Nothilfe für die Zeitungsverleger: Noch eine Ausnahme beim flächendeckenden Mindestlohn (eigentlich) ohne Ausnahmen?

Seit Monaten wird die Politik mit Forderungen nach Ausnahmen von dem zu erwartenden gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn bombardiert. Ursprünglich sollte der Mindestlohn ohne irgendeine Ausnahme seine Funktion als unterste Haltelinie im Lohngefüge entfalten können. Doch schon die Formulierung im Koalitionsvertrag, dass man mit den Branchen über die Umsetzung des Mindestlohnes sprechen und verhandeln wolle, öffnete die Tür für Ausnahmeregelungen. Bislang haben sich vor allem drei Bereiche herauskristallisiert, bei denen der Mindestlohn keine Anwendung finden wird: Zum einen gilt er nicht für die Jugendlichen bis 18 Jahre, auch alle Langzeitarbeitslosen sollen in den ersten sechs Monaten ihre Beschäftigung von der Anwendung des Mindestlohns ausgenommen werden können und bestimmte Praktika sind ebenfalls ausgegliedert worden. Hinzu kommt, dass es eine Übergangslösung dergestalt gibt, dass in Branchen, die tarifvertraglich niedrigere Löhne vereinbart haben als die vorgesehenen 8,50 € pro Stunde Mindestlohn, bis Ende 2016 auf die Anwendung des eigentlich höheren Mindestlohnsatzes verzichtet werden kann.
In den vergangenen Wochen sind zahlreiche Branche Sturm gelaufen gegen ihre Nicht-Berücksichtigung bei den Ausnahmeregelungen: beispielsweise die Taxi-Branche, die Landwirte für die bei ihm beschäftigten Saisonarbeiter oder der gesamte Bereich der Gastronomie. Bislang erfolglos. Aber eine Branche scheint durchgekommen zu sein: die Zeitungsverleger.

Nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) gibt es etwa 160.000 Zeitungsausträger. Die Mehrzahl davon sind geringfügig Beschäftigte, also Minijobber. Und die Verleger haben Zeter und Mordio geschrieen und sie sind offensichtlich erhört worden in den heiligen Hallen des Bundesarbeitsministeriums. Zumindestens scheint man ihnen ein Kompensationsangebot zu machen, folgt man solchen Meldungen: Nahles will Verleger beim Mindestlohn entlasten. Danach soll es so aussehen, dass zwar der Mindestlohn grundsätzlich auch für die Zeitungsausträger Anwendung finden würde, gleichzeitig man aber die damit verbundenen höheren Kosten an einer anderen Stelle teilweise kompensieren will, indem den Arbeitgebern ein Teil der Sozialabgaben erlassen wird:

»Den Zeitungsverlegern würden für fünf Jahre befristet geringere Sozialabgaben für Minijobber unter den Zeitungsboten eingeräumt. Dadurch würden nach Nahles‘ Worten etwa 60 Prozent der Mindestlohn-Mehrkosten für die Zeitungsverleger ausgeglichen. Diese hatten argumentiert, durch die Umstellung auf einen Mindestlohn von 8,50 Euro in der Stunde entstünden ihnen Mehrkosten von 225 Millionen Euro … Die Regierungskoalition bietet den Zeitungsverlegern den Angaben nach an, dass sie für fünf Jahre für Minijobber nur die geringeren Sozialabgaben wie in Privathaushalten zahlen. Das macht einen Unterschied von rund 18 Prozentpunkten aus: Für Minijobs im privaten Bereich fallen inklusive der Pauschalbesteuerung für Arbeitgeber 12,5 Prozent des Lohns an Abgaben an. Im gewerblichen Bereich sind es 30 Prozent.«

Wenn es zu dieser Lösung kommt, die jetzt diskutiert werden muss von den Regierungsfraktionen, dann wäre die Zeitungsbranche die einzige, die eine spezielle Ausnahmeregelung zugestanden bekommt. Da drängt sich natürlich sofort die Frage auf, ob es nicht auch für andere Branchen dann weitere gute Gründe gibt, auf Ausnahmeregelungen zu pochen. Die Kritik seitens der Opposition lässt nicht lange auf sich warten:

»Die Grünen-Politikerin Brigitte Pothmer nannte es ein Unding, dass Nahles der Zeitungsbranche „eine Rabatt-Regelung bei den Minijobs“ anbiete: „Dieser Kuhhandel müsste sofort wieder vom Tisch, denn sonst würden auch andere Branchen mit vielen Minijobs wie zum Beispiel die Gastronomie eine solche Sonderregelung verlangen.“ Die Zeche zahlen müssten die Sozialversicherungen, denen Beitragseinnahmen entgingen.« (Quelle: Lockerung für Mindestlohn der Zeitungsträger).

Man könnte natürlich auch die Hypothese aufstellen, dass die Politik hier gegenüber einer ganz speziellen Branche deshalb nach einer Ausnahmeregelung sucht, weil sie die Meinungsmacht und die Einflussmöglichkeiten über das, was da ausgetragen wird, fürchtet. Wie dem auch sei, ein „Geschmäckle“ hat die ganze Sache schon. Darüber hinaus muss man sehen, dass auch die jetzt diskutierte „Lösung“ das betriebswirtschaftliche Grundproblem der Zeitungsbranche hinsichtlich Ihrer Zeitungsausträger nicht löst, denn das besteht in der Tatsache, dass bislang ein Stück Lohn gezahlt wird, denn nun auf einen Stundenlohn umgestellt werden muss. An diesem grundsätzlichen Wechsel wird auch bei dem Kompensationsangebot festgehalten. Man wird sehen, wie die Branche auf diesen Vorschlag seitens der Politik reagiert. Bislang haben sich die Verleger noch nicht zu Wort gemeldet, sie müssen sich noch sortieren.

Sollte die Lösung so kommen, wie über sie derzeit berichtet wird, dann kann man deren Charakter als ein „Notnagel“ auch daran erkennen, dass es keine wirklich systematische Lösung ist, um das noch nett auszudrücken. Denn wenn es eine Entlastung bei den Abgaben für die geringfügig Beschäftigten geben sollte, dann stellt sich natürlich die Frage, was dann mit Zeitungsausträgerin ist, die oberhalb der Schwelle des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses liegen. Für die gäbe es dann ja gar keine Entlastung. Das wirkt doch alles mehr als unausgegoren und vermittelt den Eindruck, dass hier eine Baustelle notdürftig versorgt werden soll.

Das muss ja auch mal gesagt werden: Rettet den deutschen Spargel vor dem deutschen Mindestlohn! Und die Gurken gleich mit. Aber natürlich ist es in Wahrheit wieder einmal komplexer

Die vergangenen Wochen waren von einem permanenten Rauschen über angeblich dringend notwendige Ausnahmen von der vorgesehenen Mindestlohnregelung in den Medien beherrscht. Nachdem die Grundsatzentscheidung für die Einführung eines (mehr oder weniger) flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns seitens der Bundesregierung gefallen ist, versuchen die Gegner dieses Instruments mit zahlreichen Ausnahmeforderungen die Logik einer allgemeinen Lohnuntergrenze gleichsam von hinten herum wieder auszuhebeln. Die Forderungen, wer und wo es Ausnahmen von Mindestlohn geben soll – von studentischen Hilfskräften, Rentnern, Taxifahrern bis hin zu den Saisonarbeitern in der Landwirtschaft – haben derart überhandgenommen, dass selbst Mitglieder der Union so etwas wie einen halben Nervenzusammenbruch bekommen haben: „Es reicht mir langsam“, mit diesen Worten wird der CDU-Sozialexperte Karl-Josef Laumann zitiert.

»Wenn ich höre, was der Wirtschaftsrat alles an Ausnahmen haben will, kann ich nur sagen: Das  ist  abenteuerlich. Wenn man ganze Bevölkerungsgruppen aus dem Mindestlohn herausnehmen will, soll man doch gleich sagen, dass man überhaupt keinen will … Es ist genug geredet worden, wir müssen jetzt mal zu Potte kommen. Und es bleibt dabei: Wir brauchen einen  robusten Mindestlohn. Ohne Ausnahmen«, so Laumann in dem Interview.

Aber die Akteure lassen einfach nicht locker. Als oberster Verteidiger der deutschen Spargelproduktion hat sich nunmehr immerhin der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl  aus Baden-Württemberg zu Wort gemeldet – mit einer klaren Ansage: „Ich möchte auch in Zukunft eine regionale Spargelproduktion haben„. Und die sieht er in ernsthafter Gefahr, wenn denn ein Mindestlohn auch für die Saisonarbeiter in der Landwirtschaft Anwendung finden soll. Für den Erhalt „regionaler, heimatnaher Produktion gesunder Nahrungsmittel“ brauche es Ausnahmen vom Mindestlohn, so Strobl. Und überhaupt – es gebe eigentlich gar keinen Bedarf für einen Mindestlohn in diesem Bereich. Strobl macht setzt sich fast schon rührend „für“ die osteuropäischen Erntehelfer ein:

»… wissen Sie, ob das Hungerlöhne sind, da mache ich auch ein Fragezeichen dahinter. Die Saison-Arbeitskräfte, die aus Osteuropa zu uns kommen, die leben ja nicht einen Monat von dem, was sie hier in wenigen Wochen verdienen, sondern die ernähren ihre Familie ein ganzes Jahr in ihrem Heimatland. Sie sind sehr froh, dass sie diese Arbeit bei uns machen können, und sie wären sehr unglücklich, wenn sie diesen Arbeitsplatz bei einem Landwirt, bei einem Bauern in Deutschland in der Zukunft nicht mehr hätten.«

Und dann bringt er das folgende Argument:

»… ich möchte schon, dass wir auch in Zukunft eine regionale Produktion von Erdbeeren, von Kopfsalat, von Gurken und von Spargel haben und wir das nicht alles aus dem Ausland importieren müssen. Das betrifft die Saison-Arbeitskräfte und da brauchen wir zumindest eine Übergangsregelung, weil ansonsten eine landwirtschaftliche Produktion dieser Sonderkulturen in Deutschland nicht mehr möglich ist.«

Der eine oder die andere wird an dieser Stelle fragen, sind nicht in bestimmten Branchen genau die von ihm geforderten Übergangsregelung immerhin bis Ende 2016 vorhanden bzw. möglich? Genau das ist das Problem. Denn die Landwirtschaft könnte schon längst eine solche Übergangsregelung haben, die immerhin eine mehrjährige Übergangsfrist eröffnen würde, wenn denn die Arbeitgeber bereit gewesen wären, mit der Gewerkschaft einen entsprechenden Tarifvertrag abzuschließen. Dazu schauen wir mal bei der IG Bauen-Agrar-Umwelt nach:
Anfang des Jahres 2013 konnte man diese Meldung von der Gewerkschaft vernehmen: „Landwirtschaft: Lohnplus von 6,5 Prozent / Sonderbehandlung für Saisonarbeiter abgeschafft„. Darin findet man dann den Hinweis, dass

»… es keine Tarifverträge Saisonarbeiter mehr geben wird … „Saisonarbeiter sind Arbeitskräfte wie alle anderen. Es gibt keinen Grund, für einen gesonderten Tarifvertrag“ … Künftig fallen Arbeiten, die ohne Berufsabschluss oder Anlernzeit ausgeübt werden, unter die allgemeinen Tarifverträge in der Landwirtschaft. Die Tarifvertragsparteien einigten sich auf eine stufenweise Anhebung der Lohnuntergrenze. Zum 1. Dezember 2017 steigen die Löhne nach und nach von derzeit 6,10 Euro (Ost) bzw. 6,70 (West) auf einen Stundenlohn von 8,50 Euro.«

Ja, da haben wir doch eine Übergangsregelung, einen stufenweisen Anpassungsprozess, der erst 2017 zu dem nunmehr als gesetzlicher Mindestlohn vereinbarten 8,50 € pro Stunde führen wird. Wo ist dann das Problem? Genau solche Übergangsregelungen sind doch im Mindestlohngesetz ausdrücklich vorgesehen?

Aufklärung verschafft uns eine weitere Pressemitteilung der Gewerkschaft, die vor wenigen Tagen unter der folgenden Überschrift veröffentlicht wurde: „Arbeitgeber der Landwirtschaft blockieren Tarifverhandlung. Keine Ausnahme vom Mindestlohn für Saisonarbeiter„. Dem kann man entnehmen, dass die IG BAU die Arbeitgeber der Landwirtschaft und des Gartenbaus auffordert, »endlich Verhandlungen über einen Mindestlohntarifvertrag für diese Branchen aufzunehmen. „Unsere Geduld ist langsam zu Ende. Bereits im März dieses Jahres haben wir den beiden Arbeitgeberverbänden angeboten, einen solchen Tarifvertrag abzuschließen“, sagte Harald Schaum, Stellvertretender IG BAU-Bundesvorsitzender und Verhandlungsführer für die grünen Branchen … Doch die Arbeitgeber blockieren die Tarifverhandlungen und spielen lieber auf Zeit.«
Die Verhandlungen sind notwendig, um die im neuen Mindestlohngesetz geplante zweijährige Übergangsfrist bis Ende 2016 zu nutzen und die Löhne für ungelernte Arbeitnehmer an den gesetzlichen Mindestlohn heranzuführen.

Doch der Gesamtverband der Deutschen land- und forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbände (GLFA) bewegt sich nicht, bzw. stellt sich tot, er will noch nicht einmal ein Verhandlungsdatum vereinbaren.

Es liegt nahe, dass die Arbeitgeberseite hier voll auf Risiko spielt bzw. auf das Prinzip Hoffnung setzt, zum Beispiel auf Politiker wie den Herrn Strobl aus Baden-Württemberg, der sich für sie in die Bresche wirft. Aber so wie man jede Spiel auch verlieren kann und Hoffnung oftmals bitter enttäuscht wird, so kann es auch in diesem Fall ausgehen. Der stellvertretende Gewerkschaftsvorsitzende bringt es auf den Punkt:

»Diese Hinhaltetaktik macht nur Sinn, wenn Saisonarbeiter vom gesetzlichen Mindestlohn ausgenommen werden. Sollten die Arbeitgeber darauf spekulieren, betreiben sie ein riskantes Spiel. Am Ende kommt diese Ausnahme nicht und sie stehen ohne Branchenlösung da. Dann gilt ab 2015 der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro auch für Erntehelfer.«

Bereits im April wurde in einem Blog-Beitrag auf dieser Seite darauf hingewiesen, dass die Realitäten in der Landwirtschaft durchaus schwierig sind, vor allem aufgrund des unabweisbar brutalen Preisdrucks, der auf den Produzenten lastet. Aber es wurde auch darauf hingewiesen, dass es bereits heute nicht wenige Landwirte gibt, die ihren Saisonarbeitern gerade aufgrund der existenziellen Abhängigkeit von der Ernte in einem kurzen Zeitraum des Jahres so ordentliche Entgelte zahlen, dass der Mindestlohn von 8,50 Euro kein Thema ist. Diese andere Seite illustriert der Deutschlandfunk-Beitrag „Gesetz zum Mindestlohn – 8,50 Euro für (fast) jeden“ von Tonia Koch am Beispiel des Gartenbaubetriebs von Erwin Faust in Saarlouis: »Ohne die rumänischen Mitarbeiter, die im Schnitt jeweils vier Monate vor Ort sind, könne der Betrieb einpacken, sagt Erwin Faust. Er brauche vor allem Kontinuität und Leute, die wissen, was zu tun sei auf dem Feld und in den Gewächshäusern … „und da machen wir auch Lohnkonzessionen, weil am Ende die Leistung auch herausspringt. Das Problem ist, wir müssen anstinken gegen die, die die Leute in den Container stecken und fürs halbe Geld arbeiten lassen. Was heißt das letztendlich? Die Supermärkte lachen sich kaputt, die Discounter lachen sich kaputt, weil sie billiges Zeug kaufen können.“ Der zum Teil ruinöse Wettbewerb über die Löhne sei der falsche Ansatz. Der Gemüsebauer hält daher eine Mindestlohnregelung für überfällig. „Wir zahlen auch über Mindestlohn unsere Leute. Der geringste Bruttolohn, den wir haben, liegt bei 9,20 Euro, der geringste, für Aushilfen. Da steh‘ ich voll dahinter, und das ist auch bei unseren Rumänen so.“«

Fazit: Soweit man das derzeit beurteilen kann, wären die Arbeitgeber gut beraten (gewesen), auf eine tarifvertragliche Übergangslösung mit der Gewerkschaft zu setzen, statt dem Prinzip Hoffnung zu folgen. Angesichts der breiten Kritik an den bereits im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen ist es mehr als unwahrscheinlich, dass die Gruppe der Saisonarbeiter aus dem Mindestlohn-Anwendungsbereich herausgenommen wird, denn unabhängig von der Frage, ob das europarechtlich überhaupt zulässig ist, besteht dann natürlich die Gefahr, dass das als Präzedenzfall für andere Branchen gewertet und verwendet wird. Darauf wird sich die Bundesregierung bzw. der Teil von ihr, der die Umsetzung des Mindestlohngesetzes zu verantworten hat, mit Sicherheit nicht einlassen. Am Ende des Tages könnten die Arbeitgeber mit weitaus weniger dastehen, als möglich gewesen wäre.

Die klassische Taxibranche hat es nicht leicht in Zeiten von gesetzlichem Mindestlohn und rosinenpickender Konkurrenz aus der App-Economy

London, Paris, Berlin, Madrid – in ganz Europa blockierten Zehntausende Taxifahrer die Straßen aus Protest gegen die Taxi-App Uber. Sie fürchten um die Zukunft ihrer Branche, so Carsten Volker in seinem Artikel „Wir sind keine Dinosaurier„. »In Berlin nahmen Hunderte Taxifahrer an einer Sternfahrt teil, in Paris blockierten Tausende die Straßen zu den Flughäfen Orly und Charles de Gaulle. Beim größten Streik in London legten rund 10.000 Black Cabs das Regierungsviertel um den Trafalgar Square lahm.« Und das alles wegen einer App? Und was hat das alles mit dem Mindestlohn zu tun?

Die Proteste können den Eindruck verstärken, dass wir Zeuge werden eines massiven Angriffs auf das traditionelle Geschäftsmodell der Taxiunternehmen – manche Kritiker sprechen gerne vom Taxikartell – durch die zunehmende Konkurrenz durch Limousinenservices und nun auch noch durch eine App auf den Smartphones vieler (potenzieller) Kunden. Schon seit längerem ist die Taxibranche in Großstädten konfrontiert mit Vermittlern von Limousinenservices, die sich beispielsweise „Blacklane“ oder „My Driver“ nennen. Die Limousinendienste operieren überwiegend mit Festpreisen, was sie gerade für Firmen attraktiv macht. Interessant am Rande ist auch der Tatbestand, dass Daimler sich an dem Unternehmen Blacklane beteiligt hat, was zu erheblichen Spannungen zwischen dem bisherigen Hoflieferanten der Taxi-Unternehmen und den betroffenen Anbietern führt. Die neueste Zumutung ist  ist eine Smartphone-App, die den Namen „Uber“ trägt. Es handelt sich um ein Unternehmen aus San Francisco, das private Fahrer vermittelt. Unternehmen wie Uber kassieren für die Vermittlung 20 Prozent des Fahrpreises, die Kunden zahlen deutlich weniger als für eine reguläre Fahrt mit dem Taxi.

Nun muss man allerdings einschränkend – und zugleich problemverschärfend – anmerken, dass die neue Konkurrenz für das traditionelle Geschäftsmodell der Taxibranche keinen generellen Angriff auf diese darstellen kann, den sowohl die Limousinenservices wie auch Unternehmen wie Uber bieten ihre Dienstleistungen keineswegs flächendeckend an, sondern sie betreiben klassische „Rosinenpickerei“, da sie sich  fokussieren im wesentlichen auf die Großstädte. An ländlichen oder kleinen städtischen Regionen haben sie weitaus weniger bis gar kein Interesse. Aus dieser Konfiguration entsteht die erste Wettbewerbsverzerrung, die noch dadurch potenziert wird, dass sich die neuen Anbieter nicht an die zahlreichen Regulator Auflagen halten müssen bzw. sie meinen, dass diese nicht für sie gelten, darunter beispielsweise die Bindung der Taxiunternehmen an die Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes.

Unfaires Spiel mit den Taxifahrern, so hat Gernot Kramper seinen Kommentar zu den aktuellen Protesten überschrieben: »Es kann nicht sein, dass die traditionellen, alten Gewerbe mit tausend Vorschriften und Regeln geknebelt werden und ein neues Geschäftsmodell wie Uber, das letztlich die gleiche Dienstleistung anbietet, von diesen Spielregeln freigestellt wird.« Er plädiert für eine „Waffengleichheit“ zwischen den Kontrahenten, sieht aber auch, dass eine solche nur erreichbar wäre, wenn der Staat, insbesondere die hier relevanten Kommunen bislang existierende regulatorische Eingriffe zurücknehmen würde und wir alle als Kunden müssten uns bewusst sein, dass daraus das Ende verbindlicher Standards in diesem Bereich resultieren würde: »Einnahmen aus einer Taxilizenz würde es für die Kommunen nicht mehr geben … Eignungstest, Ortskenntnisse, Sprachfähigkeiten könnten die Gemeinden bei einer Freigabe auch kaum noch vorschreiben. Einheitliche Tarife gäbe es nicht mehr. Spezielle Versicherungen für die Insassen wären freiwillig. Das Motto: Der Markt wird es schon richten.« Die Hoffnung, dass es der Markt schon richten wird, haben offensichtlich auch andere, so beispielsweise Sidney Gennies in seinem Kommentar Das Taxigewerbe gerät unter Druck – zu Recht.

Zurück zu der Frage, was das nun alles mit dem Thema Mindestlohn zu tun haben könnte. Dazu der Artikel Zwischen Mindestlohn und Netz-Konkurrenz, in dem nicht nur auf die neue Konkurrenz hingewiesen, sondern auch der gleichzeitig ablaufende Prozess einer Auseinandersetzung mit dem gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde angesprochen wird:

Momentan verdienen Taxifahrer nach BZP-Angaben im Schnitt etwa 6,00 Euro bis 6,50 Euro die Stunde, bei angestellten Fahrern geschieht das meist über Umsatzbeteiligungen. „Das dürfte regional sehr schwanken“, erklärt Jan Jurczyk von der Gewerkschaft Verdi. Gehört hätten sie schon von Fällen, wo drei Euro in Mecklenburg-Vorpommern und acht Euro in Baden-Württemberg verdient worden seien. „Deswegen ist der Mindestlohn da so wichtig“, sagt Jurczyk. Für viele Taxifahrer würde er mehr Geld in der Tasche bedeuten.

Nach Einschätzung von Professor Stefan Sell könnte ein Mindestlohn aber auch noch mehr Konkurrenz ins Geschäft bringen. Weil er nicht für Selbstständige gelten würde, könnten mehr Fahrer in die Selbst- oder Scheinselbstständigkeit abtauchen, vermutet der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler von der Hochschule Koblenz. Sie würden finanziell nicht von der neuen Regel profitieren, aber den Taxifirmen Konkurrenz machen, die ihren Angestellten wie vorgeschrieben mehr pro Stunde zahlen müssten. „Das ist ein echtes Dilemma.“
Um das einordnen zu können, muss man einige Basisinformationen in Erinnerung rufen: Die 200.000 Taxifahrer Deutschlands gehören zu den am schlechtesten bezahlten Beschäftigten der Nation. Nun geht es aber eben gerade nicht „die“ Taxifahrer, sondern wir sind mit einer erheblichen Heterogenität der Beschäftigungsverhältnisse in der Taxibranche konfrontiert. Das reicht von den Angestellten Taxifahrern, die tatsächlich auf Vollzeitbasis diesen Beruf ausüben und davon leben müssen/sollen, über die Selbstständigen, die mit ihrem Taxi einem Gewerbe nachgehen bis hin zu nur punktuell bzw. temporär beschäftigten, die sich beispielsweise auf 450 €-Basis oder anderen Teilzeitverhältnissen ein Zubrot verdienen. Genau in dieser erheblichen Heterogenität der Beschäftigung innerhalb der Branche liegt nun ein zentrales Problem für die Umsetzung des zum 1. Januar 2015 geplanten Mindestlohns. Man kann sich das mit Blick auf die Stadt Frankfurt verdeutlichen, mit welchen Herausforderungen man konfrontiert sein wird: »In Frankfurt kommen auf 1.700 Taxis 1.100 Unternehmer. Das heißt: Ganz oft sitzt der Chef selbst hinterm Steuer. Für Unternehmer aber gilt der Mindestlohn nicht …  Doch auch … Angestellte finden sich in der Branche natürlich in großer Zahl. Neben zahlreichen Ein-Mann-Betrieben sind in Frankfurt auch Taxiunternehmen mit 30 und mehr Fahrzeugen am Markt. Alles in allem verdienen in der Stadt an die 4.500 Fahrer ihr Geld«, so Manfred Köhler in einem Artikel.

Auf der Seite der Beschäftigten gibt es trotz der schlechten Arbeitsbedingungen ein großes Arbeitsangebot, durch das ein erheblicher Lohndruck nach unten ausgeübt wird, beispielsweise durch Zuwanderer, die bereit sind, auch zu den untersten Bedingungen zu arbeiten, um überhaupt Fuß fassen zu können.

Wenn man jetzt – wie vorgesehen – zum 1. Januar 2015 einen gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 € pro Stunde einführt, der dann auch für die angestellten Taxifahrer gelten wird bzw. soll, dann muss man sich darüber im klaren sein, dass das nicht einfach zu realisieren sein wird, um das noch positiv auszudrücken. Dies hängt zusammen mit den Besonderheiten der Branche, über die wir hier sprechen. Denn der Mindestlohn wird nur gelten für die angestellten Taxifahrer, währenddessen die zumeist Solo-Selbstständigen nicht unter den Geltungsbereich des Mindestlohnes fallen.
Um einmal konkret zu illustrieren, was das best: die bisherige Vergütung der Taxifahrer sieht im wesentlichen so aus, dass sie am Umsatz beteiligt sind, in der Größenordnung von 35 % bis 45 % der Tageseinnahmen. Wir haben es hier also mit einer Art Stücklohn zu tun. Nun gibt es Zeiten mit erfreulichen Umsätzen, in denen man das erwirtschaftet, was in den Randzeiten, wo weniger Betrieb ist, gleichsam als Zuschuss zur Wartezeit, die keine Einnahmen bringt, gebraucht wird. Angesichts des bestehenden sehr niedrigen Vergütungsniveaus ist es auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar, dass der Verband der Taxiunternehmen fordert, dass die Preise für die Beförderungsleistung im Schnitt um mindestens 20 % angehoben werden müssen.

Unabhängig von der Tatsache, dass wir derzeit über 800 Tarifordnungen für Taxis in Deutschland haben und dass eine Änderung nicht in Monaten, sondern eher in Jahren vorstellbar sein wird, wäre die entscheidende Frage, zu welchen möglicherweise völlig ungeplanten Folgen  das führen wird, wenn die Mindestlohnregelung ab Januar des kommenden Jahres in der Taxibranche greifen muss. Das bereits heute vorhandenen, teilweise extreme Kostengefälle zwischen den einzelnen Taxiunternehmen wird sich erheblich erweitern. Denn der „normale“ Taxiunternehmer, der mehrere  angestellte Fahrer hat, muss diese nach dem Mindestlohn mindestens vergüten, während beispielsweise der Selbstständige mit Migrationshintergrund auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen kann, um sein Taxi zu betreiben. Es ist durchaus nicht unplausibel, dass wir als eine Folge der Mindestlohn-Einführung in der Taxibranche eine weitere Expansion des Modells der (Schein-) Selbstständigkeit erleben werden müssen.

Aber damit nicht genug. Stellen wir uns ein Taxiunternehmen in einer eher ländlich strukturierten Region vor und den Problemen solcher Unternehmen, bestimmte Dienstzeiten abdecken zu müssen, beispielsweise die Nachtzeiten. An diesem Beispiel kann man zeigen, dass der Mindestlohn als Stundenlohn definiert zu erheblichen Veränderungen auf der Angebotsseite führen wird. Denn in den ländlichen bzw. kleinen städtischen Regionen gibt es in der Nachtzeiten vielleicht ein oder zwei Nachfrager. Die aber zu dem Preis bedient werden müssen, der auch für die normalen Inanspruchnahmezeiten tarifiert worden ist. Und so teuer könnte man gar nicht die Taxifahrt machen, um die Stundensätze für einen normalen Taxifahrer in den Anzeigen bzw. in der Nacht gegenfinanzieren zu können. Das wird jetzt zwei Konsequenzen haben (müssen): Entweder werden die Taxiunternehmen ihre Dienstleistung in den Nachtstunden wenn nicht erheblich einschränken, dann vielleicht sogar grundsätzlich einstellen müssen. Dieses Phänomen kann man beispielsweise in anderen Mindestlohn-Ländern, die bereits seit vielen Jahren Erfahrungen haben sammeln können, beobachten. So gibt es beispielsweise in den Niederlanden in vielen Regionen nachts kein Taxi-Angebot mehr. Weil das schlichtweg nicht finanzierbar ist. Oder aber man greift zur Aufrechterhaltung des Angebots in diesen ungünstigen Zeiten auf „Selbstständige“ zurück, die ja bekanntlich nicht unter die Mindestlohnregelung fallen.

Aber auch wenn man den Forderungen des Taxi-Verbandes nachkommen würde, die eine Anhebung der Tarife um mindestens 20 % fordern, um den Mindestlohn umsetzen zu können, heißt das noch lange nicht, dass sich die Vergütungsbedingungen der Angestellten Taxi-Fahrer signifikant verbessern werden – dann nämlich nicht, wenn die Tariferhöhung für alle Taxi-Unternehmer gilt, damit also auch für diejenigen, die bereits seit Jahren Billigst-Arbeitskräfte beschäftigen oder die beispielsweise als Selbstständige agieren, denn die bekommen natürlich auch die angehobene Vergütung, ohne dass sie sich in dem gleichen Kostenkorsett befinden wie der Taxi-Unternehmer, der eine ganze Reihe an angestellten Mitarbeitern zu finanzieren hat. Damit wird die erhebliche Asymmetrie innerhalb der Branche weiter zugespitzt zugunsten der Billig-Anbieter.

Auf der einen Seite wird man die erhebliche Kostensteigerung, die mit der Einführung eines Mindestlohns in Höhe von 8,50 € pro Stunde bei derzeit im Durchschnitt über alle gezahlten 6,85 € pro Stunde (mit einer erheblichen Varianz, die von 3 bis 4 € in ostdeutschen Bundesländern bis hin zu über 8 € in Baden-Württemberg reicht), nicht ohne eine entsprechend deutliche Erhöhung der Tarife, also der vom Staat gesetzten Preise für die Beförderungsdienstleistung, stemmen können, wenn überhaupt. Gleichzeitig aber kommen die höheren Preise auch den Anbietern von Taxi-Dienstleistungen zugute, die das als Selbstständige machen und insofern nicht an die Mindestlohn-Vorgaben gebunden sind.

Hier ist ein offensichtliches Dilemma angesprochen, für das bislang keine mir bekannte wirklich plausible Lösung vorgelegt worden ist.