Keine Regel ohne Ausnahme. Die „drastische Einschränkung“ der sachgrundlosen und der Ketten-Befristungen, die weiterarbeitenden Eigentlich-Rentner und der EuGH

Das Thema befristete Arbeitsverträge hatte in den vergangenen Wochen im Kontext der neuen und komplikationsbehafteten GroKo-Geburt eine durchaus prominente Rolle gespielt, war doch die Einschränkung (anfangs sogar die völlige Streichung) der sachgrundlosen Befristung ein sozialdemokratisches „Herzensanliegen“. Und scheinbar hat man hier bei den Koalitionsverhandlungen, dessen Ergebnis am Sonntag sicher bestätigt werden wird bei der Bekanntgabe des Ergebnisses der SPD-Mitgliederbefragung, Erfolge erzielen können – wenn man denn den Verlautbarungen aus der SPD-Führung Glauben schenkt: In der offiziellen Botschaft der Parteiführung heißt es hinsichtlich der „sozialdemokratischen Handschrift“, die man im Entwurf eines Koalitionsvertrages hinterlassen habe: »Das unbefristete Arbeitsverhältnis wird wieder zur Regel: Wir schränken sachgrundlose Befristungen drastisch ein und schaffen endlose Kettenbefristungen ab.« Nun ist das mit der „drastischen Einschränkung“ so eine Sache. Was man erreicht hat in den Verhandlungen mit der Union kommt als ein typischer Kompromiss daher. Dazu ausführlicher bereits die Analyse in diesem Beitrag vom 20. Februar 2018: Die beabsichtigte Einschränkung der sachgrundlosen Befristung und das ewige Dilemma mit den Schwellenwerten. Dort wurde bereits darauf hingewiesen, dass man das mit der „drastischen Einschränkung“ differenzierter und weitaus weniger euphorisch sehen muss.

Und dass es auch in Zukunft für bestimmte Personengruppen weitergehen wird mit nicht begrenzten sachgrundlosen Befristungen und das auch noch vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) abgesegnet, verdeutlicht diese Meldung: Arbeitsrecht: Befristung im Rentenalter zulässig, so die FAZ. Das, was der EuGH da wohlwollend beurteilt hat, muss auch im Zusammenhang gesehen werden mit einem anderen blutdruckerhöhenden Thema aus der sozialpolitischen Debatte in Deutschland – der immer wieder geforderten weiteren Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters und der angeblich fehlenden „Anreize“, ältere Arbeitnehmer auch nach dem Erreichen des Renteneintrittsalters zu beschäftigen.

Den letzten Punkt betreffend darf hier an diesen Beitrag vom 3. Januar 2015 erinnert werden: Was für ein Jahresanfangsdurcheinander: Die Rente mit 70 (plus?), ein Nicht-Problem und die Realität des (Nicht-)Möglichen, so war der überschrieben. Damals ging es um so eine Debatte: »Angesichts des Fachkräftebedarfs in Deutschland plädiert der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Frank-Jürgen Weise, für zusätzliche Anreize, um Ältere bis zum Alter von 70 Jahren im Berufsleben zu halten …  „Man sollte nun auch Anreize dafür setzen, dass Arbeitnehmer, die fit sind, freiwillig bis 70 arbeiten können“, forderte Weise. Für den Arbeitsmarkt wäre das gut, betonte der BA-Vorstand.« So etwas wird bis heute von interessierter Seite immer wieder gerne vorgetragen, vor allem von den Arbeitgeber-Funktionären, was aber nicht bedeutet, dass durch ständige Wiederholungen die Sache richtiger wird. Schon damals habe ich die Frage gestellt: Wo ist eigentlich das Problem? Ist das nicht heute schon möglich?

»Ja, so muss die einfache Antwort in einem ersten Schritt lauten. Beschäftigte können – im Prinzip – den Renteneintritt auf einen späteren Zeitpunkt verschieben und erhalten dafür eine höhere Rente. Das heißt aber eben auch, dass es sich bereits heute lohnen kann, länger zu arbeiten, wenn man denn will und kann und – das wird allerdings in den meisten Artikeln gerne unterschlagen, wenn der Arbeitgeber auch mitmacht, denn es gibt nicht wenige Unternehmen, die aus welchen Gründen auch immer gar kein Interesse haben an der Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer und dann gerne auf das gesetzliche Renteneintrittsalter als Austrittsgrund verweisen, um den Mitarbeiter loswerden zu können.«

Beispiel: Wer den Renteneintritt um ein Jahr aufschiebt, erhält lebenslang eine um 12 mal 0,5 Prozent – also sechs Prozent – erhöhte Monatsrente. Man muss sich in aller Deutlichkeit klar machen, dass es bereits heute im bestehenden System aufgrund der Entgeltpunkt- und Zuschlagssystematik der Rentenformel durchaus „lohnend“ ist, weiterzuarbeiten und man keineswegs „bestraft“ wird, wenn man sich dafür entscheidet. Und damit nicht genug: Zugleich sind die arbeitenden Rentner von Beitragszahlungen an die Arbeitslosen- und Rentenversicherung befreit. Die Arbeitgeber müssen allerdings weiterhin ihren Rentenbeitragsanteil abführen. 
Aber was hat das mit dem Thema Befristungen zu tun? Auch hierzu konnte man bereits 2015 erfahren: Und ganz wichtig ist auch der Hinweis, dass die immer wieder geforderten vereinfachten Rahmenbedingungen zugunsten der Unternehmen für eine Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer von der Großen Koalition im Windschatten der Rente mit 63 und der Mütterrente bereits hergestellt worden sind: In der Vergangenheit waren unbefristete Arbeitsverhältnisse bei einer Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Renteneintrittsalters automatisch als unbefristet fortgeführt worden, was den Arbeitgebern ein Dorn im Auge war, denn solche Arbeitsverhältnisse sind seitens vieler Unternehmens kaum kündbar, ihre Beendigung ist oft mit Abfindungszahlungen verbunden. Das empfanden die Arbeitgeber als ein besonderes Risiko und ihre Forderung war es denn auch, so gestellt zu werden, dass sie die möglichen Vorteile einer Weiterbeschäftigung älterer Arbeitnehmer in Anspruch nehmen können und gleichzeitig aber diese schnell loswerden können, wenn „ihre Zeit gekommen“ ist. Und da ist ihnen die Bundesregierung ganz erheblich entgegengekommen: Die von den Arbeitgebern geforderten vereinfachten Rahmenbedingungen hat die Regierungskoalition bereits im Juli 2014 gleichzeitig mit der Mütterrente und der Rente mit 63 in Kraft gesetzt: Seither können Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine befristete Weiterbeschäftigung nach Erreichen des Renteneintrittsalters vereinbaren und solche Befristungen auch mehrfach verlängern.
Auf den Punkt gebracht: Bereits heute besteht bei den Eigentlich-Rentnern die Möglichkeit, sachgrundlose Ketten-Befristungen zu nutzen. Und das wird sich auch durch die GroKo neu nicht ändern. 
Und was hat das EuGH nun mit diesem Thema zu tun? Der EuGH hat am 28.02.2018 diese Pressemitteilung zu einem neuen Urteil veröffentlicht und die Überschrift sagt schon alles: Die Befristung der Verlängerung eines Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus ist zulässig.  Konkret geht es um die Rechtssache C‑46/17 (dazu das Urteil im Verfahren Hubertus John gegen Freie Hansestadt Bremen).

Erhellend ist auch das, was nach der Überschrift in der Pressemitteilung des hohen Gerichts ausgeführt wird: »Der Arbeitnehmer kann nicht geltend machen, dass es sich dabei um einen Missbrauch befristeter Arbeitsverträge handelt.«
Konkret ging es im vorliegenden Fall um einen Lehrer in Deutschland. Dazu berichtet die FAZ zusammenfassend: »Angesichts des Personalmangels gibt es immer wieder Pädagogen, die nach Erreichen des Rentenalters weiter unterrichten wollen. Einer von ihnen, der Bremer Lehrer Hubertus John, beantragte noch vor seiner Pensionierung eine Verlängerung. Die Stadt Bremen erlaubte ihm, ein weiteres Schuljahr zu unterrichten – einem Folgeantrag für eine abermalige Verlängerung lehnte sie ab. John wollte sich das nicht bieten lassen und klagte vor den Arbeitsgerichten: Er fühlte sich gegenüber jüngeren Kollegen diskriminiert, überhaupt verstoße schon die Befristung seiner Weiterbeschäftigung gegen europäisches Recht.«
Das Urteil des EuGH hat eine über den konkreten Fall des Lehrers aus Bremen weit hinausreichende Bedeutung. Im Zentrum der Frage steht § 41 Satz 3 SGB VI. Er erlaubt es den Vertragsparteien, den Zeitpunkt für das Ende des Arbeitsverhältnisses auch über die Regelaltersgrenze hinauszuschieben. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Bremen fragte den EuGH daraufhin, ob die deutsche Regelung mit dem unionsrechtlichen Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und mit der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vereinbar ist. Die sollen vor Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge schützen.
Der EuGH hat nun entschieden, dass das zum einen keine Diskriminierung wegen des Alters darstellt, denn grundsätzlich würde ein Arbeitsvertrag bei Erreichen der Altersgrenze automatisch beendet und die Option der Veränderung sei nur eine Ausnahmeregelung. Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich um eine Ausnahme vom Grundsatz der automatischen Beendigung, die wiederum die Zustimmung beider Vertragsparteien voraussetze.
Bleibt zum anderen die Frage nach der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge und der damit angestrebten Verhinderung eines Missbrauchs durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge. Auch das hat das Gericht verneint. Dazu kann man der EuGH-Entscheidung entnehmen:

»Der Gerichtshof verweist insoweit auf die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts, wonach sich ein Arbeitnehmer, der das Regelalter für den Bezug der gesetzlichen Altersrente erreicht, von anderen Arbeitnehmern nicht nur hinsichtlich seiner sozialen Absicherung unterscheidet, sondern auch dadurch, dass er sich regelmäßig am Ende seines Berufslebens befindet und damit im Hinblick auf die Befristung seines Vertrags nicht vor der Alternative steht, in den Genuss eines unbefristeten Vertrags zu kommen. Außerdem ist bei der Verlängerung des Arbeitsverhältnisses, um die es hier geht, gewährleistet, dass der betreffende Arbeitnehmer zu den ursprünglichen Bedingungen weiterbeschäftigt wird und gleichzeitig seinen Anspruch auf eine Altersrente behält.«

Damit ist also dieser ganz erhebliche „Anreiz“ für Arbeitgeber bei ihrer „Absicherung“ über eine auch mehrfache Befristung der Weiterbeschäftigung, wenn sie denn willige Arbeitnehmer finden, bestätigt. Daran sollte man immer denken, wenn die Arbeitgeber-Funktionäre wieder einmal lamentieren, dass die Weiterbeschäftigung über das eigentliche Renteneintrittsalter nicht „attraktiv“ genug sei und für die Arbeitgeber „erleichtert“ werden müsse.

Mit einer neuen Entsenderichtlinie gegen Lohndumping in der EU. Also in ein paar Jahren, mit Einschränkungen und Ausnahmen

Jetzt aber endlich mal wieder positive Nachrichten – und dann auch noch zu einem europäischen Thema: Einig im Kampf gegen Lohndumping, so lautet eine der Überschriften dazu oder noch eindrucksvoller: Lohndumping: EU will Ausbeutung ausländischer Billiglöhner stoppen. Na endlich, wird der eine oder andere anmerken, das wurde aber auch wirklich Zeit, wenn man sich die Verwerfungen anschaut, die in manchen Branchen entstanden sind durch den massenhaften Einsatz von entsandten Arbeitnehmern, die zu deutlich günstigeren Konditionen beschäftigt werden können als einheimische Beschäftigte.

Was genau ist passiert, dass es solche semantischen Freudensprünge zu verzeichnen gibt? »Ob auf Baustellen, in Gastronomie oder Pflege: Viele ausländische Arbeitskräfte wurden bislang schlechter bezahlt als ihre heimischen Kollegen. Das soll sich nun ändern«, so beginnt dieser Bericht. »Nach monatelangen Verhandlungen erzielten Unterhändler des Europäischen Parlaments, der EU-Länder und der EU-Kommission eine entsprechende Grundsatzeinigung. Sozialkommissarin Marianne Thyssen sprach von einem Durchbruch und einem ausgewogenen Kompromiss nach dem Prinzip: gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit am selben Ort.«

Das hört sich gut an. Denn es geht hier um viele betroffene Arbeitnehmer (direkt und natürlich auch indirekt). Gut zwei Millionen entsandte Kräfte arbeiten nach offiziellen Angaben in einem anderen EU-Land, mehr als 400.000 in Deutschland. Viele arbeiten auf dem Bau, bei Speditionen, in Gaststätten oder in der Pflege. Über die Reform der mehr als 20 Jahre alten EU-Entsenderichtlinie wurde seit 2016 gestritten. Östliche Mitgliedstaaten mit niedrigem Lohnniveau pochen auf Freizügigkeit ihrer Bürger, während die westlichen EU-Länder Lohndumping auf ihrem Arbeitsmarkt beklagen.

Die bisher bestehende Problematik kann man so beschreiben: »Entsandte Beschäftigte sind häufig mit einer deutlichen Benachteiligung hinsichtlich der ihnen zugänglichen Rechte, Standards und Ansprüche konfrontiert. Der Grundstein hierfür ist in der veralteten EU-Entsenderichtlinie aus dem Jahr 1996 gelegt, die nur eine begrenzte Zahl von Regelungsinhalten definiert. Häufig bilden der gesetzlich festgelegte Mindestlohn sowie die gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststandards hinsichtlich Urlaub oder Arbeitszeiten das Maximum des für entsandte Beschäftigte erreichbaren … Entsandte Beschäftigte sind massiv gefährdet durch Lohndumping, Sozialversicherungsbetrug, Kettenentsendungen, Entsendungen über Briefkastenfirmen oder missbräuchliche Praktiken hinsichtlich der Zahlung der ihnen zustehenden Löhne und Gehälter.« So der DGB in einer Veröffentlichung, die 2016 unter dem Titel Gleiche Arbeit, gleicher Ort – gleicher Lohn? Zur Situation entsandter Beschäftigter erschienen ist.

Die Forderung des DGB damals: »Eine Überarbeitung der EU-Entsenderichtlinie ist dringend geboten. Der DGB fordert, dass das Ziel „Gleicher Lohn für Gleiche Arbeit am Gleichen Ort“ gerade mit Blick auf entsandte Beschäftigte mit aller Entschiedenheit verfolgt und umgesetzt wird.«

Zuweilen wird man erhört: EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen sprach von einem Durchbruch und einem ausgewogenen Kompromiss. Zentraler Punkt sei das Prinzip „gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit am selben Ort“. Offensichtlich – folgt man den aktuellen Meldungen – ist das Ziel einer gleichen Bezahlung für gleiche Arbeit am gleichen Ort jetzt auch erreicht worden:

»Vereinbart wurde nun nach Angaben der Unterhändler, dass Entsendungen grundsätzlich auf zwölf Monate begrenzt sein sollen – mit der Möglichkeit einer Ausweitung auf 18 Monate. Die entsandten Arbeitnehmer sollen von Anfang an die gleichen Tariflöhne wie ihre einheimischen Kollegen bekommen, einschließlich Extras wie ein 13. Monatsgehalt oder Schlechtwetterzuschläge. Reise- oder Unterbringungskosten dürfen ihnen nicht vom Lohn abgezogen werden.«

Das ist im Vergleich zur heutigen Rechtslage eine deutliche Verbesserung – aber wie immer im sozialpolitischen Leben gibt e nicht nur ein Haar in der Suppe. Und deshalb schauen wir einmal genauer hin.

Die Debatte über die Folgen der Entsendungen von Arbeitnehmern wurde und wird nicht nur unter dem Schlagwort vom „Lohndumping“ geführt, das man nun tatsächlich erheblich eindämmen könnte, wenn die Richtlinie mit den Änderungen kommt und wenn sie auch eingehalten wird. Sondern neben dem „Lohndumping“ wurde und wird immer auch der Begriff „Sozialdumping“ verwendet – und hier gibt es eine Leerstelle zu vermelden auch bei dem nun erreichten Kompromiss auf europäischer Ebene, denn:

»Unterschiede bleiben bei der Sozialversicherung, wie Thyssen bestätigte. Die entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind in der Heimat oft preiswert kranken- oder rentenversichert. So sind Lohnkosten unter dem Strich bei entsandten Arbeitnehmern nach wie vor günstiger als bei einheimischen.«

Das nun verdünnt das Ergebnis doch erheblich. Darauf wurde bereits in diesem Beitrag vom 25. Oktober 2017 hingewiesen: Ein Fortschritt bei der Eindämmung von Lohndumping. Oder? Die EU, die Entsenderichtlinie, ein Kompromiss – und seine Ambivalenz. Dort findet man diesen Hinweis:

»Von großer Bedeutung sind die Einsparpotenziale aus Arbeitgebersicht bei den Sozialabgaben auf den Faktor Arbeit. Wenn man heute davon ausgehen, dass eine Arbeitsstunde in Deutschland mit 33 Euro, in Bulgarien hingegen mit 4,40 Euro zu Buche schlägt, dann kann man sich ausrechnen, mit was für einem Kostenvorteil ein Entsendeunternehmen aus Bulgarien kalkulieren kann, wenn man weiß, dass bisher 24 Monate lang die Sozialabgaben auf den deutlich niedrigeren Lohn im Herkunftsland der Entsendearbeitnehmer abgeführt werden müssen, nicht aber die Abgaben, die normalerweise dort anfallen, wo die dann arbeiten.«

Man muss an dieser Stelle zumindest kurz darauf hinweisen, dass das, was heute Probleme bereitet (hier in Form des beschriebenen Sozialdumping), am Anfang zur Vermeidung von genau dem gedacht war. Man kann sich das an dem Formenwandel der Entsenderichtlinie verdeutlichen: Die Richtlinie wurde ursprünglich geschaffen, um ins Ausland „entsandte Arbeiter“ zu schützen. So konnten beispielsweise Franzosen im EU-Ausland arbeiten, ohne die großzügige französische Sozialversicherung zu verlieren – denn die Richtlinie verschließt gerade den Zugang zu dem Sozialversicherungssystem des Ziellandes: Für entsandte Arbeitnehmer gelten hier während der ersten 24 Monate einer Entsendung die Bestimmungen des Herkunftslandes. Der EU-Beitritt der osteuropäischen Länder hat dieses Prinzip aber auf den Kopf gestellt. Jetzt wird mit Hilfe dieses Regelwerks schlicht und einfach krasses Lohn- und Sozialabgabendumping betrieben.

Der Kostenvorteil durch die teilweise ganz erheblich niedrigeren Sozialbeiträge in den Entsendeländern wird also auch in der neuen Welt perpetuiert. Wenn denn die niedrigeren Sozialbeiträge überhaupt abgeführt wird – hier berichtet Experten über erhebliche Zweifel, denen man aber nicht nachgehen kann, denn das liegt in der Autonomie der Behörden in den Entsendeländern. Man muss davon ausgehen, dass alles mit rechten Dingen zugeht.

Und eine weitere Ladung Wasser muss in den neuen Entsendewein gegossen werden: Beim Speditionsgewerbe sollen vorerst weiterhin die Regeln der alten EU-Entsenderichtlinie gelten. Neue Regelungen sollen zu einem späteren Zeitpunkt in einer Reform einer EU-Richtlinie zum Transportsektor festgehalten werden. Anders gesagt: Gerade die Lkw-Fahrer werden von den Segnungen der neuen EU-Entsenderichtlinie vorerst und absehbar nichts haben.
Über die wirklich skandalösen Zustände, unter denen die vielen osteuropäischen Lkw-Fahrer in den wohlhabenderen Ländern der EU arbeiten müssen, wurde ausführlich bereits in diesem Beitrag vom 26. Oktober 2017 eingegangen: Die bewusst Vergessenen: Die Lkw-Fahrer bleiben bei der Reform des EU-Entsenderechts auf der Strecke. Vgl. auch das Dossier EU: Debatte um Durchsetzungs-Richtlinie zur Entsendung von LabourNet Germany.

Fazit: Substanzielle Fortschritte im Entsendebereich sind anzuerkennen, es sollten aber auch die skizzierten erheblichen Einschränkungen und kritikwürdige Ausklammerungen bedacht werden.

Und nur, damit sich jetzt keiner, was das halb volle Glas angeht, zu früh auf den Schluck aus der Pulle freut: Das muss alles noch seinen formalen Gang durch die Institutionen gehen. Und dann muss man in Rechnung stellen, das auch nach der offiziellen Verabschiedung der neuen Richtlinie, die für den Sommer 2018 geplant ist, eine mehrjährige Übergangsperiode vereinbart wurde.
Die derzeit diskutierte Verschärfung der EU-Entsenderichtlinie könnte frühestens im Sommer 2021 in Kraft treten, wird die zuständige EU-Parlamentsberichterstatterin, Agnes Jongerius, zitiert. Aber nur, wenn die Verabschiedung auch im Sommer des Jahres 2018 erfolgt. Was noch nicht wirklich in trockenen Tüchern ist. Aber selbst der Sommer 2021 sollte mal ähnlich behandelt werden wie die Eröffnungstermine gewisse Großbauprojekte. Denn:

»Im günstigsten Fall könnten sich die EU-Sozialminister bei ihrem Treffen am 15. März einigen und das EU-Parlament könnte in der ersten Aprilwoche darüber abstimmen. „Im Normalfall würde es dann zwei Jahre dauern, bis die Mitgliedstaaten die neuen Regeln in nationales Recht übertragen“, sagte Jongerius. „Wir sprechen also vom Sommer 2021.“ Allerdings handle es sich nach Ansicht des EU-Rates um eine derart komplexe Rechtsmaterie, dass die Umsetzung in nationales Recht mindestens drei Jahre dauern werde und dann noch ein Jahr bis zum Inkrafttreten. „Dann sprechen wir über 2022.“«

Also bevor jetzt die Lohndumper zu schnell Herzrasen bekommen – die Mühlen mahlen jetzt erst einmal vor sich hin, noch sind ein paar Jährchen Zeit für die Kosten- und Erlösoptimierung.

Die beabsichtigte Einschränkung der sachgrundlosen Befristung und das ewige Dilemma mit den Schwellenwerten

Nun ist sie also angelaufen, die Befragung der SPD-Mitglieder zum Koalitionsvertrag mit den Unionsparteien. Daumen hoch oder runter – wir werden sehen, wie das ausgeht. Die Abstimmungsunterlagen an die stimmberechtigten Mitglieder wurden verschickt mit einem dreiseitigen Werbeflyer für die Große Koalition, von den Positionen der „NoGroKo“-Vertreter findet man – nichts.

Man versucht jetzt natürlich, die vielen angeblichen oder tatsächlichen Vorteile einer GroKo neu aus Sicht der Verhandler und der Parteispitze darzustellen und ein wichtiger Punkt, der den Unterhändlern auf dem SPD-Parteitag in Bonn mit auf den Weg gegeben wurde, war die Forderung, beim Forderungspunkt Abschaffung der sachgrundlosen Befristung noch eine ordentliche Schippe draufzulegen und das gegenüber der Union auch durchzusetzen.

In der offiziellen Botschaft der Parteiführung heißt es hinsichtlich der „sozialdemokratischen Handschrift“, die man im Entwurf eines Koalitionsvertrages hinterlassen habe: »Das unbefristete Arbeitsverhältnis wird wieder zur Regel: Wir schränken sachgrundlose Befristungen drastisch ein und schaffen endlose Kettenbefristungen ab.« Nun ist das mit der „drastischen Einschränkung“ so eine Sache. Was man erreicht hat in den Verhandlungen mit der Union kommt als ein typischer Kompromiss daher.

mehr