Rettungsdienst: Blaulicht dauerhaft an für den Honorararzt an Bord, eine (mögliche) Sozialabgabenpflicht wird gesetzlich ausgeschlossen

Da gab es in den vergangenen Monaten eine Menge Aufregung: »Die vor allem in ländlichen Regionen verbreitete Beschäftigung von Honorar-Notärzten auf Rettungswagen ist nach einem Urteil des Bundessozialgerichtes so künftig nicht mehr möglich«, konnte man beispielsweise diesem Artikel entnehmen: Honorar-Notärzte auf Rettungswagen nicht mehr erlaubt: »Die Richter in Kassel bestätigten ein Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern, das die Beschäftigung als Scheinselbstständigkeit eingestuft hatte (Az: L7R60/12 und B12R19/15B). Im konkreten Fall geht es um den Rettungsdienst des Deutschen Roten Kreuzes im Nordosten. Nach Angaben des Rechtsvertreters des DRK, BDO Legal, dürfen damit ab sofort in dem Bundesland keine Honorar-Notärzte mehr beschäftigt werden. Sie müssten sozialversicherungspflichtig angestellt werden. Fraglich sei, ob die Ärzte, die den notärztlichen Rettungsdienst bisher neben ihrem eigentlichen Job übernähmen, dazu bereit sind. Auch seien Konflikte mit dem Arbeitszeitgesetz zu befürchten.« Allerdings ist die Materie weitaus komplexer als sich das nach dem Zitat anhört. Siehe dazu den Beitrag Scheinselbständige „Pioniere in Weiß“? Wenn der Notarzt auf Honorarbasis arbeitet, bleibt das Blaulicht aus. Nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern droht ein Kollaps vom 13. September 2016.

Denn es gab schon damals andere Bewertungen der immer wieder zitierten Entscheidung des Bundessozialgerichts. Hinsichtlich der Einschätzung der Anwälte des in Mecklenburg-Vorpommern unterlegenen DRK, dass das BSG klar gemacht habe, wie es in anderen Fällen entscheiden würde (also für die Einstufung als Scheinselbständigkeit), vertritt Martin Wortmann in dem Artikel Aufregung um Scheinselbstständigkeit von Ärzten unnötig eine andere Auffassung:

»Das BSG hat in der Sache gar nicht entschieden. Das stellte das Bundessozialgericht am Donnerstag auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“ klar. Es habe vor kurzem lediglich einen Nichtzulassungsbeschluss aus rein formalen Gründen gegeben … Zwar habe man die Revision gegen ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Mecklenburg-Vorpommern nicht zugelassen. Eine inhaltliche Entscheidung sei damit aber nicht verbunden bekräftigte BSG-Sprecher Olaf Rademacker.
Das BSG habe nur die formalen Voraussetzungen für eine Revisionszulassung geprüft und verneint. „Die Frage, ob die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz richtig ist, ist nicht Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde.“«

Dennoch hat das alles weitere Kreise gezogen. Beispiel Rheinland-Pfalz: Der SWR meldet am 20.09.2016 unter der Überschrift: Urteil führt zu längeren Wartezeiten:

»Patienten müssen im Land künftig wohl länger auf den Notarzt warten. Grund ist ein Urteil des Bundessozialgerichtes: Es geht um Scheinselbständigkeit der Ärzte. Erste Kliniken ziehen Konsequenzen. Der Vorsitzende der Krankenhausgesellschaft Rheinland-Pfalz e.V. , Gerald Gaß, hält es sogar für möglich, dass Notarztstandorte geschlossen werden müssen … Ein Beispiel ist das Krankenhaus in Daun in der Eifel. Es hat dem SWR mitgeteilt, dass es ab sofort keine Honorarärzte mehr einsetze. Die Folge: Das Krankenhaus hat weniger personelle Optionen – und Patienten müssen künftig möglicherweise länger auf den Notarzt warten.«

Aber in dieser Meldung wurde auch schon ein Hinweis auf eine mögliche Problemlösung gegeben:

»Ein ähnliches Problem hatte auch Österreich. Dort wurde per Gesetz festgelegt, dass die Arbeit der Notärzte nicht scheinselbstständig ist. Eine solche Lösung befürwortet laut Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler auch die Landesregierung. Sie werde sich zusammen mit anderen Ländern dafür bei der Bundesregierung einsetzen. Der Bund ist zuständig für eine solche Gesetzesänderung.
Auch Experten befürworten eine Lösung wie in Österreich. Carsten Lott, rheinland-pfälzischer Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Notärzte e.V., sprach sich auf SWR-Anfrage für eine solche Regelung aus: „Die Politik ist jetzt gefordert. Inhaltlich würde ein Gesetz wie in Österreich eine gute Lösung darstellen.“«

Das wurde dann im Oktober aufgegriffen: »Neben Mecklenburg-Vorpommern hat sich auch Rheinland-Pfalz der Problematik angenommen. Beide Bundesländer brachten … einen Entschließungsantrag „zur Sicherstellung der notärztlichen Versorgung im ländlichen Raum“ ins Bundesratsplenum ein, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, nach dem Vorbild Österreichs die Sozialversicherungspflicht von nebenberuflichen Honorarärzten im Notdienst ausdrücklich auszusetzen. Der Antrag wurde angenommen und an die Ausschüsse für Gesundheit, Arbeit und Soziales sowie den Innenausschuss überwiesen«, konnte man am 30.11.2016 diesem Artikel entnehmen: Nebentätigkeit Notdienst: Vorschlag in der Schublade.

Den österreichischen Weg hat man jetzt offensichtlich beschritten, um die sich ausbreitende Verunsicherung (und die damit verbundenen negativen Schlagzeilen) zu beenden. Koalition kippt Sozialabgaben für Honorarärzte, berichtet Christoph Winnat. Eine grundsätzliche Lösung wird aus dem Bundestag berichtet: Ab März kommenden Jahres dürfte für Rettungsdienste bundesweit Rechtssicherheit darüber bestehen, dass sie für nebenberuflich und auf Honorarbasis beschäftigte ärztliche Mitarbeiter keine Sozialabgaben abführen müssen. Eine entsprechende Vorgabe haben die Koalitionsfraktionen per Änderungsantrag zum Heil- und Hilfsmittelversorgungsstärkungs-Gesetz (HHVG) in den Gesundheitsausschuss des Bundestages eingebracht. Laut Gesetzgebungsfahrplan soll das HHVG Mitte Februar abschließend im Bundestag beraten werden und könnte dann bereits im März in Kraft treten:

»Konkret heißt es in dem vorgeschlagenen Passus zur Änderung des vierten Sozialgesetzbuches, dass „Einnahmen aus Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst“ dann „nicht beitragspflichtig sind“, wenn daneben
„einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes“ nachgegangen wird,
oder wenn eine „Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung“ ausgeübt wird.
Zugleich wird mittels einer Änderung am siebten Sozialgesetzbuch festgehalten, dass Honorarärzte im Rettungsdienst gesetzlich unfallversichert sind.«

Aus dem Haifischbecken der Gesundheitspolitik. Die fortschreitende Ökonomisierung des Systems, die Erfolge der Lobbyisten und die Instrumentalisierung der Kranken

Die Beschäftigung mit gesundheitspolitischen Themen ist eine frustrierende Angelegenheit, wenn man noch einen Restbestand an gesellschaftspolitisch gestalterischen Impulsen hat, die darauf gerichtet sind, den Menschen hinsichtlich des existenziellen Guts Gesundheit vor allem dann hilfreich zur Seite zu springen, wenn dieses durch Krankheit beschädigt oder gar substanziell gefährdet ist. Da würde es dann um die möglichst optimale Gestaltung der „Versorgungsstrukturen“ und „-prozesse“ gehen (bereits hier werden allerdings mindestens ambivalente Begriffe aus der Welt der Technokraten übernommen), mit den Patienten im Zentrum der Überlegungen, um die Sicherstellung der Zugänglichkeit von medizinischer und sonstiger Behandlung, um die Erreichbarkeit der Einrichtungen usw.

In der Realität wird man dann mit einem verfestigten, an vielen Stellen betonharten System mit zahlreichen Subsystemen und eigenen Unterwelten konfrontiert, bei denen es im Regelfall eben nicht um die möglichst objektive Suche nach den besten Lösungen für die dem System gerade angesichts von Krankheit und der besonderen Bedeutung von Gesundheit besonders asymmetrisch ausgelieferten Patienten geht, sondern um Geld und dessen Verteilung. Der schnöde Mammon bestimmt – ob offen oder im Hintergrund wirkungsvoll strukturierend – die Debatten. Und leider muss man als Beobachter der Szenerie nicht selten erleben, wie Medien und in diesem Feld auch die Kranken mit ihren Sorgen und Ängsten instrumentalisiert werden, um Stimmung zu machen und über die Schubkraft der Emotionalisierung Politik und deren Entscheidungsträger in eine bestimmte Richtung zu schieben.

Beginnen wir die Reise in die angedeuteten Untiefen des Systems mit einem Motto, das viele Beobachter, vor allem aber die vielen Opfer dessen, was man eher unscheinbar als „Ökonomisierung“ bezeichnet zur Genüge kennen: Billig, billiger, noch billiger, bis es quietscht.
Man kann das durchaus als einen roten Faden für so viele beklagenswerte Erscheinungen in der Sozialpolitik bezeichnen. Mit diesem Muster kann man vieles erklären, ob in der Kinder- und Jugendhilfe, bei den Arbeitslosen, in der Pflege und und und.

Und auch die Krankenkassen operieren immer öfter nach diesem Motto. Das kann aber zuweilen lebensgefährliche Konsequenzen haben. Das zumindest behauptet dieser Artikel von Steffen Fründt: Sparprogramm bringt Krebspatienten in Lebensgefahr: »Die Krankenkassen wollen für die Krebsbehandlung weniger zahlen. Medikamente sollen nur noch von den billigsten Apotheken gemischt werden. Schon nach wenigen Tagen häufen sich riskante Pannen.«

Zum Hintergrund erfahren wir:

»Die AOK ist die erste von mehreren Krankenkassen, die ein Sparprogramm eingeführt haben, das schon nach wenigen Tagen zu einem ziemlichen Chaos in Deutschlands onkologischen Arztpraxen geführt hat. Bisher werden die Ärzte von spezialisierten Apotheken mit eigens angemischten Chemotherapien beliefert, oft sind die Geschäftsbeziehungen über viele Jahre gewachsen.

Künftig sollen nur noch die billigsten Apotheker Krebsmittel mischen. Wer den Zuschlag im Ausschreibungsverfahren bekommt, darf eine ganze Region versorgen. Andere Kassen wollen es der AOK gleichtun, die DAK, Knappschaft und viele Betriebskrankenkassen etwa. Die Neuerung wird bald wohl mindestens 30 Millionen Versicherte betreffen.«

Und jetzt das, was man auch schon aus anderen Bereichen zur Genüge kennt, wo mit dem Instrument der Ausschreibungen und der Vergaben nach dem billigsten Angebot gearbeitet wird:

»Die Änderung ist kaum in Kraft, da stellt sich schon heraus, dass einige Anbieter womöglich gar nicht in der Lage sind, die Versorgung todkranker Menschen zu gewährleisten … Ärzte und Apotheker hatten … gegen die Pläne der Kassen protestiert und vor gravierenden Folgen gewarnt. Vergeblich.«

Da ist sie wieder, die Erfahrung, dass sich diejenigen „an der Front“ – in diesem Fall der Versorgung kranker Menschen -, frühzeitig gegen negative Folgen von Entwicklungen, die aus primär ökonomischen Interessen heraus angestoßen worden sind, gewarnt haben. Hätte man doch auf sie gehört.

Für die Versicherten der AOK ist das neue Verfahren nun in mehreren Bundesländern Wirklichkeit. Seit Anfang des Monats erhalten sie ihre Zytostatika nur noch von der Apotheke, die das Los für ihre Region gezogen hat.

»Nun berichten Mediziner, dass die ersten Erfahrungen die Befürchtungen bestätigen. „Es kam in den betroffenen Praxen wiederholt zu ernsthaften Problemen. Da bricht eine Welle über uns herein“, sagt Erik Engel vom Vorstand des Bundesverbands der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO).«

In dem Zwischenbericht eines wissenschaftlichen Instituts, das mit der Beobachtung der Umstellung beauftragt ist, findet man dann diese Diagnose: » … fehlende Chemotherapien, nicht lieferbare Begleitmedikationen, unbefüllte Infusionsbestecke, unbeschriftete Spritzen, falsche Packungsgrößen, Lieferverzögerungen, Kommunikationsprobleme und vieles mehr.«

Und kennt man nicht auch das aus der Vergabe an die billigsten Anbieter?

»In der Rhein-Ruhr-Region etwa habe eine Apotheke den Zuschlag für die Versorgung von sechs großen onkologischen Einrichtungen bekommen, die nicht einmal über ein vollwertiges Labor zur Herstellung der Zytostatika-Infusionen verfüge – und deshalb auf einen Drittanbieter zurückgreifen müsse.«

Das führe zu folgenreichen Verspätungen. Obwohl laut Ausschreibungsbedingungen der AOK eine Ad-hoc-Versorgung binnen 45 Minuten garantiert sein muss, kämen die oft nur wenige Stunden haltbaren Medikamente regelmäßig zu spät, sagt Lohse: „Patienten sitzen bis zu sechs, sieben Stunden in der Praxis.“

Und was sagen die Krankenkassen zu den ganzen Vorwürfen?

»Die AOK dagegen sagt, die neuen Versorgungsverträge seien „sehr positiv angelaufen“. Nur „in wenigen , einzelnen Fällen“ habe die Umstellung „nicht vom ersten Tag an reibungslos“ geklappt. Zudem habe sich ein ähnliches Ausschreibungskonzept in Berlin schon seit Jahren bewährt. Es komme Bewegung in einen bisher intransparenten Markt. „Dass sich einige Onkologen und Apotheker aufregen, war vorprogrammiert“, heißt es in der Stellungnahme ungewöhnlich flapsig.«

Spätestens an dieser Stelle sind Sympathie und Antipathie eindeutig verteilt. Aber genau dann lohnt ein genauerer Blick auf die Angelegenheit, denn möglicherweise hat man etwas übersehen, weil die Informationen einseitig verteilt worden sind.

Also wechseln wir die Perspektive. Kann es sein, dass die angedeutete Aufteilung in „bad guys“ (also die Krankenkassen, die wie in anderen Bereichen auch hier sparen wollen auf Teufel komm raus) und „good guys“ (Ärzte und Apotheker, die für ihre Krebspatienten kämpfen), gar nicht so einfach zu machen ist?

Eine Zahl sollte an dieser Stelle Anlass geben, genauer auf die materiellen Interessen aller Beteiligten zu schauen: Im vergangenen Jahr haben die Krankenkassen allein für diesen hier im Mittelpunkt stehenden Bereich 2,85 Mrd. Euro ausgegeben. Eine Menge Geld.

Dazu lohnt der Blick in diesen Artikel von Peter Thelen: Gröhe gibt Drängen der Apothekerlobby nach. Liest man die ersten Zeilen, dann kann man den Eindruck bekommen, die im ersten Teil beschriebene Kritik an den Auswüchsen des Ausschreibungssystems habe Erfolg gehabt, obgleich schon ein anderer Unterton mitschwingt:

»Die Behandlung von Krebspatienten ist für Apotheken ein lukratives Geschäft. Seit kurzem versuchen die Krankenkassen, die hohen Kosten durch Rabattverträge zu senken. Das will ihnen der Gesundheitsminister nun verbieten.«

Der Versuch verschiedener gesetzlicher Krankenkassen, das Preiskartell zwischen Arzneimittelherstellern, Apotheken und Ärzten bei der Behandlung von Krebspatienten mit in Spezialapotheken individuell hergestellter Chemotherapie durch europaweite Ausschreibungen zu brechen, findet demnächst ein abruptes Ende.

»Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe will den Krankenkassen die erst 2007 eingeführte Möglichkeit, Exklusivverträge mit Apotheken zu schließen, die bereit dazu sind, diese Medikamente billiger abzugeben, wieder nehmen.«

Eingebaut wird diese Korrektur in den Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums für ein Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz. Dieser Entwurf wurde übrigens gerade vom Kabinett verabschiedet (vgl. dazu Kabinett verabschiedet Preisbremse für Arzneimittel: »Die Bundesregierung hat sich auf ein neues Gesetz zur Arzneimittelversorgung geeinigt. Das sorgt bei Apothekern für Jubel, bei anderen aber für schlechte Stimmung.«)

Aber warum ist es dazu gekommen? Peter Thelen sieht das so:

»Gröhe reagiert damit auf massiven Druck des Deutschen Apothekerverbands und der Lobby der Krebsmediziner. Sie hatten vor einer Verschlechterung der Therapie der meist schwer kranken Krebspatienten gewarnt, sollten sie in Zukunft gezwungen werden, sich nur noch in Apotheken behandeln zu lassen, die einen Exklusivvertrag mit ihrer Krankenkasse haben.«

Aber wenn die sich doch für die berechtigten Interessen der Krebspatienten einsetzen, dann ist das doch ein toller Erfolg. Allerdings unter der Voraussetzung: Wenn das so ist.

In der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung wird als ein wichtiges Argument für das Zurückpfeifen der Krankenkassen genannt, dass sichergestellt werden müsse, dass der Versicherte die „versorgende Apotheke“ frei wählen könne. Nun wird der eine oder andere spätestens an dieser Stelle irritiert sein, denn wir sprechen hier über die Herstellung von Präparaten für die Chemotherapie und darin sind eben nicht alle Apotheken involviert, sondern nur einige wenige, die dazu auch in der Lage sind. Konkret: Bundesweit gibt es 600 Apotheken, die in diesem Business überhaupt mitmischen im wahrsten Sinne des Wortes. Und überhaupt – „freie Apothekenwahl“ ist sicher ein hohes Gut bei normalen Medikamenten, aber ist die überhaupt relevant für Krebskranke und die Beschaffung der passenden Zytostatika? Man muss sich klar machen, dass die genannten 600 Apotheken, die überhaupt als Player auftreten, beuteten: Nur ein Prozent der Apotheken in Deutschland haben eine Berechtigung zur Herstellung von Zytostatika.

Hinzu kommt: Eben nicht der Patient entscheidet über den konkreten Apothekenbezug, sondern in diesen Fällen die behandelnden Ärzte.

Peter Thelen beschreibt das bisherige System so:

» … das „gute Zusammenwirken“ von Arzneimittelherstellern, die die meist generischen Zutaten für die Zytostatika-Zubereitungen, im Volksmund Chemotherapie genannt, verkaufen, der rund 600 Spezialapotheken die daraus nach Vorgaben des Arztes die Chemotherapie mischen und der Ärzte, die sie dem Patienten am Ende verabreichen, wird auch dafür verantwortlich gemacht, dass die ambulante Krebstherapie in Deutschland besonders teuer ist. So liegen die offiziellen Preise, die die Hersteller für ihre Ausgangsprodukte fordern, deutlich höher, als die Preise, die Apotheker am Ende dafür zahlen müssen. Die Apotheker nutzten das auch, um die behandelnden Ärzte mit so genannten „Kick-Back-Zahlungen“ dafür zu belohnen, dass sie ihre Zytostatika dort anfertigen lassen. Solche Kick-Backzahlungen anzunehmen, war niedergelassenen Ärzten in der Vergangenheit erlaubt.«

Folgt man dieser Beschreibung, dann bröckelt natürlich schon etwas das aufgebaute Image der Ärzte und Apotheker als Sachwalter der Patienten, die sich in einer oftmals lebensbedrohlichen Erkrankungssituation befinden.

Und der Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Christoph Staub, wird mit diesen offensichtlich verärgerten Worten angesichts des Rückziehers des Bundesgesundheitsministers zitiert: „Wer den Krankenkassen die Möglichkeit nimmt, mit Apotheken exklusive Verträge zur individuellen Versorgung Krebskranker mit Zytostatika abzuschließen, verhindert Qualitätsverbesserungen in diesem sensiblen Versorgungsbereich“.

Nun wird der eine oder andere hier einhaken und mehr als verwundert angesichts der Erfahrungen aus anderen Bereichen, in denen man weitgehend preisgesteuerte Ausschreibungs- und Vergabeverfahren erlebt hat, fragen: Wie soll es denn zu „Qualitätsverbesserungen“ kommen (können), wenn die Kassen einfach die Preise drücken und die Sachen billiger einkaufen wollen für ihre Versicherten? Das muss doch eher zulasten der Qualität gehen.

»Ausdrücklich bestreiten die Krankenkassen, dass Exklusivverträge zu einer Verschlechterung der Versorgung führen würden. Das Gegenteil sei richtig: „Zum ersten Mal könnten wir mit unseren Ausschreibungen zahlreiche rechtsverbindliche Qualitätskriterien für die Versorgung mit Zytostatika definieren, die die Apotheken erfüllen müssen, um an der Ausschreibung teilnehmen zu dürfen.“ So müsse eine Apotheke beispielsweise innerhalb von maximal zwei Stunden nach Eingang einer Anforderung das Arzneimittel liefern.«

Seien wir ehrlich – wenn man beide Seiten, die in diesem Beitrag skizziert worden sind, berücksichtigt, dann ist die Einteilung in Gute und Böse schon weitaus schwieriger und nicht mehr so intuitiv naheliegend.

Von Verstopfungen, Bagatellfällen und einem Minusgeschäft in der Notaufnahme. Und von der seit Ewigkeiten kritisierten „Schnittstelle“ zwischen ambulanter und stationärer Versorgung

Gerade in der weiten Welt der Sozialpolitik schlagen die Themen, hinter denen zumeist Probleme und zuweilen gar Systemfragen stehen, immer wieder auf. Und dann stellt man fest, dass darüber vor längerem auch auf dieser Seite bereits berichtet worden ist. So beispielsweise konkret am 18. Februar 2015. Da wurde hier der Beitrag Überlastet und unterfinanziert – die Notaufnahmen in vielen Krankenhäusern. Zugleich ein Lehrstück über versäulte Hilfesysteme. Und über einen ambivalenten Wertewandel publiziert. Darin wurde bereits vieles von dem angesprochen, was im September 2016 erneut für einen kurzen Moment durch die Medien transportiert wird bzw. wurde, denn die Haltbarkeitsdauer solcher Thematisierungen schrumpft bekanntlich auf einige wenige Tage (wenn überhaupt) zusammen, dann ist der mediale Zug schon wieder weg. Nicht aber das Problem oder – wie heißt das heute immer so gerne – die „Herausforderungen“. Und wenn wir hier von Herausforderungen sprechen, denen sich die Notaufnahmen vieler Krankenhäuser ausgesetzt sehen, dann reden wir nicht über irgendwelche abseitigen oder marginalen Themen, sondern a) über das höchste Gut für die meisten Menschen, also Gesundheit bzw. die Behandlung bei Krankheit und b) über seit Jahrzehnten (gefühlt seit Jahrhunderten) ausdifferenzierte, voneinander – wo es geht – abgeschottete, in Konkurrenz miteinander stehende und zugleich aufeinander angewiesene „Sektoren“ des Gesundheitswesens.

Und in dem Beitrag aus dem vergangenen Jahr wurde auch beschrieben, wie es eigentlich sein sollte, mit der Versorgung der Notfälle – also ein Thema, das uns alle bewegt oder bewegen sollte:
»In der Idealwelt geht das so: Die niedergelassenen Vertragsärzte sind für die ambulante, sowohl haus- wie auch fachärztliche Versorgung zuständig. Und dazu gehören eigentlich auch Hausbesuche und vor allem die Sicherstellung der ambulanten Versorgung an Wochenende oder an Feiertagen. Dafür gibt es dann einen – regional immer noch sehr unterschiedlich organisierten – ärztlichen Bereitschaftsdienst, den die niedergelassenen Ärzte bestücken müssen. Entweder selbst oder dadurch, dass die Dienste an Ärzte vergeben werden, die das auf Honorarbasis machen. Aber neben diesen Bereitschaftsdiensten der niedergelassenen Ärzte gibt es dann auch noch die Notaufnahmen der Krankenhäuser, die rund um die Uhr geöffnet sind. Nun könnte man auf die Idee kommen, dass die beiden Hilfesysteme eigentlich nichts miteinander zu tun haben und für die Idealwelt würde das auch gelten, denn die Notaufnahmen der Kliniken wären hier zuständig für Unfallopfer oder schwerere Erkrankungen, während alle leichten und mittelschweren Fälle zu den Niedergelassenen gehen. Aber bekanntlich leben wir nicht in einer Idealwelt.«

Aber wie so oft im Leben will sich die wirkliche Wirklichkeit nicht an die Schönheit und Reinheit der Vorgaben der Idealwelt halten und so kreiste bereits vor anderthalb Jahren die Diagnose und die daraus abgeleiteten Empfehlungen um „abweichendes Verhalten“ der Menschen, die an dieser „Schnittstelle“ zwischen ambulant und stationär aufschlagen.

„Die Notaufnahmen der Krankenhäuser sind vielerorts stark überlastet und absolut unterfinanziert. Sie werden immer stärker zum Lückenbüßer für die eigentlich zuständigen Bereitschaftsdienste der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen)“, so wurde damals die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) zitiert, die sich unter der Überschrift Milliarden-Defizit bei ambulanter Notfallversorgung zu Wort gemeldet hatte. Und um den Vorwurf zu fundieren, hatte man ein Gutachten im Gepäck, das unter anderem zu Tage förderte, dass von den jährlich in Notaufnahmen der Kliniken versorgten 20 Millionen Patienten mehr als zehn Millionen ambulant versorgt werden. Ein Drittel der allgemeinen Notfallbehandlungen sei problemlos in ambulanten Praxen lösbar. Aber offensichtlich gelingt das nicht oder die betroffenen Menschen wollen das nicht oder die niedergelassenen Ärzte können nicht.
Für die Krankenhäuser wurde dann eine ziemlich niederschmetternde Rechnung aufgemacht: Einem durchschnittlichen Erlös von 32 Euro pro ambulantem Notfall stünden Fallkosten von mehr als 120 Euro gegenüber. Mehr als 10 Millionen ambulante Notfälle mit einem Fehlbetrag von 88 Euro pro Fall führten zu 1 Milliarde Euro nicht gedeckter Kosten.

Auch wenn man darauf hinweisen muss, dass diese – wie so oft – sehr genau bezifferten Werte auf der Basis einer hochgerechneten Stichprobe stammen – offensichtlich geht es hier um ein richtig großen Batzen Geld.

Und um Geld wie auch um das bereits beschriebene Problem geht es auch in diesen Tagen. Verharren wir einen Moment beim Gelde: Ein Minusgeschäft, so ist ein Artikel dazu überschrieben, in dem die Sichtweise der Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft beschrieben wird. Zitiert wird darin Ingo Morell, der  stellvertretende Vorsitzende des Katholischen Krankenhausverbands in Deutschland (KKVD):

„Im Schnitt bekommt ein Krankenhaus für die ambulante Behandlung pro Notfallpatient 32 Euro, während reelle Kosten von etwa 126 Euro entstehen. Wir haben außerdem bereits heute deutlich mehr ambulante als stationäre Fälle in den Krankenhäusern: Im Jahr werden allein in den katholischen Kliniken rund fünf Millionen Patienten ambulant und nur 3,5 Millionen stationär versorgt.“ Man müsse daher auch die Frage stellen, warum so viele Patienten in die Notfallambulanzen der Krankenhäuser kommen …
Und den Ball wieder ins andere Spielfeld zurück kickend: »Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) musste … in ihrer jährlichen Patientenbefragung erneut feststellen, dass ihre bundesweite Notrufnummer 116117 kaum jemand kennt.«

Dass hört sich sehr verteidigend an. Warum versucht man sich von der Klinikseite her zu rechtfertigen? Hintergrund: Die niedergelassenen Ärzte kritisieren seit längerem, dass eigentlich ambulante Versorgungsfälle in einem Volumen von drei bis fünf Milliarden Euro in Krankenhäusern landeten.

Wie kommt man nun auf solche Zahlen? Da wird man fündig beim Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) in Berlin. Die haben sich am 22. Juli 2016 unter dieser Überschrift zu Wort gemeldet: Vermeidbare Notfälle kosten das Gesundheitssystem Milliarden Euro. Deren Argumentation geht so: »Auch während der regulären Praxisöffnungszeiten suchen häufig Menschen auf Eigeninitiative und ohne ärztliche Einweisung die Krankenhäuser auf. Wie das IGES Institut im Auftrag des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) berechnet hat, summieren sich die Kosten für die Aufnahme und die stationäre Behandlung dieser Menschen, denen ein niedergelassener Arzt gut hätte helfen können, auf knapp 4,8 Milliarden Euro jährlich.« Mehr als die Hälfte aller vermeidbaren Krankenhausfälle werden ohne ärztliche Einweisung aufgenommen. Betrachtet man das Geschehen an Werktagen, entsteht  rund die Hälfte der Aufnahmen ohne ärztliche Einweisung zu den üblichen Praxisöffnungszeiten. Zum angesprochenen Gutachten vgl. IGES: Ambulantes Potenzial in der stationären Notfallversorgung, Berlin 2016).

Das Zi spiegelt die Interessen er niedergelassenen Ärzte und so können die Handlungsempfehlungen auch nicht wirklich überraschen: Der Vorstandsvorsitzende des Zi, Andreas Gassen: »Eine Lösung könnten ambulante Anlaufstellen an wichtigen Krankenhausstandorten sein. Um solche Schlüsselstandorte zu ermitteln, müssten regionale Experten mit entscheiden – vor allem die Kassenärztlichen Vereinigungen.«

Jetzt haben wie die Klinikseite gehört, wir haben die Seite der niedergelassenen Vertragsärzte zur Kenntnis genommen – aber da gibt es doch noch mehr Akteure? Genau, wie wäre es mit den Krankenkassen, denn letztendlich zahlen die ja auch den größten Teil dessen, was hier unter Notfällen diskutiert wird.

Die Kassenseite hat sich ebenfalls in die Debatte eingebracht – und ja, auch sie bestückt mit einem Gutachten, um die eigenen Forderungen anzureichern: Reform der ambulanten Notfallversorgung: vdek und AQUA-Institut stellen Gutachten vor, wurde am 6. September 2016 gemeldet.
Das angesprochene Gutachten kann man sich im Original anschauen:

Köster, C et al.: Ambulante Notfallversorgung. Analyse und Handlungsempfehlungen. Göttingen: AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH, 2016

Ausgehend von dem Gutachten präsentiert uns der Krankenkassenverband vdek folgende Vorschläge zur Verbesserung der ambulanten Notfallversorgung:

Dreh- und Angelpunkt ist die Errichtung von sogenannten Portalpraxen an allen Krankenhäusern Deutschlands, die rund um die Uhr an der stationären Notfallversorgung teilnehmen. Die Portalpraxis sollte in der Regel aus einer festen Anlaufstelle für die Notfallpatienten sowie aus einer ambulanten Notdienstpraxis bestehen, die ebenfalls am Krankenhaus angesiedelt sein sollte. In der Anlaufstelle soll eine rasche Erstbegutachtung der Patienten vorgenommen und der Behandlungsbedarf eingeschätzt werden. Die Anlaufstelle leitet die Patientinnen und Patienten dann entweder in die niedergelassene Arztpraxis außerhalb des Krankenhauses (innerhalb der Sprechstundenzeiten) oder in die ambulante Notdienstpraxis im Krankenhaus (außerhalb der Sprechstundenzeiten) bzw. in die Notaufnahme des Krankenhauses weiter. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) sind im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrags zuständig für die Organisation der Portalpraxen.
Auch der Kassenverband teilt die bereits angesprochene Diagnose: Immer mehr Patienten steuern im Notfall das Krankenhaus an, auch wenn sie eigentlich ambulant hätten behandelt werden können. »Unklare Sprechstundenzeiten und Anlaufstellen der niedergelassenen Ärzte, unklare Aufgabenteilung zwischen ambulantem und stationärem Notdienst und die Unsicherheit der Patientinnen und Patienten seien die Hauptgründe dafür. So werden jährlich bis zu 25 Millionen Menschen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser behandelt, mit steigender Tendenz.«

Als Ziel wird ausgegeben, die Patienten „in den richtigen Behandlungspfad zu lotsen“. Das will man also offensichtlich über das Konzept der Portalpraxen hinbekommen, die nun kein wirklich ganz neuer Ansatz sind, denn teilweise gibt es die schon an den Krankenhäusern im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes zu den Zeiten, in den die Praxen der Niedergelassenen geschlossen sind.

Man muss sich aber vielleicht noch mal zusammenfassend klar machen, was da vorgeschlagen wird: Die Ersatzkassen fordern, dass an jeder der 1.600 Kliniken mit Notfallversorgung sogenannte Portalpraxen eingerichtet werden, die rund um die Uhr geöffnet sind. Übrigens: Die Idee mit den Portalpraxen steht bereits im Gesetz, allerdings handelt es sich um eine Soll- und keine Muss-Vorschrift. Gegenwärtig ist es so, dass die KVen spezielle Notdienstpraxen mit festem Standort eingerichtet haben, oft auch direkt bei Kliniken. 600 gibt es davon inzwischen, ihre Dichte ist aber in Ostdeutschland weit geringer als im Westen.

Dieser Vorschlag wurde in den Medien aufgegriffen: Wenn der Notfall im Krankenhaus kein Notfall ist, so ist beispielsweise einer der Artikel dazu überschrieben. Darin findet man auch eine Reaktion der Kassenärztlichen Vereinigungen auf den Ansatz: »Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) sieht das Problem dadurch aber … nicht gelöst. „Selbst da, wo die Praxen etabliert sind, sind die Notaufnahmen überlastet“, sagte der KV-Sprecher in Niedersachsen, Detlef Haffke. Wer sich schnelle Hilfe und das komplette Behandlungsprogramm wünsche – sei es verhältnismäßig oder nicht – komme nach wie vor in die Notaufnahme.«

Diese Einschätzung ist nicht von der Hand zu weisen und verweist auf die andere Seite der Medaille, die bislang auch hier noch gar nicht thematisiert wurde – also die Patienten. Rainer Woratschka und Hannes Heine schreiben dazu in ihrem Artikel Krankenkassen und Ärzte warnen vor verstopften Notaufnahmen:

»Viele kämen in die Notaufnahme, weil ihnen gar nicht bekannt sei, dass es auch ärztliche Notdienste gibt. Andere fühlten sich im Krankenhaus besser aufgehoben – wegen schnellerer Diagnosemöglichkeiten und der Vielzahl fachärztlicher Disziplinen. Oft passten die Öffnungszeiten von Notdienstpraxen nicht mit den sprechstundenfreien Zeiten einer Region zusammen. Insbesondere jüngere Patienten hätten immer seltener einen festen Hausarzt. Und Menschen, die noch nicht lang in Deutschland lebten, fehle oft das Wissen über hiesige Versorgungsstrukturen. In den Heimatländern der meisten Flüchtlinge beispielsweise gibt es kein vergleichbares Gesundheitswesen und keine soliden, flächendeckend verteilten Arztpraxen. Wer medizinische Hilfe braucht, geht auch mit Kleinigkeiten in eine Klinik. Viele Patienten … hätten auch die Erwartungshaltung, dass ihnen bei jedem Zipperlein sogleich umfassend und mit ausgewiesener Qualifikation geholfen werden müsse …  Und Medizinern zufolge rücken insbesondere in Neukölln, Kreuzberg und Mitte oft ganze Familien in Kliniken an, wenn sich ein Angehöriger krank fühle.«

In dem Beitrag von Woratschka und Heine werden Aspekte angesprochen, die bereits im Februar des vergangenen Jahres in meinem Blog-Beitrag unter dem Stichwort „ambivalenter Wertewandel“ thematisiert wurden:

»So könnte ein Aspekt des Wertewandels darin bestehen, dass die Ansprüche der Patienten deutlich gestiegen sind und sie die aus ihrer subjektiven Sicht optimale Behandlung haben wollen, die sie eher im Krankenhaus vermuten als beim ärztlichen Bereitschaftsdienst der Vertragsärzte, wo möglicherweise ein völlig fachfremder Arzt alle Patienten behandeln (oder dann doch weiterschicken) muss, während man im Krankenhaus die Erwartung haben kann, dass je nach Indikation gleich der „richtige“ Facharzt konsultierbar ist. Insofern würde die Nicht-Inanspruchnahme auch bei grundsätzlich vorhandener Infrastruktur stattfinden.

Die angesprochene Ambivalenz des Wertewandels bezieht sich darauf, dass es – folgt man vielen Berichten aus der Praxis – eine durchaus frag- oder zumindest diskussionswürdige Verschiebung der Inanspruchnahme einer Notfallaufnahmeeinrichtung bei einem Teil der Patienten gegeben hat hin zu einer Nutzung auch bei Beschwerden, die nun sehr weit weg sind von einem Notfall und wo man auch warten könnte auf die normalen Praxisöffnungszeiten. Teilweise kommen die Patienten in die Notfalleinrichtungen, um ansonsten aufzubringende Wartezeiten bei den normalerweise dafür zuständigen Haus- und Fachärzten zu umgehen.«

Und auch damals schon wurde die Forderung nach der flächendeckenden Einrichtung von Notfallpraxen an den Krankenhäusern in den Raum gestellt.

Allerdings – darauf soll hier nur hingewiesen werden – sind es gerade die Krankenkassen, die vehement eine weitere Ausdünnung der Krankenhauslandschaft fordern und zugleich – im Zusammenspiel auch mit den Effekten des auf Fallpauschalen basierenden Krnakenhausvergütungssystems – eine fortschreitende Spezialisierung der einzelnen Kliniken vorantreiben bzw. als Benchmark der weiteren Entwicklung vertreten. Wie das dann mit einer zwangsläufigerweise sehr breit angelegten Notfallversorgung kompatibel sein soll, erschließt sich nicht wirklich.

Was könnte man noch machen? Hannes Heine hat einen weiteren Ansatz so kommentiert: Gebt den Kliniken mehr Geld für die Notaufnahme. Auch er geht von der breit geteilten Diagnose aus: »Das alte System funktioniert nicht mehr. Bisher galt: mit kleinen Beschwerden zum Hausarzt um die Ecke, mit Wunden und Akutem in die Klinik. Nun tummeln sich in den Rettungsstellen nicht nur immer mehr Patienten mit Bagatellen, es kommen auch Flüchtlinge hinzu, die aus ihrer Heimat keine Hausarztpraxen kennen.«

Heine geht davon aus, dass sich an dem Drang in die Notfallaufnahmen der Kliniken nichts ändern wird. »Folglich bleibt nur, die Kliniken auch für Bagatellfälle ausreichend zu bezahlen – und ihre Abläufe mit dem Zusatzgeld zu optimieren. Ein erster Schritt ist die Weiterbildung zum Notfall- und Akutmediziner. Bekommen die Rettungsstellen aber mehr, werden die Krankenkassen den Praxen weniger Geld geben. Deutschlands größter Branche steht ein Verteilungskampf bevor – ihn gilt es auszufechten.« Fazit: Akzeptieren, dass die Musik der Zukunft der Notfallbehandlungen (oder was die Menschen unter Notfällen verstehen) an den Krankenhäusern spielen wird und wenn das so ist, dann muss das Geld eben der Nachfrage folgen und nicht den historisch-gewachsenen Angebotsstrukturen.

Was für ein Durcheinander, wird der eine oder andere sicher denken. Sicher ist auf alle Fälle auch im kommenden Jahr mindestens ein weiterer Beitrag über die „Schnittstelle“ zwischen ambulant und stationär.