeigen, auch wenn es sich eigentlich um eine Diskussion über „Armut“ handelt, die sich am gesellschaftlichen Durchschnitt festmacht und von der – folgt man der gängigen Abgrenzung von Einkommensarmut – Millionen Menschen betroffen sind, von denen sich die wenigsten als Bettler betätigen oder auf der Straße leben (müssen). Aber die Bilder wirken, sie sind bewusst oder unbewusst in unseren Köpfen verankert – zugleich markieren Obdachlose und Bettler die unterste Stufe der „Armutshierarchie“ und sie sind verstörend für uns aus der Mehrheitsgesellschaft, denn sie stören unsere geschäftigen oder aber auf Erholung gerichteten Kreise, sie drängen sich körperlich und unausweichlich in unser Blickfeld, in unsere Nähe. Und das ertragen viele nicht.

Und selbst in der Konfrontation mit dem „ganz unten“ gibt es nicht nur Schattierungen, sondern letztendlich eine erkennbare Hierarchisierung, die zu einer Differenzierung in „gute Bettler, schlechte Bettler“ führt. „Gut“ im Sinne von in Ordnung und wenn es denn sein muss halbwegs akzeptabel sind viele Formen der „stillen“ Bettelei, lässt diese uns doch die Option des Vorbeigehens und des Nicht-Beachtens, wir bleiben Entscheidungsträger, wenn wir (nicht) wollen, geben wir (nicht) was. Und die, die faktisch um ein Almosen bitten, aber irgendeine Gegenleistung anbieten, stehen auf einem der oberen Ränge in der Hierarchie der Armut ganz unten. Dazu gehören neben denjenigen, die sich in Musik versuchen, vor allem die Verkäufer von Obdachlosenzeitschriften, bei denen man das – für die Mehrheitsgesellschaft gute – Gefühl hat, dass die auch irgendwie arbeiten. Auf der anderen Seite gibt es die „schlechten“ Bettler, dass sind vor allem die, bei denen man mit aggressiver Bettelei rechnen muss, die einen aktiv angehen, die einen zuweilen im wahrsten Sinne des Wortes bedrängen, die fordern und einen direkt anschauen und ansprechen. Da wird man unter einen unangenehmen Druck gesetzt. Ganz besonders schlimm wird dann der Einsatz von Kindern und von Behinderten empfunden, gleichsam als eine Art Überdosis an mitleidshaschenden Effekten. Und gerade bei diesen Bettlertypen hat man doch immer wieder gehört von der Existenz regelrechter „Bettler-Banden“, deren Hintermänner sich die Taschen vollstopfen und in Saus und Braus leben können von der Bettel-Industrie, die sie da aufgezogen haben.

Es ist naheliegend und nicht wirklich überraschend, dass schon frühzeitig immer wieder versucht wurde, die Bettelei von Seiten der Obrigkeit zu regulieren. Man kann sogar die hier nicht weiter begründbare These aufstellen, dass die Erfahrungen damit wichtige, wenn nicht zentrale Vorarbeiten für die sich später durchsetzende Unterteilung in „gute Arme, schlechte Arme“ gleistet hat. Bereits das Mittelalter war von einer Dualität der obrigkeitsstaatlichen Bekämpfungsversuche „unberechtigter Bettelei“ auf der einen Seite und auf der anderen Seite der durchaus formalen Gewährung von Bettelrechten für bestimmte Personengruppen, beispielsweise durch die Ausstellung behördlicher Bettelbriefe, gekennzeichnet. Als älteste Bettlerordnung im deutschsprachigen Raum in diesem differenzierenden Sinne gilt die von Nürnberg aus dem Jahr 1478. Und immer wieder stößt man auf die Folgewirkungen der protestantischen Arbeitsethik: Die Stadt Zürich erließ z.B. im Jahr 1520 auf Empfehlung von Ulrich Zwingli »eine eigene Verordnung, die sich mit der Versorgung bedürftiger Personen befasste. Ausdrückliches Ziel dieser Regelung war es, die öffentliche Bettelei zu unterbinden und stadtfremde Bettler von der Stadt fernzuhalten. Es wurden zwei Pfleger gewählt, denen die Bedürftigkeitsprüfung und die Verteilung der durch den Rat bzw. durch Stifter zur Verfügung gestellten Mittel oblag. Um die Armen „ab der gasse“ zu bringen, erfolgte eine regelmäßige Armenspeisung. Der Zugang hierzu war davon abhängig, dass der jeweils Bedürftige vorher nicht öffentlich gebettelt hatte«, so die Hinweise in einem Artikel über Bettler.

Mit diesem folglich sehr alten Unterscheidungsansatz werden wir auch heute immer wieder konfrontiert. Im August 2014 verhängte die Stadt München eine Allgemeinverfügung gegen aggressives so wie organisiertes bandenmäßiges Betteln in der Innenstadt. Grund für diese Maßnahme war ein Zuwachs von Bettlern, die die Passanten direkt ansprachen oder verbal und körperlich bedrängten: Dazu den Radio-Beitrag  München – Keine Almosen für Banden, der am 17.12.2014 vom Deutschlandfunk ausgestrahlt worden ist.

Oder wir werfen einen ganz aktuellen Blick in das Nachbarland Österreich, konkret in die Stadt Salzburg. Thomas Neuhold hat seinen Artikel über die Vorgänge dort unter die Überschrift Salzburg: Bettler werden aus Altstadt vertrieben gestellt. Der Gemeinderat hat dort »ein zeitlich und räumlich beschränktes Bettelverbot für weite Teile der Altstadt verhängt. Dieses sektorale Bettelverbot soll Anfang Juni in Kraft treten.« Dieser Beschluss ist auch maßgeblich Folge einer monatelangen Kampagne der Kronen Zeitung gegen das „Bettelunwesen“. Besondere Aufmerksamkeit bekommt der Vorgang auch deshalb, weil die Ausrufung eines Bettelverbots in Salzburg mit den Stimmen der Sozialdemokraten erfolgte, obgleich die SPÖ noch vor gar nicht so langer Zeit gegen ein solches Verbot gewettert hatte. Da ist Widerspruch und Protest zu erwarten:

»Für viel Empörung sorgt die neue Linie der SPÖ auch bei sozialdemokratischer Prominenz: Wolfgang Radlegger, ehemals Landesparteichef und Landeshauptmannstellvertreter und heute Chef der Wüstenrot-Holding, verteilte an die 40 Gemeinderatsmitglieder eine persönlich gehaltene Denkschrift: „Barmherzigkeit kennt keinen Sperrbezirk“, sagt Radlegger. Er wirft den Betreibern des Verbotes vor, dieses vor allem mit Rücksicht auf die Geschäftemacherei „mit Kitsch und Kommerz“ durchzusetzen.«

Womit wir bei einem Kernmotiv für die Verdrängungsversuche des überaus vielgestaltigen Bettlerwesens sind: Es geht um die Absicherung geschäftlicher Interessen zumeist in den Innenstadtlagen, die sich hier entfalten, denn natürlich stören die Bettler das Einkaufsvergnügen in der City – und insofern ist man in Salzburg konsequent, denn das Bettelverbot dort ist ein sektorales, also auf bestimmte Gegenden bzw. Straßen bezogen.

Aber gegen solche Entwicklungen gibt es immer auch Widerstände, die in Österreich beispielsweise von der Bettellobby, einer Initiative gegen Bettelverbote und selbst ernannte Interessenvertretung der Bettler in Österreich, vorgetragen werden:

„Wir werden das sicher beeinspruchen“, sagt Ferdinand Koller von der Bettellobby Wien. Betteln sei ein Menschenrecht (was im Übrigen auch der Verfassungsgerichtshof entschieden hat). „Ich glaube nicht, dass die Menschen in Salzburg so gestört wurden, dass ein Menschenrecht beschränkt werden darf“, sagt er.

Schon seit längerem wird (nicht nur) in Österreich über eine so genannte „Bettelmafia“ diskutiert. Eva Winroither  hat in ihrem Artikel „Viele Bettler sehen sich nicht als Opfer“ dazu ausgeführt:

»Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle im Bundeskriminalamt zur Bekämpfung von Menschenhandel will das Wort Bettelmafia nicht verwenden. Er unterteilt Bettler in drei Kategorien: Es gibt jene, die aus Armut betteln und aus eigenem Willen damit wieder aufhören können (nicht strafbar), diejenigen, die sich zu einem gewissen Grad organisieren, etwa durch gemeinsame Anfahrt oder Unterkunft (maximal Verwaltungsstrafe), und jene, bei denen Menschen unter massiver Drohung zum Betteln gezwungen werden. Das sei die kleinste Kategorie, sagt Tatzgern. Dreimal wurden in diesem Zusammenhang Menschen in Österreich verurteilt … In den anderen beiden Kategorien würden sich die Fälle die Waage halten. Ein Beispiel für die organisierte Bettelszene seien Massenquartiere. Oft alte Häuser, wo Bettler (aber auch Prostituierte oder Obdachlose) auf engstem Raum zusammenwohnen. „100 bis 150 Euro“, würde eine Matratze pro Monat kosten, sagt Tatzgern. Erbetteltes Geld, das anderen zufließt. Rund 1000 der geschätzten 1500 Bettler in Wien würden so ein Haus in Anspruch nehmen.«

Auch in Deutschland gibt es diese Diskussion über Motive und Ausformungen der Bettelei, dazu beispielsweise die Gesprächssendung Warum betteln Menschen im Sozialstaat? Mitleid als Geschäftsmodell des SWR vom 24.04.2014 mit Stefan Gillich von der Evangelischen Obdachlosenhilfe Frankfurt, Hans-Jörg Longin vom Ordnungsamt der Stadt Stuttgart und Dr. Iulia-Karin Patrut, Kulturwissenschaftlerin, von der Universität Trier.

Aus Deutschland wird ein anderes Beispiel für die Ausdifferenzierung der Bettelei berichtet. Obdachlosenzeitung geht gegen aggressive Bettler vor, so Stefan Strauß: »Weil sich immer häufiger Verkäufer der Obdachlosenzeitung „Straßenfeger“ über Betteleien von Migranten beschweren, hat der Verein des Sozialprojektes jetzt neue Regeln für alle Verkäufer aufgestellt. Denn Betteln schade dem Ansehen der Verkäufer, so ihr Argument.«

Beispiel Obdachlosenzeitung Straßenfeger:  Ein Exemplar kostet 1,50 Euro. 90 Cent bekommen die Verkäufer, 60 Cent gehen an den Verein mob. e.V., der die Zeitung herausgibt. So funktioniert das Prinzip. Man habe die Regeln für den Verkauf verschärft, „um Schaden von allen ehrlichen Verkäufer/innen abzuhalten“, so wird der Chefredakteur der Zeitung Straßenfeger, Andreas Düllick, zitiert. Was ist der Hintergrund?

»In den vergangenen Monaten haben sich immer häufiger langjährige, meist deutsche Verkäufer über Migranten aus Osteuropa beschwert. Diese würden kaum oder gar kein Deutsch sprechen und auch keinen Verkaufsausweis haben. Häufig würden sie ein altes Exemplar der Zeitung in einer Hülle eingeschweißt bei sich tragen, die Zeitung aber nicht verkaufen, sondern um Spenden betteln. „Das ist ein klarer Verstoß gegen die Verkaufsregeln“, sagt Düllick.«

Erkennbar wird eine ganz eigene Hierarchie innerhalb derjenigen, die ganz unten sind – und zugleich Irritationen für ein ganz eigenes Geschäftsmodell:

»Meist seien es Migranten, die plötzlich an einem Verkaufsplatz mit nur einem Exemplar vom Straßenfeger auftauchen und betteln würden. Das schade dem Ansehen der Verkäufer, für die es klare Verhaltensregeln gebe. So berichtet ein langjähriger Verkäufer namens CaDe in der Straßenfeger-Ausgabe vom Januar 2015, ein guter Verkäufer müsse mindestens fünf Tage die Woche mit der Zeitung in der Hand an einem Platz stehen. „Er muss freundlich sein, höflich, und er sollte wissen, was in der Zeitung steht. Er sollte tunlichst auf Alkohol oder Drogen verzichten, und er sollte auch nicht betteln“, schreibt CaDe.«

Es gibt noch eine andere Obdachlosenzeitung, das „motz“ bzw. „motz-life“. Hierfür ist der Verein motz & Co verantwortlich. Die haben eine etwas andere Auffassung, wie Stefan Strauß in seinem Artikel berichtet:

Beim Obdachlosenmagazin Motz wollen die Herausgeber gelassener mit diesen Problemen umgehen. „Beschwerden über Verkäufer, die über die Stränge schlagen oder alkoholisiert verkaufen, wollen wir nicht hochkochen“, sagt Stefan Peter vom Vorstand. Motz-Verkäufer bräuchten keinen Ausweis mit ihrem Namen. „ Viele wollen anonym bleiben. Sie werden ständig verscheucht, erniedrigt und eingeschüchtert“, sagt Peter. „Es sind die Ärmsten der Armen. Da muss man tolerant sein.“

Auch hier geht es letztendlich um die Unterscheidung zwischen „guter“ und „schlechter“ Bettelei. Ein letztendlich unauflösbares Dilemma.

Foto: © Stefan Sell 

Am Rande ihrer Kapazitäten und immer mehr Menschen mit Pflegebedarf. Auf der Straße. Und in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe

In unserer durchökonomisierten Welt würde ein Unternehmen, das davon berichten kann, dass ein Betriebsteil eine Kapazitätsauslastung von 200% irgendwie geregelt bekommen hat, sicher einen Effizienzpreis gewinnen. Mit einem hübschen Fotoshooting dazu. Aber hier reden wir nicht über die glamouröse Welt der High-Tech-Industrie oder hipper Start-Up-Unternehmen, sondern über die Kältehilfe als Teil der Wohnungslosenhilfe in Berlin. Denn die muss solche eben nur scheinbaren Erfolgsmeldungen verkünden, die in Wahrheit natürlich offen legen, dass die Hilfseinrichtungen nicht nur am Rande, sondern oftmals weit über der eigentlichen Kapazitätsgrenze arbeiten – müssen. »Trotz bereits erhöhter Platzkapazitäten seien die Einrichtungen fast durchgängig überbelegt gewesen. Pro Nacht standen 532 Schlafplätze bereit, Mitte Februar gab es einen Spitzenwert mit 699 Übernachtungsgästen. Allein die Notübernachtung der Berliner Stadtmission in der Lehrter Straße hatte fast täglich eine 200-prozentige Auslastung«, kann man dem Artikel Kältehilfe am Rande ihrer Kapazitäten von Annette Kögel entnehmen. Die Notübernachtungen der Berliner Kältehilfe berichten trotz des an sich milden Winters von einem beispiellosen Ansturm Wohnungsloser und warnen vor einer systematischen Überforderung des vorhandenen Hilfeangebots. Das liegt am hohen Zustrom von Flüchtlingen und auch mehr Familien würden vor der Tür stehen, für die aber die Angebote der Kältehilfe eigentlich nicht geeignet seien. Der stetig wachsende Anteil an Nichtdeutschen bringe auch massive Verständigungsprobleme mit sich. 31 Prozent der Gäste hatten einen deutschen Pass, 69 Prozent kamen aus dem Ausland. Davon waren 13 Prozent Nicht-EU-Bürger. Es suchen zunehmend Osteuropäer Hilfe in den Einrichtungen.

»Insgesamt hatten in der Kältehilfesaison zwischen 1. November 2014 und 31. März dieses Jahres 15 Notübernachtungen und 14 Nachtcafés von Kirchengemeinden und Wohlfahrtsverbänden geöffnet.« Die Zahl der Übernachtungen stieg im Vergleich zum Vorjahr um knapp 9.000 auf rund 82.000. In Berlin. Natürlich reden die betroffenen Akteure auch über das Geld: So »forderten sie statt 15 Euro nun 36 Euro pro Schlafplatz vom Senat – anders könne man die Kosten nicht decken.«

Künftig müssten gerade für die Familien andere Unterbringungsmöglichkeiten geschaffen werden, so eine der Forderungen der Kältehilfe, denn die bestehenden Angebote passen nicht für sie, vor allem nicht für die vielen Kinder, die im Schnitt zehn Jahre als waren. Notwendig sei die Einrichtung einer speziellen Notunterkunft für Familien, auch und gerade um die prinzipielle Gefährdung des Kindeswohls zu vermeiden.

Und die Nothilfe für Obdachlose wird von weiteren Herausforderungen in die Mangel genommen. Beispiel Flüchtlinge: Ein Appell richtet sich an »das für Flüchtlinge zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales, eine Wochenendbereitschaft einzurichten. Bislang stehen Asylbewerber da vor verschlossen Türen. Die Polizei oder andere Behörden würden sie dann an die Kältehilfe verweisen.«

 „Die Kältehilfe darf aber nicht zum Ausfallbürgen für andere Einrichtungen werden“, wird die Berliner Diakonie-Direktorin Barbara Eschen zitiert.

Und über einen weiteren besorgniserregenden Aspekt berichtet Christin Odoj in ihrem Artikel Krank und ohne Hilfe: »Allein die Stadtmission, einer der größten Träger in der Obdachlosenhilfe, verzeichnete einen Zuwachs um die 40 Prozent bei den schwer kranken Obdachlosen im Vergleich zum letzten Jahr. Rollstuhlfahrer bedürften eines besonders hohen Pflegeaufwandes. Auch Menschen, die wegen eines akuten Notfalls nicht im Krankenhaus behandelt werden können, landeten des Öfteren vor den Türen der Notunterkünfte … Sich um einen einzelnen pflegebedürftigen Obdachlosen zu kümmern, Verbände und Windeln zu wechseln, beim Duschen zu helfen, binde sehr viel Zeit, die bei der Unterstützung für die übrigen Hilfesuchenden fehle. Menschen aus dem EU-Ausland seien generell von der medizinischen Unterstützung ausgeschlossen.«

Auch Annette Vögel geht in ihrem Artikel auf diese besondere und offensichtlich zunehmende Problematik ein: »Viele der Obdachlosen seien zunehmend verwahrlost, psychisch und physisch erkrankt oder auf einen Rollstuhl oder eine Gehhilfe angewiesen. „Diese Menschen sind eigentlich Pflegefälle, für die es besondere medizinische oder pflegerische Angebote geben muss.“ Der hohe Betreuungsaufwand sei von den häufig ehrenamtlichen Mitarbeitern kaum zu leisten. „Die Kältehilfe ist damit überfordert.“ Gebraucht werde eine professionell betreute Krankenstation oder eine Art Pflegehospiz.«

In Berlin gibt es bis zu 13.000 Wohnungslose. Davon leben – vermutlich – zwischen 600 bis 1.000 Personen auf der Straße.

Aber wenn man schon über Obdachlosigkeit und Wohnungslosenhilfe berichtet, dann darf der Blick nicht fehlen auf weiterführende Ansätze und mühsame Versuche, einem Teil der Betroffenen über die so wichtige Arbeit der Überlebenshilfe hinaus neue Perspektiven zu eröffnen. Dazu der Artikel „Start-up-Apartments“ für Obdachlose von Oliver Burgwig. »Vier Wohnungen der Diakonie sind seit Januar die neue Heimat für ehemalige Obdachlose – jeweils aber nur für ein halbes Jahr. Das betreute Wohnprojekt soll ihnen die Möglichkeit zur Wohnungs- und Arbeitsssuche geben«, so die Kurzbeschreibung dessen, was hier versucht wird.

„Für Wohnungslose gibt es in der Stadt ein ausdifferenziertes System. Was aber fehlt, ist die Möglichkeit, schnell Wohnraum besorgen zu können“, wird Dirk Redemann, Leiter des „Betreuten Wohnens“ der Diakonie zitiert. Denn Menschen, die keine Wohnung haben, können keine Post erhalten, was Schwierigkeiten mit der Job- und Wohnungssuche und der Beantragung dringend benötigter Sozialleistungen mit sich bringt. Die Miete für die vier Bewohner (jeweils um die 350 Euro) zahlt das Jobcenter, berichtet Burgwig. »Zusätzlich zu den Einraumwohnungen bekommen die Bewohner eine Betreuungsperson zur Seite gestellt, die ihnen bis zu drei Stunden in der Woche bei der Suche nach einer dauerhaften Wohnung hilft. Darüber hinaus ist eine Nachbetreuung möglich, um sie beim Aufbau des neuen Lebens nach der Obdachlosigkeit zu unterstützen.« Aber sie müssen auch selbst aktiv nach einer neuen Wohnung suchen. » Erste Erfolge zeigen sich schon nach drei Monaten: Einer der Bewohner hat ab April ein neues Zuhause gefunden, einem weiteren steht eine Wohnung in Aussicht«, kann man dem Artikel entnehmen.

Foto: © Reinhold Fahlbusch