Die verheerenden Auswirkungen der Corona-Krise auf den Arbeitsmarkt in einem Land ohne wirklichen Schutz für Millionen Menschen: die USA und eine Grafik des Schreckens

»Die Vereinigten Staaten haben nach Angaben von US-Experten inzwischen mehr bekannte Coronavirus-Infektionen als jedes andere Land«, so eine der vielen Meldungen über die Entwicklung der Corona-Pandemie. Für den 26.03.2020 wurden in den USA 83.800 Corona-Fälle ausgewiesen. Allein für diesen einen Tag wurde ein Zuwachs von 18.100 Fällen registriert, so eine Übersicht der Johns-Hopkins-Universität: Coronavirus COVID-19 Global Cases by the Center for Systems Science and Engineering (CSSE) at Johns Hopkins University (JHU). Besonders in New York City, das sich zu einem Hotspot der Neuinfektionen entwickelt hat, verschärft sich die Lage in den medizinischen Einrichtungen dramatisch. Dazu der Beitrag von Marc Pitzke: New York City wird zum Epizentrum der Coronakrise: »Knapp 200 New Yorker sind schon an den Folgen des Coronavirus gestorben: Alte und Junge, Prominente und Unbekannte. Selbst das New York Police Department meldete mehr als 3200 kranke Cops, knapp ein Zehntel der gesamten Truppe. Fast jede dritte neue Corona-Infektion in den USA findet sich mittlerweile in New York City.«

»Die sonst so lebendige 8,6-Millionen-Metropole, seit dieser Woche unter einer Ausgangssperre, ist in Angst erstarrt«, so Pitzke in seinem Bericht aus der Metropole. Und der Shutdown hat – wie in anderen Ländern auch – massive Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben. Und auf den Arbeitsmarkt, der in den USA im Vergleich beispielsweise zu Deutschland, ganz anders strukturiert ist und wo die Auswirkungen für die betroffenen Arbeitnehmer eine ganz andere Dimension haben. Dazu der Blick auf eine selbst für Arbeitsmarktexperten bislang unvorstellbaren Grafik:

»Die Corona-Krise stürzt den US-Jobmarkt vom Boom in die Krise – mit einer beispiellosen Flut von Anträgen auf Arbeitslosenhilfe. In der vergangenen Woche stellten knapp 3,3 Millionen Amerikaner einen entsprechenden Erstantrag, wie das Arbeitsministerium am Donnerstag mitteilte«, so dieser Artikel: Historischer Anstieg – 3,3 Millionen neue Arbeitslose in den USA. So eine Zahl hat es in den USA nach dem 2. Weltkrieg noch nie gegeben. Die Abbildung verdeutlicht, dass der bisherige Rekordwert im Jahr der weltweiten Wirtschaftskrise 2009 bei 665.000 Anträgen innerhalb einer Woche im März 2009 gelegen hat. Und selbst wenn man noch weiter nach hinten auf der Zeitachse zurückgehen würde: Der bisherige absolute Höchststand wurde 1982 verzeichnet – mit damals 695.000 Anträgen auf Arbeitslosenunterstützung.

Und bereits der in den offiziellen Zahlen erkennbare Anstieg der Antragszahlen ist nicht nur selbst für Arbeitsmarktexperten unvorstellbar, sondern man muss zugleich auch berücksichtigen, dass es sich bei diesem Indikator für eine gewaltige Entlassungswelle, die in den Vereinigten Staaten anrollt, nur um eine Untergrenze handeln wird, denn viele betroffene Arbeitnehmer berichten davon, dass sie nicht in der Lage waren, die Anträge stellen zu können, beispielsweise aufgrund technischer Probleme – und außerdem muss man berücksichtigen, dass viele, die ihren Job verloren haben, gar keine Anträge stellen, weil sie keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben oder davon ausgehen.

Das trifft die immer noch weltweit größte Volkswirtschaft in einer Zeit, aus der bis vor wenigen Tagen noch von historisch niedrigen Arbeitslosenzahlen berichtet wurde. Die offizielle Arbeitslosenquote (bei aller berechtigten Vorsicht bei der Interpretation der Werte angesichts der Zählweise in den USA)* wurde für den Februar 2020 mit niedrigen 3,5 Prozent ausgewiesen:

*) Zu der hier dargestellten offiziellen Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent für den Februar 2020 finden wir diesen Hinweis: »The unemployment rate represents the number of unemployed as a percentage of the labor force. Labor force data are restricted to people 16 years of age and older …, who do not reside in institutions (e.g., penal and mental facilities, homes for the aged), and who are not on active duty in the Armed Forces. This rate is also defined as the U-3 measure of labor underutilization.«
Wenn es eine „U-3“-Messung gibt, auf die sich die Zahl bezieht, dann muss es auch noch andere Zählweisen die Arbeitslosen betreffend geben. Dieses Thema wurde hier bereits am 7. Februar 2017 angesichts der Rekordmeldungen über eine positive Entwicklung des Arbeitsmarktes in den USA in diesem Beitrag aufgegriffen: Donald Trump als Kämpfer für eine ehrliche Arbeitslosenstatistik? Zur Diskussion über die „Unterbeschäftigung“ und interessante Parallelen zu Deutschland. Und so werden auch für den Februar 2020 ganz unterschiedliche Arbeitslosen- bzw. Unterbeschäftigungsquoten für die USA ausgewiesen, die von 1,2 bis 7,0 Prozent reichen:

Gehen wir vor diesem Hintergrund weiter von der offiziellen Arbeitslosenquote in Höhe von 3,5 % aus, wie sie für den Februar 2020 ausgewiesen wird. Was derzeit angesichts der verheerenden Auswirkungen der Corona-Krise in den USA abläuft, kann man sich an dieser Abschätzung verdeutlichen: »US Treasury secretary Steve Mnuchin has predicted unemployment in the US – close to record lows only last month – could reach 20%«, so dieser Artikel von Dominic Rushe und Amanda Holpuch: Record 3.3m Americans file for unemployment as the US tries to contain Covid-19. Dort findet man auch diesen bedeutsamen Hinweis: »Service industries broadly, particularly accommodation and food services, were hard hit although states also cited healthcare and social assistance, arts, entertainment and recreation, transportation and warehousing, and manufacturing industries.« Anders ausgedrückt: Es sind die vielen Millionen Niedriglohn-Beschäftigten vor allem in den Dienstleistungen, die jetzt von einem Moment auf den anderen in die Arbeitslosigkeit gestoßen werden – mit entsprechend niedrigen Arbeitslosenhilfe-Beträgen, wenn sie denn überhaupt einen Anspruch auf Unterstützung haben.

Ökonomen der Commerzbank werden in dem Artikel Historischer Anstieg – 3,3 Millionen neue Arbeitslose in den USA so zitiert: „Die US-Wirtschaft erlebt gerade eine für Friedenszeiten beispiellose Vollbremsung“. Und ihre Prognose des anlaufenden Jobabbaus liegt sogar noch unter dem, was in den USA selbst erwartet wird – ist aber erschreckend genug: Sie gehen davon aus, „…dass die Arbeitslosenquote von zuletzt 3,5 Prozent um acht Prozentpunkte auf 11,5 Prozent steigen würde und damit höher wäre als der bisherige Nachkriegsrekord von 10,8 Prozent Ende 1982.“ Damit wären laut Commerzbank 19 Millionen Menschen arbeitslos – ein Anstieg um etwa zwölf Millionen.

Experten sehen den aktuellen Anstieg als Beleg für eine größere Entlassungswelle. Sie befürchten, dass bald noch weit mehr Amerikaner auf der Straße stehen dürften. Die von enormer Unsicherheit geprägten Spannweiten der zu erwartenden Arbeitsmarktfolgen kann man auch diesem Zitat entnehmen: »The Federal Reserve Bank of St Louis president, James Bullard, has said he expects unemployment to hit 30% in the second quarter, while Morgan Stanley has estimated that unemployment would average 12.8% over that time period.«

Der US-amerikanische Finanzminister wurde hier bereits zitiert mit der Vorhersage, dass die Arbeitslosenquote bald auf 20 Prozent ansteigen könnte (und damit deutlich stärker als im Szenario der zitierten Commerzbank-Ökonomen). Aber man soll nun keineswegs annehmen, dass das die Vertreter der Trump-Administration (der selbst darüber schwadroniert, lieber heute als morgen den Shutdown zu beenden) nach außen irgendwie zu beunruhigen scheint: »US-Finanzminister Steven Mnuchin sieht die Zahlen zurzeit allerdings als „nicht relevant“ an. Er hoffe, dass die Menschen wieder eingestellt würden, betonte er.« Der Glaube und die Hoffnung auf ein anderes Leben spielt ja in den USA generell eine große Rolle.

Abschließend der Hinweis: Nicht nur in Deutschland versucht man, mit gewaltigen Rettungsprogrammen auf die enormen Herausforderungen durch die Corona-Krise zu reagieren. Angesichts der düsteren Aussichten hat die Politik – nach fünftägigen kontroversen Verhandlungen zwischen Regierung uns Senat – ein zwei Billionen Dollar schweres Hilfspaket geschnürt – das größte in der Geschichte der USA. Es hat ein Volumen von 9 Prozent des US-amerikanischen Bruttoinlandsprodukts. »Viele Details müssen noch endgültig in Gesetzesform gegossen werden. Außerdem muss das Repräsentantenhaus dem Paket noch zustimmen, wobei noch gewisse Änderungen möglich sind«, berichtet die Commerzbank am 25. März 2020 unter der Überschrift USA – Das Zwei-Billionen-Dollar-Paket. Dort werden auch einige der wichtigsten Komponenten vorgestellt, die in Umrissen erkennen lassen, dass man auf die seit langem kritisierten Schwachstellen des überaus grobmaschigen sozialen Netzes in den USA zu reagieren versucht, um wenigstens einen sofortigen Absturz von Millionen Amerikanern ins existenziell Bodenlose zu verhindern oder zu verzögern:

➞ Eine Direktzahlung von 1.200 Dollar an jeden Amerikaner bis zu einer Gehaltsobergrenze von 75.000 Dollar
Verbesserte Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Das Arbeitslosengeld soll länger und in höherem Umfang gezahlt und der Kreis der Berechtigten soll auf Selbständige und Teilzeitkräfte ausgeweitet werden.
➞ Ein Kreditprogramm für Großunternehmen in Höhe von 500 Mrd Dollar. Dieses Geld soll das Finanzministerium offenbar als Eigenkapitaleinlage in die verschiedenen Investmentvehikel der Fed einbringen (z.B. die gerade beschlossene Primary Market Corporate Credit Facility). Der Notenbank kann dadurch Kredite von mehreren Billionen Dollar an Unternehmen vergeben. Gerade dieser Punkt war besonders umstritten, da die Demokraten befürchteten, dass der Finanzminister damit unkontrolliert Unternehmen unterstützt.
➞ Ein Kreditprogramm für kleinere und mittlere Unternehmen in Höhe von 367 Mrd Dollar.
Zuschüsse an Bundesstaaten und Kommunen in Höhe von 150 Mrd Dollar.
Zuwendungen an Krankenhäuser und das Gesundheitswesen von 130 Mrd Dollar.
➞ Hinzu kommen Zuschüsse an notleidende Fluggesellschaften (25 Mrd Dollar; zusätzlich 4 Mrd Dollar an Luftfrachtgesellschaften). Weitere Zahlungen sind für Bildungseinrichtungen oder Verkehrsbetriebe reserviert.

Wie dem auch sei: „There is going to be a lot of hardship for a lot of people“, so Gus Faucher, Chefvolkswirt der PNC Financial Services Group. Das ist noch sehr abstrakt für das, was auf Millionen Menschen ganz unten in den USA zukommen wird – zusätzlich zu einer sowieso schon miserablen Situation, in der sie leben müssen.