Die „echten Helden unserer Leistungsgesellschaft“ dürfen sich freuen. Alleinerziehende werden steuerlich entlastet. Über ein dann letztendlich doch nur kümmerliches Kümmern

Im Jahr 2013 gab es in Deutschland knapp  8,1 Millionen Familien mit minderjährigen Kindern. In diesen Familien lebten insgesamt 18,6 Millionen Kinder, darunter knapp 13 Millionen Kinder unter 18 Jahren. Trotz der rückläufigen Entwicklung traditioneller Familien waren im Jahr 2013 die Ehepaare mit minderjährigen Kindern mit 70 % die häufigste Familienform. Alleinerziehende Mütter und Väter machten 20 % der Familien mit Kindern unter 18 Jahren aus. Im Jahr 1996 hatten diese Anteile noch 81 % (Ehepaare) bzw. 14 % (Alleinerziehende) betragen. So kann man es beim Statistischen Bundesamt nachlesen. Wir reden also nicht von irgendeiner unbedeutenden Randgruppe, sondern davon, dass jede fünfte Familie aus einer Ein-Eltern-Familie besteht. Wir sprechen über 1,6 Millionen alleinerziehenden Mütter und Väter.

Nun gibt es nicht „die“ Familie und eben auch nicht „die“ Alleinerziehenden. Die sind genau so bunt wie das, was man als „herkömmliche“ Familien etikettieren würde. Und auch der Status Alleinerziehende ist nichts Festes, die einen sind das sehr lange, die anderen nur für eine kurze Zeit. Die einen sind richtig alleine, die anderen haben eine Partnerschaft, aber leben formal alleine mit ihrem Kind oder den Kindern.

Was man aber sagen kann bei aller Heterogenität – nicht immer, aber in einer erheblichen Größenordnung bedeutet die Realität der Alleinerziehenden ein manifestes Armutsrisiko. Die Zahlen sind hier leider eindeutig: Fast 40 Prozent der Alleinerziehenden benötigen staatliche Grundsicherung, befinden sich also im Hartz IV-System.

Und als vor kurzem die Große Koalition ihr „Familienpaket“ der Öffentlichkeit vorgestellt hat, da war die gerade seitens der SPD geforderte steuerliche Entlastung der Alleinerziehenden gar nicht enthalten, weil der Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) kein Cent für dieses Anliegen locker machen wollte aus dem allgemeinen Haushalt. Mit dem im parlamentarischen Verfahren befindlichen Gesetz zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags  sollen alle Leistungen rückwirkend zum 1. Januar 2015 angepasst werden. So soll das Kindergeld für dieses Jahr um vier und 2016 um weitere zwei Euro im Monat erhöht werden. Da haben sich schon ganz viele „normale“ Familien sicher ganz doll gefreut – vor allem die wohlhabenderen unter ihnen aufgrund der für sie relevanten Anhebung der Kinderfreibeträge. Und jetzt hat man, gleichsam in Vorwegnahme des Weihnachtsfestes mit seinen Bescherungen, auch ein Einsehen bei den Alleinerziehenden und will ihnen doch den einen oder anderen Euro zukommen lassen. Da muss offensichtlich ordentlich was bei rumkommen, wenn man solche Schlagzeilen zur Kenntnis nimmt: Bundesregierung will Alleinerziehende deutlich besser stellen, berichtet die Süddeutsche Zeitung und Spiegel Online schreibt schon etwas gedämpfter Koalition will Alleinerziehende stärker entlasten.

Und auf der semantischen Ebene überschlägt sich die Politik mit einem Anerkenntnis der oftmals schwierigen Lebenslage und der besonderen Leistungen, die von Alleinerziehenden erbracht werden müssen: So wird uns in einem Beschluss der beiden geschäftsführenden Fraktionsvorstände von Union und SPD zur Begründung für die nun beabsichtigte steuerliche Entlastung der Alleinerziehenden ausgeführt:

»… alleinerziehende Erwerbstätige würden „enorm viel“ leisten. Sie gingen „arbeiten, kümmern sich um ihren Nachwuchs und führen den Haushalt – was sich Elternpaare teilen können, schultern sie allein“. Alleinerziehende seien dabei überdurchschnittlich häufig erwerbstätig, sie verfügten im Schnitt jedoch über deutlich geringere Haushaltseinkommen als Paarfamilien und seien „überproportional von Armut betroffen“. Außerdem hätten erwerbstätige Alleinerziehende häufig hohe Kinderbetreuungskosten. Diese besondere Lebenssituation wolle die große Koalition jetzt „besser berücksichtigen“.

Und auch der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wird so zitiert:

»SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte am Donnerstag in Berlin, Alleinerziehende leisteten enorm viel für ihre Kinder und die Gesellschaft. „Es ist bitter notwendig und längst überfällig, ihnen mehr Unterstützung zukommen zu lassen.“«

Und die Steigerungsform von toll ist die Heldenbeschreibung des Fraktionschefs der Sozialdemokraten im Deutschen Bundestag, Thomas Oppermann, der so zitiert wird:

»SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte am Rande der Klausur in Göttingen: „Wir haben immer mehr Alleinerziehende in unserer Gesellschaft.“ Diese Personen hätten eine ganz besondere „Dreifachbelastung“. Neben der Arbeit müssten sie auch beide Elternrollen garantieren. „Deshalb sagen wir, das sind echte Helden unserer Leistungsgesellschaft.“

Da wird es jetzt aber Zeit, einmal genauer hinzuschauen, was denn nun auf die Alleinerziehenden, also die echten Helden unserer Leistungsgesellschaft nach der Oppermann’schen Terminologie, zukommen soll. Man habe sich darauf verständigt, dass der Entlastungsbetrag um 600 Euro auf 1.908 Euro erhöht werden soll. Und oben gibt es auch was dazu: Der Entlastungsbetrag soll künftig auch nach der Zahl der Kinder gestaffelt werden. Für jedes weitere Kind erhöht sich der Basisbetrag von 1.908 Euro um jeweils 240 Euro. Das hört sich ordentlich an.

In einer ersten kritischen Anwandlung darf und muss man darauf hinweisen, dass der derzeitige steuerliche Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in Höhe von 1.308 Euro pro Jahr seit seiner Einführung im Jahr 2004 nie angepasst worden ist. Er ist bis heute, 2015, eingefroren auf dem damaligen Niveau. Kinderfreibetrag und Kindergeld wurden seitdem um mehr als 20 Prozent erhöht.

Der echte Berufsskeptiker wird sich vor dem Hintergrund der Tatsache, um wie viele Alleinerziehende es in unserem Land geht, in seiner an Versprechungen grundsätzlich erst einmal zweifelnden (bzw. verzweifelnden) Grundhaltung bestätigt fühlen, wenn er herausfindet, um welches Finanzvolumen es hier geht: »Die Besserstellung der rund 1,6 Millionen alleinerziehenden Mütter und Väter wird rund 80 Millionen Euro im Jahr kosten«, so Spiegel Online in einem Artikel über den neuen großkoalitionären Beschluss. Das wären ja, umgelegt auf die Alleinerziehenden insgesamt, 50 Euro. Pro Jahr. Was aber nicht stimmt, wir wollen wenigstens hier korrekt mit den Zahlen hantieren, denn es handelt sich um eine steuerrechtliche Maßnahme und da ist der Bund nur einer der Beteiligten. So ist das auch hier, denn die 80 Mio. Euro beziehen sich nur auf das, was der Bund aufbringen muss. Berücksichtigt man die anderen Ebenen unseres föderalen Systems, dann belaufen sich die Gesamtkosten geschätzt auf etwa 200 Mio. Euro, was dann stolze 125 Euro pro Jahr und echtem Held unserer Leistungsgesellschaft, also Alleinerziehende, wären.

„Es geht hier nicht um Milliarden, sondern um 80 Millionen. Die Ministerien werden eine Lösung finden“, so wird denn auch Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Allerdings bezogen auf die Frage, die die Buchhalter sofort aufwerfen, wo denn das Geld (also das Bundesgeld) – ob nun wenig oder viel – herkommt. Und hier werden wir – trotz der überschaubaren Summe, mit der hier hantiert wird – vertröstet, folgt man dem Beschluss zwischen Union und SPD: „Die notwendige Finanzierung aus dem Haushalt des Familienministeriums muss zwischen diesem und dem Finanzministerium vereinbart werden.“ Man achte auf die Formulierung: Klar ist eines: aus dem Haushalt des Bundesfamilienministeriums. Das war auch schon vorher die Forderung von Schäuble gewesen und Manuela Schwesig wollte das nur mit dem Geld, das für das „Betreuungsgeld“ vorgesehen ist, machen. Wir werden uns überraschen lassen.

Aber der hier wirklich entscheidende Punkt ist ein ganz anderer: Hinsichtlich einer Gesamtbewertung der beschlossenen Maßnahme trifft es diese Überschrift am besten: Nur kümmerliches Kümmern, so hat Falk Steiner im Deutschlandfunk seine Kommentierung betitelt. Und Steiner bringt es auf den Punkt:

»Denn mit der Erhöhung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende wird eines nicht einhergehen: wesentliche Veränderungen an der Situation jener, bei denen die Kasse tatsächlich zu knapp ist. Von finanziellen Wohltaten ist man meilenweit entfernt, bei den meisten Alleinerziehenden dürfte es sich am Ende um eine Steuerersparnis zwischen 100 und 200 Euro handeln – jährlich, wohlgemerkt. Und auch diese nur dann, wenn sie denn, nach Abzug aller Freibeträge, überhaupt über steuerpflichtiges Einkommen verfügen. Was gerade bei Alleinerziehenden mit Teilzeitjobs im unteren Einkommensbereich keineswegs selbstverständlich ist. Dort, wo das Geld von vornherein schon nicht reicht, ändert die nun so tapfer von der SPD vorgetragene Erfolgsmeldung zur Alleinerziehendenfreibetragserhöhung nichts.«

Ach ja, wie so oft in der Geschichte, kaum ist man zum Held erklärt worden, vergessen einen die Leute schon wieder, weil der nächste Held durchs Dorf getrieben wird.

Anything goes? Diese Sichtweise auf „Familie“ wird einigen sehr weh tun, spiegelt aber die Realität. Spannend ist die Frage, was man familienpolitisch daraus (nicht) macht

Bekanntlich ist die Familienpolitik in Deutschland ein vermintes Gelände. Kaum ein Politikbereich ist dermaßen ideologisch aufgeladen wie die Frage, was Familie eigentlich ist, geschweige denn, wie man „die“ Familien mit was genau fördern kann und soll. Das gewaltige Konfrontationspotenzial haben wir im vergangenen Jahr beispielsweise in der Debatte über den Ausbau der Kindertagesbetreuung für die unter dreijährigen Kinder sowie den erbitterten Streit um das Für und Wider des „Betreuungsgeldes“ erleben müssen. Vor diesem Hintergrund lässt die folgende Meldung aufhorchen:

»Ein Ehepaar mit Kindern ist eine Familie, so viel ist klar. Für die meisten Deutschen gelten aber auch andere Lebensentwürfe als „Familie“. Daher fordert nun ausgerechnet die Konrad-Adenauer-Stiftung von der Politik, keine Leitbilder mehr vorzugeben – und bricht so mit allem, was Konservativen heilig ist«, schreibt Ulrike Heidenreich in ihrem Artikel mit der überspitzenden Überschrift Vater/Mutter/Kind war gestern.

Es ist ohne Frage richtig, was Heidenreich postuliert: »… wie keine andere Partei ringen CSU und CDU um ein Familienleitbild. Um eine Richtlinie, eine ungefähre Umrahmung dessen, was in der Gesellschaft schon lange zum Leben gehört und das die christlich orientierten Anhänger nicht allzu sehr verstören soll.« Und damit steht die Union nicht alleine – man denke hier nur an die teilweise hanebüchen daherkommenden Klimmzüge der katholischen Kirche, mit ihren Moralvorstellungen auf einem Ozean des kirchenvorschriftswidrigen Verhaltens von 90 bis 99,1% der eigenen Mitglieder zu segeln. Aber auch in der anderen großen Kirche ist das ein ganz heißes Eisen, was die Verantwortlichen zu spüren bekommen haben, als sie den Versuch einer „Orientierungshilfe“ vorgelegt haben zum Thema Familie und zahlreiche Kritik an der angeblichen Untergewichtung der Ehe kassieren mussten (vgl. hierzu EKD: Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken. Eine Orientierungshilfe des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh, Juni 2013).

Insofern sind die Unionsparteien in „guter“ Gesellschaft. Nun aber gibt es – auf dem Papier, der Waffe derjenigen, die mit dem Wort arbeiten (müssen) – Bewegung: »Eine Expertise, die die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung … veröffentlicht, bricht mit so ziemlich allem, was konservativen Politikern bisher heilig war.« Das hört sich interessant an. Es geht um diese Publikation:

Norbert F. Schneider, Sabine Diabaté, Detlev Lück, Christine Henry-Huthmacher: Familienleitbilder in Deutschland. Ihre Wirkung auf Familiengründung und Familienentwicklung, Sankt Augustin: Konrad-Adenauer-Stiftung, 2014

Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) hat das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) beauftragt, die gegenwärtigen Familienbilder zu eruieren.  Dazu wurden 5.000 Personen im Alter zwischen 20 und 39 Jahren befragt. Zunächst einmal die für alle Traditionalisten wie aber auch Realisten beruhigende Botschaft: Nach wie vor bildet das verheiratete Ehepaar mit Kind bzw. Kindern das Referenzmodell, das zu 100 Prozent mit Familie identifiziert wird. Allerdings – die Studie hat ebenfalls zu Tage gefördert, dass die Menschen zu fast 90 Prozent auch homosexuelle Paare, Patchworkkombinationen oder Alleinerziehende mit dem Familienbegriff verbinden.

»Mit 97 Prozent Zustimmung genieße auch das unverheiratete Paar eine große Akzeptanz. Homosexuelle Paare (88 Prozent) mit eigenen Kindern würden etwas häufiger als Familie definiert als Patchworkfamilien (85 Prozent) oder als die alleinerziehende Mutter (82 Prozent).« (Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung kritisiert Familienpolitik)

Anders ausgedrückt: Die Vielfalt der Familienformen ist in der Bevölkerung nicht nur angekommen, sondern mittlerweile auch tief verankert. Da tut sich ein Teil der Politik wesentlich schwerer. Die Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung transportiert eine klare Botschaft: »Auseinandersetzungen mit „Kampfbegriffen wie Rabenmutter oder Heimchen am Herd“ sollten beendet, der „Familiendiskurs sollte entideologisiert“ werden.« Die Öffnung dessen, was man unter Familie versteht, ist das eine. Die Realität, in der die Menschen leben (müssen), ist eine andere, jedenfalls für viele. Beim Versuch, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, seien junge Frauen heutzutage so zerrissen wie nie zuvor. Auch Väter stünden unter steigendem Druck, zwischen den Erwartungen und den eigenen Ansprüchen der Familie gegenüber, was sich beispielsweise in der Nachfrage nach Elternzeit zumindestens ansatzweise Ausdruck verschafft, während sie auf der anderen Seite konfrontiert sind mit einer weiterhin beharrlich traditionell ausgerichteten Erwerbsarbeitswelt.

Bei der Analyse der Ursachen für die konstant niedrige Geburtenrate wird oftmals – so eine der Thesen in der vorliegenden Studie – der Aspekt vernachlässigt, was in den Köpfen der Betroffenen abläuft. Norbert Schneider, der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und einer der Autoren der Studie postuliert, dass es keine positiv besetzten Familienleitbilder in Deutschland gebe. Der klassischen Mutter und Ehefrau, die sich um die Kinder, den Haushalt und die Familie kümmert, »wird vorgehalten, dass sie es sich gut gehen lasse oder dass man sie gut ausgebildet habe und sie diese volkswirtschaftlichen Kosten nun verschwende.« Sie wird zunehmend in eine kaum oder gar nicht realisierbare Rechtfertigungsposition für ihr Rollenmodell geschoben. Aber auch ihr Pendant am anderen Ende des Spektrums, also die in Vollzeit berufstätige Mutter, die nach kurzer Unterbrechung ihre Erwerbsarbeit wieder aufnimmt, wird ebenfalls mit erheblichen Anfeindungen bzw. Infragestellungen ihrer Art und Weise zu leben konfrontiert: »Der Aussage „Ein Kleinkind leidet, wenn die Mutter berufstätig ist“ stimmen der Studie zufolge teils mehr als 60 Prozent der Befragten in … Westdeutschland zu. Im Osten Deutschlands sind es nur 34 Prozent«.
»Die oft kulturell vorgegebene Definition dessen, was ein „normales“, „richtiges“ oder „gutes“ Zusammenleben als Paar oder Familie sei, stelle vor allem an Mütter sehr hohe und kaum einzulösende Anforderungen, heißt es in der Studie. Dieser Umstand erschwere die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusätzlich und reduziere sowohl Frauenberufstätigkeit als auch die Bereitschaft zum Kinderkriegen in Deutschland«, kann man in einem anderen Artikel lesen.

Interessant und sicherlich einige Kontroversen innerhalb der Union auslösend wird es natürlich bei den familienpolitischen Schlussfolgerungen, die aus den in der Studie dokumentierten umfangreichen Ergebnissen der Befragungen hinsichtlich der Familienleitbilder abgeleitet werden – und in einigen Medien wird die Berichterstattung über die neue Studie auch nur auf diesen Aspekt verengt, beispielsweise in dem Artikel Konrad-Adenauer-Stiftung kritisiert Familienpolitik. Dort heißt es ziemlich knackig: »Eine Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung stellt der Koalition bei der Familienpolitik ein schlechtes Zeugnis aus – sie fordert Toleranz und rät von der „Hausfrauenehe“ als Vorbild ab.« Auch Heidenreich weist in ihrem Artikel auf die Kritik an der tradierten Familienpolitik, die man der Studie entnehmen kann, hin: »Die derzeitige Familienpolitik sei in hohem Maße zu einseitig an der Ehe orientiert, sie biete oft keine Hilfe bei durch Brüche gekennzeichneten Familienbiografien. Das alles sei nicht mehr zeitgemäß. So profitiert etwa eine kinderlose Ehe vom Ehegattensplittung, nicht aber die nicht eheliche Stieffamilie. Nachdem lange Zeit latent das klassische Bild der Hausfrauenehe bestimmend war, müssten nun Wege gefunden werden, die Wünsche von Vätern nach mehr Familienleben und jene von Müttern nach mehr Berufstätigkeit zu fördern.«

Diese aus der Studie entnommenen Diagnosen werden einigen in den Unionsparteien sicher nicht gefallen: Die Familienpolitik lässt keine strategische Ausrichtung erkennen. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt es wenig eindeutige und teilweise widersprüchlich Signale. Die Familienpolitik sei zersplittert. Kritisiert wird, dass wirtschaftliche Interessen deutlich vor denen der Familien stehen und das es an einem „unbedingten Willen“ mangelt, die Arbeitswelt familienfreundlicher zu gestalten.

Man darf an dieser Stelle gespannt sein, ob die neue Studie mit ihren vielen durchaus interessanten Ergebnissen und vor allem familienpolitischen Ableitungen neue Schneisen schlagen kann innerhalb der Unionsparteien. Schneisen in Richtung nicht nur auf ein realistisches Bild von dem, was heute Familie ist bzw. als solche auch wahrgenommen wird, sondern vor allem hinsichtlich einer an diesen vielgestaltigen Familienformen ausgerichteten vernünftigen Förderung vor allem derjenigen Familien, die dringend der Hilfestellung und der unterstützenden Infrastruktur bedürfen. Auf alle Fälle liefert die vorliegende Untersuchung reichlich Material für eine notwendige schrittweise Entideologisierung der zahlreichen Lebensformen, in denen Menschen leben und versuchen, sich durch die Wirklichkeit zu schlagen.

Vom (eigentlich frauenbewegten) „Muttertag“ diesseits und jenseits des Blumenhandels bis hin zu einem (vergifteten) Lobgesang auf die unbezahlte Hausarbeit

Die Ausgestaltung der Familienpolitik ist eine höchst umstrittene Angelegenheit und weitaus stärker als in anderen gesellschaftspolitischen Feldern prallen hier Ideologien aufeinander – man denke nur an die aufgeheizte Debatte über das Für und Wider einer frühen außerfamilialen Kinderbetreuung, die sich oft genug in einem Entweder-Oder verengt. Hier gibt es Parallelen zum „Muttertag“, der an jedem zweiten Sonntag im Mai eines Jahres abgehalten wird. Während die einen diesen „Feiertag“ mit Blumen und einem netten Frühstück für die Mutter, zuweilen aufgrund mobilitätsbedingter Abwesenheit auch vermittels eines Glückwünsche aussprechenden Telefonats würdigen, wenden sich die anderen voller Skepsis ab und verweisen wahlweise darauf, dass es sich um eine reine Kommerzveranstaltung zugunsten des Blumenhandels und/oder um eine Erfindung der Nationalsozialisten als PR-Veranstaltung für das deutsche „Mutterkreuz“ handelt. Beides enthält zwar im Kern eine Wahrheit, ist aber eine sehr grobe Verkürzung der Geschichte und Intention des „Muttertages“. So widersprüchlich ist das auch mit der angeblich sich immer stärker durchsetzenden Selbstverständlichkeit einer Erwerbstätigkeit der Frauen und einem dem sich in den Weg stellenden Lobgesang auf die unbezahlte Hausarbeit.

Wenn auch in diesem Beitrag ein kürzlich veröffentlichter „Lobgesang“ auf die unbezahlte Hausarbeit (der Frauen) im Mittelpunkt stehen soll, sei ein kurzer Rückblick auf die Entstehung und Umsetzung dessen, was heutzutage als „Muttertag“ begangen wird, erlaubt – kann man doch an diesem Beispiel erneut lernen, dass etwas oft mit einer bestimmten Absicht begonnen wird und im weiteren Verlauf der Dinge landet man dann ganz weit weg von den Intentionen dessen, was da ins Leben gerufen wurde.

Der Muttertag hat seinen Ursprung nicht in den Untiefen der nationalsozialistischen Mutterideologie und auch nicht in den Blumenläden auf der Suche nach neuen Absatzkanälen – sondern in der amerikanischen Frauenbewegung. Ann Maria Reeves Jarvis (1832-1905) versuchte im Jahr 1865, eine Mütterbewegung namens Mothers Friendships Day zu gründen und sie organisierte Mothers Day Meetings, wo sich die Frauen austauschen konnten. Als Begründerin des heutigen Muttertags gilt jedoch Anna Marie Jarvis (1864-1948), die Tochter von Ann Maria Reeves Jarvis. In ihrem 2008 veröffentlichten Beitrag Die Muttertagsmaschinerie schreibt Sandra Kegel zu dieser Frau (und ihrer Mutter):

»Begonnen hat alles mit dem Einsatz der unverheirateten und kinderlosen Lehrerin, die im Hause ihrer Eltern lebt, für die Rechte der Frauen, die ihrer Ansicht nach unterdrückt werden, etwa, weil sie nicht wählen dürfen. Unterstützt wird Anna Jarvis von ihrer Mutter Ann, die ebenfalls politisch aktiv ist und im Jahr 1858 die Vereinigung „Mother’s Work Days“ gründet, um gegen hohe Kindersterblichkeit und für bessere sanitäre Anlagen zu kämpfen. Während des amerikanischen Bürgerkriegs mobilisiert sie Geschlechtsgenossinnen und kümmert sich mit ihnen um die Verwundeten auf beiden Seiten sowie um die Annäherung der verfeindeten Lager.«

Frauen- und Friedensbewegung. Das sind also die Quellen dessen, was wir als „Muttertag“ besprechen. Als die Mutter 1905 starb, kam ihrer Tochter Anna der folgenreiche Gedanke, einmal im Jahr nicht nur an das Werk der eigenen, sondern aller Mütter zu erinnern. Und wichtig in diesem Entstehungskontext: »Was ihr vorschwebt, ist nicht die Würdigung eines Mutterbilds von edler Einfalt, stiller Größe und nimmermüder Opferbereitschaft. Der Tochter eines Methodistenpfarrers ist es um die soziale und politische Rolle von Frauen in der Gesellschaft zu tun«, so Kegel in ihrem Artikel. Aus diesem Impuls entwickelte sich eine Bewegung, die dazu geführt hat, dass 1914 der „Muttertag“ erstmals als offizieller Feiertag in den USA begangen werden konnte. Und jetzt passierte, was man in vielen anderen Beispielfällen auch immer wieder erleben muss – das kapitalistische System zeichnet sich aus durch eine unglaubliche Kapazität der „Landnahme“ solcher Dinge, die ursprünglich eine ganz andere Intention verfolgen wollten als denn die Steigerung der Absatzzahlen irgendwelcher „Merchandising“-Produkte in diesem Fall rund um einen Feiertag. Aber die Kommerzialisierung des „Muttertages“ war unaufhaltsam – und sie bzw. die kommerziellen Potenziale waren der Auslöser für die Übernahme in Deutschland. Diese wurde allerdings vermengt mit einer ganz anderen ideologischen Ummantelung des Themas als in den Anfängen in den USA.

Sandra Kegel schreibt zum Import der Muttertagsidee nach Deutschland: »In Deutschland ist es ein gewisser Rudolf Knauer, der 1922, als er aus Amerika von der Idee erfährt, begeistert mit Vortragsreisen durchs Land zieht und für eine solche Feier zu Ehren „der stillen Heldinnen unseres Volkes“ wirbt. Knauer aber handelt nicht als treusorgender Ehemann und Sohn, sondern als Beauftragter des Verbands Deutscher Blumengeschäftsinhaber, dessen Vorsitzender er 1923 wird – in jenem Jahr also, in dem die Inflation in Deutschland ihren Höhepunkt erreicht.« Da sind sie also schon, die Blumenhändler. Es ist spannend, wenn man den Ausführungen von Kegel folgt, denn wir sehen hier ein frühes Fallbeispiel moderner PR-Arbeit:

»Knauer wendet für seine Blumenoffensive geschickt eine PR-Strategie an, die man heute social marketing nennen würde: In der Verbandszeitung fordert er die Blumenhändler auf, „irgendeine gemeinnützige Gesellschaft“ als „neutrale Stelle“ zu finden, um den Muttertag aus Amerika zu importieren: „Ein zu starkes Hervortreten der Blumengeschäftsinhaber in Deutschland wäre einer baldigen Einführung nicht zum Vorteil“, warnt der Blumenlobbyist. Die „neutrale Stelle“ ist im Jahr 1925 gefunden: Die „Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundung“ – ein Dachverband konservativ bis völkisch orientierter Vereine, in dem sich Alkoholgegner ebenso organisieren wie der Reichsbund der Kinderreichen, die kirchlichen Frauenverbände und Sittlichkeitsvereine „zur Bekämpfung von Schmutz und Schund“ – nimmt das Ansinnen Rudolf Knauers nur zu gern auf. Denn dieses Umfeld sieht die Mutterschaft als wahre Berufung der Frau und geißelt weibliche Berufstätigkeit, genauso wie die immer populärer werdende Emanzipationsbewegung.«

Vor diesem spezifischen Entstehungshintergrund der Übernahme des „Muttertages“ in Deutschland ist zum einen die hervorragende Kompatibilität für die nationalsozialistische Ideologie verständlich (bereits 1933 wurde der Muttertag von den Nazis zum öffentlichen Feiertag erklärt und erstmals am 3. Maisonntag 1934 als „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ verankert) wie auch die bis heute immer wieder mitlaufende ideologische Ablehnung des Muttertages als ein Symboltag für ein bestimmtes Frauenbild. Anfang der fünfziger Jahre wird der Muttertag wiederbelebt, allerdings nur in der Bundesrepublik; die DDR, wo er als westlich-reaktionär verschrien ist, ersetzt ihn durch den „Internationalen Frauentag“ am 8. März.
Eine bittere Abrundung des Rückblicks auf Entstehung und Entfaltung des „Muttertages“ sei an dieser Stelle aus dem lesenswerten Artikel von Sandra Kegel geliefert:

»„I wanted it to be a day of sentiment, not profit“, zürnte Anna Jarvis, die einen Gedenk- nicht einen Geschenktag gewollt hatte und gegen die Blumenindustrie zahllose Prozesse führte.
Ihr Versuch, das ideelle Ereignis vor der Kommerzialisierung zu bewahren, blieb freilich erfolglos. Am Ende verlor Anna Jarvis in dem aussichtslosen Feldzug ihr gesamtes Vermögen und starb 1948 in einem Altenheim, arm und vergessen. Sie hat nie erfahren, dass die Kosten für ihren Aufenthalt dort ebenjene übernahmen, die sie die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens erbittert bekämpft hatte, und die ihr doch so viel zu verdanken haben: die Blumenhändler.«

Wie gesagt – bitter. Deshalb an dieser Stelle zurück in die Gegenwart. In der bekanntlich alles viel besser geworden ist als früher, als man noch um basale Rechte der Frauen kämpfen musste. Denn heute seien wir auf dem Weg in die Vollendung der Gleichberechtigung der Geschlechter, zu der  auch eine Integration der Frauen in Erwerbsarbeit gehört und dies ist angesichts der Bedeutung von Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft von fundamentaler Bedeutung (für die Frauen).
Das wird allerdings immer wieder angezweifelt bis bekämpft, nicht wirklich überraschend oft von Männern, die diese Entwicklung als das sehen, was sie ist – eine Infragestellung der Lebensmodelle, in denen viele von ihnen leben und in denen sie durchaus handfeste Vorteile im Alltag genießen können, wenn man sich die ungleiche Verteilung der Haushalts-, Erziehungs- und Pflegeaufgaben anschaut. Aber „natürlich“ argumentiert man nicht aus seinen eigenen Vorteilen heraus, sondern versucht es von hinten herum.

Als Beispiel sei an dieser Stelle der denkwürdige Beitrag Haltet die Hausarbeit in Ehren! von Ferdinand Knauß zitiert, der in der Online-Ausgabe der WirtschaftsWoche veröffentlicht worden ist. Die Botschaft des Verfassers wird gleich an den Anfang und das unmissverständlich platziert: »Familienpolitik hat heute vor allem ein Ziel: Häusliche Arbeit zu diskreditieren und Eltern für das Erwerbsleben „frei“ zu machen. Es wird höchste Zeit für eine neue Wertschätzung der unbezahlten Arbeit.« Knauß greift einen aktuellen Anlass für seine grundsätzliche Kritik auf: Einen Vortrag der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) zum Thema „Familienpolitik 2.0“ im WZB, dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (einen Videomitschnitt der Veranstaltung findet man in dem Beitrag „Junge Wissenschaft diskutiert mit Manuela Schwesig„). Für Knauß ist das, was hier so als „Familienpolitik“ 1.0 oder auch 2.0 daherkommt, in Wirklichkeit eine Anti-Familienpolitik, denn »das eigentliche Ziel dieser Politik ist nicht die Stärkung, sondern die Schwächung der Familie, indem sie die Wertschätzung der in keiner BIP-Statistik verzeichneten, aber für die Gesellschaft unverzichtbaren Dienstleistungen in den Familien beständig untergräbt.«
Und dann legt der Autor – offensichtlich ein ausgewiesener Frauenkenner – so richtig los, denn für ihn ist die moderne Familienpolitik nichts weiter als eine große Erzählung: »Es ist die Geschichte der Befreiung der Frau von der Fron am „Herd“. Die Familie ist in dieser Erzählung ein gesellschaftliches Gefängnis, das die Frauen daran hindert, sich frei zu entfalten – nämlich durch Erwerbsarbeit. Es ist daher auch eine sozialdemokratische, letztlich eine marxistisch-materialistische Erzählung, da sie auf der Überzeugung fußt, dass nur die Erwerbsarbeit dem Leben einen Sinn gibt.« Ah ja. Da kann es nicht überraschen, dass wieder einmal die von einigen als „Herdprämie“ bezeichnete neue Geldleistung „Betreuungsgeld“ für die semantische Beweisführung herhalten muss. Mit diesem Begriff sei der politische Diskurs „versaut“ und der »Stellenwert häuslicher Arbeit in Deutschland endgültig in den Dreck gezogen« worden.

Aber Knauß hat Steigerungsformen in seiner Argumentation: Er plädiert für eine neue Perspektive, eine neue Erzählung: Denn seiner Meinung nach könnte „gleichberechtigte Teilhabe“ an der Erwerbsarbeit ebenso gut als eine Geschichte der Unterwerfung erzählt werden. Und diese Deutungslinie ist nicht ohne, enthält sie natürlich auch Elemente, die man nicht von der Hand weisen kann (ohne allerdings die gleichen Schlussfolgerungen ziehen zu müssen): »Die Freiheit von der Familie, die die Frauen gewonnen haben, wird bezahlt durch eine neue Unterwerfung: nämlich unter die Zwänge des Erwerbslebens.«

Und wie schon immer bei konservativen Kritikern der Moderne findet man scheinbar (!) antikapitalistische Züge in der Argumentation: »Die Ausbreitung von Markt und Staat auf Kosten der Familien ist auch eine Geschichte des Verlusts von Ordnung und Sicherheit. Die meisten Menschen wünschen sich einen „Herd“, einen Ort des Rückzugs vom öffentlichen, kalten, staats- und marktbeherrschten Arbeitsleben. Einen Ort, an dem man nicht nach den ehernen Gesetzen von Angebot und Nachfrage arbeitet und verdient, sondern aus allzu menschlichen Gründen, die dem Markt unbekannt sind. Dieser Ort ist für die meisten Menschen die Familie.« Dem kann man ja grundsätzlich nicht widersprechen, wenn es denn einen solchen Ort in der konkreten Familie – außerhalb der wenigen großbürgerlichen Familien – je wirklich gegeben hätte.
Aber auch hier finden sich wieder durchaus richtige Gedanken: »In einer Volkswirtschaft, die vor allem aus Alleinernährer-Hausfrauen-Familien besteht, müssen Arbeitnehmer so gut bezahlt werden, dass sie allein Familien unterhalten können. In einer aus Zwei-Verdiener-Haushalten bestehenden Gesellschaft steigt die Marktmacht der Arbeitgeber, niedrigere Gehälter durchzusetzen.«
Ferdinand Knauß macht dann einen weiteren Strang auf, der zuerst einmal durchaus berechtigt daherkommt:

»Der Sozialstaat muss alles übernehmen, wofür die in Erwerbsarbeit drängenden und gelockten Menschen keine Zeit und keine Nerven mehr haben. Das heißt, der Staat organisiert zum Ersatz der wegfallenden Familienarbeit Kitas und andere Dienstleistungen, die das verhasste „Heimchen am Herd“ (alias die Mutter) ersetzen sollen.
Das hat den willkommenen Nebeneffekt, dass aus informeller und in keiner volkswirtschaftlichen Statistik verzeichneten Familienarbeit neue Erwerbsarbeit entsteht: Das Gehalt von Erzieherinnen geht ins BIP ein, die Erziehungsleistungen von Müttern und Vätern nicht. Die Frauen arbeiten also außerhalb der Familie, um für die Aufgaben, die ihre Mütter noch selbst übernahmen, familienfremde Dienstleistungen finanzieren zu können.«

Das liegt in der Natur der Sache und der Rechenwerke und hat immer schon eine Rolle gespielt bei einer kritischen Auseinandersetzung mit den (Nicht-)Inhalten dessen, was wir im Bruttoinlandsprodukt (nicht) abbilden. Letztendlich liegen die grundsätzlichen Fragen, die hier angesprochen werden, allen Versuchen zugrunde, die eine Alternative zur herrschenden Wohlfahrtsbestimmung entwickeln wollen.

Den „vergifteten“ Charakter der Argumentation von Knauß kann man abschließend an den folgenden Ausführungen herausarbeiten, die prima facie vielen aus der Seele sprechen werden, vor allem denen, die tatsächlich eingespannt sind in Erwerbs-, Haus-, Familien- und sonstige Arbeit:

»Warum eigentlich soll eine Existenz als Sachbearbeiter in einem Großraumbüro, der für anderer Leute Kapital die Rendite erwirtschaftet, so viel erstrebenswerter sein als die Existenz von Müttern und Vätern, die ohne fremde Aufsicht eigenverantwortlich einen Haushalt führen und sich um das schönste und wichtigste auf der Welt kümmern, nämlich die eigenen Kinder? … (das) wird befördert von den immer deutlicher werdenden Anzeichen der Überforderung der Gesellschaft durch das Eindringen der Marktmechanismen in alle Ritzen des Lebens. Je stärker die Erwerbstätigen unter der zunehmenden Verdichtung und Entgrenzung der Erwerbsarbeit leiden und je größer dadurch die Zahl der unter Stress, Burn-out und Erschöpfung leidenden Erwerbsarbeiter wird, desto eher dürfte die Erkenntnis wachsen, dass Kochen, Wickeln und Wäscheaufhängen im Vergleich dazu gar nicht so furchtbare Beschäftigungen sind.«

Ja, so ist es, möchte man ausrufen – und so ist es eben doch nicht. Denn bezeichnenderweise kein Wort verliert der Verfasser darüber, wie denn dieses anzustrebende Idyll finanziert werden soll und wenn man die notwendig damit verbundene massive Umverteilung nicht thematisiert, dann macht man sich einer Illusion schuldig. Denn diese Idylle perpetuiert ein Familienmodell, das a) nur für wenige einkommensstarke Haushalte realisierbar wäre/ist und b) er verschweigt, dass die Abhängigkeiten in diesem Modell genau die gleichen, wenn nicht sogar deutlich stärkere Asymmetrien zuungunsten der Frauen schaffen wie die so schlimme Integration in das Erwerbsleben.

Nach diesem Ausflug in den Versuch, die 1950er und 1960er Jahre zu reanimieren, sei abschließend ein anderer, gleichsam widergelagerter Blick auf den „Muttertag“ zitiert, mit dem ich meinen Beitrag eröffnet habe. Auf der Facebook-Seite von Robert Reich, dem ehemaligen US-Arbeitsminister unter Bill Clinton, findet man den folgenden Beitrag gepostet:

»This is the 100th year America has celebrated Mother’s Day, but only the 35th year most mothers have been in the paid workforce. Poor mothers have almost always worked outside the home but it wasn’t until the late 1970s that large numbers of middle-class moms began moving into paid work. Contrary to popular belief, this wasn’t because of all the new opportunities open to professional women starting in the late 1970s. It was because the late 1970s marked the start of the long slide of hourly wages for male workers – and moms had to take up paid work in order to maintain family incomes. (Male hourly wages began sliding then because of the combined impacts of shrinking unions, corporate outsourcing abroad, labor-replacing technologies, and deregulation.)
Most moms didn’t get excused from family chores and child rearing, though. They went into paid work in addition to their other jobs at home — and most are still doing all these jobs. So instead of calling it “Mother’s Day,” maybe we should begin honoring the real heroes of the last three and a half decades and start calling it Working Mothers Day.«