„Gute Leiharbeit“? Zur medialen und tatsächlichen Bedeutung der Leiharbeit in der Kranken- und Altenpflege

Wenn man die letzten Jahre zurückschaut, dann dominiert in der Berichterstattung über die Leiharbeit in Deutschland eine negative Erzählung. Leiharbeiter gelten als Symbol für prekäre Beschäftigung und sie sind ja auch tatsächlich mit einer Vielzahl von schlechten Bedingungen konfrontiert: Sie bekommen deutlich weniger Geld als Stammbeschäftigte, sie sind überdurchschnittlich oft von Arbeitslosigkeit betroffen, sie leben aufgrund des betriebswirtschaftlichen Mechanismus „last in, first out“ in permanenter Unsicherheit, sie bekommen kaum oder keinen Zugang zu Krediten aufgrund ihres Status. Sie sind überdurchschnittlich von Arbeitsunfällen betroffen. Um nur einige Aspekte zu nennen.

Vor diesem Hintergrund sind viele sicherlich erst einmal überrascht, wenn sie mit solchen Meldungen konfrontiert werden: Pflegekräfte fliehen in die Leiharbeit: »In der Leiharbeit ist die Arbeitsbelastung für Pflegekräfte mitunter geringer als bei einer Festanstellung … in der Pflegebranche wächst die Leiharbeit rapide.« Oder: »Keine Nachtschichten mehr, kein Einspringen am Wochenende, beste Bezahlung – mit paradiesischen Arbeitsbedingungen werben Leiharbeitsfirmen um Altenpflegekräfte. Die profitieren dabei vom Fachkräftemangel«, so in diesem Artikel: Pflegekräfte auf Pump. Dazu passend: Leiharbeit in der Pflege: „Deutlich über dem Tarif“: »In der Pflege geht es Zeitarbeitenden inzwischen besser als Festangestellten. Sie werden mit Geld und Extras verwöhnt – auch in Tübingen.« So könnte man jetzt noch eine ganze Reihe an entsprechenden Berichten aufzählen. Bleibt die offensichtliche Frage: Gibt es eine schöne, andere Welt der Leiharbeit? Und ist das wirklich ein Massenphänomen? Dazu ein erster Blick auf die Zahlen, um die es hier geht:

»In der letzten Zeit häufen sich Berichte, dass Beschäftigte im Gesundheitswesen kündigen und Arbeitsverträge mit Verleihern abschließen, um dann anschließend als Leiharbeiter*in wieder im Gesundheits- oder Pflegebereich zu arbeiten. Anders als in anderen Bereichen der Leiharbeit sind hier die Löhne oftmals höher, als die Löhne der Stammbeschäftigten.

Hinzu kommt, dass die Leiharbeiterinnen eher bestimmte – für sie vorteilhafte – Arbeitszeiten durchsetzen können. Das Thema ist in der Öffentlichkeit aufgebauscht worden, weil diese Entwicklung einige Besonderheiten aufweist. Die Beschäftigung von Leiharbeiterinnen in der Pflege steigt, liegt aber immer noch niedriger als die Leiharbeit bei allen Beschäftigten. Während in der Pflege zwei Prozent der Beschäftigten Leiharbeiter*innen sind, sind es in der Gesamtwirtschaft fast drei Prozent.«

Das kann man dieser neuen Analyse des DGB zum Thema Leiharbeit entnehmen:

➔ DGB (2019): Leiharbeit – neue Trends und alte Probleme, Berlin: Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bundesvorstand, September 2019

Zum einen sollte man also angesichts der tatsächlichen Zahlen die Kirche im Dorf lassen, zum anderen aber gibt es offensichtlich einige interessante Besonderheiten der Inanspruchnahme von Leiharbeit in der Pflege. Und die bestehen nicht nur darin, dass es offensichtlich für einige Pflegekräfte attraktiver ist, statt einer Festanstellung beispielsweise in einem Pflegeheim eine Tätigkeit in der Leiharbeit vorzuziehen. Einige ganz lebenspraktische Gründe wurden bereits in der Artikelauswahl angesprochen. Letztendlich können die Leiharbeitskräfte in der Pflege anders als in anderen, „klassischen“ Einsatzbereichen der Arbeitnehmerüberlassung, wo sie als hoch flexible Randbelegschaft, die man jederzeit entsorgen kann, von einem besonders ausgeprägten Ungleichgewicht zuungunsten der Arbeitgeber profitieren, denn der eklatante Personalmangel führt dazu, dass man hier auf die Leiharbeitskräfte zur Aufrechterhaltung des Normalbetriebs angewiesen ist, weil man keine oder zu wenige Arbeitskräfte für die „normale“ Beschäftigung findet, aber aufgrund der Personalvorgaben gezwungen ist, beispielsweise eine bestimmte Anzahl an Pflegefachkräften vorzuhalten.

Während in vielen anderen Bereichen die Leiharbeiter zu Recht beklagen, dass sie deutlicher schlechter behandelt werden als die Stammbelegschaft, die also auf der Sonnen- und sie selbst auf der Schattenseite seien, wird aus der Pflege von einer umgekehrten Konstellation berichtet – mit hoch problematischen Rückwirkungen in diesem Fall für die Stammbeschäftigten: »Pflegebeauftragter Westerfellhaus beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge. „Es gibt Hinweise, dass die Qualität der Pflege durch den Einsatz von Leiharbeitern leidet. Zudem bedeutet es für die Einrichtungen einen wesentlich höheren finanziellen Aufwand“ … Hinzu kommen erhebliche Belastungen für die Festangestellten, die immer weniger in festen Teams, mit festen Kollegen arbeiten und durch die dünne Personaldecke immer kurzfristiger einspringen müssten.«

Bereits am 5. Juli 2018 wurde hier das Thema Leiharbeit in der Pflege behandelt: Schlechte Leiharbeit, gute Leiharbeit? Von Leiharbeitern bei Daimler und in der Pflege. Und (schein)selbständige Pflegekräfte werden gerichtlich erneut ausgebremst, so ist der damalige Beitrag überschrieben. Und dort wurde auch auf die besondere Perspektive der Arbeitgeber hingewiesen:

»Jede Medaille hat zwei Seiten. Eine einfache Überlegung kann uns helfen, zur anderen Seite vorzustoßen: Wenn die Pflegekräfte in vielen Fällen mindestens so verdienen wie die Festangestellten oder angeblich sogar besser, dann muss das richtig teuer werden, wenn die Pflegeheime oder Krankenhäusern Arbeitnehmerüberlassung in Anspruch nehmen, denn die Verleiher wollen nicht nur auf ihre Kosten kommen, sondern auch noch Gewinn machen mit dem Verleih von Arbeitsmenschen. Folglich muss der Stundensatz, den die in Richtung stellen, deutlich höher sein als der Betrag, den der Leihpfleger bekommt. Das treibt die Personalkosten natürlich nach oben.«

Und – vor dem angesprochenen Hintergrund schon weitaus weniger überraschend – auch die Arbeitgeberseite hat sich mehr als kritisch zur Leiharbeit in der Pflege zu Wort gemeldet. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) hat sich am 6. Mai 2019 unter der Überschrift bpa-Befragung zur Zeitarbeit: 89 Prozent Zusatzkosten in die Diskussion eingebracht: »bpa-Präsident Meurer kritisiert Ressourcenverschwendung ohne Mehrwert für pflegebedürftige Menschen.« Das klingt nicht nur sehr kritisch. Schauen wir genauer hin:

»Der Einsatz von Zeitarbeitskräften in der Pflege und der Betreuung pflegebedürftiger Menschen führt zu gravierenden Fehlentwicklungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine bundesweite Mitgliederbefragung des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste e. V. (bpa). Ambulante Dienste, Pflegeheime und andere Pflegeanbieter beklagen, dass Zeitarbeitsfirmen zusätzliche Kosten von bis zu 89 Prozent berechnen.
Weiterhin sagen 55,8 Prozent der Befragten, die verfügbare Qualifikation der Leiharbeitnehmer sei schlechter als die der fest angestellten Kräfte und nur rund 19 Prozent der Zeitarbeitskräfte könnten zu ungünstigen Zeiten wie in der Nacht, an Wochenenden und Feiertagen eingesetzt werden.«

Immerhin 45 Prozent der fast 700 Unternehmen, die sich an der Befragung beteiligt haben, nutzen die Leiharbeit. »Als Gründe für den Einsatz von Zeitarbeitskräften werden primär die kurzfristige Deckung des Personalbedarfs und der generelle Fachkräftemangel genannt.«

Und auch das passt ins Bild: »36,6 Prozent der 310 Unternehmen, die laut Befragung Leiharbeiter einsetzen, geben an, dass sozialversicherungspflichtig beschäftigte Pflegekräfte in ihrem Unternehmen von Zeitarbeitsfirmen abgeworben wurden. Das Versprechen der Wunscharbeitszeit führt somit zu einer stärkeren Belastung der Stammbelegschaft.«

Und auch die Politik hat ein Auge auf diese Entwicklung geworfen. So wurde der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits im Sommer des vergangenen Jahres mit diesen vorsichtigen Worten zitiert: »Die Leiharbeit im Pflegebereich mache die Dinge nach Spahns Auffassung angesichts der aktuellen Probleme mit der Stellenbesetzung eher schwieriger als leichter. „Ich hätte lieber weniger Leiharbeit in der Pflege und mehr Festangestellte“, sagte Spahn.« In einem anderen Bericht heißt es: »Es müsse dringend jetzt etwas getan werden, vor allem gegen die Leiharbeit. Denkbar wäre, überlegte Spahn, ein Verbot von Leiharbeit in unterbesetzten Facharbeitsbereichen – auch wenn dies einen ziemlichen Eingriff bedeuten würde.« Wobei die dazu gehörende Überschrift des Artikels – Jens Spahn spricht sich für ein Verbot von Leiharbeit aus – dann angesichts der konkreten Formulierung des Ministers eine nun ja, sehr weit ausgreifende Interpretation ist. Der Mann weiß sicher, warum er semantisch so herumeiert bei dem Thema „Verbot der Leiharbeit“ in der Pflege.

Aber das Thema bewegt viele und nunmehr hat sich auch der DBfK zu Wort gemeldet, also der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe. Aus dessen Reihen wurde ein „Impulspapier“ veröffentlicht:

➔ Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (2019): Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege. Impulspapier, Berlin, September 2019

»In der Pflegebranche floriert die Zeitarbeit, das zeigen die Daten der Bundesagentur für Arbeit und Berichte aus Einrichtungen – vor allem in den Städten.« Zu den angesprochenen Daten der BA: »Waren es 2014 noch rund 12.000 Leiharbeitnehmer in der Krankenpflege, so waren es 2018 schon fast doppelt so viele (22.000). Auch in der Altenpflege ist die Zahl der Leiharbeiter in den letzten fünf Jahren merklich gestiegen von gut 8.000 auf 12.000 im Jahr 2018.«

Und trotz der in der Gesamtheit überschaubaren Quote an Leiharbeitern konstatiert der DBfK: »Immer häufiger sind es gerade junge und sehr gut Ausgebildete, Pflegefachpersonen mit stark nachgefragten Zusatzqualifikationen, mit Berufserfahrung, hoher Leistungsbereitschaft und großem Engagement, die ihren Marktwert kennen und sich sehr bewusst den lange erlebten wenig wertschätzenden Arbeitsbedingungen entziehen. Diese Abwanderung und der Verlust an Kapazität und Kompetenz in den Stammbelegschaften ist selbst bei der momentan noch geringen Quote bereits deutlich spürbar.«

Man begibt sich auf Ursachensuche: »Das Arbeiten an wechselnden Einsatzstellen gehört grundsätzlich nicht zum Selbstverständnis der professionellen Pflege. Denn sie ist auf Beziehungsaufbau, Kontinuität, wachsendes Vertrauen, Gestaltung von Prozessen und Zusammenarbeit im Team angelegt. Heute hier, morgen da ist eigentlich nichts, was sich Pflegefachpersonen von ihrem Berufsleben wünschen. Auch ein in Aussicht gestellter Lohnzuwachs, wie er häufig der Zeitarbeit nachgesagt wird, erweist sich bei genauerer Betrachtung oft als relativ und wird auch von den Betroffenen nicht als Hauptgrund für den Wechsel genannt.«

Man sieht die wahren Ursachen in den Realitäten, denen die Stammbeschäftigten ausgesetzt sind: »Ähnlich wie vor einigen Jahren beim Aufkommen der auf Honorarbasis tätigen Pflegefachpersonen sind es zuallererst die Arbeitsbedingungen, vor denen man flüchtet: unzuverlässige Dienstpläne, ständiges Holen aus dem Frei, Überstunden ohne Ende, Präsentismus aus Solidarität, Doppelschichten, kurzfristiges Absagen von Urlaub und Fortbildungsmaßnahmen, Zeitdruck, Konflikte, Zusatzaufgaben, hohe Erwartungen des Arbeitgebers bei zu geringen Ressourcen, mangelnder Respekt usw.«

Die Entwicklung habe zahlreiche Auswirkungen, die Nachteile bringen und inzwischen immer mehr Probleme schaffen, so der DBfK in seinem Impulspapier (S. 3-4):

Für die Menschen mit Pflegebedarf: Ihnen fehlt der Ansprechpartner, dem sie vertrauen und der sie und ihre gesundheitliche bzw. persönliche Situation kennt und einschätzen kann. Es fehlt die Kontinuität, wenn in jeder Schicht eine fremde Person ans Bett tritt und zuständig ist, der Aufbau einer therapeutischen Beziehung ist so kaum möglich. Mitarbeiter/innen aus der Leiharbeit erledigen die ihnen zugewiesene Arbeit sicherlich fachgerecht, aber es fehlt der Blick auf die Gesamtsituation und ein Verantwortungsgefühl für eine nachhaltig angemessene Versorgung.

Für die Stammbelegschaft: Die Situation kippt mittlerweile, nachdem zunächst Leiharbeit als willkommene Entlastung bei Arbeitsspitzen und Personalausfall erlebt wurde. Inzwischen spaltet das Thema immer mehr Teams, weil die verbliebenen Stammbelegschaften in der Regel die unattraktiven Dienste und Schichten (Nachtdienst, Feiertage, Wochenenden, Rufbereitschaft, Bereitschaftsdienst) abdecken müssen und dafür auch noch geringere Stundenlöhne und Zulagen erhalten. Von ihnen wird maximale Flexibilität und ständige Verfügbarkeit erwartet, während die Kolleg/innen aus der Leiharbeit ihre Dienste lange im Voraus und nach Wunsch aussuchen. Ständig neue Mitarbeiter/innen einzuarbeiten und zu überwachen – bei ohnehin immensem Zeitdruck – kostet Nerven und zusätzliche Zeit. Andere Aufgaben müssen dagegen vernachlässigt werden, damit der Betrieb einigermaßen läuft. Belastend kommt nicht nur hinzu, dass auf diese Weise eine immer größere Verantwortung bei den Stamm-Beschäftigten abgeladen wird, sondern dass sie bei der Zuteilung von Fällen in aller Regel die Schwerstkranken übernehmen müssen. Zusätzliche Aufgaben, wie sie auf jeder Station anfallen, können Leiharbeitnehmer/innen nicht abarbeiten, dafür fehlen ihnen das Wissen um Strukturen und etablierte Prozesse, aber oft auch die erforderlichen Zugriffsrechte auf das elektronische Dokumentationssystem. Jede Form der Weiterentwicklung wird für alle Beteiligten ausgebremst. Alles in allem bildet der zunehmende Einsatz von Leiharbeitskräften in Pflegeteams mittlerweile weniger eine Entlastung als vielmehr steigendes Konfliktpotenzial und sorgt für große Unzufriedenheit und Stress.

Für die Einrichtung: Entleiher müssen hohen Organisationsaufwand betreiben – für die Bereitstellung der erforderlichen Leiharbeitskräfte sowie das Überprüfen von deren Eignung und Qualifikation. Immer wieder wird berichtet, dass Vermittler die gewünschte Fachqualifikation ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verlässlich einhalten; statt der angeforderten Gesundheits- und Krankenpflegerin kommt eine Pflegehelferin. Nicht selten kommt es zudem vor, dass zugesagte Mitarbeiter/innen beim Entleiher nicht erscheinen, ohne vorher abzusagen. Oder der Verleiher sagt Dienste zu, storniert dann aber kurzfristig wieder, ohne Ersatz zu stellen. Leiharbeit zu nutzen ist teuer, schließlich verdient der Vermittler mit. Und angesichts der Marktlage lassen sich die Zeitarbeitsfirmen ihre Dienstleistung mittlerweile sehr gut bezahlen. In einer Umfrage beklagen Pflegeanbieter, dass Zeitarbeitsfirmen zusätzliche Kosten von knapp 90% im Vergleich zum Einsatz eigener Mitarbeiter berechnen. Die Vermittler schöpfen somit Millionenbeträge aus dem Gesundheitssystem ab, die anderswo dringend gebraucht würden.

Und wie sieht es für die Leiharbeiter selbst aus, für die ja immer wieder von erheblichen Vorteilen berichtet wird, wenn sie in die Arbeitnehmerüberlassung gehen? Natürlich gibt es auch hier eine Schattenseite:
Für Leiharbeitnehmer: Auch für die Leiharbeitnehmerinnen und –arbeitnehmer selbst bringt ihr Arbeitsplatz nicht nur Vorteile, insbesondere dann, wenn sie kurze Einsatzphasen und ständig wechselnde Einsatzorte haben. Häufig werden sie in Einrichtungen zum Einsatz kommen, die bereits in Schwierigkeiten stecken: hohe Fluktuationsraten, innerbetriebliche Konflikte und Rei- bungen, schlechte ökonomische Lage, angespanntes Betriebsklima – all das macht Einsätze nicht leicht. Professionell Pflegende in Zeitarbeit agieren dann als Einzelkämpfer, ohne Zugehörigkeit zum Team. Ein regelmäßiges Feedback zur eigenen Arbeitsweise und Kompetenz, mit dem man sich weiterentwickeln kann, erhalten sie oft nicht. Das häufige Zurechtfinden in fremder Umgebung, schnelle Ortswechsel, auswärtige Übernachtung sowie permanentes Leben aus dem Koffer bedeuten Stress und kollidieren u.U. mit dem eigenen Privatleben und dem Wunsch nach sozialen Kontakten. Nicht jedes Zeitarbeitsunternehmen arbeitet außerdem seriös, es gibt schwarze Schafe, die viel versprechen und wenig einlösen.

Soweit die richtige und wichtige Analyse. Wie sieht es nun mit den Forderungen und den Lösungsansätzen aus?

Da wird natürlich auf die Forderung Bezug genommen, die Leiharbeit in der Pflege einzudämmen oder gar zu verbieten. Aber: »Dieselben Einrichtungen, die jetzt nach einer Eindämmung der Leiharbeit und Begrenzung der Vermittlergebühren rufen, haben oft jahrelang nichts oder zu wenig für die Mitarbeiterbindung im eigenen Unternehmen getan. Und werfen der Politik zudem vor, durch Vorgeben und Überprüfen der Fachkraftquote und Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen unüberwindbare Hürden aufzubauen.«

Aber die Forderung aus dem Arbeitgeberlager stößt in Teilen der Politik auf entsprechende Resonanz: »Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag, Erwin Rüddel, macht aus seiner Haltung keinen Hehl: „Mittelfristig muss sich das Ausweichen auf Arbeitnehmerüberlassung des internen Betriebsfriedens willens als Geschäftsmodell erledigen. Den Pflegemangel als Geschäftsmodell auszunutzen passt nicht zu den Werten unseres Gesundheitssystems.“«

Und auch die Verbotsgedankenspielereien des Bundesgesundheitsministers werden erwähnt. Aber der DBfK schüttet gleich eine Menge Wasser in den (scheinbaren) Wein: »Ob ein Verbot von Leiharbeit mit der Begründung Pflegefachkräftemangel überhaupt legitimierbar wäre, darf bezweifelt werden. Und grundsätzlich ist es fraglich, ob Pflegefachpersonen sich mit solchen Mitteln zurück in Arbeitsverhältnisse lenken lassen, denen sie aus gutem Grund zuvor den Rücken gekehrt haben.«

Und nun? Der DBfK plädiert für ein „langfristiges Umdenken in der Pflegepersonalstrategie“. Dazu werden diese Maßnahmen vorgeschlagen (S.5):

a) Grundsätzlich deutliche Anhebung des Pflegefachpersonenbestands inkl. konsequenter Berücksichtigung von Ausfallzeiten; analytische Pflegepersonalbemessung, die sich am tatsächlichen Pflegebedarf und der Struktur der Einrichtung orientiert und die Interessen von Patienten bzw. Bewohnern sowie Beschäftigten im Fokus hat.
b) Geregeltes Personalausfallmanagement: z.B. hauseigene Pool-Lösungen, vergütete Standby- Systeme usw.
c) Alle Elemente von Mitarbeiterbindung und Personalentwicklung: u.a. gute Führung, weitrei- chende Autonomie, wertschätzende Personalpolitik, Fördern interdisziplinärer Zusammenarbeit, evidenzbasierte Pflegepraxis, Innovationen…
d) Nachwuchsbindung, angefangen bei qualitativ guter und wertschätzender Ausbildung
e) Abzielen auf „Klebe-Effekte“ bei Leiharbeitnehmern, indem man sich als vorbildlicher Ar- beitgeber erweist.

Alles gute und wichtige Vorschläge. Aber natürlich bleibt an dieser Stelle das mulmige Gefühl, dass das zwar wohlfeile Vorschläge sind, die aber zumindest kurzfristig wenig bis gar nicht helfen werden können (nicht umsonst spricht der DBfK ja auch von einem „langfristigen Umdenken“). Man muss den Einsatz der Leiharbeitskräfte in der Pflege als das sehen, was er angesichts der heutigen Rahmenbedingungen, die eine Folge jahrzehntelanger Versäumnisse sind, ist: Man verschiebt am skelettösen Personalkörper eine Rippe von der einen zur anderen Seite. Das fundamentale Angebots-Nachfrage-Dilemma in der Pflege kann dadurch nicht adressiert werden, außer man neigt zu der These, dass durch die Bedingungen der Leiharbeit die eine oder andere Pflegekraft überhaupt noch im Berufsfeld gehalten wird, sie also ansonsten aus dem Feld flüchten würde. Angesichts der präsentierten Zahlen wäre das aber eine mehr als überschaubare Gruppe.

Insofern ist das, was der Bundesgesundheitsminister derzeit versucht, die scheinbar naheliegende Antwort auf das grundsätzliche Problem: Er reist im wahrsten Sinne des Wortes über den Globus, um ausländische Pflegekräfte nach Deutschland importieren zu können. Vor kurzem war er im Kosovo, nun in Mexiko – dazu: »Gesundheitsminister Jens Spahn wirbt in Mexiko um Pflegekräfte für deutsche Kliniken und Heime. Der Hilferuf in dem Land ist politisch problematisch«, so Cornelia Schmergal in ihrem Artikel Spahns heikle Mission in Mexiko. Selbst wenn es ihm und anderen gelingen wird, einige tausend Pflegekräfte aus teilweise sehr fernen Ländern nach Deutschland zu bugsieren – auch das wird wenn überhaupt nur einen überschaubaren Teilbeitrag leisten können, den (quantitativen) Pflegenotstand zu bekämpfen.

In der Zwischenzeit warten wir immer noch auf eine deutliche Anhebung der Vergütung vor allem in der Altenpflege, am besten in Verbindung mit einer auch gesetzgeberisch festgeschriebenen Verbesserung der Personalschlüssel über einen mehrjährig angelegten Stufenplan, damit klare, deutliche und für alle verständliche Signale innerhalb unseres Landes gesendet werden, dass man alle Perspektiven hat, wenn man sich für den Pflegeberuf entscheidet.

Aber mit dem Warten kennt man sich ja in der Pflege aus.