Welches Medizinstudium soll es sein? Und wie viele sollen das machen (dürfen)? Zum „Masterplan Medizinstudium 2020“ in Zeiten der Mangels und des Überschusses

Es sind auf den ersten Blick widersprüchliche Zahlen, die einem hinsichtlich der ärztlichen Versorgung präsentiert werden: Auf der einen Seite wird darauf hingewiesen, dass die Zahl der berufstätigen Ärzte noch nie so hoch war wie heute – wie kann man da von einem „Ärztemangel“ sprechen? Auf der anderen Seite klagen zahlreichen Krankenhäuser über massive Probleme, ihre offenen Stellen besetzen zu können. Auch aus dem Bereich der niedergelassenen Ärzte kommen entsprechende Mangel-Anzeigen, viele Praxisinhaber, die derzeit in den Ruhestand gehen (wollen), finden keine Nachfolger, vor allem in den ländlichen und kleinstädtischen Regionen. Die Zahl der ärztlich tätigen Mediziner ist im vergangenen Jahr um 2,2 Prozent auf 365.247 weiter angestiegen – und gleichzeitig wird teilweise der Zusammenbruch der ärztlichen Versorgung an die Wand gemalt. Wie immer im Leben muss man differenzierter hinschauen. Denn es geht hier nicht nur um Quantitäten. Es gibt bekanntlich nicht „die“ Ärzte, sondern neben der Frage, ob wir über den Bereich Krankenhäuser oder niedergelassene Kassenärzte sprechen, muss man natürlich auch die Fachrichtung berücksichtigen, also nicht nur die große Trennlinie zwischen Haus- und Fachärzte, sondern darüber hinaus die teilweise erhebliche Spezialisierung innerhalb der fachärztlichen Strukturen.

Auf all das vorbereiten und zugleich den Nachschub liefern soll das Medizinstudium. Das ist die notwendig zu erwerbende Eintrittskarte in die Welt der ärztlichen Versorgung und nicht nur deshalb ein Schlüsselthema für die zukünftige Gesundheitsversorgung der Menschen, denn neben der Tatsache, dass Ärzte dieses Studium absolviert haben müssen, hat man auch zur Kenntnis zu nehmen, dass die gesundheitliche Versorgung in Deutschland immer noch und durchaus abweichend von der Situation in anderen Ländern extrem arztzentriert ist, man muss hinsichtlich der Kompetenzen und Funktionen von einer pyramidalen Struktur sprechen mit den Ärzten an der Spitze und zahlreichen „Heil- und Hilfsberufen“ unter der Ebene der Ärzte, die gleichsam als Zulieferer bzw. Erlediger der vom Arzt angeordneten Maßnahmen zu fungieren haben. 

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Eine fundamentale Frage: Ist ein Krankenhaus ein kommerzielles Unternehmen oder kann das Gemeinwohl Zuschüsse notwendig machen, die das EU-Wettbewerbsrecht nichts angehen?

Wenn man die Menschen auf der Straße danach befragen würde, ob sie es für gerechtfertigt oder gar für anstrebenswert halten, dass man mit Krankenhäusern Gewinne machen kann bzw. gar muss, dann wird – vielleicht nicht mehr so eindeutig viele wie noch vor ein paar Jahren aufgrund der Ökonomisierung auch des Denkens – die Mehrheit mit einem Nein antworten. Und wenn man die Frage stellt, ob eine Bezuschussung der Verluste eines Krankenhauses gerechtfertigt sind, dann werden viele mit ja antworten, gerade wenn und weil sie davon ausgehen, dass die Kliniken dem Gemeinwohl und damit dem Bürger sehr unmittelbar verpflichtet sind. Nun wissen alle, dass sich die Krankenhauslandschaft seit langem verändert – auch, vielleicht gerade dieser Bereich wurde und wird einer umfassenden Ökonomisierung unterworfen. Das macht sich nicht nur, aber eben auch fest an den gewaltigen Verschiebungen hinsichtlich der Trägerschaft der Krankenhäuser.

Seit Beginn der 1990er Jahren sind wir Zeugen eines stetigen Niedergangs der öffentlichen, also kommunalen Trägerschaft von Krankenhäusern – deren Zahl hat erheblich abgenommen, spiegelbildlich müssen wir eine massive Ausbreitung privater, auf Gewinn ausgerichteter Krankenhausträger zur Kenntnis nehmen (vgl. dazu auch den Blog-Beitrag Wenn aus einem bislang städtischen Krankenhaus ein kirchliches wird und eine der ersten Amtshandlungen aus der Abschaltung von Betriebsrat und Tarifbindung besteht. Wieder einmal die Kirchen und ihr Sonderrecht vom 17. Märt 2016). An der Börse notierten Krankenhausbetreibern werden regelmäßig rosige Zukünfte bescheinigt. Dass eine Klinik zuallererst eine existenzielle Aufgabe hat und wenn, dann in einem zweiten oder dritten Schritt die Frage nach den Kosten und deren Finanzierung von Relevanz sein sollte, diese über lange Jahre gepflegte und durchaus begründbare Hierarchie hat sich im Zuge der Ökonomisierung des Gesundheitswesens sukzessive wenn nicht aufgelöst, so dann doch auf alle Fälle an Gewicht verloren.

Diese grundsätzlichen Aspekte bilden den Hintergrund eines konkreten Rechtsstreits, der bis vor den Bundesgerichtshof getrieben wurde. Un der hat sich nun mit einer Pressemitteilung ein neues Urteil betreffend an die Öffentlichkeit gewandt: Bundesgerichtshof zur Notifizierungspflicht von Zuwendungen eines Landkreises an eine Kreisklinik bei der Europäischen Kommission, so ist die sperrig daherkommend überschrieben.

Bei der vom BGH zu entscheidenden Frage ging es darum, unter welchen Voraussetzungen Zuwendungen eines Landkreises an ein öffentliches Krankenhaus von der Pflicht zur Anmeldung bei der Europäischen Kommission befreit sind. Offensichtlich geht es hier um eine ganz große, weil europarechtliche Nummer an einem Beispiel aus der südwestdeutschen Provinz. Schauen wir uns den zu verhandelten Sachverhalt einmal genauer an:

»Der Kläger ist der Bundesverband Deutscher Privatkliniken, der mehr als 1.000 private Krankenhäuser vertritt. Der Beklagte, der Landkreis Calw, ist Gesellschafter der Kreiskliniken Calw gGmbH, die Krankenhäuser in Calw und Nagold betreibt. Diese Kreiskrankenhäuser sind in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg aufgenommen und vom Beklagten … mit der Erbringung medizinischer Versorgungsleistungen als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut worden.
Nachdem der Jahresabschluss der Kreiskliniken Calw für das Jahr 2011 einen Fehlbetrag von mehr als 3 Millionen Euro und derjenige für das Jahr 2012 einen Fehlbetrag von mehr als 6 Millionen Euro ausgewiesen hatten, fasste der Kreistag des Beklagten im Jahr 2012 den Beschluss, die Verluste der Kreiskliniken für die Jahre 2012 bis 2016 auszugleichen. Außerdem gewährte er in den Jahren 2010 bis 2012 den Kreiskliniken Ausfallbürgschaften zur Absicherung von Investitionsdarlehen, ohne hierfür Avalzinsen zu verlangen, und Investitionszuschüsse.«

Der Kläger, also die Interessenvertretung der Privatkliniken, sieht in den Zuwendungen des Beklagten an die Kreiskliniken Calw staatliche Beihilfen, die mangels Anmeldung (Notifizierung) bei der Kommission rechtswidrig seien. Er hat den Beklagten auf Unterlassung des Verlustausgleichs für die Jahre 2012 bis 2016, der Übernahme von Bürgschaften und der Gewährung von Investitionszuschüssen verklagt.

Der Beklagte, also der Landkreis Calw, hat eingewandt, die Zuwendungen seien nicht notifizierungspflichtig, weil sie dem Ausgleich von Kosten für die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse dienten, mit denen er die Kreiskliniken betraut habe.

Man kann die grundsätzliche Frage auch so auf den Punkt bringen, wie es die IVKK (Interessenvertretung kommunaler Krankenhäuser) auf ihrer Facebook-Seite so gepostet hat: »Ist ein Krankenhaus ein kommerzielles Unternehmen, dass sich wettbewerbsrechtlichen Verhaltensregeln unterwerfen muss, oder sind Kliniken Institutionen der Daseinsvorsorge, die nach anderen Maßstäben zu behandeln sind?«

Man muss wissen, dass der Kläger, also die Privatkliniken, in zwei Instanzen vor dem BGH gescheitert sind mit ihrem Begehren. Dazu der BGH:

»Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob die Zuwendungen des Beklagten an die Kreiskliniken staatliche Beihilfen darstellen. Selbst wenn dies der Fall wäre, verstießen sie nicht gegen das Verbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV, staatliche Beihilfen ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission zu gewähren. Die Zuwendungen seien gemäß Art. 106 Abs. 2 AEUV für die Erbringung von Dienstleistungen im allgemeinen Interesse erforderlich und deshalb nach der Freistellungsentscheidung 2005/842/EG der Kommission von der Notifizierungspflicht befreit.«

Und wie hat nun der BGH entschieden?

Wie immer in solchen Fällen muss man das Juristendeutsch dechiffrieren:

»Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Klägers die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, soweit sich der Kläger gegen den Ausgleich der Verluste der Kreiskliniken für die Jahre 2012 und 2013 wendet, und im Übrigen die Revision zurückgewiesen.«

Also grundsätzlich sagt der BGH, dass solche Zuschüsse in Ordnung sind und nicht angemeldet werden müssen bei der EU-Kommission – wenn denn die Leistungen, für die Zuschüsse gewährt werden, genau bzw. genauer beschrieben werden. Oder anders formuliert:

»Aufatmen bei den Städten und Kreisen: Die kommunalen Zuschüsse für ihre Kliniken sind grundsätzlich zulässig. Doch auch die private Konkurrenz kann sich teils bestätigt sehen. Der BGH stellt Bedingungen«, so die Interpretation in dem Artikel Kommunale Zuschüsse unter Bedingungen zulässig: »Die gängige Bezuschussung finanziell angeschlagener Kliniken von Städten und Kreisen ist nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) grundsätzlich nicht zu beanstanden – Voraussetzung ist aber, dass zuvor allgemein festgelegt wurde, für welche Leistungen Zuschüsse erteilt werden. Wenn das transparent genug erfolgt ist, müssen die Zuschüsse nicht bei der EU angemeldet werden.«

Oder in den Worten des BGH: »Die Leistungen des Beklagten dienen der Aufrechterhaltung des Betriebs der defizitär arbeitenden Krankenhäuser Calw und Nagold. Bei den medizinischen Versorgungsleistungen der Kreiskrankenhäuser handelt es sich um Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse. Aus der Aufnahme der Krankenhäuser Calw und Nagold in den Krankenhausplan ergibt sich, dass ihr Betrieb zur bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung notwendig ist.«

»Der Calwer Landrat Helmut Riegger (CDU) hatte darauf verwiesen, dass ohne die Finanzspritze die Krankenhausversorgung gerade im ländlichen Raum gefährdet wäre. Im Gegensatz zu Privatklinken müssten Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft eine ortsnahe und hochwertige Notfallversorgung rund um die Uhr über das ganze Jahr garantieren. „Wir können uns nicht die Rosinen herauspicken“, so der Landrat beim BGH«, so der Artikel in der Online-Ausgabe der Stuttgarter Nachrichten.

Fazit: Grundsätzlich sind die Zuschüsse der öffentlichen Hand an die öffentlichen Kliniken zulässig in dem Sinne, dass sie nicht bei der EU angezeigt werden müssen, im konkreten Fall wurde aber eine Rücküberweisung an das OLG Stuttgart zur Abklärung bestimmter Zuschüsse festgestellt, denn »der Kreis hätte zuvor festlegen müssen, für welche Leistungen er seinen Kliniken Zuschüsse zahlt. Weil er das in der Vergangenheit teilweise versäumt habe, verweisen die höchsten deutschen Zivilrichter den Fall zurück an das Oberlandesgericht Stuttgart.«

Damit haben wir erneut eine Situation des „Nicht Fisch-Nicht Fleisch“, denn zu wünschen gewesen wäre eine klare Entscheidung nach diesem Muster:

Die »Europäische Union (und das Recht, welches sie schafft) darf nach Feststellung des Bundesverfassungsgerichts (Lissabon-Urteil) nicht in die Kernbereiche der grundgesetzlichen Ordnung eingreifen, wozu die Sozialstaatsgarantie und auch die Unantastbarkeit der Menschenwürde zählt. Beides ist aber berührt, wenn ein Krankenhaus wie ein kommerzieller Betrieb geführt und reglementiert werden würde. Denn die menschliche Gesundheit ist untrennbar mit der Menschenwürde verbunden. Eine Herabstufung zum kommerziellen Produktionsfaktor in einem Wirtschaftsunternehmen wäre ein Verstoß gegen den Artikel 1 des Grundgesetzes. Sagt … der ehemalige Richter des Bundesverfassungsgerichtes, Siegfried Broß.«

Und das es hier bei der Frage der Zulässigkeit kommunaler Subventionierung der Aufrechterhaltung einer ordentlichen Krankenhausversorgung keineswegs um einen Einzelfall handelt und mit Blick auf die Zukunft handeln wird, verdeutlicht dieser Artikel: Krankenhäuser im Südwesten stehen vor schwerer Zukunft:

„Mehr als zwei Drittel der größten regionalen Krankenhausverbünde in Baden-Württemberg sind defizitär“, sagt Peter Magunia, Leiter des Healthcare Bereichs von Roland Berger. Insgesamt hätten 2014 mehr als die Hälfte der landesweit 270 Kliniken rote Zahlen geschrieben. Roland Berger kommt bei der Addition der Defizite allein der größten Klinikverbünde auf 125 Millionen Euro … 97 der 270 Häuser sind in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft, sodass die Defizite unmittelbar die kommunalen Haushalte belasten.

Die einen hadern mit der lahmen Anerkennungsbürokratie, die anderen warnen vor „zu vielen“ – und beide müssen sich Fragen gefallen lassen. Es geht um ausländische Ärzte in Deutschland

So ist das bei allen sozialpolitischen Themen. Auch wenn sie nur punktuell mal aufschimmern in der öffentlichen Wahrnehmung oder es gar für einige Tage bis in die Talkshows schaffen – danach verschwinden die meisten in der Versenkung und der nicht professionell damit beschäftigte oder inhaltlich selbst betroffene Mensch könnte zu dem Eindruck gelangen, das Thema ist weg, hat sich erledigt, ist gelöst oder auf sonstige Art und Weise erledigt worden.
Dem ist aber meistens nicht so. Sondern der Mantel des Schweigens hat sich über die Angelegenheit gelegt (bzw. wurde gelegt). Bis es wieder eine Gelegenheit gibt, sich daran zu erinnern, dass da doch mal was war.

Auch in diesem Blog kann man nur auf den ersten Blick erstaunliche Wiederholungen bestimmter Themen nachvollziehen, wenn man denn will. Aber in unserer schnelllebigen Zeit ist es auch die Pflicht der Medien und damit der Berichterstatter, immer wieder nachzuschauen, was denn aus einer Sache geworden ist. Insofern passen aktuelle Meldungen zu einem Beitrag, der hier vor fast einem Jahr, am 27. April 2015, unter der Überschrift Ärztemangel und Ärzteimport: Immer mehr und doch zu wenig. Und dann das Kreuz mit der deutschen Sprache veröffentlicht worden ist. Der damalige Beitrag wurde beendet mit dieser Feststellung: » … wenn man irgendwann feststellen sollte, dass man zu wenig Mediziner ausgebildet hat, dann wird man das nicht per Knopfdruck heilen können. So eine Ausbildung muss organisiert werden und sie dauert einige Jahre.« Und genau daran könnte man anknüpfen, wenn man aktuelle Berichte aus der Krankenversorgungswelt zur Kenntnis nimmt – zugleich Artikel, die den medaillenhaften Charakter vieler sozialpolitischen Themen verdeutlichen können, in dem Sinne, dass eine Medaille immer zwei Seiten hat. 

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