Das Ehrenamt in der Krise und der Verein als vom Aussterben bedrohte Art? Neue Zahlen geben einige Hinweise, die eine andere Entwicklung andeuten

Wer kennt das nicht – seit Jahren schon wird lautstark die Klage vorgetragen, dass immer weniger Menschen in Deutschland bereit seien, sich in Vereinen oder anderen gemeinnützigen Organisationen zu engagieren, dass immer weniger Menschen bereit seien, ehrenamtliche Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen. Sportvereinen bröckelt der Nachwuchs weg, auch viele Feuerwehren werfen bedrohliche Schatten an die Wand was die eigene Funktionsfähigkeit angeht, weil viele Wehren ebenfalls Nachwuchssorgen haben und die, die dann noch mitmachen, oftmals tagsüber aus beruflichen Gründen in ganz anderen Gegenden sein müssen und eben nicht zu Hause anwesend sein können. Nur ein Beispiel von vielen: »… 95% aller Brände in Nordrhein-Westfalen werden von den freiwilligen Feuerwehren bekämpft. Ein Schutz der in Zukunft nicht mehr gewährleistet sein kann, wenn weiterhin der Feuerwehr-Nachwuchs fehlt. In Nordrhein-Westfalen sind 396 Freiwillige Feuerwehren im Einsatz. Jährlich verlieren sie rund 2.000 Mitglieder … die Anzahl entspricht der Mitgliederzahl vieler Freiwilliger Feuerwehren.«

Vor diesem Hintergrund wird der eine oder die andere überrascht bis irritiert auf den Beitrag „Deutschland hat so viele Vereine wie nie zuvor“ von Andreas Mihm in der FAZ reagiert haben: »Eine neue Studie zeigt: Die Zahl der Vereine, Genossenschaften und Stiftungen wächst. Mittlerweile gibt es siebenmal so viele wie vor fünfzig Jahren. Von einer Krise des Ehrenamtes könne nicht die Rede sein.« Im Kern ist und bleibt der Deutsche ein Vereinsmeier, so eine der aktuellen Bewertungen. Holger Krimmer vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft wird mit den Worten zitiert: »580.000 Vereine sind registriert, siebenmal so viele wie vor 50 Jahren«. Der Stifterverband lässt zusammen mit der Bertelsmann– und der Thyssen-Stiftung seit einigen Jahren untersuchen, wie es mit dem Innenleben der deutsche Zivilgesellschaft bestellt ist. Herausgekommen ist das Projekt „Zivilgesellschaft in Zahlen„. Nach deren Berechnungen »gehen im „dritten Sektor“ der Wirtschaft 105.000 Unternehmen gemeinnützigen Tätigkeiten nach, erwirtschafteten damit im Jahre 2007 eine Bruttowertschöpfung von 90 Milliarden Euro (4,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) und stellten 2,3 Millionen sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Hinzu kommen 300.000 in 400-Euro-Jobs Tätige.«

Diesmal wurde versucht, eine umfassende Bestandsaufnahme des äußerst heterogenen Sektors vorzulegen:

»Mit ihrem jüngsten „Zivi-Survey“ haben die Forscher erstmals die gesamte Zivilgesellschaft unter die Lupe genommen, also auch jene Gruppierungen, die nicht im engeren Sinne wirtschaftlich tätig sind. Die Forscher haben neben den Daten des Statistischen Bundesamtes die Vereinsregister von 280 Amtsgerichten durchforstet, Gründungszahlen von Stiftungen ausgewertet, die von gemeinnützigen GmbHs (gGmbH) und Genossenschaften erhoben. Am Ende waren es nach den noch unveröffentlichten Zahlen 616.154 Organisationen, vom Sport- über den Förderverein für die Grundschule bis zur freiwilligen Feuerwehr. Genau gesagt sind es 580.294 Vereine, 17.352 Stiftungen, 10.006 GmbHs und 8502 Genossenschaften, in denen 23 Millionen Mitglieder mal mehr, mal weniger aktiv sind.«

Dass vier von zehn Vereinen Probleme hätten, Vorstandsposten und Aufsichtsfunktionen zu besetzen, sei nach Auffassung der Studienautoren weniger Ausdruck einer fundamentalen Krise des Ehrenamts, sondern vielmehr Folge des starken Wachstums der Organisationen der Zivilgesellschaft. »Der häufig beklagte Mangel von Ehrenamtlichen ist daher eine Begleiterscheinung des Wachstums zivilgesellschaftlicher Strukturen«, so wird Holger Krimmer vom Stifterverband in dem FAZ-Artikel zitiert.

Allerdings gibt es auch deutlich pessimistischere Einschätzungen zum Thema Zivilgesellschaft. So beispielsweise gerade mit Blick auf die hier so wichtigen Vereine die Forschungsbefunde aus dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mareike Alscher, Patrick J. Droß, Eckhard Priller und Claudia Schmeißer haben im Frühjahr dieses Jahres einen WZBrief Zivilengagement mit dem Titel „Vereine an den Grenzen der Belastbarkeit“ veröffentlicht. Grundlage ist eine Befragung, die von Ende 2011 bis Anfang 2012 lief und an der sich 3.111 Vereine, Stiftungen, gemeinnützige GmbHs und Genossenschaften beteiligt haben. Dies entspricht mit Blick auf die Grundgesamtheit einer Rücklaufquote von 26 Prozent. Vereine beteiligten sich besonders rege. Von den 6.359 angeschriebenen Vereinen antwortete fast jeder dritte. Über die Befragung wurden erhebliche Probleme der Vereine diagnostiziert, die von den Autoren in drei zentralen Ergebnissen zusammengefasst werden:

(1) Der Wettbewerbsdruck verändert Vereine.

(2) Es fehlen Ehrenamtliche und der Nachwuchs macht sich rar.

(3) Finanzielle Probleme erschweren die Gewinnung qualifizierter Beschäftigter.

Nach dieser Studie gibt es gerade im Bereich der Nachwuchsgewinnung massive Probleme, was sich daran zeigen lässt, »dass 80 Prozent der Vereine gegenwärtig ein Problem haben, Engagierte zu finden. Das gilt besonders für Länder wie Sachsen (85 Prozent), Thüringen (83 Prozent) und Sachsen-Anhalt (82 Prozent), die zudem laut Freiwilligensurvey eine geringe En- gagementquote aufweisen. Aber auch für Vereine in Baden-Württemberg (80 Pro- zent) – ein Bundesland, das derzeit noch Spitzenwerte bei den Engagementquoten aufweist – wird das Fehlen von Engagierten bereits im hohen Maße als Problem gesehen.«

Noch einmal zurück zu den ZiviZ-Befunden: Der Bezug auf die Daten des von TNS Infratest im Auftrag des Bundesfamilienministeriums durchgeführten „Freiwilligensurveys“ zeigen, dass der Anteil derjenigen, die zu einem Ehrenamt bereit wären, im Jahrzehnt von 1999 bis 2009 um die Hälfte auf 37 Prozent gestiegen war.

Die erhebliche Heterogenität der Ziele und Formen in diesem Gebilde „Zivilgesellschaft“ verbietet verallgemeinernde Schlussfolgerungen über alle Organisationen hinweg. Mit Blick auf die sozialpolitisch hoch relevanten Akteure im Bereich Gesundheit und Soziales kommen allerdings beide hier zitierten Studien zu einem Ergebnis, das sich zusammenfassen lässt mit dem Begriffspaar „Ökonomisierung/Professionalisierung“:

»In einigen Bereichen haben die Professionellen, die für ihre Arbeit bezahlt werden, inzwischen ein starkes Gewicht. So ergab die Umfrage für den Bereich Soziales und Gesundheit 4,8 Millionen ehrenamtlich Engagierte, aber 1,4 Millionen bezahlte Beschäftigte. Gerade etwa in der Pflege erwarten die Kunden eine hohe fachliche Professionalität. Das wiederum erschwere die Mitwirkung Ehrenamtlicher, räumt Krimmer ein. Dies stelle die Organisationen vor Probleme. Auffällig ist, dass bei den Sozialen Diensten nur etwa die Hälfte derer, die sich dort engagieren, auch Mitglied in der Trägerorganisation sind“, so die ZiviZ-Befunde.

Und das WZB hebt hervor:

»Mehr Wettbewerb und eine verstärkte Orientierung der Förderpraxis an Effizienz- und Leistungskriterien setzen viele Vereine erheblich unter Rationalisierungsdruck … Aus den Befragungsergebnissen geht hervor, dass knapp die Hälfte der beteiligten Vereine eine Zunahme des Wettbewerbsdrucks verzeichnet. Vor allem um öffentliche Mittel und um Kunden bzw. Klienten wird konkurriert. Unterschiede zeigen sich dabei in Hinblick auf die Tätigkeitsbereiche: Vereine in den Bereichen Gesundheit (68 Prozent), Soziales (59 Prozent) sowie Bildung (58 Prozent) sind überdurchschnittlich häufig einem erhöhten Wettbewerbsdruck ausgesetzt« (Alscher et al. 2013: 3).

Nachschub für den Niedriglohnsektor in Deutschland – und „hilfreiche Tipps“ zur gelingenden Lebensführung mit wenig Geld vom „großen Bruder“

Die angeschlagene Fluggesellschaft Air Berlin muss sparen – und lagert 220 Beschäftigte unsanft in den Niedriglohnsektor aus. Wenn die Betroffenen nicht mitziehen, wird ihre neue Firma geschlossen – das berichtet Sven Clausen in seinem Artikel „Air Berlin schiebt seine Service-Mitarbeiter ab„. Die finanziell angeschlagenen Fluglinie Air Berlin plant die Abgabe seiner Tochter „Service Center KG“ an die Bertelsmann-Tochter Arvato zum 1. Oktober 2013. In der Service-Tochter »werden Kundenanfragen beantwortet, die das Unternehmen über Telefon, Mail, Post, Website oder auch Reisebüros erreichen.« Von den 9.000 Air Berlin-Beschäftigten sind zwar „nur“ 220 in der Tochter-Gesellschaft beschäftigt, die hat aber – eigentlich – eine große Bedeutung: »Da über sie der komplette Kundenkontakt läuft, sind sie allerdings für den Vertriebserfolg der Airline zentral. Noch im aktuellen Geschäftsbericht weist der Konzern auf Seite 31 auf die Bedeutung eines „möglichst intensiven (…) Kundenkontakts“ hin.«

Was schert mich das Geschwätz von gestern, so das Motto des neuen Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Prock-Schauer, der bis Ende des kommenden Jahres 400 Mio. Euro Kosten einsparen will. Um das zu erreichen, hat er ein radikales Sparprogramm aufgelegt, mit der bezeichnenden Betitelung „Turbine“.

Den jetzt betroffenen Mitarbeitern wird schon mal klar gemacht, wohin die Reise geht: »Bertelsmann-Arvato werde Arbeitsverträge anbieten, die lediglich „für weitere sechs Monate eine Vergütung auf Air-Berlin-Niveau“ vorsähen,« so wird ein Vorstandsmitglied in dem Artikel zitiert. Und damit die Arbeitnehmer nicht auf irgendwelche dumme Gedanken kommen, sondern ein Einsehen haben, dass sie „wählen“ dürfen zwischen Pest und Cholera, konkret: zwischen deutlich niedrigeren Löhnen oder der Arbeitslosigkeit, wird ihnen mitgeteilt: »Zwölf Monate habe man Zeit, zwischen diesem Angebot und einer Abfindung zu wählen, „die noch festzusetzen ist“. Wenn sich nach zwölf Monaten nicht mindestens 98 Prozent der Mitarbeiter für eine der Varianten entschieden haben wird Bertelsmann-Arvato – wie vereinbart – „den Betrieb mangels Wirtschaftlichkeit schließen“«, so der Air Berlin-Vorstand.

Da trifft es sich gut, dass man den neuen Niedriglöhnern vielleicht ganz lebenspraktisch unter die Arme greifen kann: Nina Dinkelmeyer berichtet davon in ihrem Artikel „McDonald’s gibt seinen Geringverdienern Spartipps„: »Lieber Filme ausleihen als ins Kino gehen und nicht am Geldautomaten fremder Banken abheben: Der Burger-Konzern rechnet Mitarbeitern auf einer Webseite vor, wie man mit einem Niedriglohn leben kann.« Diese Webseite stellt der Fastfood-Riese in Kooperation mit Visa und Wealth Watchers International für seine englisch und spanisch sprechenden Mitarbeiter bereit. Und warum macht McDonald’s das?  „Euch dabei zu unterstützen, finanziell erfolgreich zu sein, ist eine der vielen Arten, auf die McDonald’s ein zufriedenstellendes und sich lohnendes Arbeitsumfeld schafft.“ Das hat was – man zahlt den eigenen Mitarbeitern so wenig, dass sie oftmals ohne Zweitjob gar nicht überleben können, dann stellt man ihnen Überlebenstipps bei wenig Einkommen zur Verfügung und dann sollen die Betroffenen auch noch glücklich sein, bei einem solchen Arbeitgeber arbeiten zu dürfen.

Die McDonald’s Beschäftigten können auf dieser „ihrer“ Webseite einen Vordruck herunterladen, mit dem sie dann ihre Einnahmen und Ausgaben protokollieren sollen. Man kann aber wirklich nicht sagen, dass McDonald’s in den USA die Wirklichkeit ihrer Niedriglöhner in Abrede zu stellen versucht:
»In den Vordruck haben die Unternehmen praktischerweise aber auch schon einmal eingetragen, wie so ein ausgefülltes Tagebuch dann aussehen kann. Hier rechnen die Macher des Journals nicht mit einem Gehalt, das ausreichend ist, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten – sondern gleich mit zweien. Die Beispielperson verdient so einmal 1105 Dollar und einmal 955 Dollar netto.« Irgendwie konsequent.

Aber die wirkliche Wirklichkeit zeigt sich dann wieder, wenn man diese Spielerei links liegen lässt: »In den vergangenen Monaten gingen Arbeitnehmer in der Fast-Food-Branche immer wieder überall in den USA für höhere Löhne auf die Straße. Laut Behördenangaben verdienen Fast-Food-Köche in den Vereinigten Staaten im Durchschnitt 9,03 Dollar in der Stunde. In April demonstrierten Angestellte von McDonald’s, Dunkin‘ Donuts und Subway in Chicago für einen Stundenlohn von 15 Dollar.«

Die in dieser Branche Beschäftigten haben gute Gründe, auf die Straße zu gehen.

Und auch bei uns tobt der Kampf in der Burger-Branche um geringere Kosten. Derzeit besonders krass bei einem Teil der Burger King-Filialen, von denen fast einhundert von der Yi-Ko Holding GmbH übernommen worden sind und wo jetzt äußerst rabiat gegen Betriebsräte und Arbeitnehmer, die ihre Rechte einfordern, vorgegangen wird (dazu meine Beiträge auf der Facebook-Seite von „Aktuelle Sozialpolitik“ vom 24.05.2013 sowie vom 22.06.2013). Zu diesem Thema gab es im Wirtschaftsmagazin „markt“ (WDR-Fernsehen) einen aktuellen Beitrag: „Ärger bei Burger King?
Seltsame Methoden beim Versuch einen Betriebsrat zu kündigen„.

Riester(-Rente) auf der Flucht?

Ende des Riester-Booms„, so die Süddeutsche Zeitung. Oder „Riester-Rente droht zu scheitern„, so die Berliner Zeitung. Keine schönen Schlagzeilen für den finanzindustriellen Komplex. Die private Altersvorsorge in Gestalt der mit erheblichen staatlichen Mitteln geförderten „Riester-Rente“ ist schon seit längerem unter Beschuss.

Bereits Ende 2011 meldete sich – um nur ein Beispiel von vielen zu zitieren – das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zu Wort: DIW fordert grundlegende Reform der Riester-Rente: „Rendite oft so schlecht wie beim Sparstrumpf“. In einem ausführlichen Wochenbericht des DIW wurde das Thema behandelt: Riester-Rente: Grundlegende Reform dringend geboten, so der Titel der Publikation, an der u.a. Axel Kleinlein mitgearbeitet hat. Ein Befund damals: Riester-Sparer erzielen in vielen Fällen nur so viel Rendite, als hätten sie ihr Kapital im Sparstrumpf gesammelt. Und viele 2011 vereinbarte Riesterverträge, so berechneten die Forscher, führen zu einer schlechteren Rendite als noch 2001 geschlossene Verträge. Anschaulich illustriert Kornelia Hagen, die DIW-Expertin für Verbraucherpolitik, die Problematik: „Eine 35-jährige Frau, die heute einen Riestervertrag abschließt, muss – wird die Rendite auf die garantierte Rentenleistung und Überschüsse bezogen – mindestens 77 Jahre werden, um allein das herauszubekommen, was sie selbst eingezahlt und was sie an Zulagen vom Staat erhalten hat. Möchte diese Frau auch einen Inflationsausgleich und höhere Zinsen erwirtschaften, müsste sie sogar ihren 109. Geburtstag erleben“. Hört sich nach einem schlechten Geschäft an.

Zu einer vergleichbar schlechten Bewertung kam zum gleichen Zeitpunkt Carsten Schröder in der Expertise „Riester-Rente: Verbreitung, Mobilisierungseffekte und Renditen“ für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Lesenswert ebenfalls die Studie von Axel Kleinlein „Zehn Jahre „Riester-Rente“. Bestandsaufnahme und Effizienzanalyse„, die ebenfalls von der Friedrich-Ebert-Stiftung Ende 2011 veröffentlicht wurde. Wer es lieber bildlich hat, dem sei die Anfang 2012 ausgestrahlte ARD-Dokumentation über die „Riester-Lüge“ empfohlen.

Aber zurück in die Gegenwart. Thomas Öchsner berichtet in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Artikel: »Im ersten Quartal 2013 gab es weniger statt mehr staatlich geförderte Riester-Verträge. Die Zahlen gab das Ministerium aber diesmal nicht – wie zuvor die älteren Riester-Bilanzen per Pressemitteilung – bekannt, sondern stellte sie bislang von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt auf die eigene Homepage”. Was ist das Neue?

Erstmals seit Einführung der Riester-Rente im Jahr 2002 ist die Anzahl der bestehenden Verträge zurückgegangen, um insgesamt 27.000 auf 15,652 Millionen. Das Arbeitsministerium sieht „eine gewisse Marktsättigung“.

»Es könnte aber auch eine zunehmende Skepsis der Verbraucher geben, was eine andere, neue Zahl des Hauses von der Leyen zeigt: Mittlerweile ist danach geschätzt fast jeder fünfte (19,5 Prozent) der knapp 15,7 Millionen Verträge ruhend gestellt, es werden also keine Beiträge einbezahlt – und damit auch keine staatlichen Zulagen mehr in Höhe von jährlich 154 Euro (plus bis zu 300 Euro je Kind) bezogen. Ende 2011 hatte dies laut Bundesfinanzministerium nur auf 15 Prozent der Verträge zugetroffen«, so Öchsner in seinem Beitrag.

Sicher ist: Bereits 2012 schrumpfte der Absatz von Riester-Verträgen um 36 Prozent. Das ist natürlich schlecht aus Sicht der Finanzindustrie. Die vor diesem Hintergrund natürlich sofort „Reformen“ anmahnt, um das Geschäft wieder anzukurbeln: Die Politik solle die Zulagen dynamisieren und den steuerlich geförderten Höchstbetrag von 2100 Euro wie in der betrieblichen Altersversorgung auf vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze festsetzen, so eine der Forderungen. Die Versicherungslobbyisten vom GDV machen sich dafür stark, die Grundzulage von 154 Euro zu erhöhen. „Das wäre ein starkes Signal pro Riester-Rente“, hofft die Sprecherin des Verbandes. Ein teures Signal vor allem für den Steuerzahler, denn der muss das bezahlen und soll die Verkaufsmaschine der Finanzindustrie noch weiter schmieren als bislang schon. Eine noch weitgehend „unerschlossene“ Zielgruppe bietet sich hier an: »Von den gut 4,2 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit einem Bruttolohn von weniger als 1500 Euro haben 1,8 Millionen weder eine betriebliche Altersversorgung noch einen Riester-Vertrag«, so Öchsner. Da wäre doch noch was zu holen. Und wieder einmal wird ein Hemmnis für die Geringverdiener aufgeführt, das seit Jahren immer wieder als Problem beschworen wird: Ist ein früherer Geringverdiener mit einer gesetzlichen Minirente auf die staatliche Grundsicherung im Alter angewiesen, werden Auszahlungen aus einer Riester-Rente angerechnet. In solchen Fällen wurde quasi vergebens gespart. Und Öchsner zitiert die Bundesarbeitsministerin, die das ändern wolle. An dieser Stelle darf man dann mal fragen – warum habt ihr das dann nicht schon längst gemacht? Dieses Problem war schon am Anfang der nun auslaufenden Legislaturperiode bekannt und benannt, man hatte im Hause von der Leyen als vier Jahre Zeit, das zu ändern. Passiert ist nichts.

Timot Szent-Ivanyi berichtet in seinem Artikel „Riester-Rente droht zu scheitern“ in der Berliner Zeitung, wie einer der maßgeblichen Akteure, die den Teil-Systemwechsel in der Rentenversicherung Anfang der 2000er Jahre mit durchgesetzt haben, heute das Thema sieht: „Es war ein Fehler, dass bei der Rentenreform 2001 die Privatvorsorge nicht obligatorisch eingeführt wurde“, so wird Bert Rürup zitiert. Na klar, dass wäre dann die Idealform für die Versicherungswirtschaft, ein Abschlusszwang über die gesamte Bevölkerung hinweg. Aber auch Rürup weiß, dass sich die Menschen heute nicht mehr derart ausnehmen lassen würden: „Eine verpflichtende Riester-Rente ist heute politisch nicht mehr durchsetzbar“, so wird er in dem Artikel zitiert. Und das ist auch gut so, wenn man gleichzeitig die erhebliche Unwucht zuungunsten der Gesetzlichen Rentenversicherung, vor allem mit Blick auf das Rentenniveau, wieder korrigieren würde im Sinne einer Stärkung der umlagefinanzierten Rentenversicherung.

Aber Rürup wäre nicht Rürup, wenn er nicht trotzdem versuchen würde, eine Bresche für die Finanzindustrie zu schlagen, auch wenn er davon ausgeht, dass eine obligatorische Verpflichtung aller Bürger nicht durchsetzbar ist. Dann bleibt ja noch die große Gruppe der Arbeitnehmer, die sind ja schon an Zwangsversicherungen gewöhnt: „Denkbar ist aber – wenn die Tarifvertragsparteien mitspielen – jeden Arbeitnehmer entweder zum Abschluss einer Betriebsrente oder einer Privatrente zu verpflichten“, schlug Rürup vor. Und „natürlich“ plädiert auch Rürup dafür, den Höchstbetrag des geförderten Riestersparens anzupassen. Er liegt seit 2002 unverändert bei 2.100 Euro pro Jahr. Also mehr Fördermittel vom Staat.

Auch wenn man gerade vor dem Hintergrund der erkennbaren Trendwende beim Riester-Geschäft darauf hoffen kann, dass immer mehr Bürger erkennen, wer hier vor allem profitiert und dementsprechend mit den Füßen abstimmen, so bleibt dennoch die durch die damalige rot-grüne „Rentenreform“ aufgerissene Sicherungslücke im System der Gesetzlichen Rentenversicherung. Und die sollte wieder geschlossen werden. Berechnungen können zeigen, dass das im bestehenden System der Gesetzlichen Rentenversicherung sogar günstiger zu haben wäre als der Umweg über die geförderte private Altersvorsorge – für die Arbeitnehmer. Natürlich nicht für den finanzindustriellen Komplex. Der würde gerne weiter die Milliarden-Förderbeträge des Staates abgreifen. Kann man verstehen, muss man aber nicht auch noch unterstützen.