Mangelland: 22.000 Berufsschullehrer fehlen bis 2025. Bietet jemand mehr? 60.000 fehlen bis 2030. Auf alle Fälle: Berufsschullehrer dringend gesucht

»Der Lehrermangel in Deutschland trifft die Berufsschulen besonders hart, zeigt eine Studie. Experten werfen der Politik gravierende Versäumnisse vor«, so Silke Fokken unter der Überschrift Bis 2030 werden 60.000 neue Lehrer gebraucht. Eine Studie, die von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegeben wurde, verdeutlicht das Ausmaß des Lehrermangels an Berufsschulen: Bis zum Jahr 2030 geht demnach fast die Hälfte der rund 125.000 Berufsschullehrer in den Ruhestand. Allein bis zum Jahr 2020 werden jährlich 4000 neue Berufsschullehrer durchschnittlich benötigt. Aber: Der Nachwuchs fehlt.

Die Zahlen stammen aus dieser Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm:

➔ Klaus Klemm (2018): Dringend gesucht: Berufsschullehrer. Die Entwicklung des Einstellungsbedarfs in den beruflichen Schulen in Deutschland zwischen 2016 und 2035, Gütersloh: Bertelsmann-Stiftung, 2018 
Die Bertelsmann-Stiftung sieht durchaus nicht nur pessimistisch in die vor uns liegenden Jahren: »Während Grundschulen und weiterführende Schulen bereits in den kommenden Jahren kurzfristig Antworten auf die steigenden Schülerzahlen finden müssen, erreicht der Berufsschullehrermangel erst später seinen Höhepunkt. Das bedeutet: Es ist noch Zeit zu handeln … Gerade weil die Ausbildung von Berufsschullehrern in der Regel mehr als sieben Jahre dauere, müssten jetzt mit Blick auf das Jahr 2025 mehr Studienplätze bereitgestellt werden.«

Zu der Studie von Klemm erfahren wir: Die beruflichen Schulen in Deutschland sind ein wichtiger Bestandteil der beruflichen Bildung. So werden hierzulande etwa 2,5 Millionen Schüler von rund 125.000 hauptamtlichen Lehrkräften unterrichtet. Schon seit Jahren fällt es allerdings schwer, den Bedarf an Berufsschullehrern mit entsprechend ausgebildeten Lehrkräften zu decken. Vielerorts sind Seiten- und Quereinsteiger in das Lehramt für berufliche Schulen gängige Praxis. Klemm hat den langen Zeithorizont bis 2035 gewählt, da sich die seit 2015 deutlich angestiegenen Geburtenzahlen erst dann auf die beruflichen Schulen auswirken.

»Bezogen auf die Entwicklung der Schülerzahlen in den kommenden Jahren, scheint sich die Situation an den beruflichen Schulen zu entspannen, denn bis zum Jahr 2025 sinken für ganz Deutschland gerechnet die Schülerzahlen an beruflichen Schulen und erreichen den Ausgangswert erst wieder 2035, zum Ende des untersuchten Zeitraums.

Aufgrund der Altersstruktur der Lehrer an beruflichen Schulen wird es allerdings zu einem hohen Ersatzbedarf kommen, der das Problem der fehlenden Lehrkräfte in Zukunft noch weiter verschärfen wird: Fast 50 Prozent der Lehrkräfte sind derzeit über 50 Jahre alt und werden daher in den nächsten Jahren altersbedingt ausscheiden. In den Flächenländern Ost ist diese Quote mit knapp 60 Prozent noch einmal deutlich höher.«

Nun wird sich der eine oder andere erinnern – war nicht erst vor einigen Monaten schon mal von fehlenden Berufsschullehrern die Rede? Und wurden da nicht etwas andere Zahlen präsentiert? So ist es. Dazu der Beitrag Wenn die Fundamente bröckeln: Für Berufsschulen werden händeringend Lehrkräfte gesucht. Auch vielen Grund- und Förderschulen gehen die Lehrer aus vom 9. März 2018. Darin findet man den Hinweis auf eine Studie, die im Auftrag der Lehrergewerkschaft GEW erstellt wurde. Die hat ein zentrales Ergebnis dieser Arbeit unter dieser Überschrift veröffentlicht, die wieder einmal das offensichtliche Bedürfnis in der Öffentlichkeit nach der einen Zahl befriedigen soll, die man dann gut transportieren kann: Rund 22.000 Lehrkräfte fehlen künftig an Berufsschulen. Die Berufsschulen brauchen der Studie der GEW zufolge bis 2025 knapp 22.000 zusätzliche Lehrkräfte. Wie kommen die darauf? Ein wichtiger Punkt ist die (gegenüber den Vorausberechnungen der zukünftigen Schülerzahlen seitens der Kultusministerkonferenz) abweichende Modellierung der Schülerzahlen auf der Basis der neuen Studie: Bis 2025 werden fast 340.000 Schülerinnen und Schüler mehr an berufsbildenden Schulen lernen als bisher von der Kultusministerkonferenz (KMK) berechnet, so wird Ansgar Klinger von der GEW zitiert. Bislang ging die KMK von einem Rückgang der Zahl der Schülerinnen und Schüler an Berufsschulen auf gut 2,1 Millionen bis zum Jahr 2025 aus. Wer sich die Studie im Original anschauen will, der wird hier fündig:

➔ Dieter Dohmen (2018): Prognose der Schüler*innenzahl und des Lehrkräftebedarfs an berufsbildenden Schulen bis 2030. Bericht für Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und Max-Traeger-Stiftung, Frankfurt am Main, März 2018

Wir sprechen hier über ein Fundament unseres Bildungssystems: Die beruflichen Schulen, die von zentraler Bedeutung sind im deutschen System der dualen Berufsausbildung – darüber hinaus aber auch für vollzeitschulische Ausbildungen und für das sogenannte „Übergangssystem“ (hier können Teilnehmer berufliche Grundkenntnisse erwerben oder einen Haupt- beziehungsweise Realschulabschluss nachholen, um ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu verbessern, zuweilen werden sie aber auch schlichtweg geparkt in berufsvorbereitenden Maßnahmen).

Angesichts der Tatsache, dass die Berufsschulen in der Regel im Windschatten der allgemeinen Diskussion über einen Lehrermangel in den allgemein bildenden Schulen segeln müssen und nur selten zur Kenntnis genommen werden, ist jede Berichterstattung über diese so wichtige Schulform erst einmal positiv. Man sollte sich aber nicht auf das Spiel mit den Zahlen reduzieren lassen, die zudem, wie die Beispiele zeigen, in einem erheblichen Unsicherheitsband liegen.

Diese Schulform hat mit Problemen zu kämpfen, zu denen nicht nur ein zu beklagender Lehrermangel gehört. Die Herausforderungen in der dualen Ausbildung und damit auch für den Lernort Berufsschule sind vielfältig. Ursächlich hierfür sind die demografischen Entwicklungen, die Digitalisierung, die Akademisierung der beruflichen Bildung, die Aufgaben im Kontext von Inklusion sowie in den vergangenen Jahren die Integration der jungen Geflüchteten.

Gerade die Berufsschulen haben hinsichtlich der benötigten Lehrkräfte ein „doppeltes“ Problem. Zum einen brauchen sie entsprechend pädagogisch qualifiziertes Personal, zum anderen aber auch in den einzelnen beruflichen Feldern ausgewiesenes Personal und da konkurrieren sie natürlich mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Zur Frage der Lehrkräfte an den Berufsschulen wurde vor kurzem diese Studie veröffentlicht:

➔ Dietmar Frommberger und Silke Lange (2018): Zur Ausbildung von Lehrkräften für berufsbildende Schulen. Befunde und Entwicklungsperspektiven. Forschungsförderung Working Paper, Nr. 60, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, März 2018

Und wenn wir schon bei aktuellen Studien zum Thema Berufsschulen sind, dann sei hier auch auf diese Veröffentlichung hingewiesen:

➔ Karin Büchter (2018): Berufsschulen in der dualen Ausbildung und regionalen Wirtschaft. Gleichberechtigte Partnerschaft durch Reformen?, Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, 2018

Man muss bedenken, dass Berufsschulen aufgrund der Vielzahl an Ausbildungsberufen anders funktionieren als „normale Schulen“. In den zurückliegenden Jahren hat es vor dem Hintergrund bislang rückläufiger Schülerzahlen und teilweise erheblichen Einbrüchen in einzelnen Ausbildungsberufen Entwicklungen gegeben, die für das System der dualen Berufsausbildung in Deutschland höchst problematisch sind:

➔ Der Rückgang der Schülerzahlen an beruflichen Schulen hat bereits zu Schließungen von Klassen und Teilzeit-Berufsschulen geführt; mit der Konsequenz, dass je nach Ausbildungsgang eine wohnortnahe Beschulung im berufsspezifischen Unterricht zunehmend schwieri­ger wird. Insbesondere Berufsschulstandorte in Ostdeutschland sind betroffen.
➔ Im Umgang mit dieser Entwicklung sind sehr unterschiedliche Strategien zu beobachten. Diese reichen von der zentralen Beschulung an einem Berufsschulstandort mit der Möglichkeit differenzierter Klassen bis hin zu einer Favorisierung wohnortnahen Unterrichts mit ho­hem Stellenwert der Binnendifferenzierung bei berufs- oder fachrichtungsübergreifenden Klassen.
➔ Im Fall von Berufen mit Fachrichtungen sehen es die Bundesländer zunehmend als schwierig an, im letzten Ausbildungsabschnitt eine spezifische Beschulung nach Fachrichtungen anzubieten.

Vor diesem Hintergrund bleiben die Forderungen der Bildungsgewerkschaft GEW aus dem Frühjahr 2018 weiter aktuell – und verweisen zugleich auf strukturelle Probleme des Bildungsföderalismus, denn für die Lehrerausbildung und die Bestückung der Schulen mit Lehrkräften sind die einzelnen Bundesländer zuständig:

Die GEW fordert die Bundesländer auf, »für mehrere Jahre Quer- und Seiteneinsteiger einzustellen, diese berufsbegleitend nachzuqualifizieren und durch Mentoringprogramme zu unterstützen sowie die Lehramtsausbildung auszubauen.« Dafür seien aber bundesweite Mindeststandards erforderlich. Zudem müssten die Länder ihre Investitionen in die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer für berufliche Schulen an den Hochschulen und im Vorbereitungsdienst erhöhen sowie die Ausbildungskapazitäten hochfahren. Die Gewerkschaft empfiehlt einer länderübergreifende Zusammenarbeit in der Ausbildung von Lehrkräften der beruflichen Schulen.

Schon heute sind an Berufsschulen rund ein Drittel der dortigen Lehrkräfte keine ausgebildeten Berufsschullehrer – mit all den Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, wie etwa mangelnde pädagogische Erfahrung. Auch die Bertelsmann-Stiftung fordert deshalb, Quer- und Seiteneinsteiger systematisch zu qualifizieren und dafür bundesweit einheitliche und verbindliche Standards einzuführen.

Und die Gewerkschaft hat auch eine Quantifizierung der damit verbundenen Kosten versucht – und die hier aufzurufen ist wichtig, denn das wird die Bereitschaft der meisten Bundesländer, aktiv zu werden, sicher nicht befördern, muss aber benannt werden: Allein 2025 müsse die öffentliche Hand mindestens 1,6 Milliarden Euro mehr ausgeben. Davon entfielen gut 1,3 Milliarden Euro auf die Länder und 300 Millionen Euro auf die Landkreise sowie kreisfreien Städte als Schulträger. Und – so die Gewerkschaft – damit könne man nur die derzeit bestehenden Standards halten, mögliche und nötige Verbesserungen sind da noch nicht eingepreist.