Im Windschatten der Einigung bei der „Grundrente“: Die Betriebsrentner bekommen auch was ab. Die Doppelverbeitragung wird gemildert

Alle Welt hat sich auf den Kompromiss der offensichtlich noch am Amt hängenden Koalition bei der „Grundrente“ gestürzt und man spekuliert nun, was das genau bedeuten wird, was die Granden der Regierungsparteien – Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Markus Söder (CSU) sowie Malu Dreyer (SPD) – am Sonntag, dem 10. November am Nachmittag dem Volk verkündet haben. Wenn man die Pressekonferenz der drei (tatsächlichen bzw. kommissarischen) Parteivorsitzenden verfolgt hat, dann wird einem aufgefallen sein, dass gerade die Unionsvertreter auffällig wenig bis gar nichts zu der eigentlichen Grundrente sagen wollten, sondern ausführlich auf das Ergänzungspaket abgestellt haben, das offensichtlich den widerstrebenden Elementen in der Unionsfraktion die Zustimmung zu dem Kompromiss versüßen soll.

Da geht es vor allem um einen stärkere Förderung der betrieblichen Altersvorsorge sowie der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand.
➞ Als Anreiz für die Verbreitung der zusätzlichen arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersversorgung bei Geringverdienern (bis 2.200 brutto / Monat) wird der Förderbetrag für eine betriebliche Altersvorsorge von maximal 144 Euro auf 288 Euro angehoben.
➞ Mitarbeiterkapitalbeteiligungen tragen zur Vermögensbildung der Arbeitnehmer bei, so die Koalitionsparteien. Um ihre Attraktivität zu erhöhen, wird der steuerfreie Höchstbetrag von derzeit 360 Euro auf 720 Euro angehoben.

Nun hat man aber vor der Einigung zur Kenntnis nehmen müssen, dass die besonders hervorgehobene zusätzliche Förderung der Betriebsrenten auf mehr als nur Skepsis gestoßen wäre, wenn man an die seit vielen Jahren vorgetragene Kritik vieler Betriebsrentner an der aus ihrer Sicht vorliegende skandalöse „Doppelverbeitragung“ denkt. Und an die bislang allesamt gescheiterten Versuche, diesen eklatanten Vertrauensbruch des Jahres 2004 wieder zu heilen.

➔ Dazu ein kurzer historischer Rückblick: Mit Beginn des Jahres 2004 trat das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ in Kraft. Seinerzeit waren die Sozialkassen klamm und die rot-grüne Bundesregierung suchte fieberhaft nach neuen Einnahmequellen. Unter der damals zuständigen Ministerin Ulla Schmidt (SPD) wurde auf der Suche nach zusätzlichen Geldern für die Gesetzliche Krankenversicherung die volle Beitragspflicht für Einkünfte aus der betrieblichen Altersvorsorge eingeführt – und das auch rückwirkend für alle Altverträge. Dass das als ein massiver Vertrauensbruch von den dadurch Betroffenen wahrgenommen wurde und wird, überrascht jetzt nicht wirklich. Die von den Betroffenen als kalte Enteignung wahrgenommene Doppelverbeitragung wird von ihnen – und beispielsweise vom Verein Direktversicherungsgeschädigte – seit Jahren immer wieder kritisiert und eine Korrektur eingefordert. Bei den Direktversicherungen war sogar bis 2004 die gesamte Auszahlungszeit vollkommen beitragsfrei, so dass diese Form der zu Betriebsrenten umdeklarierten privaten Vorsorge besonders hart getroffen wurde von der seit 2004 eingeführten Verbeitragung. Da der Beitragssatz sich vom ermäßigten, halben Beitragssatz auf den vollen verdoppelt hat, wird vereinzelt von einer Doppelverbeitragung gesprochen. Technisch korrekt ist von der Verbeitragung mit dem vollen Beitragssatz zur KVdR zu sprechen.

Vor diesem Hintergrund findet man nun in dem Koalitionsbeschluss vom 10.11.2019 diese Formulierung, mit der man gar nicht gerechnet hatte:

»In der GKV zählen Betriebsrenten sowie Kapitalauszahlungen der betrieblichen Altersversorgung (bAV) zu den beitragspflichtigen Versorgungsbezügen. Auf diese werden Beiträge nach dem allgemeinen Beitragssatz erhoben, die die Rentner allein zu tragen haben. Um die Akzeptanz für und das Vertrauen in die betriebliche Altersvorsorge zu stärken, wollen wir das ändern. Daher wird die geltende Freigrenze für Versorgungsbezüge in Höhe von 155,75 Euro monatlich wie bisher in einen dynamisierten Freibetrag umgewandelt.«

Interessant ist dann die Einschätzung der Bundesregierung, was das bewirken soll:

»Ein Freibetrag schafft für alle pflichtversicherten Betriebsrentenempfänger Entlastung. Rund 60 Prozent der Betriebsrentner zahlen damit de facto maximal den halben Beitragssatz, die weiteren 40 % werden spürbar entlastet.«

Wie kommt es zu der Entlastung? Rainer Woratschka erläutert das in seinem Artikel Millionen Betriebsrentner werden entlastet: »Die Betriebsrentner müssen zwar immer noch mehr als den hälftigen Kassenbeitrag abdrücken. Sie bekommen nun aber statt der bisherigen Freigrenze von 155,75 Euro im Monat einen echten Freibetrag in gleicher Höhe bewilligt. Der Unterschied: Die Freigrenze bewahrte nur Rentner mit darunterliegenden Auszahlbeträgen vor der Beitragsverpflichtung. Der Freibetrag gilt für alle Betriebsrentner bis zu dieser Grenze, unabhängig von ihrer Gesamtrente.«

Die Neuregelung soll – wie die „Grundrente“ – 2021 kommen. Aber nicht rückwirkend für die seit 2004 zu viel gezahlten Beiträge – dafür werden geschätzten Kosten von rund 40 Milliarden Euro genannt (was auf der anderen Seite aber auch verdeutlicht, wie man die Betriebsrentner in der Vergangenheit gemolken hat). Das wäre viel zu teuer geworden für die Politik.
Bereits der jetzt vereinbarte teilweise Abbau der Doppelverbeitragung soll fast genau so viel kosten wie die im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und Debatte stehende „Grundrente“. Für die werden Schätzungen in einer Größenordnung von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr genannt – je nach tatsächlicher Inanspruchnahme der Regelungen. Eine Milliarde davon soll aus der ebenfalls 2021 einzuführenden, also noch gar nicht vorhandenen Finanztransaktionssteuer geschöpft werden, weitere 500 Mio. Euro soll der Bundesarbeitsminister aus seinem Etat beisteuern, was bedeutet, dass er die woanders wegnehmen muss, beispielsweise bei den Mitteln für die Langzeitarbeitslosen. Und mit welchen Kosten preis man die wie gesagt teilweise Abschaffung der Doppelverbeitragung der Betriebsrenten ein? Man greift in die Kassen Dritter, hier der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), denn, so der Koalitionsbeschluss vom 10.11.2019:

»Die Mindereinnahmen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro jährlich in der GKV werden vollständig aus Mitteln der GKV finanziert. Zur Einphasung in die allgemeine Einnahmen- und Ausgabenentwicklung werden aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds im Jahr 2021 900 Millionen Euro, im Jahr 2022 600 Millionen Euro und im Jahr 2023 300 Millionen Euro entnommen.«

Die Krankenkassen hingegen rechnen mit höheren Folgekosten als die Regierung. Der Koalitionsbeschluss werde bei den Krankenkassen zu Beitragsausfällen von mehr als 1,4 Milliarden Euro führen, so wird der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz, von Rainer Woratschka zitiert.

Dieser Schritt erscheint zwar angesichts des offensichtlichen Ziels, durch eine nach außen kommunizierbare Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge im Sinne einer positiv aufgeladenen Botschaft von den zahlreichen Fragezeichen am „Grundrenten“-Kompromiss abzulenken, taktisch nachvollziehbar – aber auch Experten hatten gar nicht mehr mit einer Bewegung in Richtung Abmilderung oder gar Abschaffung der Doppelverbeitragung gerechnet. Denn in den vergangenen Jahren war man hier zwangsweise zum Zeugen eines fast schon lehrbuchhaften politischen Schauspiels geworden, bei dem immer wieder eine Entlastung verschoben bzw. verhindert wurde. Unter aktiver Beteiligung der Bundeskanzlerin.

Dazu ausführlich der Beitrag Doppelt verbeitragte Betriebsrentner und ein (nicht nur) Merkel-Basta-Nein vom 3. April 2019. Das ursprünglich von den Betroffenen erhoffte Einschreiten der höchsten Gerichte wurde in der Vergangenheit enttäuscht – sowohl das Bundessozialgericht wie auch das Bundesverfassungsgericht haben die bestehende Rechtslage in der Vergangenheit abgesegnet. Aber unter den Parlamentariern gab und gibt es zahlreiche Kritiker der vollen Verbeitragung der Betriebsrenten, auch durch den Druck, den die Abgeordneten vor Ort zu spüren bekamen. Deshalb gab es auch immer wieder entsprechende Vorstöße im Bundestag.

Nachdem die SPD bereits eine Abkehr von der 2004 eingeführten doppelten Beitragspflicht versprochen hatte, zog die CDU mit einem Beschluss auf ihrem Parteitag Anfang Dezember 2018 nach. Und der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat dann sogar einen Gesetzentwurf in die Welt gesetzt, um wenigstens die zukünftigen Fälle besser zu stellen. Der Bundesgesundheitsminister hatte einen Referentenentwurf seines Hauses auf den Weg gebracht, in dem die Kosten auf drei Milliarden Euro im Jahr taxiert wurden. 500 Millionen könnten von den Beitragszahlern aufgebracht werden, schlug Jens Spahn (CDU) vor. Der Rest von 2,5 Milliarden solle aber aus dem Steuertopf kommen – mittels Erhöhung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Kassenleistungen von 14,5 auf 17 Milliarden Euro.

Die den einen oder anderen möglicherweise irritierende Konstellation beschrieb Rainer Woratschka so: »Während der CDU-Politiker und Gesundheitsminister Jens Spahn dafür den Steuerzahler zur Kasse bitten möchte, warnen die Sozialdemokraten vor Steuererhöhungen und Gefährdung der Schwarzen Null. Sie drängen darauf, das nötige Geld aus Sozialbeiträgen abzuzwacken.« Genau das blieb nicht unwidersprochen: »Finanzminister Olaf Scholz (SPD) lehnt das ab. Spahns Finanzierungsvorschlag sei „nicht überzeugend“, ließ er einen Sprecher mitteilen. Das Projekt sei im Koalitionsvertrag „nicht als prioritär hinterlegt“. Deshalb seien im Bundeshaushalt dafür keine zusätzlichen Mittel vorhanden.«

Nun könnte man vermuten, dass der CDU-Minister Spahn gegen die Blutgrätsche des SPD-Finanzministers Scholz Unterstützung bekam von der CDU-Bundeskanzlerin. Aber weit gefehlt. Merkel gat etwas getan, was normalerweise nicht zu ihrem Standard-Repertoire gehört: Sie hat Nein und Basta gesagt. Nun hat bekanntlich schon Gerhard Schröder seine Erfahrungen machen müssen, dass Basta-Politik letztendlich aus der Zeit gefallen ist (und gerade Merkel hat das eigentlich total verinnerlicht und versucht normalerweise, die eigenen Interessen lieber über Bande auszuspielen). Vor allem, wenn sich zum einen in den Büros der Abgeordneten die Protestschreiben stapeln, zum anderen hatte die CDU wie erwähnt doch erst Ende des vergangenen Jahres sogar einen Parteitagsbeschluss gefasst, um eine Entlastung auf den Weg zu bringen.

Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung, die bis zum nun vorgelegten Modell geführt hat, war der Spahn’sche Entwurf, zum halben Beitragssatz auf Betriebsrenten zurückzukehren. Die Kosten für die Krankenkassen bezifferte der Minister auf rund drei Milliarden Euro jährlich. Davon sollten 2,5 Milliarden durch Steuergeld ausgeglichen werden und der Rest aus dem Gesundheitsfonds kommen, der das Krankenkassengeld verwaltet. Die SPD und ihr Finanzminister Olaf Scholz haben sich gegen eine Steuerfinanzierung ausgesprochen und verweisen auf die hohen Rücklagen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Verkehrte Welt, denn normalerweise ist es parteipolitisch immer genau anders herum, also die Sozialdemokraten fordern eine Entlastung der Sozialversicherungen und eine Belastung der Steuerschatulle. Aber derzeit ist ja ein Sozialdemokrat Bundesfinanzminister und damit in einer anderen Rolle.

Und im April 2019 konnte dann das hier berichtet werden: Nun sucht man nach Auswegen aus der verfahrenen Situation: Carsten Linnemann von der CDU »machte deutlich, dass er sich neben einer Halbierung des Beitragssatzes auf Zahlungen aus der betrieblichen Zusatzvorsorge auch andere Entlastungswege vorstellen könne. Der CDU-Wirtschaftspolitiker nannte die Möglichkeit, die bisher bestehende Freigrenze bei den Betriebsrenten von gut 150 Euro im Monat in einen Freibetrag umzuwandeln. Ein Freibetrag bleibt immer abgabenfrei, bei einer Freigrenze werden bei Überschreiten auf die gesamte Summe Beiträge fällig.«

Das ist ja nun genau die Lösung, die man nun im Windschatten der Einigung bei der Grundrente mit auf die Schiene gesetzt hat. Und ein mindestens günstiger Nebeneffekt ist die Tatsache, dass Carsten Linnemann vom Wirtschaftsflügel diesen Vorschlag vorgetragen und vertreten hat – denn der war bislang einer der heftigsten Kritiker der nun doch ohne eine harte Bedürftigkeitsprüfung nach den Kriterien der Sozialhilfe kommenden Grundrente und der Koalitionsbeschluss muss noch von den Abgeordneten der Beien Regierungsfraktionen zustimmend verabschiedet werden.

Durch diese Gemengelage haben viele Betriebsrentner profitieren können von einer wenigsten teilweisen Abschaffung der Doppelverbeitragung. Alos ab 2021 und dann für die Zukunft. Die Vergangenheit muss wohl abgeschrieben werden.