Gott schütze die Praktikanten! Und die Rentner, die Zeitungsausträger und die studentischen Hilfskräfte. Ach, der Mindestlohn

„Die Frage, ob der Heilige Geist den Mindestlohn eingeführt hat, ist unter den Theologen nicht restlos geklärt“. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) am 05.06.2014 anlässlich der ersten Lesung des Mindeslohngesetzes im Deutschen Bundestag

Die Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat in ihrer Rede vor dem Bundestag am 5. Juni 2014 unmissverständlich ausgeführt: »Der Mindestlohn kommt zum 1. Januar 2015. Das haben wir versprochen, und das wird gehalten. Ab dem 1. Januar 2017 gilt für alle Branchen ohne Ausnahme in Ost und West gleichermaßen ein Mindestlohn von 8,50 Euro.« Endlich ist also dieses Thema vom Eis, sollte man meinen. Wie immer in der Sozialpolitik lohnt ein genauerer Blick auf die Sache und natürlich haben die zahlreichen Gegner der Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohns keineswegs aufgegeben in ihrem Versuch, den Mindestlohn noch im laufenden Gesetzgebungsverfahren (weiter) aufzubohren. Wieso „weiter“ aufbohren? Weil die Formulierung der Ministerin etwas euphemistisch daherkommt, denn den Mindestlohn von 8,50 Euro wird es nicht geben für bestimmte Praktikanten, für alle Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr und für alle bislang Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung (und für bestimmte Branchen erst ab 2017). Aber die Gegner des Mindestlohnes lassen nicht locker. Erneut werden weitere Ausnahmen gefordert. An die Spitze der Bewegung hat sich nun der ehemalige Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), mittlerweile Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, gestellt, der entsprechende Ausnahmen fordert für Praktikanten, Rentner, Zeitungsausträger und studentische Hilfskräfte.

Bleiben wir in einem ersten Schritt bei den bereits im vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Ausnahmen vom angeblich „flächendeckenden“ Mindestlohn.

Da ist die Herausnahme der Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr. Bereits dieser Punkt wird heftig kritisiert, allerdings nicht nur von denjenigen, die keinerlei Ausnahmen zulassen möchten, sondern durchaus auch von Anhängern des Mindestlohns, die mit Blick auf andere Länder, vor allem auf die mit einem hohen Mindestlohn, argumentieren, dass es dort Ausnahmeregelungen für junge Menschen gibt, die teilweise bis über das 21. Lebensjahr hinausreichen. Grundsätzlich geht es hier um das mögliche Problem, dass die Aufnahme einer bezahlten Erwerbstätigkeit attraktiver daherkommt als die einer Ausbildung, denn für die Zeit der Berufsausbildung gelten die Mindestlohnbestimmungen nicht. Die fachwissenschaftliche Diskussionslage hierzu ist uneinheitlich, vgl. beispielsweise die Hinweise in dem Artikel Jobben statt Ausbildung? Am deutlichsten gegen eine Herausnahme der Jugendlichen aus der Anwendung des Mindestlohns hat sich das Wirtschaft- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung  ausgesprochen. Vgl. hierzu die Publikation Jugend ohne Mindestlohn? von Marc Amlinger, Reinhard Bispinck,und Thorsten Schulten, die im März 2014 veröffentlicht wurde. Darin findet man wichtige kritische Aspekte angesprochen:

»Die Ausnahme von Minderjährigen wird mit Hinweis auf die Diskrepanz zwischen Ausbildungsvergütung und unmittelbar erzielbarem Erwerbseinkommen gerechtfertigt, die für Jugendliche negative Anreize bedeuten könnten. Dieses Spannungsverhältnis besteht jedoch bereits heute in vielen Branchen – die Einführung eines Mindestlohns wird diese Situation nicht grundlegend verändern. Vielmehr wären von der Ausnahme Jugendlicher … fast ausschließlich junge Minijobber betroffen, die einen geringen Zuverdienst erwerben. Etwa drei Viertel dieser Altersgruppe geht weiterhin einer Ausbildung nach. Weitere Ausnahmeregelungen könnten in den typischen Tätigkeitsfeldern von Jugendlichen hingegen zu unerwünschten Verdrängungseffekten führen, durch die ältere Beschäftigte durch jüngere ersetzt werden« (Amlinger et al. 2014: 1).

Tatsächlich wird aus Ländern, in denen es altersabhängig nach unten abgestufte Mindestlöhne gibt, von typischen Verzerrungseffekten berichtet, denn Unternehmen erhalten einen Anreiz, gezielt ältere durch jüngere Arbeitnehmer zu ersetzen. »In den Niederlanden sind beispielsweise mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in Supermärkten jünger als 23 Jahre und liegen damit unter der Altersschwelle, ab der der volle Mindestlohn gezahlt werden muss. Mit dem Erreichen dieser Altersgrenze verlieren jedoch viele der von vornherein nur befristet beschäftigten Jugendlichen ihren Job, da mit dem Übergang zum Erwachsenenmindestlohn eine erhebliche Lohnsteigerung einhergeht«, so Thorsten Schulten, einer der Verfasser der WSI-Studie, in einem Artikel in der taz.
Auf der anderen Seite sollte man zur Kenntnis nehmen, dass zahlreiche Praktiker aus der Jugendsozialarbeit durchaus die Gefahr sehen bzw. tagtäglich erleben, dass bestimmte junge Menschen eine lohnbedingte Präferenz für die Aufnahme irgendeiner Erwerbsarbeit auf der Ebene der Tätigkeiten von Ungelernten gegenüber einer Berufsausbildung haben. Und aus einer grundsätzlichen Perspektive ist es zumindestens diskussionsbedürftig, warum jemand ohne eine Berufsausbildung teilweise deutlich mehr Geld verdienen kann, als jemand, der eine Berufsausbildung macht, was ja bedeutet, dass neben der bereits anteiligen praktischen Arbeit auch noch im Regelfall eine Menge gelernt werden muss.

Interessanterweise ist bei der Diskussion über mögliche Ausnahmen von Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen bislang nie eine Lösung diskutiert worden, die so aussehen könnte, dass junge Menschen beispielsweise bis zum 21. Lebensjahr dann nur ein abgesenkter Mindestlohn zugestanden wird, wenn sie über keine anerkannte Berufsausbildung verfügen. Damit könnte man durchaus ein zumindest „pädagogisches“ Signal senden.

Auf große Kritik und teilweise heftige Irritationen im Lager der Mindestlohnbefürworter ist die nach den Verhandlungen zwischen SPD und Union in den Gesetzentwurf der großen Koalition aufgenommene Ausnahmeregelung für die ersten sechs Monate eine Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen, die in dieser Zeit dann nicht unter den Mindestlohn fallen. Davon ist nicht nur eine kleine Gruppe betroffen und darüber hinaus gibt es mehr als massive Zweifel an der Sinnhaftigkeit der vorgesehenen Ausnahmeregelung. Man muss diesen Punkt wahrscheinlich so sehen, wie er zustande gekommen ist: Vor dem Hintergrund der massive Widerstände in den Reihen der Union und dem enormen Druck seitens der Wirtschaftsverbände hat die sozialdemokratische Bundesarbeitsministerin hier gleichsam ein „Bauernopfer“ geliefert bzw. liefern müssen, was allerdings zugleich auch viel sagt über die Wahrnehmung „der“ Langzeitarbeitslosen.
Die offizielle Begründung für die Herausnahme der Langzeitarbeitslosen in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung aus der Mindestlohnregelung stellt ab auf eine dadurch erreichbare Erhöhung bzw. überhaupt erst Ermöglichung der Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt. Offensichtlich geht es hier um die den Langzeitarbeitslosen zugeschriebene bzw. unterstellte geminderten Leistungsfähigkeit. An dieser Stelle darf und muss man allerdings fragen, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, eine alternative Lösung über den Weg der Lohnkostenbezuschussung zu gehen. Denn wenn es „nur“ die eingeschränkte Produktivität der Langzeitarbeitslosen wäre, die auf Seiten der Arbeitgeber ein Einstellungshindernis darstellen, dann könnte man an dieser Stelle ordnungspolitisch durchaus unproblematisch mit (zeitlich begrenzten) individuellen Lohnkostenzuschüssen arbeiten.

Neben der durchaus nicht unplausiblen Gefahr, dass einige schwarze Schafe unter den Arbeitgebern die neue Ausnahmeregelung als Teil ihres Geschäftsmodells im Sinne von Lohndumping missbrauchen können, muss man zwei zentrale Kritikpunkte besonders herausstellen:

  1. Wie auch die Jugendlichen werden die Langzeitarbeitslosen vollständig aus dem Geltungsbereich des angeblich flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes herausgenommen. Anders formuliert: Sie werden in den Lohnbereich unter den vorgesehenen 8,50 € „entlassen“, ohne dass irgendeine Haltelinie nach unten definiert wird. Wenn man denn schon eine Differenzierung vornehmen will bzw. möchte, dann hätte man sich die Verwendung von abgesenkten Mindestlohnschwellen vorstellen können – so wie in allen anderen Mindestlohnländern, die nicht nur einen Mindestlohn haben. Die arbeiten alle mit prozentual abgesenkten besonderen Mindestlöhnen, beispielsweise für Jugendliche. So aber gibt es nun bei uns überhaupt keine Grenze nach unten für diese Personengruppen. Auf die Spitze getrieben wird das Ganze dadurch, dass die derzeit vorgesehene Regelung die Langzeitarbeitslosen betreffend quasi zu einer „Doppelförderung“ der aus tarifvertragliche Sicht „schlechten“ Arbeitgeber führen kann: Zum einen werden sie gefördert über den Tatbestand, dass in den ersten sechs Monaten eine Beschäftigung keine Lohnuntergrenze besteht und zum anderen ist es jedenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht ausgeschlossen, dass sie dann auch noch für die Einstellung des Langzeitarbeitslosen einen Lohnkostenzuschuss seitens der Arbeitsagentur bzw. des Jobcenters bekommen können.
  2. Besonders problematisch ist die Tatsache, dass „ironischerweise“ von der Ausnahmeregelung bei den Langzeitarbeitslosen gerade die Unternehmen profitieren (können), die nicht tarifgebunden sind, denn die tarifgebundenen Unternehmen haben gar nicht die Möglichkeit, von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen, es sei denn, auf der tarifvertraglichen Ebene wird ihnen das eröffnet, was allerdings höchst unwahrscheinlich ist. Das hat schon was – ein Gesetz, dass die sozialdemokratische Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles mit dem programmatisch daherkommenden Titel „Tarifautonomiestärkungsgesetz“ versehen hat, führt im Ergebnis dazu, dass gerade die tarifungebundenen Unternehmen sich erneut bestätigt fühlen müssen hinsichtlich ihrer Entscheidung, auf eine Tarifbindung zu verzichten oder aus dieser zu fliehen, denn das macht sich hier jetzt als Vorteil gegenüber den tarifgebundenen Unternehmen bemerkbar.

Fazit: Bereits die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Ausnahmeregelungen sind nicht unproblematisch, um das einmal nett auszudrücken. Aber die Gegner einer flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnregelung lassen nicht locker und fordern gleichsam im Dauerfeuer auf die Bundesarbeitsministerin weitere Ausnahmen von dem Mindestlohn ab 2015/2017.

Immer wieder werden dabei die „Praktikanten“ genannt. Da wird in einem Artikel in der FAZ gar von einem Angriff auf die Generation Praktikum gesprochen und auch die WirtschaftsWoche macht sich große Sorgen: Arbeitgeber fürchten Wegfall von Praktikumsplätzen. Konkret geht es um den § 22 im Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Darin steht, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde auch für Praktikanten gelten soll, wenn das Praktikum länger als sechs Wochen dauert und es freiwillig gemacht wird.  Ebenfalls nicht erfasst vom Mindestlohn – und für die nun einsetzende Debatte um mögliche Umgehungsstrategien besonders relevant (vgl. hierzu z.B. den Beitrag So umgehen Firmen Mindestlohn bei Praktikanten) – sind Praktikanten, die ein Praktikum verpflichtend im Rahmen einer Schul-, Ausbildungs- oder Studienordnung leisten.

Löhr, Peitsmeier und Ritter zitieren in ihrem Artikel z.B. Florian Haller, Chef der Münchner Agentur Serviceplan, der größten inhabergeführten Werbeagentur in Deutschland: » Derzeit bekommen die Praktikanten 600 Euro im Monat, die meisten bleiben drei bis sechs Monate. Für Haller steht fest: Wenn der Gesetzentwurf mit der besagten Praktikanten-Regel durchgeht, wird es bei Serviceplan keine Praktika mehr geben. „Das Praktikum ist tot“, sagt Haller. „Die Politik macht gerade eine tolle Institution kaputt.“«

»Nun ist das mit der „tollen Institution“ so eine Sache«, stellen die Verfassers des Artikels selbst in den Raum. Gerade in der so genannten „Kreativbranche“ basieren ganze Geschäftsmodelle letztendlich auf der Nutzung teilweise oder vollständig unentgeltlicher Arbeitskraft von jungen Menschen, die sich über diesen Einsatz einen Einstieg in ein hart umkämpftes Beschäftigungsfeld erhoffen:
»Berichte über Unternehmen, die Lücken in der Belegschaft mit Jahrespraktikanten füllen, die vollen Arbeitseinsatz für geringe Gehälter erwarten, mit der vagen Aussicht auf eine feste Stelle, haben erst den Begriff der „Generation Praktikum“ geprägt, und dann die Politik auf den Plan gerufen.«  Ganz offensichtlich geht es hier um erhebliche Größenordnungen: 600.000 Praktikanten sind gegenwärtig an einem durchschnittlichen Werktag in der deutschen Wirtschaft im Einsatz.

Vor diesem Hintergrund kommt es prima facie erst einmal sympathisch und durchgreifend rüber, wenn die Bundesarbeitsministerin Nahles mit diesen Worten zitiert wird:  „Ich werde das Modell der „Generation Praktikum“ beenden“. Zur Begrifflichkeit vgl. auch den ZEIT-Artikel „Generation Praktikum“ von Matthias Stolz aus dem Jahr 2005. Nun gibt es wie so oft im Leben einen Unterschied zwischen dem, was man will und dem, was man bekommt. So kann es auch in diesem Fall ausgehen.

Die Position sicher vieler Arbeitgeber, bei denen Praktikanten weniger als billige Arbeitskräfte zum Einsatz gebracht werden, illustriert dieses Zitat: „Praktikanten machen uns Arbeit und stören den normalen Ablauf. Und dafür sollen wir ihnen nun auch noch den Mindestlohn bezahlen? Das ist doch Unfug“, erregt sich Martin Kannegießer, der Inhaber der Maschinenbaufirma Herbert Kannegießer GmbH im ostwestfälischen Vlotho und lange Jahre Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.

An dieser Stelle wird ein grundsätzliches Problem erkennbar: Wenn die Praktikanten tatsächlich überwiegend, teilweise ausschließlich zur Wertschöpfung in dem Unternehmen eingesetzt werden, was durchaus der Fall sein kann/wird, wenn es sich um ausgebildete Fachkräfte nach einem Studium handelt, die beispielsweise kostenlos in einer Marketing-Agentur arbeiten und sich dort voll einbringen, dann bedeutet die Nicht-Einbeziehung in die Mindestlohnregelung tatsächlich, dass hier ein eigener, für die Unternehmen höchst attraktiver Niedrig- bzw. Gar-kein-Lohnsektor geschaffen wird. Dadurch können sich diese Unternehmen erhebliche Kostenvorteile gegenüber ihren Konkurrenten verschaffen. Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass eine „richtige“ Beschäftigung von Praktikanten bedeutet, dass man tatsächlich von der betrieblichen Seite her gesehen einen erheblichen Aufwand hat, da den Praktikanten ja etwas beigebracht werden soll und dadurch die Arbeit von Normalbeschäftigten gebunden wird.

Letztendlich geht es hier um ein nicht auflösbares Dilemma zwischen „zu lange“ und „zu kurz“: So argumentieren Vertreter aus der Politik, dass die Unternehmen ja die Dauer ihrer Praktika reduzieren könnten, statt der jetzt üblichen drei bis sechs Monate das Reinschnuppern auf sechs Wochen begrenzen. Ausgeschlossen, so die Replik aus der Wirtschaft, zu groß wäre der Aufwand der Einarbeitung, zu gering die Einblicke der Praktikanten in den Unternehmensalltag.

Zweifellos wird es erhebliche Kollateralschäden geben – wenn man vom bestehenden System ausgeht und dieses fortführen möchte. Zu erwarten ist, dass viele „freiwillige Orientierungspraktika“ von Unternehmen so gut wie nicht mehr angeboten werden, weil sie zu teuer sind und viele Firmen werden ihr Angebot eindampfen müssen.

Theoretisch könnte man dann eine halbwegs ausbalancierte Lösung finden, wenn es gelingt, die Laufzeit von Praktikanten-Verträgen an der Unterscheidungslinie Noch-nicht-ausgebildet und Bereits-fertig-ausgebildet zu ziehen (vgl. hierzu auch den Argumentationsansatz in dem Artikel Wider die Praktikanten-Ausbeutung von Nadia Pantel). Das mag für viele Fallkonstellationen genügen, um den Bereich der Ausbeutung von Praktikanten zu regulieren, denn die wird vor allem bei denjenigen stattfinden, die schon über eine entsprechende und damit nutzbare Qualifikation verfügen. Auf der anderen Seite muss man sich dann aber auch darüber bewusst sein, dass es in ganz bestimmten Branchen, die bislang auf diesem Rekrutierungsweg marschiert sind, erhebliche Verwerfungen geben wird. Dies wird vor allem die so genannte „Kreativwirtschaft“ treffen, wo bereits heute die Beschäftigungsverhältnisse durch eine außerordentliche Prekarität charakterisiert sind.

Auch und gerade die Medien werden mit dem Thema konfrontiert. Simone Schmollack hat das in ihrem Artikel mit dem treffenden Titel Generation Kurzzeitpflege am Beispiel der taz angesprochen: »In der Hauptredaktion in Berlin arbeiten jeden Monat bis zu 15 Praktikanten in allen Ressorts. Sie sind durchschnittlich acht Wochen im Haus und erhalten eine Aufwandsentschädigung von 200 Euro monatlich.« Diese Modelle werden dann nicht mehr funktionieren, was vielleicht auch die offene Aggressivität erklärt, mit der Martin Reeh seinen Kommentar in der taz dazu überschrieben hat: Bornierte Sozialdemokraten: »Dabei ist es richtig, dass sich die Bundesregierung des Praktikantenunwesens annimmt. Aber die Regelung, nach der Praktikanten, die sich noch in einer Ausbildung befinden, keinen Mindestlohn erhalten müssen, alle anderen aber schon, ist falsch. Sie wird alle, die nach ihrem Studium nicht sofort einen Arbeitsplatz finden, ebenso aufs Jobcenter befördern wie Studienabbrecher und Menschen, die einen beruflichen Neuanfang wagen.«

Nun können die Befürworter einer rigiden Ausgestaltung der Praktikanten-Problematik immer noch an dieser Stelle argumentieren, dass das sicherlich einige Geschäftsmodelle zerstören wird, aber das sei nun mal der Preis dafür, dass man eine möglichst mit wenigen Ausnahmen versehene Regelung bekommt. Und die Unternehmen werden sich schon an die neuen Rahmenbedingungen anpassen. An dieser Stelle muss dann allerdings auch auf die Bereiche hingewiesen werden, die beispielsweise im kulturellen oder sozialen Beschäftigungsfeld angesiedelt sind und die kaum oder gar keine Erlöse auf dem „Markt“ erwirtschaften (können) und damit letztendlich auf öffentliche Förderung angewiesen sind, die bekanntlich oftmals mehr als prekär ist. In diesen Bereichen gibt es überhaupt gar keine Möglichkeit, auch wenn man möchte, Praktikanten auch nur annähernd adäquat zu entlohnen, vor allem diejenigen nicht, die nach einem Studium über einen Praktikum in der Einrichtung versuchen, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Man kann das verständlicherweise kritisieren und als ein parasitäres Modell verwerfen, denn es basiert darauf, dass die Betroffenen das Einkommensrisiko privatisieren und sich über andere Quellen finanzieren. Aber man kann es drehen und wenden wie man will, die bislang vorgesehene Regelung bei der Praktikanten wird zu erheblichen Rückgängen an Praktikumsmöglichkeiten in diesen Sektoren führen müssen.

Es sei an dieser Stelle nur kursorisch darauf hingewiesen, dass die derzeitige Debatte über Notwendigkeit und Missbrauch von Praktikanten gerade in der so genannten „Kreativwirtschaft“ wahrlich kein ausschließlich deutsches Problem darstellt. In der Print-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 3. Juni 2014 berichtete Jürgen Schmieder unter der prägnanten Überschrift „Albtraumfabrik“: »Für Praktika in Hollywood gibt es selten Geld – dafür locken unbezahlbare Kontakte. Doch die Produktionsfirmen nutzen die Freiwilligen oft nur aus. Seit ein Hospitant vor Gericht zog, bangt die mächtige US-Filmindustrie … Für Aufsehen sorgt vor allem der Fall von Eric Glatt, der im Jahr 2010 als Praktikant bei der Produktion „Black Swan“ mit Natalie Portman gearbeitet und die Produktionsfirma Fox Searchlight Pictures später wegen Verstößen gegen den Fair Labor Standards Act (FLSA) verklagt hat. Mittlerweile wurde gar eine Sammelklage zugelassen, bei der es nicht mehr nur um Bezahlung und Schadensersatz geht, sondern auch darum, wie die Unterhaltungsindustrie und auch andere Branchen mit Praktikanten umzugehen haben.« Auch in den USA geht es ganz grundsätzlich um die Frage: Wer profitiert von so einem Praktikum? „Die Gesetzgebung ist eindeutig“, sagt Ross Perlin, Autor des Buches „Intern Nation“: „Wenn ein Praktikum bei einer Firma mit Gewinnabsicht unbezahlt ist, dann muss sich dieses Unternehmen um ein pädagogisches Umfeld kümmern.“ Er schätzt, dass es in den Vereinigten Staaten etwa 500.000 Praktika gibt, die gegen diese Regel verstoßen – und dass dadurch die Unternehmen etwa zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr sparen.

Nun gibt es weitere Forderungen nach Ausnahmeregelung beim vorgesehenen Mindestlohn. So erwähnt Ramsauer (CSU) auch die Rentner, die Zeitungsausträger und die studentischen Hilfskräfte. Wenn wir mal von den studentischen Hilfskräften absehen, die in den meisten Bundesländern bereits heute Stunden Vergütung bekommen, die oberhalb des vorgesehenen Mindestlohns liegen, sind die beiden anderen Personengruppen ein interessantes Beispiel:

  • Die Forderung, die Zeitungsausträger vom Mindestlohn auszunehmen, muss man wohl als Kniefall vor den Zeitungsverlegern und damit immer noch überaus gewichtigen Meinungsmacherinnen einordnen. Wenn das für viele andere Bereiche – man denke hier an das Gaststättengewerbe (vgl. dazu den Beitrag Mindestlohn zwingt Wirte zum Umdenken) – gelten soll, dann gibt es keinen Grund, gerade die Gruppe der Zeitungsausträger davon auszunehmen. Außer, man möchte die Verleger für sich gewinnen.
  • So richtig problematisch wird es bei der Forderung, Rentner von der Anwendung des Mindestlohnes auszunehmen. Würde man dieser Forderung entsprechen, dann besteht die überaus realistische Gefahr, dass ein riesiger Niedriglohnsektor eigener Art in den kommenden Jahren vor unseren Augen entstehen wird. Das Ganze muss im Zusammenhang gesehen werden mit den derzeitigen Überlegungen in Richtung auf eine „Flexi-Rente“. Ganz offensichtlich geht es einigen Akteuren darum, der Wirtschaft den Zugang zu billigen erwerbstätigen Rentnern zu eröffnen. Vor dem Hintergrund der enorme Absenkung des Rentenniveaus sowie des Zustroms in den kommenden Jahren von Menschen, die aufgrund ihrer Erwerbsbiografie in die Altersarmut rutschen werden, gibt es hier ein Jahr für Jahr enorm wachsendes „Potenzial“ an nutzbaren älteren Arbeitskräften, die dann zu deutlich günstigeren Bedingungen beschäftigt werden können als „normale“ Arbeitnehmer. Vor diesem Hintergrund ist von einer Herausnahme „der“ Rentner aus dem Geltungsbereich des Mindestlohns dringend abzuraten.

In der Gesamtschau der Argumente gibt es viele Gründe, die dafür sprechen, die Ausnahmeregelungen auf ein Minimum zu begrenzen.
Weiterhin offen bleiben drei zentrale Fragen, die mit dem Mindestlohn verbunden sind:

(1) Zum einen geht es um die besondere regionale Betroffenheit in den Gegenden, in denen ein teilweise deutlich unter dem vorgesehenen Mindestlohn liegendes Lohnniveau weit verbreitet ist. Es geht also um weite Teile Ostdeutschlands. Die folgende Sichtweise illustriert die Problemwahrnehmung: Der gesetzliche Mindestlohn sei ein größerer Schritt als der von der Pferdekutsche zur Kraftdroschke, so wird ein Taxiunternehmen in dem Artikel Firmen im Osten fürchten Mindestlohn zitiert. Konkret:

„Es wird gefeilscht, bis das Blut kommt“, sagt der Unternehmer Lutz Möbius aus Zeitz im Süden Sachsen-Anhalts über seine Kundschaft. Taxifahrten, Kleintransporte oder Kurierdienste – mit rund 24 Mitarbeitern bietet der 55-Jährige alles rund um den Transport. Vier bis sechs Euro die Stunde bekommen seine Fahrer, je nach Auftragslage. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro sei in der strukturschwachen Region nicht hereinzuholen. „Das haut einem die Füße weg“, sagt Möbius.
»Nach einer Analyse des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle verdiente 2011 jeder vierte Beschäftigte in den neuen Ländern und Ost-Berlin weniger als 8,50 Euro die Stunde. In Westdeutschland war es dagegen nur jeder achte. Eine jüngere Untersuchung der IHK Halle-Dessau – die die Arbeitgeber und nicht die Arbeitnehmer befragte – kommt zum Ergebnis, dass in den Mitgliedsunternehmen rund 15 Prozent der Beschäftigten unter Mindestlohn-Niveau verdienen. Der Bau sei kaum betroffen, im Gastgewerbe aber rund die Hälfte aller Beschäftigten.«

 Diese Ausgangslage wird natürlich dazu führen, dass für viele Unternehmen, deren Stundenlöhne derzeit zwischen vier und fünf Euro schwanken, eine gesetzlich verordnete Anhebung auf 8,50 Euro in der Stunde wie ein schwerer externer Schock auf der Kostenseite wirken wird. Da hilft es auch nicht, wenn man mir durchaus begründbaren wissenschaftlichen Argumenten herausstellt, dass mittel- und langfristig die Regionen im Osten unseres Landes nur dann aus der Niedriglohnfalle herauskommen können, wenn sich die Löhne nach oben bewegen. Man hätte durchaus differenzierter über ein Übergangsszenario für Ostdeutschland sprechen müssen, bevor sich die politische Zahl 8,50 Euro verselbständigt hat. Jetzt wird es um Schadensbegrenzung gehen müssen.

(2) Damit durchaus in einem Zusammenhang stehend ist die Diskussion um die konkrete Höhe des vorgesehenen gesetzlichen Mindestlohns – hier allerdings aus einer anderen, nicht aus der Kostenperspektive der Unternehmen, sondern aus dem Blickwinkel der betroffenen Arbeitnehmer. Immer wieder gibt es Forderungen nach einem höheren gesetzlichen Mindestlohn. Dafür mag es gute Gründe geben, die allerdings abgewogen werden müssen mit der Frage, wie man die Einführung eines solchen Instruments hin bekommt, ohne große Schäden im bestehenden System zu verursachen. Für die Merkwürdigkeiten dieser Debatte ein kleines Beispiel: Dass die Linke einen Mindestlohn von 10 Euro fordert, ist bekannt. Aber das wird jetzt noch mal getippt, wenn man dieser Meldung folgt: Wohlfahrtsverband fordert Mindestlohn über 13 Euro: »Zur Verhinderung von Altersarmut ist nach Ansicht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes ein Stundenlohn von deutlich über 13 Euro erforderlich. „Der Mindestlohn muss deutlich steigen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbandes, Ulrich Schneider, der „Passauer Neuen Presse“. Die Gefahr der Altersarmut bestehe vor allem bei Langzeitarbeitslosen, für die es ein Beschäftigungsprogramm geben müsse.« Da wird ja nun einiges durcheinander geworfen. Schaut man auf die Facebook-Seite von Ulrich Schneider, dann findet man dort den folgenden Beitrag von ihm:

»… dann bringen wir doch noch mal Schwung in die Debatte …. auch wenn man redlicherweise sagen muß, daß ich den Mindestlohn in dem Gespräch mit der Passauer Neuen Presse gar nicht explizit gefordert habe, sondern eigentlich nur darauf hinwies, daß man über 13 Euro Stundenlohn brauche, um angesichts des sinkenden Rentenniveaus überhaupt eine Chance zu haben, mit seiner Rente über Sozialhilfeniveau zu landen …«

Bei aller Sympathie für den Mindestlohn an sich, hier scheint jemand – immerhin der Hauptgeschäftsführer eines nicht unbedeutenden Wohlfahrtsverbandes – aus einer medialen Selbstverliebtheit über die Wirkung seiner Worte gleichsam mit dem Feuer zu spielen, denn allen halbwegs mit Vernunft gesegneten Beteiligten muss doch klar sein, dass man in der derzeitigen Situation nicht ernsthaft einen Mindestlohn von 13 € pro Stunde fordern kann, so gerne man das jedem wünschen würde. Der eigentliche Ansatzpunkt an dieser Stelle wäre auch weniger das Hochschrauben des gesetzlichen Mindestlohns, sondern eine kausale Therapie dergestalt, dass man an dem – übrigens trotz Rentenpakets weiter fortbestehenden – Absinken des Rentenniveaus ansetzt und hier eine Veränderung herbeiführt. Denn das Problem, dass man einen so hohen Stundenlohn braucht, um überhaupt eine Rente zu bekommen, die oberhalb der Mindestsicherung liegt, entspringt der politisch gesetzten Reduktion des Rentenniveaus.

(3) Von wesentlich wichtigerer Bedeutung wäre – gerade wenn man aus ökonomisch durchaus nachvollziehbaren Gründen nicht so hoch bei Mindestlohn einsteigen kann, wie man eigentlich möchte – die Frage, wie sich der Mindestlohn in den vor uns liegenden Jahren weiter entwickeln wird.  Hierfür soll es bekanntlich eine Mindestlohnkommission geben. Hinsichtlich der Aufgabe und der Besetzung dieser Kommission hat es einige Diskussion bereits im Vorfeld gegeben. Nunmehr gibt es eine interessante „Große Koalition“ zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, denn die  möchten die Höhe des Mindestlohns am liebsten künftig unter sich aushandeln. »Nur alle zwei Jahre soll nach dem Willen der Tarifpartner die Lohnuntergrenze angepasst werden, und zwar immer automatisch in der Höhe der vorangegangenen Tarifabschlüsse«, berichtet Karl Doemens in seinem Artikel Mindestlohn ist kein Anhängsel und wünscht sich richtigerweise: »Hoffentlich bleibt die schwarz-rote Koalition hart« in ihrer Ablehnung dieses durchsichtigen Vorschlags. Man müsste ansonsten wirklich die Frage stelle, wozu man dann noch eine Kommission bräuchte. Bereits die „abgespeckte“ Variante in dem Gesetzentwurf hat – leider – nicht mehr viel mit dem zu tun, was wir beispielsweise in Großbritannien mit der „Low Pay Commission“ oder in Australien mit der „Fair Work Commission“ haben.

Toilettenfrauen sind keine „Trinkgeldbewacherinnen“, sondern Reinigungskräfte. Das musste mal gesagt werden. Von einem Gericht. Andere Gerichte sehen das anders: „Eine Toilettenfrau ist keine Putzfrau“. Was denn nun? Also ab in die Niederungen der Rechtsprechung

Toilettenfrauen sind Reinigungskräfte – ja klar, wird man jetzt denken. Aber so einfach ist es dann doch nicht, wie so oft, wenn wir es mit Rechtsprechung zu tun haben.
Im vorliegenden Fall geht es um einen Beschluss des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (L 9 KR 384/12): Die Richter haben entschieden, dass angestellte Toilettenfrauen nach Tarif bezahlt werden müssen. Das LSG hat eine Entscheidung des Sozialgerichts Berlin bestätigt, nach der angestellte Toilettenfrauen keine „Trinkgeldbewacherinnen“, sondern Reinigungskräfte sind mit der Folge, dass für sie der Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks gilt.

Über den zugrundeliegenden Sachverhalt erfahren wir aus der Pressemitteilung des  Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg:

»Im September 2009 führte die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Betriebsprüfung bei einem Berliner „Reinigungsservice“ durch, der sich auf die Betreuung von Kundentoiletten in Einkaufszentren, Warenhäusern und ähnlichen Einrichtungen spezialisiert hat. Im Ergebnis forderte die Rentenversicherung für den Prüfzeitraum 2005 bis 2008 rund 118.000 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen nach. Der Betrieb habe zahlreichen bei ihm angestellten Toilettenfrauen nicht den laut Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks geschuldeten Mindestlohn von rund 6 bis 8 Euro gezahlt, sondern lediglich zwischen 3,60 und 4,50 Euro. Für die Lohndifferenz müssten die Versicherungsbeiträge nachgezahlt werden.«

Die Begründung des LSG für diese – allerdings noch nicht rechtskräftige – Entscheidung:

»Ein Betrieb, der sich verpflichte in Warenhäusern und Einkaufszentren Kundentoiletten sauber zu halten und hierbei Trinkgelder einnehme, sei ein Reinigungsbetrieb, so das Landessozialgericht. Die bei ihm angestellten Toilettenfrauen seien schwerpunktmäßig Reinigungskräfte und nicht lediglich (wie behauptet) Bewacherinnen von Trinkgeldtellern. Für sie gelte daher der Tarifvertrag des Gebäudereinigerhandwerks. Die Höhe der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge berechne sich deshalb nach den tarifvertraglich vorgeschriebenen Mindestlöhnen und nicht nach den erheblich niedrigeren tatsächlich gezahlten Löhnen.«

Und das Gericht geht noch einen Schritt weiter:

»Nach Auffassung des Landessozialgerichts spricht viel dafür, dass in der Geschäftspraxis … auch ein Betrug gegenüber dem Toilettennutzer und „Trinkgeldspender“ liege; denn dieser gehe regelmäßig davon aus, das Trinkgeld unmittelbar der anwesenden Reinigungskraft zukommen zu lassen, die es tatsächlich aber vollständig an den Toilettenpächter abzuführen habe.«

Bevor man sich zu früh freut über diese Entscheidung, die wie gesagt noch nicht rechtskräftig ist, denn die Revison beim BSG wurde zugelassen, sei an dieser Stelle auf eine andere Schlagzeile hingewiesen, der man eine ganz andere Sichtweise entnehmen kann: „Eine Toilettenfrau ist keine Putzfrau„, so die zusammenfassende Bewertung eines anderen Urteils im März dieses Jahres: Damals hatte das Hamburger Arbeitsgericht geurteilt: Nur eine Toilettenfrau, die tatsächlich auch den Großteil ihrer Arbeitszeit mit Reinigungsarbeiten zubringt, hat Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn als Putzfrau. Die Klage einer Toilettenfrau auf Zahlung des Mindestlohns wurde abgewiesen. Die Frau habe nicht beweisen können, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit der Reinigung von WC-Räumen beschäftigt gewesen sei.

»Die 58-jährige Klägerin hatte dem Subunternehmen eines Hamburger Kaufhauses Lohndumping vorgeworfen und gefordert, dass ihr früherer Arbeitgeber sie im Nachhinein als Reinigungskraft anerkennt. Damit hätte ihr rückwirkend der tarifliche Mindestlohn zugestanden. Einschließlich Prämien habe seine Mandantin in manchen Monaten lediglich etwa 4,30 Euro pro Stunde verdient, erklärte der Anwalt der Frau … Sie hatte ein halbes Jahr lang in Vollzeit bei der Servicefirma gearbeitet. Fast die ganze Zeit über habe sie dabei die Toiletten eines Kaufhauses gereinigt. Für 40 Stunden wöchentlich erhielt sie von dem Subunternehmen einen vereinbarten Grundlohn von 600 Euro brutto im Monat.«

Bei dieser Entscheidung ist also ein anderes Gericht zu einer anderen Auffassung gekommen als nun das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg. Und die Problematik ist auch Gegenstand anderer Verfahren gewesen. Im Februar dieses Jahres wurde auf der Facebook-Seite von Aktuelle Sozialpolitik über diesen Beitrag berichtet: Interclean: Schmutziger Krieg im Centro Oberhausen. Daraus das folgende Zitat:

»Erst im Januar stand Barkowski vor Gericht, weil eine “Toilettenfrau”, die den von Barkowski kreierten Beruf der “Trinkgeldaufsicht”, auch “Sitzerin” genannt, ausübte, einen Anteil am Trinkgeld einklagte … “Sitzer” werden eigens eingestellt, um den Teller mit dem vermeintlichen Trinkgeld zu bewachen. Sie erhalten 5,20 Euro die Stunde, während das Personal, das tatsächlich die Toiletten reinigt 9,31 Euro pro Stunde erhält. So muss für die “Sitzer” nicht der Mindestlohn in der Gebäudereinigung bezahlt werden (z.Z. in NRW 9,31 Euro). Die Einnahmen vom Teller (das sollen pro Tag bis zu 300,- Euro, vor Weihnachten aber auch schon mal 8000,- Euro sein) fließen zu 100% an Interclean. Die Beschäftigten sehen davon nichts. Lediglich im Eingangsbereich wird mit einem Schild darauf aufmerksam gemacht, dass das “Tellergeld” zum Unterhalt der Toiletten diene. Die meisten Kunden dürften aber trotzdem davon ausgehen, dass es sich um ein Trinkgeld handelt, das unmittelbar den Reinigungskräften zugute kommt.«

„Trinkgeldaufsicht“, auch „Sitzerin“ genannt – die Phantasie mancher Arbeitgeber bei der Konstruktion von Bypass-Strategien zur Umgehung minimaler Auflagen scheint grenzenlos, der semantische Schwachsinn auch.

So bleibt zu hoffen, dass die klare Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg Bestand behalten wird. Aber wie heißt es auch im Volksmund: Vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand.

Taxifahrer eingeklemmt zwischen dem Mindestlohn ante portas, (Schein)Selbständigkeit und einer App. Und die deutsche Gurke ist auch noch in Gefahr

Je näher die Realität des gesetzlichen Mindestlohns kommt, um so mehr Problematisierungen aus einzelnen Branchen gelangen in das mediale Rampenlicht. Immer wieder gerne als Beispiel werden die Taxifahrer angeführt. „Mindestlohn bringt Unruhe ins Taxigewerbe„, so ist ein aktueller Artikel überschrieben: »Die meisten Taxifahrer erhalten einen Anteil am Umsatz, nicht einen Stundenlohn. Dem Mindestlohn entkommt die Branche damit aber nicht – mit womöglich unangenehmen Folgen für die Kundschaft«, so Manfred Köhler. »Die Taxibranche fürchtet den Mindestlohn, manche Unternehmen haben Angst vor einer Pleite« schreibt Thomas Öchsner  in seinem Artikel „Überleben am Steuer„. »Die 200.000 Taxifahrer Deutschlands gehören zu den am schlechtesten bezahlten Beschäftigten der Nation. 87 Prozent von ihnen arbeiten zu einem Niedriglohn. Im Durchschnitt kommt der Mann oder die Frau hinter dem Steuer eines Taxis auf 6,85 Euro pro Stunde.«
Manfred Köhler berichtet über seine Recherchen aus dem Taxigewerbe, dass man sich dort gegenwärtig recht missmutig mit den Folgen der gesetzlichen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro, die 2015 in ganz Deutschland eingeführt werden soll, beschäftigt. Durchaus bezeichnend ist diese Feststellung: »Die erste, unangenehme Folge ist schon, dass auf einmal so viele wissen wollen, was denn Taxifahrer eigentlich verdienen. Welche Verträge sie haben. Wie eigentlich überhaupt das ganze Taxigewerbe organisiert ist.«

Die scheinbar banale Frage danach erweise sich, so Köhler, wie ein Stich ins Wespennest. Die eine Seite der Branche: »Alle Taxen in einer Farbe. Gut durchorganisierte Taxizentralen. Hoheitlich festgelegte Tarife.« Aber wer sich für die andere Seite der Branche interessiert, »wer nach den Arbeitsbedingungen fragt, bekommt bemerkenswert unscharfe Auskünfte.« Köhler nähert sich dieser Schattenseite am Beispiel der Stadt Frankfurt:

»In Frankfurt kommen auf 1.700 Taxis 1.100 Unternehmer. Das heißt: Ganz oft sitzt der Chef selbst hinterm Steuer. Für Unternehmer aber gilt der Mindestlohn nicht …  Doch auch … Angestellte finden sich in der Branche natürlich in großer Zahl. Neben zahlreichen Ein-Mann-Betrieben sind in Frankfurt auch Taxiunternehmen mit 30 und mehr Fahrzeugen am Markt. Alles in allem verdienen in der Stadt an die 4.500 Fahrer ihr Geld, wie zu hören ist.«

Und auch angestellte Fahrer sind nicht annähernd unter einem Dach zu vereinen – da gibt es die, die von dem Taxifahrer-Job ihren Lebensunterhalt bestreiten bis hin zu den vielen Aushilfen, die teilweise nur ein paar Stunden pro Woche nebenbei jobben. Und auch bei denen, die ein Taxi in Vollzeit fahren, gibt es solche mit halbwegs normaler Arbeitszeit und eben andere, die 16 Stunden am Tag hinter dem Steuer sitzen. Vor allem »… Zuwanderer sehen es als Chance, rasch an Geld zu kommen. Der Ausländer, ein Rumäne vielleicht, der Tag für Tag durch Frankfurt fährt, der unter äußerst dürftigen Umständen wohnt – hier hat er einen mäßig bezahlten Job, zu Hause ist er der König, der mehr verdient als alle sonst im Dorf.«

Eine besondere Problematik hinsichtlich der Frage, wie sich der Mindestlohn auswirken wird, ist die vorherrschende Art und Weise der Vergütung:

»Entlohnt werden die Fahrer … in der Mehrzahl nach Umsatz. 35 bis 45 Prozent der Tageseinnahmen können sie behalten … Deutlich kleiner scheint die Gruppe zu sein, die einen Stundenlohn bekommt. Mal ist von 6,50 Euro die Rede, mal von 7,10 Euro. Tarifvertrag? Natürlich nicht. Jedenfalls keinen aktuellen. Viele Fahrer hätten 450-Euro-Jobs, heißt es noch.«

Das Bundesarbeitsministerium kann kein Problem erkennen, denn der Mindestlohn gelte auch dort und dann, wenn eine Umsatzbeteiligung gewährt wird. Diese müsse halt so hoch sein, dass der Mindestlohn pro Stunde erreicht wird. Wenn es so einfach wäre, man denke hier nur an die vielen Zeiten, in denen der Umsatz tatsächlich so niedrig ist, dass allein die mindestlohnkonformen Personalkosten diesen bei weitem übersteigen würden.

Der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband schlussfolgert angesichts des Kostenschubs im Gefolge der Umsetzung des Mindestlohns: Taxifahrten müssen teuerer werden, der erforderliche Anstieg der Tarife wird auf 20 bis 25 Prozent geschätzt.

Das nun wieder hört sich einfacher an als es ist.

Denn erstens muss hier beachtet werden: »Taxipreise legen die Städte und Landkreise fest. Mehr als 800 Tarifordnungen gibt es in Deutschland. Bis die alle geändert sind, kann es Jahre dauern, wenn die Stadt- und Kreisräte überhaupt bereit sind, den Bürgern die drastischen Preissteigerungen zuzumuten«, so Thomas Öchsner in seinem Artikel.

Und zweitens muss man natürlich in Rechnung stellen, dass eine solche Preisanhebung auch auf dem Markt durchsetzbar sein muss. Nun handelt es sich bei Taxifahrten zumindest teilweise um ein substitutives Gut und entsprechend sind Nachfragerückgänge – vor allem bei einer so deutlichen Anhebung der Beförderungspreise – plausibel zu erwarten, weil die Kunden ausweichen (können bzw. auch budgetbedingt müssen).

Hinzu kommt: Die geforderte Erhöhung der Tarife um 20 bis 25 Prozent geht davon aus, dass die Kostensteigerungen durch die Einführung des Mindestlohnes erforderlich sei – nur gilt der lediglich für die angestellten Fahrer, nicht aber für die vielen Selbständigen, die in der Branche tätig sind. Das an sich schon gegebene Gefälle zwischen den Polen des Geschäftsmodells einer selbständigen Selbstausbeutung und dem einer Beschäftigung von angestellten Fahrern unter Beachtung der arbeits- und sozialrechtlichen Bedingungen wird sich noch weiter vertiefen.

Köhler bringt in seinem Artikel die Gemengelage auf den Punkt und zitiert den Vorsitzenden der Taxi-Vereinigung Frankfurt am Main, Hans-Peter Kratz: »… eine Tariferhöhung werde zwangsläufig zu einer niedrigeren Nachfrage führen … bevor die Fahrer ohne Arbeit dastehen, werden sie schauen, dass sie ins Lager der Selbständigen wechseln. Dem widerspricht nun Thomas Schmidt. Er vertritt das Taxigewerbe in der Vollversammlung der IHK Frankfurt. Das wäre ja Scheinselbständigkeit, sagt Schmidt.«

Kann es da überhaupt eine Lösung geben? Wahrscheinlich wird es sich irgendwo in der Mitte einpendeln, also man wird die Gebührensätze für die Taxinutzung schrittweise anheben und gleichzeitig wird man die Umsatzbeteiligung mit einem Basis-Stundenlohn kombinieren, um formal den Mindestlohn und seine Anforderungen einhalten zu können.

Das ändert aber nichts an dem angesprochenen Dilemma der Wettbewerbsverzerrung zwischen dem Selbständigkeits- und dem Angestelltenmodell – aber das gilt auch für viele andere Bereiche und insofern werden wir nicht nur im Taxigewerbe nach Einführung des Mindestlohnes Zeuge werden einer Ausbreitung von Scheinselbständigkeit.

Und als wenn das nicht alles schon genug wäre, wird das Taxigewerbe derzeit auch noch an einer anderen grundsätzlichen Front herausgefordert: Gemeint ist hier der Angriff auf das traditionelle Geschäftsmodell der Taxiunternehmen – manche Kritiker sprechen gerne vom Taxikartell – durch die zunehmende Konkurrenz durch Limousinenservices und nun auch noch durch eine App auf den Smartphones vieler (potenzieller) Kunden.

»Ein neuer Trend mischt aktuell das Taxigewerbe auf, besonders in der deutschen Hauptstadt. 7.600 Taxen und 15.000 Fahrer sind in Berlin unterwegs, viele der Unternehmer oder der angestellten Chauffeure kommen aber aufgrund des großen Wettbewerbs nur schwer über die Runden. Und jetzt biegt auch noch eine Konkurrenz um die Ecke, die mit Unterstützung von mächtigen Konzernen wie Sixt oder Daimler das Feld neu aufrollt. Gemeint sind die neuen Vermittler von Limousinenservices, die sich „Blacklane“ oder „My Driver“ nennen«, so Pascal Brückmann in seinem Kommentar. Die Limousinendienste operieren überwiegend mit Festpreisen, was sie gerade für Firmen attraktiv macht. Interessant am Rande ist auch der Tatbestand, dass Daimler sich an dem Unternehmen Blacklane beteiligt hat, was zu erheblichen Spannungen zwischen dem bisherigen Hoflieferanten der Taxi-Unternehmen und den betroffenen Anbietern führt (vgl. dazu diesen Artikel).

Die neueste Zuspitzung in diesem Angriff auf das klassische, manche werden sagen tradierte Geschäftsmodell der Taxi-Branche ist eine Smartphone-App und trägt den Namen „Uber„. Es handelt sich um ein Start-Up aus San Francisco und vermittelt private Fahrer per Smartphone-App:

»Via GPS gibt man einfach seinen Standort ein, und die App sucht einen Fahrer in der Nähe. Man kann dann nicht nur sehen, wer der Fahrer ist und wie er von anderen bewertet wurde, sondern auch, wie lange es noch dauert, bis er da ist. Bezahlt wird ebenfalls per App, 20 Prozent des Fahrpreises gehen an Uber. Das Konzept erinnert an Angebote wie die Mitfahrzentrale oder Flinc, nur dass Uber eigene Fahrer hat, die dieser Arbeit hauptberuflich nachgehen. Bei der Mitfahrzentrale stellen hingegen in der Regel Privatleute Fahrten ein, die sie ohnehin machen wollen – und für die sie die Spritkosten senken wollen, indem sie noch jemanden mitnehmen«, kann man dem Artikel „Der Kampf um die Taxis“ entnehmen. Uber ist auch nach Berlin expandiert und hat sogleich den Widerstand der Branche zu spüren bekommen, die darin eine „rechtswidrige gewerbliche Personenbeförderung“ sehen.

Mittlerweile wird der Kampf gegen die neue (und ungleiche) Konkurrenz auch vor Gericht ausgetragen. Das Landgericht Berlin hat dem amerikanischen Limousinenservice Uber per einstweiliger Verfügung untersagt, „im Bundesland Berlin mittels der Smartphone App Uber taxenähnlichen Verkehr zu betreiben“, so der Artikel „Berliner Gericht verbietet Limousinenservice Uber„. Aber: Das Unternehmen Uber hat angekündigt, alle Rechtsmittel auszuschöpfen und das an sich erfolgreiche Taxi-Unternehmen verzichtet derzeit auf die Vollstreckung der Unterlassungsverfügung aus Angst vor Schadensersatzklagen.

Aber abschließend wieder zurück zum anstehenden Mindestlohn. Nicht nur die Taxifahrer sind davon betroffen – auch in anderen Branchen erhebt sich ein entsprechendes Wehgeklage. Nehmen wir die deutsche Gurke, die – folgt man einem Teil der Berichterstattung – kurz vor dem Exitus steht: „Die deutsche Gurke ist in Gefahr„, so immerhin eine Überschrift in der seriösen FAZ.
Die Feldgurkenernte ist ein saisonales Geschäft, für die man im Juli und August einen Schwung arbeitsamer Helfer braucht. »Die Arbeit auf dem sogenannten Gurkenflieger ist hart: Auf dem breiten Ausleger eines Treckers schweben die Pflücker auf dem Bauch liegend über das Feld. Deutsche lassen sich dafür schon lange nicht mehr gewinnen.« Also sind seit Jahren Saisonarbeiter aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern in diesem Bereich tätig. In dem Artikel wird der Landwirt Walter Jäger aus Hückelhoven am Niederrhein zitiert, der Gurken anbaut und von solchen Saisonarbeitern ernten lässt:

»Bisher zahlte Jäger seinen Erntehelfern rund 7 Euro die Stunde. Doch nach dem Willen der Bundesregierung soll er ihnen vom kommenden Jahr an den neuen Mindestlohn von 8,50 Euro gewähren. „Das würde bedeuten, dass unsere Lohnkosten schlagartig um rund ein Fünftel steigen“, rechnet der Landwirt vor … Jäger liefert seine geernteten Gurken direkt an das Unternehmen Stollenwerk in Düren, wo das junge Gemüse sogleich weiterverarbeitet wird. Aber damit ihm Stollenwerk höhere Preise zahlen könnte, müsste es dem Familienbetrieb seinerseits gelingen, gegenüber dem Einzelhandel deutlich höhere Preise durchzusetzen. Jäger bezweifelt, dass dies möglich ist. „Aldi, Lidl, Edeka & Co halten da den Daumen drauf.“ Selbst der deutsche Marktführer im Geschäft mit Gewürzgurken, die Carl Kühne KG aus Hamburg, kann sich nicht vorstellen, künftig 50 bis 80 Cent mehr für jedes Glas verlangen zu können.«

Die Produzenten bewegen sich auf sehr unsicherem Terrain. Bleiben wir bei den Gurken:

»Wie schmal der kalkulatorische Grat ist, lässt sich an den Cornichons ablesen. Diese kleineren Gurken bezieht Kühne schon zum größten Teil aus der Türkei, weil deren Ernte wegen der geringen Größe des Gemüses verhältnismäßig viel Handarbeit erfordert. „Das lohnt sich für die deutschen Bauern nicht.“ Anders verhält es sich bei den klassischen großen Gewürzgurken. Diese bezieht Kühne noch zu 80 Prozent von heimischen Bauern.«

Auch hier stellt sich natürlich die Frage nach einem Ausweg aus dem angeblichen bzw. tatsächlichen Dilemma: Eine Möglichkeit wäre, wenn der Mindestlohn von 8,50 Euro nicht schon Anfang 2015, sondern stufenweise erst bis Ende 2016 eingeführt werden müsste. Aber auch bei diesem Beispiel kann man zwei Einwände vortragen:

  • Zum einen gibt es bereits heute nicht wenige Landwirte, die ihren Saisonarbeitern gerade aufgrund der existenziellen Abhängigkeit von der Ernte in einem kurzen Zeitraum des Jahres so ordentliche Entgelte zahlen, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro kein Thema ist. Diese andere Seite illustriert der Deutschlandfunk-Beitrag „Gesetz zum Mindestlohn – 8,50 Euro für (fast) jeden“ von Tonia Koch am Beispiel des Gartenbaubetriebs von Erwin Faust in Saarlouis: »Ohne die rumänischen Mitarbeiter, die im Schnitt jeweils vier Monate vor Ort sind, könne der Betrieb einpacken, sagt Erwin Faust. Er brauche vor allem Kontinuität und Leute, die wissen, was zu tun sei auf dem Feld und in den Gewächshäusern … „und da machen wir auch Lohnkonzessionen, weil am Ende die Leistung auch herausspringt. Das Problem ist, wir müssen anstinken gegen die, die die Leute in den Container stecken und fürs halbe Geld arbeiten lassen. Was heißt das letztendlich? Die Supermärkte lachen sich kaputt, die Discounter lachen sich kaputt, weil sie billiges Zeug kaufen können.“ Der zum Teil ruinöse Wettbewerb über die Löhne sei der falsche Ansatz. Der Gemüsebauer hält daher eine Mindestlohnregelung für überfällig. „Wir zahlen auch über Mindestlohn unsere Leute. Der geringste Bruttolohn, den wir haben, liegt bei 9,20 Euro, der geringste, für Aushilfen. Da steh‘ ich voll dahinter, und das ist auch bei unseren Rumänen so.“«
  • Zum anderen muss die Politik nicht unplausibel davon ausgehen, dass sich sofort zahlreiche andere Branchen zu Wort melden werden und aus ihrer Sicht teilweise gut begründet Argumente für eine (wenigstens zeitliche) Herausnahme aus dem allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn vortragen können. An dem sich dann ausbreitenden Flickenteppich würden sich wiederum die Apologeten eines flächendeckenden Mindestlohns abarbeiten und die Regierung kritisieren.

Es ist und wird eine klebrige Sache mit dem Mindestlohn.