Wenn die Geister, die man rief, nicht nur den kleinen Finger, sondern die ganze Hand wollen: Die von den Krankenkassen zu füllenden Fördertöpfe des Bundesgesundheitsministers haben der App-Branche Appetit gemacht

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will nicht nur als Kämpfer gegen den Pflegenotstand, sondern auch als der Digitalisierungsinnovator für das ganze Gesundheitswesen in die Geschichtsbücher eingehen. Und besonders die „Digitalisierung“ als Chiffre für total modern hat es ihm angetan. Und wie wichtig ihm das ist, kann man auch so einer Meldung entnehmen: Spahn berichtet zu Digitalvorhaben. Konkret hat er dem Ausschuss Digitale Agenda des Deutschen Bundestages über Digitalvorhaben im Bereich Gesundheit und Pflege berichtet und mit den Abgeordneten diskutiert. Sein Programm ist ambitioniert:

»Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sei die Elektronische Patientenakte. Die Krankenkassen seien an der konkreten Umsetzung, sodass diese ab 2021 zur Verfügung stehen soll … Ein zweiter Baustein sei das E-Rezept, eine der häufigsten Papieranwendungen des Gesundheitswesens, die ins Digitale überführt werden solle. Auch diese soll ab 2021 flächendeckend zur Verfügung stehen … Ein (weiterer) Schwerpunkt liege auf dem Thema Onlinesprechstunden und Telemedizin

Und dann das hier: Persönlich wichtig sei ihm, dass Deutschland das erste Land weltweit werden könnte, das „ein regelhaftes Verfahren gefunden hat, um Apps im Gesundheitsbereich in die Erstattungsfähigkeit des Systems zu bringen“, so wird der Bundesgesundheitsminister zitiert.

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Digitalisierung im Gesundheitswesen: Zu den Nebenwirkungen ihrer Daten fragen Sie – wen? Wenn Hilfesuchende im Internet vermarktet werden

In dieser Zeit könnte man sein Leben verbringen mit den Tagungen und Kongressen, auf denen uns die (angeblichen) Segnungen der Digitalisierung im Gesundheitswesen angepriesen werden. Die modernen Technologien werden das Gesundheitswesen – endlich – effizienter und effektiver machen. Mit modernen Technologien sind hier aber nicht die wirklich hilfreichen Innovationen beispielsweise in der Medizintechnik gemeint wie OP-Roboter, die beim Eingriff weniger zittern als der humanoide Chirurg. Sondern unter dem Allesbegriff Digitalisierung geht es vor allem um den Zugriff auf die zahlreichen Daten und deren Verwertung.

Nun kann man viele auf dem Papier gute Argumente finden, warum eine einheitliche Patientenakte, auf der dann mal alles, was die Krankheitsbiografie des einzelnen Menschen hergibt, abgespeichert und abrufbar ist, durchaus Vorteile haben kann. Wenn man dann noch die Krankheitsbiografie verknüpfen könnte gewissermaßen mit ihrem Spiegelbild, also der Gesundheitsbiografie in Form zahlreicher Daten über entsprechende Aktivitäten, was den Kern der grassierenden „Gesundheits- und Fitness-Apps“ darstellt, dann würden sich ganz wunderbare Welten der Erkenntnis offensichtlich. Und ganz neue Dimensionen der Vermarktung dieses Wissens, was heutzutage mit Hilfe von Big Data-Technologien auch ohne weiteres machbar wäre.

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Jobs verschwinden, neue kommen dazu. Über den permanenten Strukturwandel auf den Arbeitsmärkten und den doppelt problematischen Folgen für viele Arbeitnehmer

Immer noch geistert sie durch die öffentlichen Debatten – eine Studie, die im Jahr 2013 von den beiden Ökonomen Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne veröffentlicht wurde: The Future of Employment: How Susceptible are Jobs to Computerisation? Darin findet man diesen Befund: »According to our estimates, about 47 percent of total US employment is at risk.« Da ist sie, die Zahl, die seitdem überall herumgeistert. Daraus wurde in den Medien die als Gewissheit daherkommende Aussage gemacht, dass fast jeder zweite Job wegfallen wird (korrekterweise müsste man an dieser Stelle schon darauf hinweisen, dass die beiden „nur“ auf der Basis der Einschätzungen von technischen Experten für einen kleinen Teil der Berufe das Potenzial für wegfallende Jobs insgesamt berechnet haben und das auch nur in einer Brutto-Rechnung, also ohne Berücksichtigung der an anderer Stelle entstehenden Jobs und dann auch noch bezogen auf den US-amerikanischen Arbeitsmarkt, der sicher nicht widerspruchsfrei übertragbar ist auf andere Länder wie beispielsweise Deutschland).

Eine kritische Auseinandersetzung mit der Fry/Osborne-Studie sowie anderen, teilweise erheblich abweichenden Befunden wurde bereits am 4. Januar 2015 in diesem Blog-Beitrag vorgelegt: Geht uns die Arbeit (doch noch) aus? Zur „Digitalisierung“, der Debatte über „digitale Arbeitslosigkeit“ und den möglichen sozialpolitischen Herausforderungen. Aber die Instrumentalisierung von Studienfür effektheischende Aussagen ist ein weit verbreitetes Phänomen: „Etwa die Hälfte aller heutigen Arbeitsplätze in der westlichen Welt könnten schon 2030 nicht mehr existieren“, so der Philosoph Richard David Precht und der Informatiker Manfred Broy in ihrem Artikel Daten essen Seele auf vom 9. Februar 2017. Precht und Broy haben sich diese Zahlen nicht ausgedacht, sie berufen sich auf „eine große Studie aus Oxford“. Da ist sie wieder, diese Studie.

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