Jetzt doch morgens jagen und abends Viehzucht betreiben? Die Debatte über ein bedingungslose Grundeinkommen 150 Jahre nach der Zangengeburt des ersten Bandes des „Kapital“

Gerade in diesen Tagen geht ein Karl Marx-Rauschen durch die Medien, wie so oft angeregt durch ein Jubiläum: Das „Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel“ meldet am 14.09.1867 das Erscheinen des „Kapitals“ in 1.000 Exemplaren.

Der Deutschlandfunk hat im Vorfeld eine sechsteilige Serie mit ganz unterschiedlichen Autoren über „Das Kapital“ ausgestrahlt, mit tieferen Einsichten und Meinungen zu diesem historischen Werk. Bezeichnend für diese Tage ist auch so eine Diskussionssendung des SWR: Der Mehrwert von „Das Kapital“: Wie aktuell sind die Thesen von Karl Marx?

Auch die Wirtschaftsblätter lassen sich da nicht lumpen: 800 Seiten, die die Welt veränderten, so hat Nikolaus Piper seinen Artikel überschrieben. Der Philosoph Christoph Henning meldet sich in der Neuen Zürcher Zeitung mit diesem Beitrag zu Wort: «Das Kapital» ist ein Klassiker mit trauriger Aktualität. Und selbst in der WirtschaftsWoche wird man mit so einer den einen oder anderen Leser dieser Zeitschrift sicher irritierenden Headline:  Leute, lest Karl Marx! So ist eine „Hommage“ von Dieter Schnaas überschrieben: »Als Prophet ein Versager, als Soziologe ein Riese«, so lautet die Kurzformel seines Blicks auf den Mann aus Trier. Als Prophet ein Versager? Das mag so sein, wenn man sich den Gang der Dinge anschaut, aber der eine oder andere würde zum Ausdruck bringen, dass das doch sehr schade wäre, wenn man sich an so eine Ausmalung der ferneren Zukunft erinnert: Die Gesellschaft werde es dem einzelnen Menschen ermöglichen, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, mittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirte oder Kritiker zu werden“.

Zuweilen ist es interessant, sich das Originalzitat genauer anzuschauen, in diesem Fall findet man einen interessanten Hinweis, der erschließen kann, warum der alte Marx hier im Kontext der Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen angeführt wird:

»Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muss es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.« So zu finden in Marx/Engels, Die deutsche Ideologie, MEW 3, S. 33, 1846/1932

Er spricht hier neben der Vision eines anderen Lebens den Tatbestand der auch heute gegebenen gesellschaftlichen Arbeitsteilung an, der zu Tätigkeiten führt, die man ausschließlich ausübt bzw. ausüben muss, in die man teilweise hineingedrängt wurde und aus die man auch nicht mehr herauskommt, weil man auf den Verkauf der eigenen Arbeitskraft angewiesen ist, weil man eben nicht über andere Quellen des Einkommens verfügt, die einem etwas anderes überhaupt ermöglichen können.

Und die Ermöglichung eines solchen Lebens ist sicher eines der attraktivsten Argumente der Apologeten eines bedingungslosen Grundeinkommens, in dem darüber die Menschen aus dem unmittelbaren Zwang, die eigene Arbeitskraft und das nicht selten bedingungslos zu Markte tragen zu müssen, herausgenommen werden sollen.

Selbst wenn man das aus welchen Gründen auch immer für idealistische und weltfremde Spinnerei hält – hier liegt sicher eine visionäre Kraftquelle für das im übrigen überaus heterogene Lager der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens (vgl. auch schon die Beiträge Zwischen Heilserwartung und sozialpolitischen Widerständen. Einige Anmerkungen zum bedingungslosen Grundeinkommen vom 14. Februar 2017 sowie Mit dem Herz dafür, aber mit dem Kopf dagegen? Oder mit dem Verstand dafür, aber ohne Herz? Das „bedingungslose Grundeinkommen“ ist (nicht) krachend gescheitert vom 7. Juni 2016).

Das Thema wird in der aktuellen Medienberichterstattung immer wieder aufgegriffen. Die Sendereihe ZDFzoom hat das in einem neuen Beitrag zu verarbeiteten versucht: Grundeinkommen für alle – Fair oder ungerecht? »Brauchen wir das „Bedingungslose Grundeinkommen“ für alle? Wäre das fair oder ungerecht? Würde es die Menschen anspornen zu arbeiten oder eher dafür sorgen, in der Hängematte zu bleiben?« So die Fragestellung der Filmemacher.

»Das deutsche Sozialsystem ist seit der Einführung der Hartz-IV-Reformen 2005 zu einem gigantischen Verwaltungs- und Kontrollapparat geworden, der große Summen verschlingt. Demografischer Wandel und die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung der Arbeitswelt bringen neue Herausforderungen mit sich. Experten bezweifeln, dass der Sozialstaat in seiner jetzigen Form den Belastungen der Zukunft gewachsen ist. Manche halten das „Bedingungslose Grundeinkommen“ (BGE) für die Lösung.

Die „ZDFzoom“ Reporter Ulrike Brödermann und Halim Hosny sprechen mit Befürwortern und Gegnern aus der Wissenschaft und zeigen Menschen in Deutschland, die probeweise ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ beziehen und wie sich ihr Leben seitdem verändert hat. Sie besuchen auch Familien, die von Hartz IV leben. Der alleinerziehende Vater Perry, der mit seinen drei Kindern in Leipzig lebt, erzählt von seinen Erfahrungen bei der Arbeitssuche, mit dem Jobcenter und dem bürokratischen Hürdenlauf.

Die Autoren fahren nach Finnland, wo in einer Testphase 2000 Menschen ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ bekommen und sprechen mit den Beziehern und der Regierung über erste Erfahrungen.

Für die einen wäre die Einführung eines „Bedingungslosen Grundeinkommens“ die Antwort auf die Krise des deutschen Sozialstaats, für die anderen der Anfang vom Ende der Solidargemeinschaft.«
Selbst die BILD-Zeitung hat das Thema in einem längeren Artikel – Wie gerecht ist das Grundeinkommen?–  über die ZDF-Doku aufgegriffen.

Während die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens bei einer bunten Gruppe, die den heutigen Zwängen schlecht bezahlter, unsicherer Erwerbsarbeit (gerade im Bereich der sogenannten Kreativwirtschaft) ausgeliefert ist oder die unter dem teilweise kafkaesk daherkommenden, von vielen als entwürdigend empfundenen Regime der eben nicht-bedingungslosen Grundsicherung mit ihren Sanktionen und ihrem auf Dauer gestellten Mangelstatus zu leiden haben, auf große Sympathie stößt, weil man sich davon eine im wahrsten Sinne des Wortes Befreiung verspricht, wird ein gewichtiger Teil der aktuelleren Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen aus einer spezifisch ökonomischen Perspektive geführt – manche würde das auch als eine ökonomistische Verengung charakterisieren. Wie dem auch sei, diese „ökonomische Aufladung“ des Themas hat dem bedingungslosen Grundeinkommen (scheinbar) neue Unterstützer von großer gesellschaftlicher Bedeutung erschlossen – denn immer öfter wird berichtet, dass sich namhafte Vertreter der Kapitalseite, neuerdings besonders prominent Vertreter der Tech-Unternehmen aus dem Silicon Valley ein solches Instrument vorstellen können, ja sogar für absolut notwendig halten angesichts der beobachtbaren und erwartbaren gesellschaftlichen Entwicklung.

Das überall herumgetragene Stichwort dazu lautet: Digitalisierung. Das, was man damit verbindet und zu verbinden scheint, führe unausweichlich dazu, dass man sich dem Ansatz eines Grundeinkommens nicht verweigern kann.

Als ein Beispiel von vielen aus dieser Diskussionslinie sei auf den Artikel Ist das Grundeinkommen die Antwort auf den digitalen Arbeitsmarkt? von Philipp Depiereux verwiesen. Das immer mitlaufende Motiv bei dieser Diskussionslinie ist die (übrigens gerade unter Ökonomen heftig umstrittene) These, dass „uns“ diesmal aber wirklich ein nennenswerter Anteil der (Erwerbs-)Arbeit ausgehen wird, mithin die traditionelle Form der Existenzsicherung für die große Mehrheit der Menschen, die auf den marktüblichen Verkauf ihrer Arbeitskraft existenziell angewiesen sind, wegzubrechen droht.

Eine Möglichkeit, diese Unwucht abzufangen, sei das bedingungslose Grundeinkommen – »ein sicherlich überlegenswerter Lösungsansatz, mit dem wir uns in Deutschland intensiv auseinandersetzen sollten«, so der Verfasser des Artikels.

Angesichts neuerer Veröffentlichungen zu diesem Thema hier nur abschließend der Hinweis auf eine zentrale Frage, die immer wieder nicht nur von den Gegnern, sondern auch von grundsätzlich mit dem Ansatz sympathisierenden Diskussionsteilnehmern aufgerufen wird. Wie soll das finanziert werden? Kann das überhaupt gelingen?

Da stößt man dann beispielsweise auf so einen Beitrag: Bedingungsloses Grundeinkommen: US-Wirtschaft könnte deutlich wachsen, versehen mit dem Hinweis: Überraschung.

»In einer Studie des Roosevelt Institutes kommt ein Team von Wirtschaftswissenschaftlern zum Schluss, dass die Implementierung eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle erwachsenen Amerikaner in Höhe von 1.000 Dollar monatlich zu einem extra Wirtschaftswachstum von 12,56 Prozent innerhalb der nächsten acht Jahre führen könnte.«

Offensichtlich handelt es sich um diese Studie: Michalis Nikiforos, Marshall Steinbaum and Gennaro Zezza (2017): Modeling the Macroenomic Effects of a Universal Basic Income, Roosevelt Institute, August 2017

In dem Artikel kommt dann aber ein weiterer Hinweis, den man nicht überlesen sollte angesichts der sehr positiv daherkommenden Botschaft der ersten Zeilen: »Vorausgesetzt es wird durch eine Erhöhung der Staatsschulden finanziert.«

»Denn wenn das gleiche Sozialprogramm durch eine Erhöhung von umverteilenden Steuern finanziert wird, würde das Bruttoinlandsprodukt lediglich um zusätzlich 2,62 Prozent innerhalb von acht Jahren steigen, so die Studie. Jedoch würde es dann auch zu einem Abbau der US-Staatsschulden von 1,39 Prozent kommen. Beide Szenarien haben dabei einen positiven Einfluss auf die Arbeitslosigkeit.«

Wie kommen die zu so einem positiven Ergebnis? Letztendlich stützen sich die Ökonomen bei ihren Berechnungen auf das Konzept der „marginalen Konsumquote“. Danach werden Geringverdiener verglichen mit Besserverdienern mit einer höheren Wahrscheinlichkeit zusätzliches Einkommen ausgeben. Deshalb würde ein bedingungsloses Grundeinkommen zu einer Erhöhung der sich im Umlauf befindenden Geldmenge führen.

Auch aus Deutschland kann zu diesem Themenfeld eine neue Arbeit beigesteuert werden: Makroökonomische Effekte eines bedingungslosen Grundeinkommens, so ist der Beitrag von Thieß Petersen, der bei der Bertelsmann-Stiftung arbeitet, im „Wirtschaftsdienst“ (Heft 9/2017) überschrieben:

»Über das bedingungslose Grundeinkommen wird schon seit langem diskutiert. Zwar gibt es Modellversuche, aber in einer gesamten Volkswirtschaft wurde es bisher noch nicht eingeführt. Interessant ist, wie sich dieses Konzept auf die wichtigen gesamtwirtschaftlichen Faktoren wie den Lohn, den Arbeits- und Kapitaleinsatz, die Produktivität, die Inflation, das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes auswirkt. Der Autor stellt Überlegungen zu den möglichen Zusammenhängen und Wirkungen an. Er kommt aber angesichts der Unsicherheiten und Gefahren zu dem Ergebnis, dass die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ein großes ökonomisches Wagnis wäre«, so die einleitenden Anmerkungen der Redaktion.

Weitere Hinweise zur Argumentation von Petersen finden wir in diesem Blog-Beitrag: Bedingungsloses Grundeinkommen: Wie wirkt es auf die gesamte Volkswirtschaft? Petersen konzentriert sich bei seiner Analyse der gesamtwirtschaftlichen Effekte auf drei Aspekte dieses Einkommens, nämlich: seine Unbedingtheit, seine Höhe und seine Finanzierung. Und ist mit einem Haufen erwartbarer Unsicherheit konfrontiert, die vor allem aus nicht eindeutig vorrausehbaren Reaktionen von Bürgern und Unternehmen bezüglich ihres Arbeitsangebotes oder ihrer Arbeitsnachfrage resultiert.

Vor diesem Hintergrund überrascht es dann nicht, wenn Petersen zu dem Ergebnis kommt, »bei der Einschätzung der Effekte (sei) eine Menge Spekulation im Spiel. „Angesichts dieser großen Unsicherheit über die Reaktion des Arbeits- und Kapitalangebots sind keine eindeutigen Aussagen über die makroökonomischen Konsequenzen eines BGE möglich“, schreibt Petersen. Problematisch seien dabei insbesondere die Verhaltensänderungen der privaten Haushalte und Unternehmen. „Deren Reaktionen ’sind bei großen strukturellen Veränderungen schwer vorauszusehen’“. Von daher “ wäre die flächendeckende Einführung eines BGE ein großes ökonomisches Wagnis.“
Irgendwie unbefriedigend, werden viele an dieser Stelle denken und das man das auch ohne Berechnungen hätte festhalten können.

In Vorahnung dieser Frustration wird dann noch dieser Happen in die Menge geworfen:

»Ließe sich das ökonomische Risiko reduzieren? Man könnte ein BGE auf niedrigem Niveau einführen, was aber bedeutet, dass „die wesentlichen Vorteile eines BGE nicht zum Tragen“ kämen. Oder man wartet, bis die Kapitalintensität der Produktion hinreichend hoch ist.«

Es sieht so aus, dass wird uns noch länger gedulden müssen, bis »die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun.« Das wäre ja auch Kommunismus – und ob Apple, Google & Co. das wirklich anstreben?

Aber gut, wenn das Thema weiter in der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte vorangetrieben wird. Denn auch „im Kleinen“ (in dem allerdings bei uns mehr als sechs Millionen Menschen von den dort ausgedeichten – oder eben nicht – Leistungen abhängig sind) stellt sich ganz handfest eine Frage, die den Kernbereich des bedingungslosen Grundeinkommens berührt: Gemeint ist hier neben der Frage nach der Höhe der Grundsicherung vor allem das noch in diesem Jahr zur Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht anstehende Verfahren der Sanktionierung von Hartz IV-Empfängern, über das derzeit das an sich unbedingte Grundrecht der Gewährung eines Existenzminimums bis auf Null abgesenkt werden kann. Die Grundfrage auch bei den höchst umstrittenen Sanktionen im SGB II ist die Frage nach der Nicht-Bedingungslosigkeit des gewährten Existenzminimums und dem Einwand, dass man ein eigentlich unbedingtes Grundrecht auf ein Existenzminimum nicht auch noch absenken darf. Wir werden sehen, wie Karlsruhe entscheidet in dieser Angelegenheit.

Aber die Vision eines „bedingungslosen Grundeinkommens“ reicht deutlich über diese Frage hinaus, deshalb die Verknüpfung mit der Vision von Karl Marx – denn hier geht es um die Ermöglichung eines ganz anderen Lebens, nicht „nur“ um die Frage einer aus finanziellen und disziplinarischen Motiven möglichst niedrig zu haltenden Grundsicherung, deren Inanspruchnahme dann auch noch mit zahlreichen, voraussetzungsvollen Restriktionen gespickt ist.

An dieser Scheidelinie ist auch eine große und nicht zu unterschätzende Gefahr zu identifizieren, gerade wenn man dem grundlegenden Ansatz eines bedingungslosen Grundeinkommens positiv gegenübersteht: Das am Ende eines wie immer widersprüchlichen und kontroversen politischen Prozesses eine Grundeinkommenslösung herauskommt, bei der man sich auf eine sehr niedriges bedingungsloses Grundeinkommen verständigt, das dann auch Hartz IV (und andere Leistungen?) ersetzt, zugleich aber die Kürzung höhenwertiger Sozialleistungen ermöglicht, und das alles immer begleitet von der Ansage, man gewähre ja eine „unkomplizierte“ Basissicherung. Der schon seit längerem beobachtbare Trend, die „da unten“ sich selbst zu überlassen, bekäme dann sogar noch eine „philosophisch“ aufgehübschte Legitimationsfolie verpasst.

Foto: © Stefan Sell

Absenkung der Leistungen und weniger Rechtsschutz für Asylbewerber? Der Bundesinnenminister schielt politisch nach rechts – und „übersieht“ das Bundesverfassungsgericht?

Mit dem Hinweis darauf, dass wir in zwei Wochen die Bundestagswahl haben und nunmehr in die „heiße“ Phase des Wahlkampfs eingetreten sind, in dem noch mal überall versucht wird, potenzielle Wählerstimmen anzugraben, könnte man sich bei der folgenden Meldung zurücklehnen und diese zu ignorieren versuchen: De Maizière will Leistungen für Asylbewerber kürzen. »Bundesinnenminister de Maizière fordert eine europaweite Angleichung bei Flüchtlingen. Die deutschen Leistungen seien „im EU-Vergleich ziemlich hoch“«, wird da berichtet. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will eine Angleichung der Leistungen für Asylbewerber in Europa. In Deutschland seien diese Leistungen „im EU-Vergleich ziemlich hoch“, wird der Minister mit Bezug auf diesen Artikel zitiert: De Maizière für niedrigere Asylbewerberleistungen. „Das ist Teil des Sogeffekts nach Deutschland.“ Der Innenminister »räumte ein, dass auch die Lebenshaltungskosten in Deutschland höher seien als in anderen EU-Ländern wie beispielsweise in Rumänien. Im Rahmen einer EU-weiten Angleichung der staatlichen Leistungen für Asylbewerber halte er „entsprechende Kaufkraftzuschläge für einzelne Staaten“ für denkbar.« Aber eben weniger als die heute bekommen. Und noch eine zweite Schneise wird von ihm geschlagen: Er fordert » eine EU-weite Angleichung der Asylverfahren und einen einheitlichen Rechtsschutz.« Die Richtung, die hier eingeschlagen werden soll, ist klar: De Maizière beklagte, dass in Deutschland besonders viele abgelehnte Asylbewerber gegen die Entscheidung Klage vor Gericht einlegten. „Bei uns können abgelehnte Asylbewerber über diverse rechtliche Klagewege ihre Abschiebung hinauszögern, deutlich mehr als anderswo.“

Nun könnte man sich der Einschätzung unterwerfen, dass das alles ein mehr als durchsichtiges Wahlkampfmanöver sei, mit dem der Bundesinnenminister potenzielle Wähler aus der AfD-Ecke ködern will nach dem Motto: Seht ihr, auch die Union wird die Daumenschrauben gegenüber den Asylbewerbern anziehen, ihr müsst nicht die AfD wählen.

Man könnte sich aber auch aufregen und die Frage aufwerfen, was sich ein Bundesinnenminister, der ja der Verfassung und der Verfassungsrechtsprechung verpflichtet ist, erlaubt. Hat er nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu befolgen? Oder hat er die in diesem Fall vielleicht „übersehen“, was allerdings erhebliche Zweifel an seiner Kompetenz aufwerfen würde.

Denn das Bundesverfassungsgericht hat der Politik und damit auch dem Bundesinnenminister bereits im Jahr 2012 eine klare Ansage über das verfassungsrechtlich Gebotene ins Stammbuch geschrieben. Und die treuen Leser dieses Blogs werden sich dunkel erinnern, dass hier schon mal mit Blick auf einen Bundesminister angemahnt wurde, doch bitte die Rechtsprechung zu berücksichtigen, bevor man mit populistischen Forderungen an die Öffentlichkeit geht: Am 13. Oktober 2015 wurde dieser Beitrag veröffentlicht: Schäuble allein zu Haus? Hartz IV für Flüchtlinge absenken, fordert der Bundesfinanzminister. Oder plaudert er nur ein wenig? Darin findet man diesen Passus, den man auch mit dem aktuellen Blick auf den Bundesinnenminister erneut wieder aufrufen muss:

»(Man hätte) von einem Bundesminister schon erwartet, dass er die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts kennt und berücksichtigt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in der hier interessierenden Causa mit einem wegweisenden Urteil bereits zu Wort gemeldet und vor allem dieser eine Satz aus der Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2012 sollte auch dem Bundesfinanzminister bzw. seinen Zuarbeitern bekannt sein und seine Zitation könnte die weitere Auseinandersetzung mit den Gedankenspielereien des Ministers beenden:
»Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.« (BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 1 BvL 10/10, Randziffer 121).«

Und was damals für Schäuble galt, gilt für den Bundesinnenminister heute genau so. Die klare Botschaft der damaligen Entscheidung des BVerfG (vgl. dazu auch Regelungen zu den Grundleistungen in Form der Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verfassungswidrig): Es gibt die Verpflichtung zur Sicherstellung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Und das Gericht spricht hier von Existenzminimum im Singular, keineswegs im Plural. Die Vorstellung unterschiedlich abgestufter Existenzminima wird von den Verfassungsrichtern verworfen.

Und sie haben bereits damals das, was der Bundesinnenminister als (angeblichen) „Sogeffekt“ nach Deutschland bezeichnet, klar angesprochen – und als mögliche Legitimation einer Absenkung der Leistungen verworfen. In den Leitsätzen des BVerfG-Urteils aus dem Jahr 2012 finden sich diese eindeutigen Ausführungen:

»Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums … Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.«

Und dann wird in der Entscheidung diese klar Ansage gemacht: »Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen … Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.«

Fazit: Das, was der Bundesinnenminister (wieder und aus durchschaubaren Gründen) von sich gibt, ist durch die Rechtsprechung des BVerfG in keiner Weise gedeckt und auch nicht zulässig.

Und da hilft dann auch nicht der mögliche Hinweis, dass es doch eine neue Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) gibt, über die das Gericht unter so einer eindeutig daherkommenden Überschrift informiert hat: Kürzung von Asylbewerberleistungen auf das „unabweisbar Gebotene“ verfassungsrechtlich unbedenklich. Also doch? Wie immer muss man genau hinschauen (vgl. dazu auch den Beitrag Ein vor Jahren abgelehnter Asylbewerber wird vom Bundessozialgericht auf das „unabweisbar Gebotene“ begrenzt – und was das mit anderen Menschen zu tun haben könnte vom 14. Mai 2017):

»Eine Behörde darf einem Ausländer Leistungen kürzen, wenn er nicht bei seiner Abschiebung mitwirkt: Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat am Freitag eine entsprechende Klage eines 49-Jährigen aus Kamerun abgewiesen. Die einschlägige Regelung im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) sei verfassungsrechtlich unbedenklich, so das Gericht. Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hindere den Gesetzgeber nicht daran, die Leistungen an eine Mitwirkungspflicht zu knüpfen (Urt. v. 12.05.2017, Az. B7 AY 1/16R)«, so der Bericht in dem Artikel Aus­länder muss bei Abschiebung koope­rieren.

Konkret ging es um den folgenden Sachverhalt: Der Asylantrag eines Kameruners war 2004 abgelehnt worden, eine Abschiebung scheiterte allein an seinem fehlenden Pass. Seine Hilfe bei der Beschaffung eines neuen Ausweises verweigerte der 49-Jährige aus dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz, obwohl die Ausländerbehörde ihn 19-mal dazu aufforderte. Sie beschränkte ihre Leistungen deswegen auf das Bereitstellen einer Unterkunft sowie Gutscheine für Kleidung und Essen. Eine Bargeld-Zahlung in Höhe von knapp 130 Euro monatlich strich sie aber. Vor dem Sozialgericht (SG) Cottbus war der Mann gescheitert. Das BSG hat dann zur Entscheidung ausgeführt:

»Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hindere den Gesetzgeber nicht daran, die Leistungen an eine Mitwirkungspflicht zu knüpfen, so die Kasseler Richter. § 1a Abs. 2 Satz 2 AsylbLG knüpfe die Absenkung der Leistungen an ein Verhalten, das der Betreffende jederzeit ändern könne.

Auch dass der Kameruner über Jahre nur abgesenkte Leistungen erhalten hatte, sei verfassungsrechtlich unbedenklich, da er sich sich stets darüber bewusst gewesen sei, wie er die Leistungsabsenkung hätte verhindern beziehungsweise beenden können. Er sei regelmäßig und unter Hinweis auf zumutbare Handlungsmöglichkeiten zur Mitwirkung aufgefordert und auch mehrfach der kamerunischen Botschaft vorgeführt worden.«

Angesichts der Tatsache, dass der Mann bereits 2002 nach Deutschland gekommen ist und sich über Jahre seiner Mitwirkungspflicht entzogen hat, werden viele die Entscheidung des BSG nachvollziehen und begrüßen. Aber wie so oft im Leben ist es eben nicht immer so klar und eindeutig, wie man die Sympathien verteilt. Es kommt eben und er Regel immer auch auf den Einzelfall an – und da kann es Fälle geben, wo man zumindest ins Grübeln kommt, wenn man über die erforderlichen Mitwirkungspflichten nachdenkt. Schauen wir uns beispielsweise diesen aktuellen Fall an, der zugleich ein bezeichnendes Licht wirft auf das asylrechtliche Durcheinander, über das von vor Ort berichtet wird:

»Die Wismarer Bauunion ist stolz auf ihren Lehrling Reza Rezai. Doch der 30-Jährige soll nach Afghanistan abgeschoben werden«, kann man diesem Artikel entnehmen: Einser-Azubi auf der Abschiebeliste. Er wurde in Afghanistan geboren. »Nur einen Monat später gehen seine Eltern mit ihm in den Iran. Dort lebt Reza als Flüchtling, bis er 2014 über die Türkei nach Deutschland kommt. Sein Antrag auf Asyl wird damals abgelehnt. Auch der Gang vors Gericht blieb erfolglos.« Aber der Mann versucht sich zu integrieren – und macht eine Lehre zum Facharbeiter für Hochbau. Zwischenzeitlich hat er sein Facharbeiterzeugnis abgeliefert: sieben Einser und fünf Zweier. In einem Leistungswettbewerb holt er in seinem Ausbildungsjahrgang den ersten Platz. Eigentlich ein Vorzeigebeispiel, wie es laufen sollte und auch laufen kann. Und da gibt es doch die „3+2“-Regelung, wird der eine oder andere anmerken.

Diese Regelung besagt, dass ein Flüchtling, der eine Ausbildung in Deutschland begonnen hat und die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt, auch dann die Ausbildung abschließen und eine zweijährige Anschlussbeschäftigung ausüben kann, wenn sein Asylantrag abgelehnt wird. Unabdingbare Voraussetzung dafür ist ein Ausbildungsvertrag, erfahren wir beispielsweise in diesen Erläuterungen. Dort findet man dann auch diesen Hinweis: »Für die Prüfung, ob die 3+2-Regelung zum Tragen kommt, sind die Ausländerbehörden zuständig.« Was aber in der Realität bedeutet, dass das ganz unterschiedlich geprüft und entschieden werden kann, je nach Ausländerbehörde. Was immer wieder beklagt wird.

Der Fall von Reza Rezai gestaltet sich kompliziert, folgt man der zitierten Berichterstattung. Hätte Reza seinen Antrag auf Ausbildungsduldung vor Beginn der Lehre zum Facharbeiter für Hochbau gestellt, sähe Rezas Welt heute anders aus – vielleicht.  Weil man das auch nicht vorhersagen kann. Aber der eigentliche Punkt ist ein Konstrukt, dem wir schon bei der neuen Entscheidung des Bundessozialgerichts begegnet sind im Fall des Kameruners: die (nicht erfüllte) Mitwirkungspflicht. Denn der eigentliche Asylantrag ist ja abgelehnt worden und Reza Rezai müsste zurück nach Afghanistan – und noch gilt das als „sicheres Herkunftsland“. »Die Abschiebungen – sie sind nur ausgesetzt. Denn Attentat folgt derzeit auf Attentat. Allein in der ersten Hälfte dieses Jahres sind bei Anschlägen nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 1.660 Menschen ums Leben gekommen, rund 3.600 wurden verletzt.«

Davon abgesehen, dass derzeit gar nicht abgeschoben wird, argumentiert der Landkreis anders: Reza Rezai sei angeblich seiner Mitwirkungspflicht bei der Beschaffung seiner Papiere nicht nachgekommen.

»In der von der Botschaft erstellten Bescheinigung sei weder zu erkennen, ob Reza Dokumente beantragt habe noch ob für ihn eine Möglichkeit bestehe, einen Pass zu erhalten. Deshalb dürfe eine Ausbildungsduldung nicht erteilt werden – „die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen können aus Gründen, die Reza selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden.“ Übersetzt heißt das: Reza kann nicht abgeschoben werden, weil er keine Papiere hat.«

Auf der anderen Seite: »Wegen seiner Integrationsbemühungen sei indes von der Aussprache eines sonst erforderlichen Beschäftigungsverbotes zunächst abgesehen worden.« Und nun hat er sich nicht nur bemüht, sondern tatsächlich auch nachweisbar geliefert. Sogar mit hervorragenden Ergebnissen.

Was mit diesem Beispiel – und man könnte viele weitere, von denen berichtet wird, hinzufügen – erkennen kann: So einfach ist das gar nicht mit den Regelungen und auch die „Mitwirkungspflicht“ kann mal in dem einen oder anderen Licht erscheinen, wenn man genauer hinschaut. Wie dem auch immer sei – bei der Frage der Abschiebungen hat man es mit einem höchst explosiven Thema zu tun. Auf der einen Seite wird immer wieder berichtet über Fälle, bei denen nicht abgeschoben wird oder werden kann, auch wenn es sich um Kriminelle handelt, auf der anderen Seite werden gefühlt oftmals die wirklich abgeschoben, die man leicht erwischen kann und die dann auch oft noch mittlerweile gut integriert sind, was auch wieder großes Unverständnis bei vielen Bürgern hervorruft.

Man muss also, auch wenn das unangenehm ist, genau und differenziert hinschauen. Zugleich zeigt sich an diesem Beispiel, wie wichtig einfache und klare und eindeutige rechtliche Regelungen sind und vor allem wären, weil es sie derzeit nicht gibt bzw. den Behörden vor Ort sehr weite Auslegungsspielräume eröffnen, die mal so, mal anders genutzt werden.

Abschließend wieder zurück zu dem primär wahlkampfbezogenen Vorstoß des Bundesinnenministers hinsichtlich einer Absenkung der Leistungen (und einer Ausdünnung des Rechtsschutzes) für alle Asylbewerber. Das wird es der bestehenden Rechtsprechung nicht geben können – aber der Minister steht auch international gesehen nicht allein mit dem grundsätzlichen Absicht, die Leistungen für bestimmte Personengruppen gezeigt abzusenken, um darüber Abschreckungseffekte zu erzielen. Man sollte sich aber immer darüber bewusst sein, dass man in der Regel „ganz unten“ anfängt, um sich dann „nach oben“ vorzuarbeiten.

Ein Beispiel für diese Diskussion kann man derzeit in Österreich besichtigen, wo ja auch demnächst gewählt wird und wo mit Sebastian Kurz ein Politiker die ÖVP gekapert und zu einem auf sich bezogenen Wahlverein transformiert hat, der zugleich durch Forderungen auffällt, die in dem hier interessierenden Kontext passen: Kurz will auch EU-Ausländern Sozialleistungen streichen, so ist einer der vielen Artikel überschrieben: »Zuwanderer sollen erst nach fünf Jahren Zugang zum Sozialsystem erhalten, Flüchtlingen soll die Mindestsicherung gekürzt werden«, so kann man das zusammenfassen, was dem noch jungen Mann da vorschwebt.
Er plädiert für eine österreichweit einheitliche Regelung der Mindestsicherung – die bislang übrigens am Widerstand der ÖVP-regierten Bundesländer gescheitert ist, also aus seiner eigenen Partei heraus. »Die Mindestsicherung für eine Bedarfsgemeinschaft soll dabei auf maximal 1.500 Euro begrenzt werden. So weit wie möglich soll der Fokus bei der Mindestsicherung auf Sachleistungen liegen. Bei Arbeitsverweigerung oder Schwarzarbeit sieht das ÖVP-Wahlprogramm erst ein intensives Coaching und dann signifikante Kürzungen der Sozialleistungen vor.«

Und auch die Zuwanderung von EU-Bürgern ist im Visier des Kandidaten: »Radikal ist das Programm in Bezug auf EU-Ausländer: Für Zuwanderer aus der Europäischen Union ist eine Streichung von Sozialleistungen vorgesehen, damit soll die Zuwanderung ins Sozialsystem gestoppt werden. Für Ausländer soll der Zugang zu Sozialleistungen in Österreich grundsätzlich erst nach fünf Jahren Aufenthalt möglich sein.«

Mit Blick auf die Asylbewerber kann man dem Wahlprogramm entnehmen:

»Für Asyl- bzw. subsidiär Schutzberechtigte soll es in den ersten fünf Jahren eine „Mindestsicherung light“ geben, diese beträgt 560 Euro pro Einzelperson und setzt sich aus 365 Euro Grundversorgung, 155 Euro Integrationsbonus und 40 Euro Taschengeld zusammen – geknüpft ist der Bezug allerdings an das Erreichen von Integrationszielen. Einen Übergang in die reguläre Mindestsicherung soll es nur geben, wenn in den ersten fünf Jahren eine reguläre Vollzeitbeschäftigung für mindestens zwölf Monate nachgewiesen werden kann.«

Man kann sich vorstellen, wie man die Sozialleistungen weiter differenzieren und kleinhäckseln könnte, wenn man mit so einem Ansatz wirklich weiterkommt.

Für Deutschland kann man zum jetzigen Zeitpunkt nur festhalten, dass es die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gibt, die einem solchen Ansinnen – noch – Widerstand entgegensetzen würde. Aber was ist schon sicher in den heutigen Zeiten?

Armutsrenten: Wenn vorleistungsabhängige Renten und vorleistungsunabhängige Grundsicherung immer mehr verschmelzen. Und was das (auch) mit dem Rentenniveau zu tun hat

Winfried Schmähl war viele Jahre Vorsitzender des Sozialbeirats der Bundesregierung und ist einer der wenigen wirklichen Rentenexperten. Die man vor allem dann erkennen kann, wenn sie aufgrund der Durchdringung der zugegeben komplizierten Systeme in unserer sozialpolitischer Landschaft frühzeitig den Finger auf Entwicklungen und deren nicht gutes Ende legen, wenn viele noch gar nicht sehen, was da wie und wo auf die Schiene gesetzt wird. Und Schmähl war ein frühzeitiger Warner vor den Folgen von Systemveränderungen in der Gesetzlichen Rentenversicherung.

Im Jahr 2012 begann Winfried Schmähl einen Beitrag für die Zeitschrift „Wirtschaftsdienst“ mit diesen kompakten Worten: »Bei ihrer Gründung 1889 dominierte in der Gesetzlichen Rentenversicherung das Ziel, Armut bei Invalidität und im Alter zu lindern. Dies wurde erst 1957 mit der großen Rentenreform anders. Seitdem dienen Renten nicht mehr nur als Zuschuss zur Finanzierung des Lebensunterhalts, sondern als Lohnersatz. Seit der Jahrtausendwende haben verschiedene Reformen den Weg zurück zur Rente als Zuschuss vorgezeichnet.« Dieser Hauptthese folgend ist der Beitrag dann auch zutreffend überschrieben mit: Von der Rente als Zuschuss zum Lebensunterhalt zur „Zuschuss-Rente“. Und er hat bereits damals auf einen Sachverhalt hingewiesen, der uns in der aktuellen rentenpolitischen Diskussion bewegt bzw. bewegen sollte. 

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