„Die“ Lohnentwicklung und das Grübeln (nicht nur) hinter den Mauern der Deutschen Bundesbank

Immer wieder wird man in den vergangenen Monaten mit Meldungen konfrontiert, dass „die“ Löhne in Deutschland nun kräftig ansteigen (vgl. dazu bereits den Beitrag Jetzt aber ein großer Schluck aus der Pulle? Der stärkste Anstieg „der“ Löhne seit Jahren wird gemeldet vom 30. August 2017). Und angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung in unserem Land scheint das ja auch mehr als logisch. Nun gibt es eben nicht „die“ Löhne, neben den Nominallöhnen gibt es die Reallöhne, also das, was nach Abzug der allgemeinen Inflationsrate übrig bleibt. Und es gibt die Tariflöhne, die von den Gewerkschaften mit den Arbeitgeberverbänden ausgehandelt worden sind und die aber erst einmal nur den Arbeitnehmern zugute kommen, die auch in tarifgebundenen Unternehmen arbeiten. Und die Tarifbindung war in den vergangenen Jahren rückläufig (vgl. dazu Zur Entwicklung der Tarifbindung und der betrieblichen Mitbestimmung. Die Kernzone mit Flächentarifverträgen und Betriebsräten ist weiter unter Druck vom 5. Juni 2017). Und bei allen Werten sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass wir hier über Durchschnittswerte sprechen.

Mit Blick auf die Teilgruppe der Arbeitnehmer, die in den Genuss von Tariflöhnen kommt, vermeldet das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) als Bilanz der Tarifpolitik des Jahres 2017: 2017 steigen die Tariflöhne nominal um 2,4 Prozent – real erzielen die Tarifbeschäftigten ein Plus von 0,6 Prozent. Das ist dann doch ein eher überschaubarer Anstieg der Reallöhne. „Da die Inflationsrate wieder spürbar höher ist, fällt der Reallohnzuwachs 2017 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich geringer aus“, wird der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten, zitiert. In den Jahren 2014 bis 2016 stiegen die Tariflöhne wegen der sehr geringen Preissteigerung real zwischen 1,9 und 2,4 Prozent und haben damit über den von ihnen ausgehenden Impuls für die Binnennachfrage einen wesentlichen Beitrag für den ökonomischen Aufschwung in Deutschland geleistet.

Der Impuls für die Binnennachfrage in den vergangenen Jahren – das müsste die Europäische Zentralbank (EZB) besonders freuen, versucht diese doch durch (erhoffte) Impulse aus ihrer Geldpolitik die konjunkturelle Entwicklung im Euroraum anzukurbeln mir Blick auf ihr Ziel der Preisniveaustabilität, das sie bei knapp zwei Prozent Inflationsrate verortet.

Nun wird aus den heiligen Hallen der Bundesbank berichtet, dass man auch dort einen besonderen Blick auf die Lohnentwicklung geworfen hat. Ausgangspunkt war eine andere wirtschaftspolitische Baustelle, die in Deutschland ziemlich große Ausmaße angenommen hat – die gerade im Ausland und dort in bestimmten Ländern überaus heftig kritisierten Leistungsbilanzüberschüsse der deutschen Volkswirtschaft. Das ist gerade in diesen Tagen ein wichtiges Thema in der Wirtschaftspresse mit Blick auf das gerade abgelaufene Jahr: »Diese Daten bergen politischen Zündstoff: Deutschland hat 2017 nach Ifo-Berechnungen erneut einen hohen Überschuss in der Leistungsbilanz erzielt«, berichtet das Handelsblatt unter der Überschrift 287 Milliarden Dollar – deutscher Überschuss bleibt groß. Dieser Betrag ist mehr als doppelt so groß ausgefallen wie der von Exportweltmeister China mit 135 Milliarden Dollar.

Das war auch Thema einer Konferenz von Bundesbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) in Frankfurt am Main. Vgl. dazu die Pressemitteilung der Bundesbank vom 19.01.2018 unter der Überschrift Weidmann: Hohe Leistungsbilanz­überschüsse spiegeln lockere Geldpolitik. Die Spitze der Bundesbank in Gestalt von Jens Weidmann hat dabei den offiziellen Standpunkt vertreten, man solle diese enormen Überschüsse nicht überbewerten – und außerdem sei auch die Geldpolitik des übergeordneten Hauses mit dafür verantwortlich: »Neben der Alterung der Gesellschaft tragen Weidmann zufolge auch die aktuell niedrigen Öl- und Rohstoffpreise sowie der schwache Euro zum derzeitigen Überschuss bei. „Der hohe Handelsüberschuss ist auch Ausdruck der sehr lockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank“, so der Bundesbankpräsident weiter.« Und seine Empfehlungen betten sich ein in die bekannte Welt der Mainstream-Ökonomie: »Den Forderungen nach höheren Staatsausgaben, um die Überschüsse zu reduzieren, erteilte Weidmann eine Absage. Simulationen hätten gezeigt, dass bei einer Ausweitung der staatlichen Investitionen um 1 Prozent des BIP der Überschuss der Leistungsbilanz um weniger als 0,1 Prozentpunkte sinken würde. Erwägenswert sei aber eine Verschiebung vom staatlichen Konsum hin zu staatlichen Investitionen. Zudem plädierte er dafür, Anreize für private Investitionen zu verstärken.«
Das ist schon innerhalb der engeren Kreise wahrlich nicht unumstritten: »Andere Teilnehmer der Konferenz schätzten den derzeitigen Überschuss deutlich kritischer ein. So erläuterte Maurice Obstfeld, Chefökonom des IWF, dass sich derzeit nur knapp die Hälfte des deutschen Überschusses durch Faktoren wie die demografische Entwicklung erklären lasse. Die Erklärungen für den anderen Teil seien sehr umstritten. Ein wichtiger Grund für den Überschuss ist Obstfeld zufolge die hohe Sparquote in Deutschland. Insbesondere Unternehmen hätten ihre Gewinne in den vergangenen Jahren deutlich gesteigert, diese aber nicht reinvestiert.«

Und dann kommt mit Blick auf die hier interessierende Lohnentwicklung ein interessanter Befund – den man nicht deutlich genug herausstellen kann:

»Für Jens Suedekum, Professor für Volkswirtschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, ist die geringe Lohndynamik ein wichtiger Grund für den hohen Überschuss der Leistungsbilanz. Zwar seien die Löhne in den vergangenen Jahren gestiegen, Deutschland habe aber den Anschluss an andere Länder im Euroraum noch nicht vollends gefunden. Das mäßige Lohnwachstum ist laut Suedekum auch eine Erklärung dafür, warum Deutschland relativ wenig importiere. „Die zusätzlichen Gewinne, die deutsche Firmen mit Exporten machen, werden nicht entsprechend an die Arbeitnehmer zurückgegeben“, kritisierte Suedekum.«

Hier macht Suedekum einen wichtigen Punkt – auf den übrigens von den Fachleuten innerhalb der Bundesbank schon seit längerem hingeweisen wird. Und seit längerem meint nicht erst aktuell:

»Auch im richtigen Leben sind noch Rumpelstilze zu finden, etwa in den Chefetagen der deutschen Arbeitgeberverbände. Kaum hatte die Bundesbank die sattsam bekannte Tatsache wiederholt, dass die Löhne in den vergangenen Jahren nicht ausreichend gestiegen sind, da wüteten die Funktionäre des Kapitals auch schon los wie einst das Männchen aus Grimms Märchen. Vor den „gefährlichen Ratschlägen aus Frankfurt“ warnte der Unternehmerverband Gesamtmetall, und Deutschlands Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer tat die Meinung der Währungshüter als „überflüssig und wenig hilfreich“ ab.« So ein Zitat aus diesem Artikel, der am 4. August 2014 veröffentlicht worden ist: Das Lohnparadox. Warum die Bundesbank mit ihrer Forderung nach höheren Gehältern recht hat. Und weiter heißt es dort: »So reden Ideologen, aber nicht Kaufleute, die mit den Zahlen vertraut sind. Ein durchschnittlicher Arbeitnehmer stellt heute in der Stunde 16 Prozent mehr Güter und Leistungen her als vor 15 Jahren; doch auf seinem Gehaltszettel spiegelt sich das Leistungsplus kaum wider. Die Tariflöhne sind im selben Zeitraum nur um 10 Prozent gewachsen, und wer das Pech hatte, in einer Branche ohne Gewerkschaftseinfluss beschäftigt zu sein, verdient heute in vielen Fällen weniger als im Jahr 2000.« Und die Botschaft damals schon: »Die Verdienste hierzulande müssen gleich aus zwei Gründen steigen: zum einen, um die Arbeitnehmer am wachsenden Wohlstand zu beteiligen, zum anderen, um zum ökonomischen Ausgleich in Europa beizutragen.«

Wieder aufgerufen – und erneut mit Verweis auf Äußerungen aus der Bundesbank – wurde das Thema am 31. Juli 2017 von Daniel Baumann: Das Lohn-Paradox: »Die Bundesbank schreibt, dass der Lohnanstieg im ersten Jahresviertel „gemessen an der außerordentlich guten Arbeitsmarktlage recht verhalten“ gewesen sei. Schon in den vergangenen beiden Jahren waren Vertreter der Bundesbank mit der Lohnentwicklung nicht zufrieden.«

Bei der Ursachenanalyse wird Gustav Horn zitiert, der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung: »Während die Erwerbstätigkeit seit 2007 um 3,27 Millionen auf 43,595 Millionen im vergangenen Jahr gestiegen ist, legte die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden in der gleichen Zeit nur von 57,4 auf 59,4 Milliarden zu. Die Folge: Ein guter Teil des Jobbooms ist auf Teilzeitarbeit zurückzuführen.« Dazu auch meine Analyse vom 3. Januar 2018: Frohe Kunde aus dem „Jobwunderland“ Deutschland. Da lohnt ein genauerer Blick auf die Zahlen und die andere Seite der Medaille.
„Wir haben immer noch Unterbeschäftigung“, wird Gustav Horn zitiert. Hinzu kommen die prekären Beschäftigungsverhältnisse, die seit einiger Zeit zwar auf dem Rückzug sind, aber weiterhin eine große Rolle spielen. Beides mindert die Verhandlungsmacht der Beschäftigten in Lohnrunden.
»Und die Tarifbindung erodiert seit Jahren. In Westdeutschland sind nur noch 59 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden, im Osten gar nur 49 Prozent. Eine Auswertung des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln für das Jahr 2015 zeigt, dass lediglich 18,9 Prozent aller abhängig Beschäftigten Mitglied einer Gewerkschaft waren. Die Verankerung der Gewerkschaften in der deutschen Arbeitnehmerschaft sei „insgesamt schwach“, so die IW-Forscher Hagen Lesch und Adam Giza. „In vielen Dienstleistungsbranchen und im Handwerk wirkt sich dies auch auf die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften aus – mit enormen Auswirkungen auf das Tarifsystem.«

Soweit die Analyse. Fazit: Die Lohnentwicklung in Deutschland ist nicht nur mit Blick auf die Einkommenslage vieler Arbeitnehmer, sondern auch aus guten volkswirtschaftlichen Gründen zu schwach. Es wäre an der Zeit für eine echten „Schluck aus der Pulle“. Nur wird das nicht vom Himmel fallen, sondern muss erkämpft werden. Die Voraussetzungen dafür sind aber in den vergangenen Jahren deutlich schlechter geworden, worauf hingewiesen wurde. Auch vor diesem Hintergrund hätte man sich für die bevorstehende Legislaturperiode mutige Schritte hin zu einer – wenn es nicht anders geht auch erzwungenen – Re-Regulierung bestimmter Branchen gewünscht, in denen viele Arbeitnehmer arbeiten, die abgekoppelt sind von den bisherigen (überschaubaren) Lohnsteigerungen. Man denke hier an den Einzelhandel oder derzeit besonders prominent an die Pflege, insbesondere die Altenpflege (vgl. speziell dazu Der sich ausbreitende Mangel an Pflegekräften, die besondere Problematik eines doppelten Mangels in der Altenpflege und ein lösungsorientierter Blick auf die Arbeitsbedingungen vom 19. Januar 2018). Das verweist auf das so wichtige Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen, wenn es denn nicht anders geht. Aber die derzeit gegebene Blockade dieses Instruments wird – folgt man dem Sondierungsergebnispapier der Großen Koalition in bevorstehender Fortsetzung – nicht mal angetastet. Das Thema taucht in den Verhandlungsergebnissen nicht mal auf, obgleich das für die Gewerkschaften ein essentieller Punkt wäre. Dennoch drängen die Gewerkschaftsführer die SPD in die GroKo neu-alt. Aber das wäre dann eine weitere (große) Baustelle für eine kritische Analyse.

Umrisse einer GroKo neu. Teil 1: Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht

Große Aufregung nicht nur im politischen Berlin: Habemus Sondierungsergebnis auf dem langen Weg der Wiederbelebung der allerdings arg geschrumpften Großen Koalition. Nach einer mehr oder weniger durchwachten Nacht wurden der ersten Verhandlungsrunde zwischen CDU, CSU und SPD am 12. Januar 2018 in einem 28 Seiten umfassenden Papier (Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD) der Öffentlichkeit präsentiert – mit der Empfehlung aller beteiligten Parteivertreter, nunmehr die eigentlichen Verhandlungen für eine mögliche Neuauflage einer GroKo aufzunehmen.

Wobei das seitens der SPD erst noch am 21. Januar 2018 auf einem Parteitag abgesegnet werden muss – und selbst wenn die Unterhändler einen Koalitionsvertrag ausarbeiten, muss dieser noch einer weitere Hürde nehmen: eine Befragung der SPD-Mitglieder, von denen sich nicht wenige (immer noch) mehr als störrisch zeigen angesichts der Perspektive auf vier weitere Jahre unter Angela Merkel und der nicht auszuschließenden Möglichkeit, dann endgültig in der „französischen Versenkung“ zu verschwinden. Dazu beispielsweise ein Interview mit Steve Hudson vom Verein NoGroKo unter der Überschrift „Wir wollen unsere SPD zurückerobern“.

Auf der anderen Seite gibt es innerhalb der Partei vor allem in der Parteiführung eine große Furcht vor möglichen Neuwahlen. Und natürlich geht es auch um Posten und Pöstchen. Ganz vorne dabei der SPD-Vorsitzende Martin Schulz. Der hatte wenige Tage nach der Bundestagswahl gesagt: „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“ Das ist wohl Schnee von gestern und nun kann er sich genau so einen Eintritt in ein neues Merkel-Kabinett vorstellen, so beispielsweise dieser Artikel: Merkel: Regierung soll noch vor Ostern stehen.

Aber hier soll es nicht um die Jobperspektiven von Politikern gehen, sondern um die sozialpolitisch relevanten Inhalte, auf die man sich zum jetzigen Zeitpunkt verständigt hat und mit denen man in die Koalitionsverhandlungen zu gehen gedenkt. Den Anfang macht der Blick auf das Themenfeld Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht. Die Vereinbarungen dazu findet man auf den Seiten 8-9 des Ergebnispapiers.

Den Anfang macht ein Bekenntnis zum Ziel der Vollbeschäftigung. »Dazu gehört auch, dass Menschen, die schon sehr lange arbeitslos sind, eine Perspektive eröffnet wird.«

Und wie will man das schaffen für die immer noch über eine Million langzeitarbeitslosen Menschen? Dazu folgt vor dem Hintergrund der Diskussion in den vergangenen Jahren, in dem Vorstöße in diese Richtung immer vor einer Mauer gelandet sind, eine scheinbare Überraschung:

»Mit einem ganzheitlichen Ansatz wollen wir die Qualifizierung, Vermittlung und Reintegration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt vorantreiben. Dazu schaffen wir ein neues Regelinstrument im SGB II „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“ und ermöglichen auch in den Ländern den Passiv-Aktiv-Transfer. Wir stellen uns eine Beteiligung von 150 000 Menschen vor. Die Finanzierung des Programms muss über den Eingliederungstitel gewährleistet werden, den wir hierfür um eine Mrd. Euro jährlich aufstocken werden.«

Dahinter verbirgt sich eine langjährige und höchst komplexe Diskussion, die hier aus Platzgründen nicht nachgezeichnet werden kann (vgl. hierzu auch mit einer Darstellung, was man sich unter dem „Passiv-Aktiv-Transfer“ vorstellen muss und was für Probleme damit verbunden sind, den Beitrag Ein „neuer“ sozialer Arbeitsmarkt? Auf alle Fälle ein weiterer Vorstoß hin zu einer auf Dauer angelegten öffentlich geförderten Beschäftigung für einen Teil der Erwerbslosen vom 26. September 2016). Wenn jetzt aber von Seiten der GroKo-Vertreter und insbesondere aus den Reihen der SPD herausgestellt wird, dass man zusätzliche vier Milliarden Euro für Langzeitarbeitslose zur Verfügung stellen werde (was schon rein zeitlich gar nicht funktionieren kann, denn das erste Jahr der neuen Legislaturperiode wird schon vorbei sein, bis man a) die gesetzliche Neuregelung im SGB II vorgenommen hat und b) die darauf fußenden Maßnahmen zu Laufen bringen kann, so dass wenn überhaupt höchstens drei Jahre übrig bleiben werden, dies auch c) deshalb, weil es natürlich ganz entscheidend darauf ankommen wird, wie restriktiv oder eben nicht das neue Regelinstrument ausgestaltet sein wird, wovon abhängt, ob und welche Teilnehmer man finden kann, dann sollte man einen Blick werfen auf die Abbildung mit der Entwicklung der tatsächlichen Ausgaben für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, die im Hartz IV-System getätigt wurden. Dort kann man erkennen, dass noch 2010, vor den großen Kürzungen in der Arbeitsmarktpolitik, über 6 Mrd. Euro verwendet werden konnten, im Jahr 2016 waren es nur noch 3,36 Mrd. Euro, also eine Kürzung um fast die Hälfte der 2010 noch ausgegebenen Mittel. Gleichzeitig ist die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Hartz IV-System auch nicht annähernd zurückgegangen, am aktuellen Rand steigt sie sogar wieder an, so dass aus dieser Perspektive die „Zusätzlichkeit“ der Mittel dahinschmilzt wie die Butter in der Sonne.

Und man darf und muss darauf hinweisen, dass es gerade das von der damaligen SPD-Ministerin Andrea Nahles geführte Bundesarbeitsministerium war, das in der vergangenen Legislaturperiode kategorisch jede Entwicklung hin zu einem „Passiv-Aktive-Transfer“ blockiert und ausgeschlossen hat. Stattdessen hat man auf zwei überschaubare und restriktiv ausgestaltete Förderprogramme gesetzt, in deren Umsetzung die Jobcenter viel Lebenszeit haben investieren müssen – mit überschaubaren Ergebnissen. Es handelt sich um das „ESF-Bundesprogramm zur Eingliederung langzeitarbeitsloser Leistungsberechtigter“ (für bis zu 33.000 Langzeitarbeitslose) und das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (für bis zu 10.000 Langzeitarbeitslose). Vgl. dazu und den Problemen den Beitrag Programmitis als Krankheitsbild in der Arbeitsmarktpolitik: Wenn das „Wir tun was“ für die Langzeitarbeitslosen verloren geht im hyperkomplexen Raum der Sonderprogramme, die in der Realität scheitern müssen vom 12. März 2016.

Zum jetzigen Zeitpunkt kann man nur zur Kenntnis nehmen, das man hier bei den Langzeitarbeitslosen (wieder mal, man schaue sich nur die Vereinbarung im Koalitionsvertrag vom Dezember 2013 auf der Seite 47 an) was machen will. Man wird auf eine Konkretisierung des angekündigten neuen Regelinstruments „Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle“ warten müssen.
Bereits im Wahlprogramm von CDU/CSU (Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben) aus dem vergangenen Jahr findet man unter der hoffnungsvollen Überschrift „Langzeitarbeitslosen helfen“ auf S. 12 diese Ausführungen:

»Langzeitarbeitslosen, die aufgrund der besonderen Umstände auf dem regulären Arbeitsmarkt keine Chance haben, werden wir verstärkt die Möglichkeit geben, sinnvolle und gesellschaftlich wertige Tätigkeiten auszuüben. Das ist ein starker Beitrag für den Zusammenhalt in unserem Land.«

Hinweise auf das, was man wohl konkret mit der Vereinbarung im Sondierungsergebnispapier meint, findet man im Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl 2017 (vgl. Zeit für mehr Gerechtigkeit. Unser Regierungsprogramm für Deutschland). Dort wird man auf S. 27 fündig:

»Das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe“ werden wir als Regelleistung in das Sozialgesetzbuch II übernehmen. Mit dem sozialen Arbeitsmarkt schaffen wir neue Perspektiven für Langzeitarbeitslose, die auf absehbare Zeit keine realistischen Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Das ist auch von hoher Bedeutung für Regionen, die in besonderem Maße von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind.«

Wenn man nun davon ausgeht, dass die Formulierung im Ergebnispapier der Sondierer auf eine Verstetigung des Bundesprogramms „Soziale Teilhabe“ im SGB II hinausläuft, dann wird das kein großer Wurf werden.

Was steht sonst noch im Ergebnispapier für das Themenfeld Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht? Da wäre die Bundesagentur für Arbeit (BA) als Trägerin der Arbeitslosenversicherung (SGB III). Die hat vor allem zwei Probleme, die von den GroKo-Sondierern aufgegriffen werden.

Das erste „Problem“ scheint keines zu sein, eher doch eine Erfolgsmeldung: Die BA musste 2017 weniger Geld ausgeben für Leistungen in ihrem Bereich, zugleich konnte sie aufgrund der positiven Beschäftigungsentwicklung Mehreinnahmen auf der Beitragsseite verbuchen. Mit dieser Folge: Die BA weist für das Jahr 2017 einen Überschuss von 5,95 Milliarden Euro aus, von dem 5,79 Mrd. Euro in der Rücklage der BA verbucht werden, die dadurch auf rund 17,2 Milliarden Euro angewachsen ist. Weitere 160 Mio. Euro fließen in die für Insolvenzgeld und Winterbeschäftigungsförderung vorgehaltenen Rücklagen. Man kann sich gut vorstellen, dass ein solches Finanzpolster die Forderungen nach einer Beitragssatzsenkung in der Arbeitslosenversicherung anschwellen lässt.

Die BA selbst weist in der Pressmitteilung BA-Haushalt 2017 schließt mit gutem Ergebnis vom 11.01.2018 darauf hin: »Die Finanzkrise des Jahres 2009 hat gezeigt, dass die Bundesagentur zur Finanzierung etwa von Kurzarbeit mindestens 20 Milliarden Euro Rücklagen benötigt.«

Dem angesprochenen Druck hin zu einer Beitragssatzsenkung wird dann auch im Ergebnispapier der Sondierer entsprochen: »Wir werden den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um 0,3 Prozent senken.«

Das zweite „Problem“ der BA: Sie hat im Grunde zu viel Personal, während in den Jobcentern, die ja von der BA gemeinsam mit den Kommunen oder ausschließlich von den Kommunen betrieben werden, gleichzeitig vorne und hinten das Personal fehlt. Das auch deshalb, weil mittlerweile 70 Prozent der Arbeitslosen und darunter die vielen Langzeitarbeitslosen, im Hartz IV-System sind und damit in der Zuständigkeit der Jobcenter, währen die Arbeitsagenturen für den Rechtskreis SGB III mit der an sich ja erfreulichen Entwicklung konfrontiert sind, dass ihnen in den vergangenen Jahren aufgrund der guten Arbeitsmarktbedingungen gerade im Arbeitslosenversicherungsbereich die „Kunden“ ausgehen, um das mal überspitzt auszudrücken.

Wir sehen eine ganz erhebliche Unwucht zwischen dem Versicherungssystem (SGB III) mit der BA und dem Fürsorgesystem (SGB II) mit den Jobcentern: »Die Bundesagentur für Arbeit häuft Rekordüberschuss aus Beiträgen an. Derweil klagen die Jobcenter über Unterfinanzierung«, so Susan Bonath in ihrem Artikel Amt für Akkumulation.

Und an dieser Stelle verbindet sich das institutionenegoistisch nachvollziehbare Interesse der BA an einer Absicherung des eigenen Personals bei weniger werdenden Aufgaben im Kernbereich durch eine Ausweitung der Aufgaben in neue Arbeitsfelder mit einem Interesse aus den Reihen der SPD, die schon in der vergangenen Legislatur und vor allem im Wahlprogramm 2017 eine „Weiterentwicklung“ der BA hin zu einer „Bundesagentur für Arbeit und Weiterbildung“ angestrebt hat. Das hat nun seinen Niederschlag gefunden im Papier der Sondierer:

  • Zum einen will man „gemeinsam mit den Sozialpartnern eine nationale Weiterbildungsstrategie entwickeln“. Da kann was oder auch nichts rauskommen. Auf alle Fälle kann man darauf verweisen, dass man was macht.
  • Zum anderen: »Wir werden das Angebot der Bundesagentur für Arbeit so ausgestalten, dass alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Recht auf Weiterbildungsberatung haben. Wir werden das allgemeine Initiativrecht der Betriebsräte für Weiterbildung stärken. Nach drei Monaten Arbeitslosigkeit soll die Bundesagentur für Arbeit mit den betroffenen Menschen Maßnahmen entwickeln, um ihre Beschäftigungsfähigkeit nachhaltig zu fördern

Das nun klingt wie ein Passepartout für eine möglicherweise ganz erhebliche Aufgabenexpansion für die Bundesagentur für Arbeit mit ihren Arbeitsagenturen vor Ort. Nun kann man sicher einige auch gute Argumente dafür finden, das in der heutigen Zeit und erst recht in den vor uns liegenden Jahren aufgrund der erheblichen Anforderungsveränderungen in der Arbeitswelt der Orientierungs- und Beratungsbedarf der Arbeitnehmer steigen wird.

  • Nun mag sich der eine oder andere fragen: Wie geht das zusammen, eine Absenkung des Beitragssatzes und damit eine Reduzierung der Einnahmen, zugleich aber eine angestrebte massive Aufgabenausweitung für die BA in einem Bereich (Weiterbildungsberatung), der sehr personalintensiv wäre, wenn man in den ordentlich betreiben wollte? Wie wird das finanziert? Von wem?
  • Aber die hier aufzurufende entscheidende Frage muss lauten: Können die das (wirklich)? Haben die Arbeitsagenturen wirklich die Expertise, diese anspruchsvollen und hyperkomplexe Aufgabe erledigen zu können? Man lässt sich gerne vom Gegenteil überzeugen, aber ganz erhebliche Zweifel seien hier erlaubt.

Die Jobcenter und damit das Hartz IV-System (SGB II) wurden bereits angesprochen – und viele interessierte Beobachter warten sicher schon ganz gespannt darauf, was denn nun zum Themenfeld Grundsicherung heraussondiert wurde. Nicht nur was, sondern kann man eine sozialdemokratische Handschrift erkennen, die offensichtlichen Probleme in einem System anzugehen, von dem derzeit gut 6 Millionen Menschen abhängig sind?
Die erstaunliche und viele sicher auch empört zurücklassende Antwort muss lauten: Eigentlich hat man nichts vereinbart. Bis auf das hier:

»Wir wollen die Zumutbarkeit bei der Vermögensverwertung und das Schonvermögen im SGB II überprüfen.«

Ja, das war es. Mehr nicht. Keine Hinweise zur Frage der Höhe und Berechnung der Leistungen im Hartz IV-System (vgl. dazu nur als ein Bespiel für eine Diskussion, die überhaupt nicht aufgegriffen wurde: Eine deutliche Erhöhung der Regelsätze in der Grundsicherung fordert das „Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum“ vom 10. Januar 2018). Und was ist mit dem Problem der nicht-gedeckten Unterkunftskosten, was für viele Hartz IV-Empfänger ein großes Problem ist? In dem Beitrag Hartz IV-Empfänger bekommen 1,63% mehr Geld. Von der Angemessenheit, ungedeckten Stromkosten und Mieten mit Selbstbeteiligung vom 22. September 2017 habe ich darauf hingewiesen, »dass zahlreiche Grundsicherungsempfänger gezwungen sind, die nicht vom Jobcenter akzeptierten Mietanteile aus den Regelleistungen selbst zu tragen – schaut man sich die Differenz zwischen den bewilligten und den tatsächlichen Kosten der Unterkunft für Deutschland insgesamt an, dann kann man berechnen, dass die Hartz IV-Empfänger in diesem Jahr auf 594 Mio. Euro Wohnkosten sitzenbleiben. Bei vielen bedeutet das, dass sie aus ihrem Regelbedarf von (noch) 409 Euro pro Monat, der ja dafür nicht vorgesehen und schon für die laufenden Lebenshaltungskosten mehr als knapp kalkuliert ist, den Differenzbetrag decken müssen.« Dazu kein Wort.

Ebenfalls rein gar nichts findet man bei den GroKo-Sondieren zu dem überaus umstrittenen und mehr als brisanten Thema der Sanktionen im Hartz IV-Verfahren. In den zwölf Monaten von September 2016 und August 2017 kürzten die Jobcenter nach BA-Angaben 417.000 Beziehern 944.000mal die Grundsicherung für jeweils drei Monate. Von einer Vollsanktion inklusive der Mietzuschüsse waren monatlich im Schnitt 7.300 Menschen betroffen. So kamen die Jobcenter zwischen 2007 und 2016 auf eine Summe von 1,9 Milliarden Euro, die nicht an die Betroffenen ausgezahlt werden mussten. Nicht nicht einmal die bereits weichgespülte Forderung, wenigstens das heute schärfere Sanktionsregime gegen die unter 25-Jährigen an die allgemeinen Sanktionsregelungen anzupassen, hat es in das Papier geschafft. Offensichtlich wollen die neuen alten Großkoalitionäre hier auf ein Urteil aus Karlsruhe warten, denn dem Bundesverfassungsgericht liegt schon seit längerem die Frage vor, ob Sanktionen verfassungswidrig sind oder nicht. Eigentlich war die Entscheidung des höchsten Gerichts bereits für das nunmehr vergangene Jahr angekündigt worden. Und das kann nun auch noch weiter dauern, bis da was kommt, wie Susan Bonath in ihrem Artikel berichtet:

»Das Bundesverfassungsgericht (BverfG) wollte ursprünglich letztes Jahr darüber entscheiden, ob das Kürzen des Existenzminimums wegen verpasster Termine, abgelehnter Maßnahmen oder sonstiger »Pflichtverstöße« gegen die Grundrechte auf Menschenwürde, körperliche Unversehrtheit und freie Berufswahl verstößt. Die Entscheidung verschob Karlsruhe vorerst auf unbestimmte Zeit, wie BverfG-Sprecher Michael Allmendinger kurz vor Weihnachten gegenüber jW erklärte. Der Grund sei Überlastung. »Es kamen viele andere Dinge, wie etwa das dritte Geschlecht, kurzfristig dazwischen«, sagte er. Ein neuer Termin stehe noch nicht fest.«

Hartz IV – kein Handlungsbedarf, so die Botschaft des Ergebnispapiers.

Und wie ist das mit Themen, die besonders die Gewerkschaften interessieren sollten?

Zur Leiharbeit findet man diese wegweisende Verständigung: »Wir wollen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz 2019 evaluieren.« Na klasse. Auch hier die Botschaft: kein Handlungsbedarf, was auch nicht überrascht, hatte doch die SPD-Bundesarbeitsministerin erst gegen Ende der letzten GroKo das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz reformiert. Für eine kritische Bewertung dieser Arbeit vgl. den Beitrag Eine weichgespülte „Reform“ der Leiharbeit und Werkverträge in einer Welt der sich durch alle Qualifikationsebenen fressenden Auslagerungen vom 1. April 2017. Und ein weiterer kritischer Beitrag mit einem besonderen Blick auf die problematische Rolle der Gewerkschaften wurde am 19. April 2017 veröffentlicht: Wenn die Leiharbeiter in der Leiharbeit per Tarifvertrag eingemauert werden und ein schlechtes Gesetz mit gewerkschaftlicher Hilfe noch schlechter wird. Ergänzend dazu sei hier auch dieser Beitrag erneut in Erinnerung gerufen: Mit Tarifverträgen fahren Arbeitnehmer besser. Das stimmt (nicht immer). Über „tarifdispositive Regelungen“ und ihre Ambivalenz mit erheblicher Schlagseite vom 2. September 2017.

Na gut, aber bei der so wichtigen Frage der (schwindenden) Tarifbindung und hierbei vor allem der wichtigen Frage, wie man endlich mehr allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge hinbekommen kann, nachdem der letzte Vorstoß kläglich gescheitert ist (vgl. dazu ausführlicher Tarifbindung mit Schwindsucht und die Allgemeinverbindlichkeit als möglicher Rettungsanker, der aber in der Luft hängt vom 9. Mai 2017), da wird doch die harte sozialdemokratische Handschrift erkennbar werden. Oder? Schauen wir erneut in das Sondierungsergebnispapier:

»Wir wollen … neue Geschäftsmodelle fördern und gleichzeitig die Tarifbindung stärken. Die Arbeit auf Abruf nimmt zu, wir wollen jedoch sicherstellen, dass der Arbeitnehmer ausreichend Planungs- und Einkommenssicherheit in dieser Arbeitsform hat.
Wir wollen einen Rahmen schaffen, in dem Unternehmen, Beschäftigte und die Tarifpartner den vielfältigen Wünschen und Anforderungen in der Arbeitszeitgestaltung gerecht werden können …«

Warme Luft. Ja, ich kann nichts dafür, das war’s dann. Damit wird man eines der drängendsten Probleme in der lohnpolitischen Landschaft nun wirklich nicht angehen können, offensichtlich haben die Sozialdemokraten hier vor der Union schon im Vorfeld der eigentlichen Verhandlungen kapituliert.

Und der gesetzliche Mindestlohn? »Die Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt setzt sich für eine deutliche Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns ein. Die neue Bundesregierung müsse nicht nur an dem Erfolgsmodell festhalten, sondern auch die Basis des Stundenmindestlohns deutlich auf einen zweistelligen Betrag erhöhen«, so wird der Gewerkschaftsvorsitzende Robert Feiger in diesem Artikel zitiert: IG-BAU fordert zweistelligen Mindestlohn. Und das wird auch von anderer Seite sekundiert. So hat sich einer der „fünf Wirtschaftsweisen“, der Volkswirt Peter Bofinger, mit dieser Ansage positioniert: Die Politik muss den Mindestlohn erhöhen. Dazu der Beitrag Fordern kann man ja. Einen zweistelligen gesetzlichen Mindestlohn. Wenn da nur nicht dieses Mindestlohngesetz wäre vom 7. Oktober 2017 in diesem Blog. Aber der Mindestlohn taucht gar nicht auf im Ergebnispapier der Sondierer. Auch kein Thema

Aber wenigstens diese frohe Botschaft wird man dann sich zum Abschluss aufrufen können: Das Recht auf befristete Teilzeit wird kommen. Moment, wird der eine oder andere, der noch über einen Erinnerungsspeicher verfügt, an dieser Stelle einwerfen: Das war doch schon Beschlusslage im alten Koalitionsvertrag vom Dezember 2013? Ja, das war es. Dort findet man auf Seite 50 diese Vereinbarung unter der Überschrift „Weiterentwicklung des Teilzeitrechts“:

»Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich zum Beispiel wegen Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen zu einer zeitlich befristeten Teilzeitbeschäftigung entschieden haben, wollen wir sicherstellen, dass sie wieder zur früheren Arbeitszeit zurückkehren können. Dazu werden wir das Teilzeitrecht weiterentwickeln und einen Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit schaffen (Rückkehrrecht).«

Nur wurde diese noch verständliche Vereinbarung von 2013 aufgrund des Widerstands der Union in der letzten GroKo einfach nicht umgesetzt. Im Wissen um diese Vertragsverletzung haben jetzt aber die Sozialdemokraten sicher ganz hart verhandelt und eine später nicht mehr blockierbare Lösung in die Vereinbarung geschrieben. Oder? Also das, was man (siehe nebenstehende Abbildung) jetzt in ein Ergebnispapier von Sondierungsverhandlungen reingeschrieben hat, das erinnert eher an die Gebrauchsanleitung für eine dieser modernen Waschmaschinen, für deren wirkliches Verständnis man ein einschlägiges Studium benötigt. Und schaut man sich die fünf Punkte an, dann wird klar, dass das Recht auf befristete Teilzeit neben der Tatsache, dass es erst für Unternehmen ab 45 Beschäftigten gelten soll und damit Millionen Arbeitnehmer gar nicht erreichen kann, durch zahlreiche Restriktionen zum Schutz der Unternehmen wieder eingefangen wird.

Und schon sind wir am Ende dessen angekommen, was zum Themenfeld Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht vereinbart wurde. Die Wirtschaftsverbände und Arbeitgeberfunktionäre können sich nach dem Studium der wenigen Vereinbarungen entspannen und zurücklehnen. Dem Tiger (wenn er denn mal einer war) ist der letzte Backenzahn gezogen worden.

Von Crowd- und Clickworkern bis zum scheinselbständigen Bauarbeiter: Nicht nur die Unfallversicherung will eine Sozialabgabenpflicht. Aber wie an die Beiträge kommen?

Also früher war bestimmt nicht alles besser, weiß Gott nicht, aber einige Dinge waren schlichter gestrickt und man musst nicht wirklich anstrengende Denkübungen vollziehen, wie man was regelt und wann was nicht. Beispielsweise die Tatsache, dass die Welt der Arbeitnehmer und der Selbständigen relativ gut abgrenzbar daherkam. Und bei den meisten Selbständigen konnte man durchaus berechtigt davon ausgehen, dass die sich alleine durchs Leben schlagen konnten und von den immer schon vorhandenen selbständigen Kümmerexistenzen abgesehen haben die meisten von ihnen ihre Vorsorge gegen die Wechselfälle des Lebens selbst in die Hand genommen und organisiert. Aber alles ist im Wandel und so diskutieren wir seit geraumer Zeit über neue Formen der Beschäftigung, die quer liegen (können) zu dem, was sich in der Vergangenheit als relativ eindeutig abgrenzbare Strukturen herausgebildet hat. Da wird dann immer wieder von einer „Erwerbshybridisierung“ gesprochen, was erst einmal nichts anderes bezeichnet als: Abhängige und selbstständige Erwerbstätigkeit sind immer öfter parallel und seriell in Erwerbslebensläufen vermischt, was mit neuen Herausforderungen für das Arbeits- und Sozialrecht einhergeht.

In den vergangenen Jahren hat hierbei die Diskussion über Crowd- und Clickworker im Kontext von „Arbeit 4.0“ eine prominente Rolle gespielt, wobei allein schon die Abgrenzung dessen, was man sich darunter vorstellen kann oder soll, ganze Promotionsleben gefüllt hat und nicht wirklich abschließend geklärt wurde. Die Abbildung am Anfang dieses Beitrags mit einem Typisierungsversuch ist beispielsweise der Arbeit  Plattformbasierte Erwerbsarbeit: Stand der empirischen Forschung von Michael F. Meier et al. (2017) entnommen.

Einen der vielen anderen Abgrenzungsversuche findet man in der Arbeit von Florian A. Schmidt (2016): Arbeitsmärkte in der Plattformökonomie – Zur Funktionsweise und den Herausforderungen von Crowdwork und Gigwork.

Schmidt »differenziert zunächst zwischen Cloud Work und Gig Work. Bei Cloud Work handelt es sich um Arbeiten, die im Internet vermittelt und erledigt werden. Das können einfache Tätigkeiten sein wie das Testen von Apps oder die Überprüfung von Adressen. Dies geschieht beispielsweise auf Plattformen wie Amazon MTurk. Aber auch komplexe Aufgaben können von Klickarbeitern bearbeitet werden, vor allem im Bereich Design. Hier treten oft mehrere Designer im Wettbewerb gegeneinander an. Jeder reicht einen Entwurf ein, einer bekommt den Auftrag. Die anderen gehen leer aus. Nach diesem Prinzip funktionieren Plattformen wie 99designs oder Jovoto. Der große Unterschied bei Gig Work: Hier werden die Jobs zwar auch über Internet-Plattformen vermittelt, aber vor Ort ausgeführt. Beispiel: Ein Kunde bestellt eine Pizza im Internet. Die Auslieferung übernimmt ein freiberuflicher Fahrer, der – unterwegs mit eigenem Fahrzeug – eine Nachricht auf sein Smartphone erhält, wo er das Essen abholen und abliefern soll. Ursprünglich kommt der Begriff Gig aus der Musikbranche – ein Künstler versteht darunter einen einzelnen Auftritt, ohne längerfristige Verpflichtungen. Diesen kurzfristigen Charakter haben auch die Jobs aus dem Internet«, kann man dieser Zusammenfassung entnehmen.

Mit diesem Thema kann man derzeit sein Leben füllen, aber wie immer sollte man das auch erden: Bislang betrifft Cloud Work oder Gig Work nur einen kleinen Teil der Beschäftigten in Deutschland, und wenn, dann dient die digitale Arbeit ihnen meist nur als Zuverdienst. Aber die für das tradierte (?) Arbeits- und Sozialrecht so problematischen Prinzipien, die man in diesen Bereichen beobachten muss, können sich durch andere Wirtschaftsbereiche fressen und immer mehr Arbeitnehmer (?) betreffen.

Bislang berufen sich die Plattformen häufig darauf, sie seien keine Arbeitgeber, sondern nur Vermittler und damit der falsche Ansprechpartner in Sachen Arbeitnehmerrechte. Und da fangen die Probleme so richtig an: Der Wissenschaftler fordert jedoch, die Anbieter stärker in die Pflicht zu nehmen: „Es hat sich herausgestellt, dass die Plattformen sowie deren Kunden am meisten von den neuen Möglichkeiten profitieren, während sie die Risiken an die Auftragnehmer und die sozialen Kosten an die Gesellschaft auslagern.“

Nur als Fußnote: Marcus Schwarzbach weist in seinem Artikel Zerstörerische Schöpfung darauf hin, dass sich das Crowdworking bereits im Entstehungsprozess verbunden hat mit einem anderen grundsätzlichen Trend, dem Outsourcing: »Im großen Stil eingeführt hat das der Versandkonzern Amazon – dort wollte man 2005 zum Weihnachtsgeschäft erstmals CDs auf seinen Webseiten anbieten. Dazu mussten Hunderttausende Cover geprüft werden. Doch kein Algorithmus konnte die Informationen so zuverlässig, schnell und billig der CD-Hülle entnehmen wie ein Mensch. Also entwickelte Amazon eine Plattform, die Menschen wie ein Computerprogramm einsetzt, um die Angaben zu digitalisieren. So entstand Amazon Mechanical Turk

Auch wenn alle Welt seit einiger Zeit in einer Intensität über Crowd- und Clickworker diskutiert, als seien Millionen Menschen auf diese Form der Beschäftigung angewiesen – die wirklichen Zahlen sind doch deutlich niedriger, wenn sie auch alle nur Schätzungen sind und sein können, denn das, was da passiert, wird nicht separat und repräsentativ erfasst. Sind es nun 440.000 Clickworker? Oder doch schon mehr? Und außerdem – was heißt Clickworker genau? Also ab wann ist man ein solcher? Wenn man eine Stunde pro Woche dem Trieben im Netzt nachgeht oder müssen es 10 Stunden oder gar mindestens ein halber Arbeitstag pro Arbeitstag? In einer Studie für das Bundesarbeitsministerium wurde ihre Zahl auf ein Prozent der Erwerbstätigen geschätzt, das wären 440.000 Personen. Aber das ist wie skizziert, immer eine Frage der Abgrenzung und bedeutet nicht, dass die das ausschließlich machen.

Diese Fragen sind nicht etwa theoretischer Natur, sondern sie manifestieren sich auch beispielsweise in den vorliegenden Daten über den durchschnittlichen Verdienst der Crowdworker. Denn zu bestimmen haben Jan Marco Leimeister, David Durward und Shkodran Zogaj versucht: Crowd Worker in Deutschland. Eine empirische Studie zum Arbeitsumfeld auf externen Crowdsourcing-Plattformen. HBS Study Nr. 323, Düsseldorf, Juli 2016.

Eine der größten und ältesten Plattformen ist Clickworker, ein Viertel der mehr als 700.000 Mitglieder stammt nach Angaben des Anbieters aus Deutschland. Auch auf internationalen Marktplätzen wie Freelancer, Upwork oder 99Designs sind mehrere Tausend Mitglieder aus dem deutschsprachigen Raum registriert. Bislang nutzen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen die Dienste von Crowd Workern, aber auch Konzerne wie die Telekom. Gut die Hälfte der Befragten gibt an, dass sie zu unterschiedlichen Tageszeiten arbeiten, häufig abends oder nachts. Nur vier Prozent sind regelmäßig morgens aktiv. Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt knapp 14 Stunden pro Woche.

»Etwa 70 Prozent verdienen weniger als 500 Euro im Monat – nach Abzug der Gebühren der Plattformen, aber vor Steuern. Dabei handelt es sich häufig um Nebenverdienste. Insgesamt liegt das mittlere Einkommen derjenigen, die nebenberuflich als Crowd Worker tätig sind, bei 326 Euro pro Monat. Bei den Crowd Workern im Hauptberuf – dies sind rund 20 Prozent der Befragten – beträgt das mittlere Einkommen rund 1.500 Euro. Etwas mehr als die Hälfte derjenigen, die ihr Haupteinkommen aus der digitalen Erwerbsarbeit erzielen, sorgt der Studie zufolge nicht für das Alter vor«, kann man dem Beitrag Die digitalen Tagelöhner entnehmen.

Man erkennt, dass wir es mit einem überaus heterogenen Bereich zu tun haben – was in unseren komplexen arbeits- und sozialrechtlichen Systemen sofort mannigfaltige Abgrenzungsfragen provoziert.

Hinsichtlich der Frage, wie man diese Entwicklungen in den gewachsenen Sicherungssystemen irgendwie einfangen kann, wird von einem neuen Vorstoß berichtet, der aus einer Ecke kommt, an die viele sicher nicht gedacht haben: von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).

Uber, Myhammer und Co. sollen Sozialabgaben zahlen, so hat Andreas Mihm seinen Artikel dazu überschrieben: »Wer einen Handwerker sucht, wird bei der Plattform Myhammer fündig, die Ferienwohnung bucht der moderne Reisende über Airbnb … Diese und andere elektronische Plattformen werden als Vermittler von Dienstleistungen und Arbeitsaufträgen bei Kunden und Anbietern beliebter. Manche Bauleute, Handwerker oder Fahrer nutzen digitale Vermittler für Zweit- oder Drittjobs, andere tummeln sich dort als vollerwerbstätige Solo-Selbständige.«

Nun fordert die Gesetzliche Unfallversicherung neue Regeln für diese Plattformen. Der Vorschlag: Wo normalerweise der Arbeitgeber die Beiträge zur Unfall-, Renten- oder Krankenversicherung abführt, soll das bald der Plattformbetreiber tun.

Da stellt sich natürlich sofort die Frage, wie das gelingen könnte. Dazu berichtet Andreas Mihm:

»Joachim Breuer, der Hauptgeschäftsführer der Unfallversicherung, verweist auf Frankreich. Dort sei zum Jahresanfang ein Gesetz in Kraft getreten, wonach die Vermieter von Wohnungen über eine Plattform oberhalb eines bestimmten Freibetrages Steuern und Beiträge an die Sozialversicherung abführen müssen. Er empfiehlt das der nächsten Bundesregierung zur Nachahmung, und zwar nicht nur für Plattformen wie Airbnb, sondern für alle Formen der Vermittlung von Arbeit über das digitale Netz. „Auch die Solo-Selbständigen und Crowdworker sollten in die gesetzliche Unfallversicherung integriert werden“, verlangt Breuer. Dazu brauche man ein Inkassomodell, das auf die Besonderheiten dieser Gruppe eingehe, zum Beispiel das französische Modell.«

Und wie funktioniert dieses Modell? »Das französische Arbeitsgesetzbuch kennt jetzt „Arbeitnehmer, die eine elektronische Vermittlungsplattform benutzen“. Für diese Leute müssen die Betreiber unabhängig vom Sitz des Betriebs steuer- und sozialrechtliche Daten erfassen, melden und Beiträge abführen.« Mihm weist sogleich darauf hin, dass es eine „spannende Frage“ sein wird, ob sich »auch im Ausland residierende Plattformbetreiber daran halten oder ob und wie sie dazu gegebenenfalls gezwungen werden können.«

Joachim Breuer, der Hauptgeschäftsführer der Unfallversicherung, wird mit den Worten zitiert, dass es »ihm nicht allein darum (gehe), dass der gewerblichen Unfallversicherung durch die Flucht aus dem Angestelltenverhältnis in die Solo-Selbständigkeit im Jahr mehr als eine Milliarde Euro Beitragseinnahmen entgingen. Selbständige sind nur freiwillig in der Unfallversicherung, während Beschäftigte automatisch abgesichert sind – bezahlt vom Arbeitgeber mit einem Prozentsatz der Lohnsumme.«

Und dann überschreiten wir den engeren Kreis dessen, was derzeit als Crowd- oder Clickworker diskutiert wird und kommen zu einer Personengruppe, die in der Sozialpolitik seit vielen Jahren die Rolle des alten Bekannten spielt: die Solo- und nicht selten auch Schein-Selbständige. Dazu Mihm: Gerade in der Baubranche, aber auch im Hotel- und Gaststättengewerbe, sei das ein großes Thema. Er zitiert Klaus-Richard Bergmann, den Hauptgeschäftsführer der Bau-Berufsgenossenschaft:

»So zähle seine Berufsgenossenschaft 518.000 Mitgliedsbetriebe, doch 285.000 von ihnen hätten überhaupt keine Beschäftigten. Sie zahlten keine Beiträge zur Unfallversicherung und seien im Falle eines Arbeitsunfalls nicht abgesichert – das übernehme die Allgemeinheit. In Berlin hat die Genossenschaft im vergangenen Jahr die Gründung von 8.000 neuen Bau- und Reinigungsbetrieben gezählt – alles Ein-Personen-Unternehmen. In der Branche sind Briefkästen in Trabantensiedlungen großer Städte bekannt, hinter denen sich gleich mehrere Dutzend Betriebe verbergen. Aus dem Maler- und Lackiergewerbe wird berichtet, dass sich die Mehrheit der Auszubildenden nach der Gesellenprüfung solo-selbständig mache. Viele Lehrbetriebe wollten dem nicht länger zusehen. „Da implodiert gerade das duale Ausbildungssystem“, weist ein Kenner auf andere Kollateralschäden der „Arbeit 4.0“ hin.

„Hochriskante Tätigkeiten in der Bauwirtschaft werden zunehmend ausgelagert“, ergänzt Bergmann. Im Abbruch- und Entsorgungsgewerbe seien drei von vier Betrieben Ein-Mann-Unternehmen. Mehr als zwei Drittel der Gerüstbauer arbeiteten „solo“, heißt es. Da fragt sich mancher aus der Branche, wie diese schwere Sicherungsarbeiten bewerkstelligten – oder ob nicht doch die Kolonne mit dem Polier weiterarbeite wie bisher, nur unter neuer arbeitsrechtlicher Fahne. Breuer beklagt, dass sich ein „grauer Arbeitsmarkt“ entwickle, der sich der Arbeitsschutzkontrolle und Präventionsangeboten entziehe, auf dem die Standards für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit „keine Rolle spielen“. Gerade in der Baubranche, wo Unfallzahlen höher ausfallen als anderswo, könne das die Zahl der Arbeitsunfälle nach oben treiben.«

Die Reaktion auf diese Forderung lies nicht lange auf sich warten: Myhammer wehrt sich gegen Sozialversicherungspflicht, berichtet Dietrich Creutzburg:

»Claudia Frese, Vorstandschefin von Myhammer, zeigte sich auf Anfrage vor allem irritiert darüber, wie in der Debatte über die Plattformökonomie „völlig unterschiedliche Geschäftsmodelle in einen Topf geworfen werden“. Einerseits gebe es Plattformen, die den Preis der vermittelten Leistung bestimmten und auch selbst Vertragspartner des Endkunden würden. Das gilt etwa für Uber; mit entsprechend geringeren Freiheitsgraden für die Fahrer. Andere hingegen beschränkten sich auf die Vermittlung einer Vertragsbeziehung zwischen Anbieter und Kunden – so auch Myhammer. Wie in diesem Fall aber der Vermittler mit Sozialabgaben belegt werden könne, sei schleierhaft, urteilt Frese. Eine Bemessungsgrundlage könne dann ja wohl allenfalls die Mitgliedsgebühr sein, die Myhammer von den Handwerkern erhebe.«

Man kann bereits an dieser Stelle erkennen, dass wir mit echten Herausforderungen konfrontiert werden, was die Abgrenzung und vor allem das sozialpolitische Einfangen dieser überaus heterogenen Personengruppe angeht.

Dem stelle sich seit geraumer Zeit natürlich auch die Rechtswissenschaftler. Hierzu dieser Sammelband, den das Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht (HSI) veröffentlicht hat:

Bernd Waas / Wilma B. Liebman / Andrew Lyubarsky / Katsutoshi Kezuka (2017): Crowdwork – A Comparative Law Perspective. HSI-Schriftenreihe 22, Frankfurt am Main 2017

In einer Zusammenfassung dieses Sammelbandes finden wir die folgenden Hinweise: Das erste nicht wirklich überraschende Ergebnis: Die Studie kommt zu dem »Ergebnis, dass es nicht den  Status für den Crowdworker  gibt. Es muss vielmehr je nach Gestaltung des Einzelfalls geprüft werden, ob ein Arbeitsverhältnis oder Selbstständigkeit vorliegt. Meistens werden Crowdworker keine Arbeitnehmer sein. Wo sie als Arbeitnehmer anzusehen sind, stellt sich die Folgefrage, wer eigentlich der Arbeitgeber ist. Die Überlegungen reichen hier über einen gemeinsamen Arbeitgeber (joint employer) aus Plattform und Auftraggeber, über ein sogenanntes „indirektes Arbeitsverhältnis“ zum Auftraggeber bis hin zur Einordnung der Crowdworker als „arbeitnehmerähnliche Personen“ – einer Kategorie zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen für Personen, die einem Arbeitnehmer vergleichbar schutzbedürftig sind und auf die ein Teil des Arbeitsrechts angewendet wird. In den überwiegenden Fällen, in denen Crowdworker nicht über das Arbeitsrecht geschützt werden, sind sie dennoch nicht vollkommen schutzlos. Die Vertragsklauseln zwischen Plattform und Crowdworker müssen in Deutschland den rechtlichen Anforderungen an Allgemeine Geschäftsbedingungen genügen … Während in Deutschland die Allgemeinen Geschäftsbedingungen überwiegend eher fair gestaltet sind, lässt sich dies insbesodere für die USA nicht behaupten. Hier sind sie oft äußerst einseitig und benachteiligen Crowdworker massiv.«

Und was folgt daraus? Welche neuen Wege werden beschritten?

»Die Reformüberlegungen umfassen beispielsweise eine Anpassung des Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbegriffs, der neue Arbeitsformen wie Crowdwork berücksichtigt. In Deutschland und Japan werden zudem Überlegungen angestellt, Teile des Arbeitsrechts auf Solo-Selbstständige auszuweiten. In den U.S.A. wird die Einführung einer Kategorie zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen debattiert. Die Dreiecksbeziehung zwischen Plattformen, Crowdworkern und Unternehmen weist zudem Ähnlichkeiten zum Geschäftsmo-dell der Leiharbeit auf. Deshalb ist eine weitere Überlegung, das Recht zur Regulierung der Leiharbeit auf die Plattformökonomie auszuweiten oder vergleichbares Recht zu schaffen.«

In dem Band wird ein auf den ersten Blick anachronistisch daherkommender Vorschlag gemacht: Man könne versuchen, an der besonderen Figur des Heimarbeiters anzudocken:

»Besondere Beachtung sollte nach Auffassung der Autoren auch dem heutzutage fast vergessenen Recht der Heimarbeit geschenkt werden, die in allen untersuchten Staaten reguliert ist. Das Heimarbeit-basierte Outsourcing ähnelt den Tätigkeiten von Crowdworkern. In den U.S.A. wird gesetzlich vermutet, dass Industrie-Heimarbeiter Arbeitnehmer ihrer Auftraggeber sind und keine selbstständigen Vertragspartner. Denkbar wäre, ein analoges Schutzrecht für  Crowdworker im Verhältnis zu den Plattformen zu schaffen, z. B. um die Zahlung von Mindestlohn sicherzustellen. Auch in Japan wird diskutiert, Crowdworkern den Zugang zum Mindestlohn für Heimarbeiter zu eröffnen. Das deutsche Heimarbeitsgesetz verschafft den so Beschäftigten eine ganze Reihe von Schutzvorschriften. Es misst Gewerkschaften und Vereinigungen der Auftraggeber zudem eine bedeutende Rolle bei der Überwachung der gesetzlichen Vorgaben bei und gibt die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge zu regeln.«

Man kann unschwer erkennen – auch, wenn es bereits erste Gehversuche gibt hinsichtlich der Frage nach der sozialen Sicherung – der Weg wird noch lang und dornig werden.