Immer weniger neue Ausbildungsverträge. Das duale Berufsausbildungssystem verliert weiter an Boden

Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge geht weiter zurück. Darüber berichtet das Statistische Bundesamtes: 0,4 % weniger neue Ausbildungs­verträge im Jahr 2015.
Im Jahr 2015 haben nach Angaben der Bundesstatistiker rund 516.200 junge Menschen in Deutschland einen neuen Ausbildungsvertrag im Rahmen des dualen Systems abgeschlossen. Der schon in den Vorjahren beobachtete rückläufige Trend ist maßgeblich auf die demografische Entwicklung in der für die duale Ausbildung typischen Altersgruppe sowie auf eine höhere Studierneigung bei den Schulabsolventen mit Hochschulreife zurückzuführen. Insgesamt befanden sich am 31. Dezember 2015 nach vorläufigen Ergebnissen etwa 1,34 Millionen Jugendliche in einer Ausbildung im dualen System. Das waren 1,6 % oder 22.400 weniger als im Jahr 2014.

Damit setzt sich der seit Jahren beobachtbare Sinkflug bei den tatsächlich abgeschlossenen Ausbildungsverträgen fort.

Seit 2007 sehen wir in den Daten einen Rückgang der Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge. Das hat natürlich vielfältige Gründe.

In der Vergangenheit war das Ausbildungssystem vor das Problem gestellt, dass es „zu viele“ junge Leute gab, die sich auf „zu wenige“ Ausbildungsplätze bewerben mussten. Das waren die goldenen Jahre der Arbeitgeber, die sich aus einem großen Fundus an Bewerbungen die für sie passenden Personen heraussuchen konnten, was nicht ohne Folgewirkungen blieb: Immer größer und immer höher wurden die Erwartungen und Anforderungen an die jungen Menschen, die eine Berufsausbildung in dualen System absolvieren wollten bzw. mussten. Es gab ja schlichtweg genügend junge Menschen, die sich auf eine Ausbildungsstelle beworben haben, so dass man die Auswahlkriterien entsprechend nach oben schieben konnte, mit der Folge allerdings, dass zahlreiche junge Menschen vom Zugang zu einer Ausbildung abgeschnitten wurden.

Und nicht selten – gleichsam als Ironie des Schicksals – haben sich viele Unternehmen mit dem ständigen Upgrading der Anforderungen an ihre Auszubildenden selbst ins Knie geschossen, denn: Ein Teil der Ausbildungsabbruchquoten ist mit der Überforderung vieler Auszubildender zu erklären, die nicht selten vor allem den kognitiven Anforderungserhöhungen nicht gewachsen waren und sind und das gleichzeitig angesichts der Tatsache, dass oftmals in der Realität der Arbeit viele Theoriebestandteile gar nicht oder nur sehr eingeschränkt abgerufen werden. Hinzu kommt: Ob nun bewusst oder unbewusst, auf alle Fälle hat die zur Verfügung stehende große Zahl an gut qualifizierten Schulabsolventen dazu geführt, dass nicht nur die kognitiven Erwartungen und Ansprüche an die Auszubildenden beständig nach oben getrieben wurden, sondern auch die Ansprüche an Sozialkompetenz und „Umgangsreife“. Dies hat zum einen zu einer permanenten Unzufriedenheit mit der so genannten „Ausbildungsreife“ der jungen Menschen bei den Arbeitgebern geführt, zum anderen aber auch zu einem neuen Problem, das in den aktuellen Zeiten mit stark rückläufigen potentiellen Azubi-Zahlen zum Durchbruch gelangt, denn nunmehr ist man (eigentlich) darauf angewiesen, auch so genannte „leistungsschwächere“ Jugendliche für eine Ausbildung zu gewinnen, also alle die, die bislang nicht einmal in die Nähe eines Vorstellungsgesprächs gekommen wären. Dann muss man aber von den in der Vergangenheit geprägten hohen Erwartungen durch das Überangebot wieder runter, was an sich natürlich keine einfache Leistung ist.

Dabei wäre aber zu berücksichtigen, dass viele Berufsbilder mittlerweile einen Anforderungsgrad erreicht haben, der es vielen Unternehmen auch bei gutem Willen nicht ermöglicht, die Anforderungen an die potentiellen Auszubildenden deutlich nach unten abzusenken, nur um den Bewerbern und ihren möglichen Defiziten entgegen zu kommen.

Ein anderer Teil der Firmen wird zumindestens in bestimmten Qualifikationsbereichen versuchen, die bislang über eine klassische duale Berufsausbildung rekrutierten Fachkräfte zu substituieren über Hochschulabsolventen mit einem Bachelor-Abschluss. Dies bietet sich beispielsweise im kaufmännischen Bereich an.

Eine weitere Gruppe an Unternehmen wird angesichts der Rekrutierungsprobleme in den kommenden Jahren ganz auf das Angebot einer Berufsausbildung verzichten.

Wie viele junge Menschen sind 2015 wo im Ausbildungssystem gelandet? Neue Daten aus der Integrierten Ausbildungsberichterstattung

Im vergangenen Jahr haben rund 2,0 Millionen Personen ein Bildungsprogramm nach der Sekundarstufe I in den vier ausbildungsrelevanten Sektoren begonnen. Das Statistische Bundesamt hat vorläufige Daten aus der Integrierten Ausbildungsberichterstattung für das Jahr 2015 veröffentlicht, mit denen man etwas genauer sehen kann, wie viele junge Menschen wo untergekommen sind.

Ein besonders auffälliger Befund mit Blick auf das vergangene Jahr ist der Anstieg der Zahl der jungen Menschen, die in das „Übergangssystem“ eingetreten sind – über 7 Prozent mehr im Vergleich zu 2014. Insgesamt waren das 270.783 Personen. Dabei waren die Jahre bis 2014 von einem kontinuierlichen Rückgang geprägt: »2005 hatte es noch 417.600 Anfängerinnen und Anfänger im Übergangsbereich gegeben. Seither ist ihre Zahl bis 2014 kontinuierlich auf 252.700 gesunken. Insgesamt ergibt sich von 2005 bis 2015 ein Rückgang von 35,2 %. Demografische Veränderungen sowie die Annäherung von dualem Ausbildungsangebot und -nachfrage haben hierzu beigetragen«, berichten die Bundesstatistiker in ihrer Pressemitteilung zu den neuen Daten. Jetzt steigt die Zahl also wieder. Wie erklärt sich das? »Der Anstieg im Jahr 2015 ist im Wesentlichen auf Programme zum Erlernen der deutschen Sprache für jugendliche Flüchtlinge und Zugewanderte zurückzuführen.«

Im vergangenen Jahr haben 695.000 junge Menschen eine Berufsausbildung aufgenommen, darunter mit fast 481.000 die größte Gruppe mit einem Einstieg über eine duale Berufsausbildung, mit Abstand folgt dann das fachschulische Ausbildungssegment, vor allem also die Sozial- und Gesundheitsberufe.

Damit setzt sich eine Entwicklung fort, die wir seit einigen Jahren beobachten können: Die Zahl derjenigen, die ein Studium aufgenommen haben, ist mittlerweile mit 508.000 größer als die Anfängerzahlen im dualen Berufsausbildungssystem. Dieses Entwicklungsmuster spielt eine große Rolle in der Debatte über die Zukunft des Ausbildungssystems in Deutschland, beispielsweise in der Diskussion rund um die Frage, ob wir mit einem „Akademisierungswahn“ konfrontiert sind.

Interessant ist auch ein genauerer Blick auf das sogenannte „Übergangssystem“, das immer wieder Gegenstand kritischer Diskussionen ist  (vgl. hierzu beispielsweise Sell, Stefan: Auswege aus dem Labyrinth des „Übergangssystems“. In: Henry-Huthmacher, C. und Hoffmann, E. (Hrsg.): Aufstieg durch (Aus)Bildung – Der schwierige Weg zum Azubi, St. Augustin/Berlin, S. 287-313). Schaut man sich die unterschiedlichen Teilbereiche des „Übergangssystems“ genauer an, dann erkennt man, dass wir es hier mit einem sehr heterogenen Feld zu tun haben. Das geht von berufsvorbereitenden Maßnahmen bis hin zum Nachholen eines Schulabschlusses bzw. dem Erwerb eines höhenwertigen Schulabschlusses. Und damit verbietet sich auch eine allgemeine Kategorisierung dessen, was in diesem Bereich passiert (bzw. nicht passiert, wenn man an Typisierungen denkt wie „Niemandsland“ oder „Wartehallen-Maßnahmen“, die für einige der Maßnahmen zutreffend sind, aber für viele andere sicher nicht).

Offensichtlich ist aber der bislang vor allem demographisch bedingte Rückgang der sehr hohen Zugangszahlen in Maßnahmen des Übergangssystems gestoppt, vor allem durch die „neue“ Zielgruppen der jungen Zugewanderten in unserem Land. Allerdings sollte das eigentlich ein Grund mehr sein, die kritische Debatte über die (Un)Sinnhaftigkeit bestimmter Ausgestaltungen in diesem Bereich zwischen Schule und „normaler“ Ausbildung noch deutlicher zu führen und Konsequenzen zu ziehen.

Immer weniger Auszubildende. Drastische Verluste in Ostdeutschland, aber Rückgänge auch in allen anderen Bundesländern

Das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe (BIAJ) hat Daten zusammengestellt über die Entwicklung der Auszubildenden in Deutschland und deren Entwicklung (vgl. Paul M. Schröder: Auszubildende und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Ländervergleich 2008 bis 2014, Bremen, 11.02.2016).

Die Zahlen sind ernüchternd:

Die absolute Zahl der sozialversicherungspflichtigen Auszubildenden* in der Bundesrepublik Deutschland sank von 1,804 Millionen Ende 2008 um 12,3 Prozent (221.000) auf 1,583 Millionen Ende 2014.

Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt stieg in der Bundesrepublik Deutschland von 27,900 Millionen Ende 2008 um 9,0 Prozent (2,498 Millionen) auf 30,398 Millionen Ende 2014.

Besonders heftig hat es die ostdeutschen Bundesländer getroffen: So hat in Mecklenburg-Vorpommern die Zahl der Auszubildenden in den wenigen Jahren von 2008 bis 2014 um sage und schreibe 46,7 Prozent abgenommen – von 41.648 auf nur noch 22.209.
In den anderen ostdeutschen Bundesländern lagen die prozentualen Rückgänge durchweg fast bei 40 Prozent. Ein gewaltiger Aderlass für das System der Berufsausbildung.

*) alle sozialversicherungspflichtigen Auszubildenden gemäß Berufsbildungsgesetz, Handwerksordnung, anderen Gesetzen und allgemein anerkannten Ausbildungsrichtlinien.