Der Zahnersatz ist in einer älter werdenden Gesellschaft sicher. Ein sicheres Geschäft für Zahnärzte, für Anbieter privater Zusatzversicherungen und eine teure Angelegenheit für viele Patienten

In vielen Bereichen der medizinischen Versorgung sind es die Menschen gewohnt, dass ihre Krankenkassen die gesamten Kosten einer notwendigen Behandlung übernehmen – und in der Regel ist den meisten Kassenpatienten aufgrund der eigenen Welt der Finanzierungssysteme zwischen Kassen und Ärzten sowie anderen Gesundheitsberufen gar nicht bewusst, wie viel Geld da fließt.

Das ändert sich dann, wenn es um Zuzahlungen in Euro und Cent geht, die Patienten neben ihren Krankenkassenbeiträgen für bestimmte Leistungen abdrücken müssen. Und die können richtig weh tun. Beispielsweise wenn es um Zahnersatz geht. Spätestens dann wird man schmerzhaft daran erinnert, dass es möglicherweise besser gewesen wäre, hätte man früher mehr für die Erhaltung der eigenen Zähne getan.

Foto: © Stefan Sell
Denn für Zahnersatz gibt es seit 2005 ein Festzuschuss-System. Die Krankenkassen bezahlen für Brücken, Prothesen und Kronen einen festen Zuschuss. Er wird aus Durchschnittswerten ermittelt und deckt die Hälfte der ermittelten Kosten für die Regelversorgung ab. Oder soll die Hälfte abdecken. Denn die 50 Prozent beziehen sich auf die „Basistherapie“. Die definiert die Regelversorgung. Wer mehr will, muss die Mehrkosten selbst bezahlen. Der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium von Krankenkassen, Ärzten und Zahnärzten, bemisst die Festbeträge für 50 Befunde jährlich neu. Die Regelversorgung muss laut Sozialgesetzbuch ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Von den ermittelten Durchschnittskosten übernehmen die Krankenkasse die Hälfte, mit Bonusheft 60 oder 65 Prozent (vgl. genauer die Festzuschuss-Richtlinie bei Zahnersatz, Stand 2019).

Aber über welche Beträge sprechen wir hier konkret? Die neuesten Daten dazu findet man in dieser Veröffentlichung der Barmer Krankenkasse:

➔ Michael Rädel, Steffen Bohm, Heinz-Werner Priess, Ulrich Reinacher und Michael Walter (2019): Zahngesundheitsatlas 2019. Deutschland auf den Zahn gefühlt, Berlin: Barmer, 2019

Manfred Brüss hat unter der Überschrift Zahngesundheitsatlas: Wie viel GKV-Versicherte zuzahlen einige Befunde die Eigenanteile der in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgesicherten Patienten betreffend zusammengefasst:

»Kassenpatienten müssen für Zahnersatz im Mittel 58 Prozent der Kosten selbst tragen. Das sind je nach Bundesland im durchschnittlich zwischen 628 Euro und 1.228 Euro … Anhand der Barmer-Daten des Jahres 2017 wurde für jedes Bundesland die Inanspruchnahme der zahnärztlichen Behandlungen aufgeschlüsselt. Dabei zeigten sich die größten Ost-West-Unterschiede beim Zahnersatz. Die Gesamtkosten je versorgten Versicherten lagen in den östlichen Flächenländern zwischen 1.274 Euro und 1.379 Euro und damit deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 1.524 Euro. In den „Hochkostenländern“ Niedersachsen und Bayern betrugen diese Gesamtkosten 1.877 Euro und 1.860 Euro.«

Die Regelversorgung, auf die sich die hälftige Kostendeckung der Krankenkassen-Festzuschüsse bezieht, werde regional unterschiedlich in Anspruch genommen.

»Entsprechend unterschiedlich fallen die Eigenanteile aus, wobei die Menschen in den neuen Ländern regelmäßiger zur Zahnvorsorge gehen und entsprechend häufiger von einem Bonus profitieren, der bis zu 65 Prozent Kostenübernahme durch die Kasse führen kann.
Beispielsweise liegt der Eigenanteil im Osten zwischen 47,7 Prozent in Sachsen-Anhalt und 50,2 Prozent in Sachsen. Deutlich tiefer in die Tasche greifen müssen die Versicherten in Baden-Württemberg (66,7 Prozent) und in Bayern (66,7 Prozent).
Die absolute Höhe der Zuzahlung für Zahnersatz beträgt etwa in Bayern im Durchschnitt 1.228 Euro. Dies ist fast doppelt so viel wie in Sachsen-Anhalt (628 Euro).«

Die Krankenkasse Barmer bilanziert mit Blick auf die Daten aus dem Zahngesundheitsatlas: »Bei der zahnmedizinischen Versorgung Deutschlands gibt es teils dramatische regionale Unterschiede.« Das betrifft übrigens nicht nur die Kosten und Eigenanteile bei Zahnersatz, auch in anderen Bereichen der zahnmedizinischen Versorgung lässt sich das beobachten: »Deutliche regionale Unterschiede gibt es demnach auch bei Früherkennungsuntersuchungen für Kinder. Erneut ist Bayern an der Spitze. Hier liegt die Inanspruchnahmerate bei 42,5 Prozent. Schlusslicht sind die Saarländer (27,7 Prozent).« Und: »Viele Ergebnisse … lassen sich nicht zahnmedizinisch erklären.«

»Die Ergebnisse des aktuellen Zahngesundheitsatlasses machten grundsätzlich zwei Tendenzen deutlich. Zum einen gebe es in vielen Versorgungsbereichen der Zahnmedizin Ost-West-Unterschiede. Zum anderen scheine ein Stadt-Land-Gefälle vorzuliegen.«

Mit Blick auf den Zahnersatz:

➔ »Besonders eklatant seien laut den Studienergebnissen die Ost-West-Unterschiede bei neuem Zahnersatz. Im Jahr 2017 lagen die Gesamtkosten je versorgtem Versicherten in den östlichen Flächenländern mit 1.274 Euro bis 1.379 Euro deutlich unter dem Bundesschnitt von 1.524 Euro. Am teuersten war der Zahnersatz in Niedersachsen mit 1.877 Euro. Auch bei der Kostenverteilung fielen die Unterschiede massiv aus. Der vom Patienten zu tragende Eigenanteil lag beim Zahnersatz in den östlichen Flächenländern mit 47,7 Prozent bis 50,2 Prozent deutlich unter Bayern und Baden-Württemberg. Dort trugen Patientinnen und Patienten mit ihrem Eigenanteil 66 beziehungsweise 66,7 Prozent der Kosten.«
Die Barmer spekuliert über mögliche Ursachen für diese Diskrepanzen: »Eine Ursache für hohe Kosten dürfte die verstärkte Wahl von aufwändigem, ästhetisch ansprechenderem und somit meist teurerem Zahnersatz sein … Dabei sei die Regelversorgung nicht nur zweckmäßig, sondern auch haltbar. „Wenn aufwändiger Zahnersatz gewählt wird, stellt sich durchaus die Frage, ob das immer der alleinige Wunsch des Patienten ist“ … .«

➔ Der Zahngesundheitsatlas »zeigt zudem deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land. So bekamen 9,0 Prozent der Berliner und 8,7 Prozent der Hamburger im Jahr 2017 einen neuen Zahnersatz. Im Saarland waren es lediglich 6,4 Prozent und in Bayern und Rheinland-Pfalz jeweils 6,9 Prozent. Bundesweit traf dies auf 7,4 Prozent zu.«
Auch hier wird über die Verursachungsfaktoren spekuliert: »Dass vor allem die Versicherten in den Stadtstaaten häufiger Zahnersatz bekommen, könnte zum einen am leichteren Zugang zur Versorgung bei einer vergleichsweise hohen Zahnarztdichte liegen. Zum anderen könnten höhere ästhetische Ansprüche eine Erklärung sein.«

In beiden Unterschiedsbereichen wird die eigene Rolle der Zahnärzte angedeutet, aber nicht weiter vertieft. Natürlich bewegen wir uns hier auch im Feld der „angebotsinduzierten Nachfrage“, wie das die Ökonomen auf den Punkt zu bringen versuchen, also eine in diesem Fall vom Patienten schlussendlich realisierte Nachfrage nach etwas, was möglicherweise gar nicht oder nicht in diesem Umfang medizinisch induziert ist, sondern vom monetären Interesse der Zahnärzte beeinflusst wird. Dabei muss man beim Thema Zahnersatz auch zur Kenntnis nehmen, dass es seit Jahren einen in diesem Kontext sicher nicht unproblematischen Entwicklungsstrang dergestalt gibt, dass immer mehr Zahnärzte den Zahnersatz nicht bei selbstständigen Zahntechnikern besorgen, sondern eigene „Praxislabore“ betreiben, um nicht nur an den zahnmedizinischen Leistungen im engeren Sinne zu profitieren, sondern auch an der Herstellung des Zahnersatzes.

➔ Mit Blick auf einkommensarme Haushalte muss man berücksichtigen, dass es eine Härtefall-Regelung gibt: Bei Zahnersatz erhalten gesetzlich Versicherte einen Festzuschuss, der die Hälfte der durchschnittlichen Kosten der Regelversorgung abdeckt. Im Rahmen der Härtefallregelung übernimmt die gesetzliche Krankenkasse die Kosten in Höhe des doppelten Zuschusses zur Regelversorgung. Wenn der doppelte Festzuschuss nicht die gesamten Kosten für den Zahnersatz abdeckt, man sich aber diese übrigen Kosten nicht leisten kann, übernimmt die gesetzliche Krankenkasse zusätzlich die Differenz, der Zahnersatz ist somit kostenlos. Die Härtefallregelung findet Anwendung, wenn eine unzumutbare Belastung aufgrund geringer Einnahmen vorliegt. Diese sind als Einkommensgrenze operationalisiert: Geringverdiener mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von höchstens 1.246 Euro (Stand: 2019) können von ihrer gesetzlichen Krankenkasse höhere Zuschüsse für Zahnersatz bekommen. Für Familien gelten höhere Grenzen (1.713,25 Euro, wenn sie mit einen Angehörigen zusammen wohnen, für jeden weiteren Angehörigen jeweils plus 311,50 Euro). Die Härtefall-Regelung gilt auch für Sozialhilfeempfänger, Hartz-IV-Empfänger, Empfänger von Kriegsopferfürsorge, Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie für Versicherte, die in einem Heim leben und die Kosten dafür ein Sozialhilfeträger übernimmt.

Während die doch ganz erheblichen Zuzahlungen der Patienten gerade für die einkommensschwachen Haushalte (darunter vor allem für die zahlreichen Haushalte, die knapp über den Einkommensgrenzen der Härtefall-Regelung liegen*) eine enorme Belastung darstellen, sind die für andere eine sprudelnde Quelle des Geschäfts: Martin Brüss spricht in seinem Artikel von einer „Flucht in die private Zahnzusatz-Versicherung“: Einen Ausweg aus der Kostenfalle beim Zahnarzt sehen immer mehr Menschen in einer privaten Zahnzusatz-Versicherung. »Nach Angaben des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) wurde 2018 erstmals die Marke von 16 Millionen Zusatzversicherungen übertroffen.«

„Der Trend zu mehr privater Vorsorge ist ungebrochen“, wird der PKV-Verbands-Direktor Florian Reuther zitiert. Die PKV-Unternehmen würden Zahnzusatz-Versicherungen sowohl auf individueller Grundlage als auch über Gruppentarife im Rahmen der betrieblichen Krankenversicherung anbieten.


*) Auch Versicherte, die nur leicht die Einkommensgrenze überschreiten, können einen erhöhten Festzuschuss von der Krankenkasse bekommen. Das nennt sich „gleitende Härtefallregelung“. Wie hoch dieser Zuschlag genau ausfällt, hängt vom Einzelfall ab und wird von der Krankenversicherung individuell berechnet. Ob man den Zuschlag bekommt,entscheidet die Kasse allerdings erst dann endgültig, wenn die Rechnung vom Zahnarzt vorliegt. Man bekommen das Geld also – wenn überhaupt – erst nach Ende der Behandlung.
Ein Rechenbeispiel verdeutlicht die nicht-triviale Ausgestaltung der Regelungen einen erhöhten Festzuschuss betreffend: »Entscheidend dafür, ob die Kasse einen zusätzlichen Zuschuss zahlt, ist, welche Zahnarztkosten Ihnen zumutbar sind. Um das zu berechnen, bildet die Krankenkasse die Differenz zwischen Ihrem Einkommen und der Befreiungsgrenze. Der Differenzbetrag mal drei genommen bildet die zumutbare Belastung. Zahnarztkosten, die diesen Betrag überschreiten, zahlt die Versicherung. Ein Beispiel, wie der erhöhte Zuschuss berechnet wird: Sie sind alleinstehend und haben ein monatliches Bruttoeinkommen von 1.350 Euro. Der Zahnersatz, den Sie brauchen, kostet 1.000 Euro (Regelversorgung). Die Härtefallgrenze liegt 2019 für Alleinstehende bei 1.246 Euro. Ihre individuelle Belastungsgrenze berechnet sich daher folgendermaßen: (1.350 Euro – 1.246 Euro) x 3 = 312 Euro. Der normale Festzuschuss der Krankenkasse beträgt in diesem Beispiel 500 Euro (die Hälfte der Kosten für die Regelversorgung). Die restlichen 500 Euro für den Zahnersatz müssten Sie selbst zahlen. Da diese Summe jedoch Ihre individuelle Belastungsgrenze von 312 Euro überschreitet, gibt es von der Kasse einen erhöhten Zuschuss. Dieser berechnet sich wie folgt: 500 Euro (regulärer Eigenanteil) – 312 Euro (zumutbare Belastung) = 188 Euro (erhöhter Zuschuss).«