Ein symbolpolitischer Gipfel mit 60 Sekunden-Wortmeldungen zu einer (wiederauferstandenen) „neuen“ sozialen Frage: Wohnen in Zeiten des Wohnraummangels

Die Kanzlerin höchstpersönlich erweist einem der ganz großen und immer drängender vorgetragenen gesellschaftspolitischen Anliegen unserer Tage ihre Aufwartung: „Die Frage des Wohnens ist eine gesellschaftliche und eine der wichtigen sozialen Fragen, die uns alle angeht und die für den Zusammenhalt der Gesellschaft entscheidend ist“. Und eine frohe Botschaft erreicht uns mit Blick auf eine Antwort aus der Hauptstadt: „Wir – Bund, Länder und Kommunen – wollen eine große Kraftanstrengung unternehmen, um unsere Ziele für mehr Wohnungen zu erreichen.“ Der heutige Wohngipfel sei ein Start dafür. So beginnt die Bundesregierung ihre Eigenwerbung unter der Überschrift Gemeinsam für mehr Wohnungen. Und damit das Volk von den energischen Anstrengungen der Regierung erfährt, hat man wieder einmal einen Gipfel veranstaltet – den „Wohngipfel“ im Kanzleramt. Die Bundesregierung habe mit Ländern und Kommunen ein umfassendes Maßnahmenpaket geschnürt. Und das wird dann für die Jünger der schnellen Botschaften in die Powerpoint-Folien-Sprache transformiert:

Offensichtlich tut sich jetzt endlich was. Die anschwellende Wohnungsmisere in vielen Regionen, vor allem in den (groß)städtischen Räumen wird nun der fokussierten Bearbeitung und Auflösung zugeführt. Nicht wirklich überraschend sind trotz oder wegen der bewusst geweckten hohen Erwartungen dann solche distanzierten Kommentare, wenn man sich die handfesten Ergebnisse anschaut: Verpasste Chance im Kampf gegen die Wohnungsnot ist ein Kommentar im Deutschlandfunk überschrieben. Schon vor dem Gipfel wurde mit Blick auf den formal für Bauen und Wohnen zuständigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) beklagt: Kopflos durch die Wohnungskrise. Oder Viel Bekanntes, frisch verpackt, so Barbara Dribbusch.

Der Wohngipfel habe vor allem „Symbolcharakter“. So zitiert Dribbusch Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund. Er kritisierte das Baukindergeld als „wohnungspolitisch unsinnig“, da es nur zu „Mitnahmeeffekten in ländlichen Regionen führe und in den Städten allenfalls zum Kauf von Eigentumswohnungen reize. Steuerliche Sonderabschreibungen für den Mietwohnungsbau machten nur Sinn, wenn sich die Bauherren gleichzeitig verpflichteten, bestimmte Mietobergrenzen nicht zu überschreiten. Aber Mietobergrenzen sind bisher nicht geplant. Apropos Mieterbund: Der war auch vertreten auf dem Gipfel, neben vielen Verbänden der Immobilienwirtschaft (die in Mannschaftsstärke antreten durften) – und diese Interessenvertretung der Mieter hatte immerhin eine ganze Minute Redezeit zugesprochen bekommen, wird aber alleine bleiben. Denn: »Sozialverbände, Mieterinitiativen, lokale Protestbündnisse oder Wohnungsloseninitiativen – also die Interessenvertreter derer, die den Wohnraum brauchen – werden wohl außen vor bleiben«, kritisiert die Nichtregierungsorganisation Lobbycontrol. »Stattdessen werden vor allem die vielen Verbände der Immobilien- und Bauwirtschaft vertreten sein«, so der Artikel Seehofer hofiert die Wirtschaftslobby. In Verbindung mit den sensationellen 2,5 vorgesehenen Stunden verdeutlicht den ausschließlich symbolpolitischen Charakter dieser Mammutveranstaltungen, von denen wie sonst auch viele Fotos und eher weniger gehaltvolle, weil vorher durch die zahlreichen Abstimmungs- und Zustimmungsrunden weichgespülte Abschlusserklärungen übrig bleiben.

Dabei kann man natürlich schon allein beim Gegenstand des Gipfels die berechtigte Frage stellen, was denn hier ein nationaler Gipfel bringen soll außer heiße Luft und die Proklamation von Aktivitäten, die sowieso schon im Koalitionsvertrag vereinbart oder gar auf den gesetzgeberischen Weg gebracht worden ist. Denn die Frage des (Nicht-)Wohnens in den heutigen Zeiten ist eben nicht gleichverteilt über das Land. In der aktuellen, auf den Mangel bezogenen Diskussion stehen natürlich vor allem die (groß)städtischen Räume im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, mit den nicht nur sprichwörtlichen, sondern auch visuell bedrückenden Schlangen bei Besichtigungsterminen einzelner Wohnungen. Angeheizt wird das dadurch, dass nicht nur (wie in der Vergangenheit oft schon), die unteren und untersten Einkommensgruppen mit einem gewaltigen Nachfrageüberschuss auf den für sie relevanten Wohnungsmärkten konfrontiert werden, sondern auch die Mittelschichten geraten mit dem anhaltenden Bauboom und den erheblichen spekulativen Investitionen in den Wohnungsbestand in den Schraubstock stark steigender Mieten und explodierender Baukosten.

Auf der anderen Seite stehen angeblich mindestens 1,8 Millionen leerstehende Wohnungen vor allem in den ländlichen Regionen und es gibt weiter Regionen und bestimmte Städte, in denen die Abwanderung gerade von eher kaufkräftigen Schichten ein fundamentales Problem darstellt (und in einigen betroffenen Städten zugleich die Zuwanderung von sehr einkommensschwachen Gruppen, vor allem aus der Gruppe der armutsbedingten Zuwanderung).

Und die aktuelle Zuspitzung des Themas Wohnen und Wohnraummangel muss natürlich auch vor dem spezifischen Hintergrund der letzten Jahre gesehen werden, dass die Bevölkerung in unserem Land weiter wächst. Das Statistische Bundesamt berichtet dazu: » Im Jahr 2017 nahm … die Gesamtbevölkerung Deutschlands im Vergleich zum Vorjahr um 270.700 Personen (+0,3 %) zu und lag zum 31.12.2017 bei 82,8 Millionen … Im Jahr 2017 ist die steigende Einwohnerzahl ausschließlich darauf zurückzuführen, dass 405.000 Personen mehr zuwanderten als abwanderten (Wanderungsüberschuss 2016: +500 000 Personen).«

Natürlich erhöht das den Bedarf an Wohnraum (vor allem im billigen bzw. kostengünstigen Segment). Hinzu kommen aber auch andere, das Problem verschärfende Entwicklungen: So steigt die Zahl der Single-Haushalte gerade in den Städten weiter an, die nachgefragte Wohnungsgröße steigt usw. – das alles mag schon andeuten, dass wir uns auf einem gelinde gesagt hyperkomplexen Feld bewegen, an dem es nicht die eine oder nur sehr wenige Stellschrauben gibt.

Aber möglicherweise wurden die vorhandenen wohnungspolitischen Stellschrauben gar nicht oder nicht ausreichend bedient. Denn das, was die Bundeskanzlerin durch die Gipfelaktivitäten als „neue“ gesellschaftliche Herausforderung adelt, wird doch schon seit langem, auch in diesem Blog, als Wiederkehr einer alten sozialen Frage diskutiert und warnend an die Wand gemalt. Nur zwei Beispiele: Am 10. September 2014 wurde hier dieser Beitrag veröffentlicht: Wohnst Du schon oder suchst Du noch? Die Wohnungsfrage als neue alte soziale und „Markt“-Frage, zunehmend auch für die „Mitte“. Und ein Jahr später, am 15. September 2015, wurde man mit diesem Beitrag konfrontiert: Eine expandierende Großbaustelle mit offensichtlichen Baumängeln: Die Wohnungsfrage als eines der zentralen sozialen Probleme der vor uns liegenden Jahre.

Und wir haben zu den Folgen ja nun wahrlich kein Erkenntnisproblem. Eine neue Studie, gefördert von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, hat das, was überall empfunden und wahrgenommen wird, in Zahlen gegossen – die zunehmende Wohnungsnot. Die Befunde sind beunruhigend: »n den 77 deutschen Großstädten fehlen gut 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen, darunter etwa 1,4 Millionen günstige Apartments unter 45 Quadratmetern für Einpersonenhaushalte … Gemessen an den finanziellen Möglichkeiten der lokalen Bevölkerung besteht ein besonders großer Mangel an bezahlbarem Wohnraum einerseits in einwohnerstarken Städten mit vielen Niedrigverdienern (etwa Berlin, Leipzig, Dresden), andererseits in Großstädten mit hohem Mietniveau (z.B. München, Stuttgart, Düsseldorf)«, kann man dieser zusammenfassenden Meldung zur neuen Studie entnehmen: In Deutschlands Großstädten fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen: »Konkret fehlen in Berlin mit rund 310.000 bundesweit die meisten bezahlbaren Wohnungen. Es folgen Hamburg mit einer Lücke von 150.000, Köln mit 86.000 und München mit 78.000 Wohnungen. Doch selbst in Großstädten mit relativ kleinen „Versorgungslücken“ wie Moers, Wolfsburg, Koblenz oder Ulm überschreitet der Bedarf an günstigen Wohnungen das Angebot jeweils um mehrere tausend.« Vgl. dazu auch den Beitrag Der Mangel an (bezahlbarem) Wohnraum in trockenen Zahlen mit viel individueller Not und gesellschaftlichen Sprengsatz dahinter vom 9. April 2018.

Und im vergangenen Jahr konnte einer anderen Studie das hier entnommen werden: In Deutschlands Großstädten rutschen viele Menschen durch hohe Mieten in die Armut oder haben nur noch extrem wenig Geld zum Leben. Dort müssen bereits gut eine Million Haushalte mit 1,6 Millionen Bewohnern mehr als die Hälfte des Einkommens für die Kaltmiete ausgeben. Etwa 1,3 Millionen Haushalte können nach Abzug der Mietzahlung nur noch über ein Resteinkommen verfügen, das unterhalb der Hartz-IV-Leistungen liegt (vgl. dazu Wohnverhältnisse in den deutschen Großstädten: Hohe Mieten bringen kleine Einkommen an den Rand der Armut und darüber hinaus vom 13. September 2017). Rund 40 Prozent der Haushalte in Deutschlands Großstädten müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben, um ihre Miete (bruttokalt) zu bezahlen. Das entspricht rund 5,6 Millionen Haushalten, in denen etwa 8,6 Millionen Menschen leben.

Aber nun gibt es doch wie bereits angedeutet eine Reihe an wohnungspolitischen Stellschrauben, an denen man drehen kann, um die Wohnraumversorgung besser zu machen. Und man kann ja nicht sagen, dass gar nichts passiert. Kurz vom dem symbolischen Wohngipfel ist eine Leistung scharf gestellt worden, die mehrere Milliarden Euro über das Land ausgießen wird – das Baukindergeld. Also eine bereits zum Leben erweckte Leistung, die bei den Ergebnissen des Wohngipfels ausdrücklich auftaucht. In den ersten Stunden, in denen man diese „neue“ Leistung online bei der KfW-Bankengruppe beantragen konnte, brach sogar der Server zusammen, weil das zu viele machen wollten. Nun muss man wissen: 2006 endete die staatliche Förderung von selbst genutztem Wohneigentum mit der Abschaffung der Eigenheimzulage – heute wird die Förderung mithilfe des neuen Baukindergelds wieder aufgenommen. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es: „Wir wollen die Eigentumsbildung für Familien finanziell unterstützen.“ Bis zu zehn Milliarden Euro will sich die Bundesregierung das neue Baukindergeld kosten lassen. Natürlich haben sich auch schon zahlreiche Kritiker zu Wort gemeldet, beispielsweise solche Stimmen: »Viele Fachleute erwarten, dass die Finanzierungshilfe kaum den Kauf einer Wohnung oder eines Hauses erst ermöglicht, sondern von Familien eben mal „mitgenommen“ wird … Mitnahmeeffekte ergeben sich allein schon dadurch, dass die Förderung nicht erst ab dem heutigen Stichtag greift, ab dem sie beantragt werden kann, sondern dass Familien und Alleinerziehende mit Kindern sie rückwirkend bei der KfW-Bankengruppe für einen Immobilienerwerb beantragen können, der schon ab dem 1. Januar 2018 getätigt wurde.«

Man könnte natürlich auch ganz grundsätzlich die für Ökonomiestudenten im ersten Semester interessante und relevante Frage aufwerfen, was wohl mit den Preisen passiert, wenn man in einem Bereich, in dem die Nachfrage größer ist als das Angebot und das zusätzliche Angebot auch durch fehlende Kapazitäten auf der Produktionsseite restringiert ist, die Nachfrage subventioniert. Die Antwort darauf sollte nicht schwierig sein.

Aber auch verteilungspolitisch ist dieser offensichtliche Versuch eines Wahlgeschenks mehr als fragwürdig. Claus Michelsen, Stefan Bach und Michelle Harnisch haben im Juli 2018 diese Studie veröffentlicht: Baukindergeld: Einkommensstarke Haushalte profitieren in besonderem Maße. Deren Befund ist mehr als ernüchternd:

»Bereits im Vorfeld zog das eigentlich gut gemeinte Vorhaben, angesichts vielerorts selbst für Mittelschichtsfamilien unerschwinglicher Immobilienpreise Wohneigentum zu fördern, viel Kritik auf sich. Das Baukindergeld setze nicht am eigentlichen Problem an und begünstige Haushalte, die auf die Förderung gar nicht angewiesen seien und auch ohne sie kaufen beziehungsweise bauen würden. Die vorliegende Analyse auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) kommt zu dem Schluss, dass dies nicht von der Hand zu weisen ist: Haushalte aus den oberen Einkommensgruppen profitieren von der Förderung den Berechnungen zufolge besonders stark. Das Problem immer höherer Eigenkapitalanforderungen, das vor allem für weniger einkommensstarke Haushalte eines ist, geht die Politik mit dem Baukindergeld hingegen nicht an. So droht die vergleichsweise teure Förderung – die Kosten dürften sich in den nächsten 13 Jahren auf fast zehn Milliarden Euro summieren – in Mitnahmeeffekten und höheren Grundstückspreisen zu verpuffen.«

Der Bewertung von Claus Michelsen unter der Überschrift „Das Baukindergeld wird zum Bauträgergeld“ kann man nur folgen: »Zum einen wirkt die Prämie räumlich verzerrend: auf dem Land, dort wo die Preise niedrig sind, recht stark; in der Stadt ist sie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Damit wird sie zur Bleibeprämie für den ländlichen Raum. Zweitens dürfte die Prämie in den Städten direkt in höheren Immobilienpreisen verpuffen. Dort stehen die Käufer in intensivem Überbietungswettbewerb, und die Konkurrenz um die raren Grundstücke wird weiter angeheizt. Das Angebot ist kurzfristig nicht flexibel und die zeitliche Begrenzung dürfte das Rennen um die begehrten Objekte weiter beschleunigen. Das Baukindergeld wird so zum Bauträgergeld. Drittens ist zu erwarten, dass viele ohnehin bauen oder kaufen würden und sich nun über ein kurzfristiges Geschenk freuen. Dies sollte zumindest für alle gelten, die bereits seit dem 1. Januar 2018 gekauft, gebaut oder konkret geplant haben, weil das Baukindergeld rückwirkend gilt. Das Instrument begünstigt so Haushalte mit hohen Einkommen überproportional. Und viertens ist das Instrument insgesamt sehr teuer, ohne dass es spürbar entlastende Wirkung auf den städtischen Wohnungsmärkten mit sich bringt.« Übrigens wäre den Häuslebauern, so Michelsen, kurzfristig in Form von Bürgschaften oder Nachrangdarlehen der Förderbank KfW besser geholfen, fehlendes Eigenkapital zu ersetzen. Dies wäre auch für den Fiskus deutlich günstiger.

Aber da gibt es doch noch mehr im wohnungspolitischen Instrumentenkasten? Genau, der soziale Wohnungsbau, die Mietpreisbremse oder das Wohngeld beispielsweise. Passend zum Wohngipfel erreichen uns dann solche Botschaften: Forscher ziehen desaströse Bilanz bei der Wohnförderung: »Bringen Wohngeld, sozialer Wohnungsbau und Mietpreisbremse überhaupt irgendetwas? Wissenschaftler der Berliner Humboldt-Universität haben im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung die drei wichtigsten wohnungspolitischen Instrumente untersucht. Ihr Ergebnis ist ernüchternd: Die Programme seien „nur sehr begrenzt hilfreich, die sozialen Versorgungslücken für Haushalte mit geringem Einkommen zu schließen“, heißt es in ihrer Studie.« Die findet man im Original hier:

➔ Andrej Holm, Stephan Junker und Kevin Neitzel: Wem nutzen wohnungspolitische Maßnahmen? Working Paper Forschungsförderung Nr. 93, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, September 2018

Hier einige zusammenfassende Ergebnisse aus der neuen Studie:

➔ Mietpreisbremse: Bei konsequenter Anwendung spürbare Entlastung für Durchschnittsverdiener
44 der untersuchten 77 Großstädte haben die Mietpreisbremse eingeführt, weil der lokale Wohnungsmarkt als angespannt gilt. Verschiedene Studien haben dem Instrument lediglich eine begrenzte Wirkung attestiert – vor allem, weil bislang zahlreiche Ausnahmen gelten und Neu-Mieter aktiv Informationen über die bislang gezahlte Miete einfordern mussten. Die Mietpreisbremse könnte, so die Verfasser der Studie, bei konsequenter Anwendung und Kontrolle durchaus Potenziale entfalten: In kräftig wachsenden Trendstädten könnte der Mietanstieg bei Neuvermietungen erheblich gekappt werden. In Metropolen wie Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main oder München müssten die Vermieter ihre Aufschläge bei Einzug um 22 bis 29 Prozent reduzieren. An gefragten Studienorten wie Freiburg, Heidelberg oder Jena liegt das Potenzial sogar bei 28 bis 37 Prozent. Im Durchschnitt aller Städte mit Mitpreisbremse beträgt es immerhin 17 Prozent. Aber: Haushalte mit Einkommen unterhalb von 80 Prozent des Medians würde der preisdämpfende Effekt dagegen nicht erreichen, weil sie sich auch die gekappten Mieten nicht leisten könnten, betonen die Wissenschaftler. Dass die Mietpreisbremse nun nachgebessert werde, sei daher ein Fortschritt, werde die Situation in den am stärksten von Wohnungsknappheit betroffenen Gruppen aber nicht nennenswert verbessern.

➔ Wohngeld: Nur wenige werden erreicht
Wohngeld ist dafür konzipiert zu verhindern, dass Haushalte nur wegen ihrer Mietkosten auf Hartz IV angewiesen sind. Dieses Ziel wird laut der Studie aber auf zwei Ebenen verfehlt. Zum einen beziehen es relativ wenige Haushalte. Zum zweiten werden diese zwar spürbar entlastet, sie müssen aber auch mit Wohngeld im Mittel mehr als 40 Prozent ihres Nettoeinkommens fürs Wohnen ausgeben. Bei den Single-Haushalten mit geringem Einkommen liegt der Median sogar bei mehr als 50 Prozent. Damit helfe das Wohngeld zwar dabei, überhaupt eine Wohnung anmieten zu können. Es sichere aber „eher die Marktteilnahme als eine tatsächlich soziale Wohnungsversorgung.“ In den untersuchten deutschen Großstädten erhielten im Untersuchungsjahr 2014 knapp 163.000 Haushalte Wohngeld, das entspricht gerade einmal 1,2 Prozent aller Großstadthaushalte. Zum Vergleich für eine andere, erheblich unter Druck befindliche Gruppe: Dagegen übernahm bei mehr als einer Million oder 7,7 Prozent aller Großstadthaushalte der Staat ganz oder teilweise die „Kosten der Unterkunft“ (KdU) im Rahmen von Hartz IV.

➔ Sozialer Wohnungsbau: Sinnvoll, aber viel zu wenig
Dem sozialen Wohnungsbau attestieren die Forscher „eine wichtige Funktion für die allgemeine Entspannung der Versorgungssituation vor allem in Städten mit angespannten Wohnungsmärkten“. Die Förderprogramme seien aber trotz einer Ausweitung in den vergangenen Jahren viel zu klein dimensioniert, kritisieren sie. Da die Wohnungsbauförderung seit Ende der 1990er Jahre drastisch zurückgefahren wurde, gebe es einen großen Rückstand. Das wirke sich insbesondere in den Metropolen drastisch aus: Im Untersuchungsjahr 2014 wurden laut Studie in Deutschland gerade einmal 12.617 geförderte Wohnungen mit Sozialbindung neu gebaut. Auf die zehn größten Städte von Berlin bis Bremen entfielen davon 4.700. Da die Forscher für diese Metropolen ein Defizit von rund 880.000 günstigen Wohnungen errechnet haben, würde es bei Beibehaltung des Fördervolumens grob gerechnet gut 185 Jahre dauern, diese Lücke durch neu gebaute Sozialwohnungen zu schließen. Da Sozialwohnungen im gängigen Fördermodell aber nach meist 20 Jahren aus der Mietpreisbindung fallen, gibt es auch Abgänge – 2016 waren das mit bundesweit etwa 90.000 mehr als dreimal so viele wie neu gebaut wurden. Auch die abhängig von der Förderung festgeschriebenen Sozialmieten seien oft zu hoch, um für die Haushalte mit den größten Wohnproblemen bezahlbar zu sein. Als bundesweiten Medianwert für die Miete in einer neuen Sozialwohnung haben Holm und seine Kollegen 6,07 Euro pro Quadratmeter nettokalt ermittelt, was einer Bruttowarmmiete von rund 8,70 Euro entspricht. Für Haushalte unter oder an der Armutsgrenze sei das zu viel.

Die Befunde der neuen Studie von Holm et al. sind wichtig bei dem abschließenden Blick auf mögliche Handlungsstränge für die Wohnungspolitik. Das Wohngeld ist Objekt der Begierde vieler Ökonomen, weg von einer Objektförderung (wie beim sozialen Wohnungsbau oder anderen Bauförderungen) zu kommen, um das durch eine Subjektförderung zu ersetzen. Kürzlich erst hat der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium eine eigene Stellungnahme dazu unter dem an sich vielversprechenden Titel „Soziale Wohnungspolitik“ veröffentlicht, in der genau das als Königsweg verkauft wird. Vgl. zu dieser schon aus methodischen Gründen mehr als fragwürdigen Stellungnahmen den Beitrag Wie man in einem Gutachten über „soziale Wohnungspolitik“ das Soziale wegdefiniert und ein existenzielles Gut auf einen „Markt“ zu werfen versucht vom 29. August 2018.
Der Wissenschaftliche Beirat macht sich zum Lautsprecher für die wichtigsten Player auf dem Wohnungsbaumarkt, die es besonders abgesehen haben auf eine für sie sehr attraktive Lösung: Der Staat solle ärmeren Haushalten unter die Arme greifen, beispielsweise durch die Ausweitung des Wohngelds – eine Umstellung von der Objektförderung zur Subjektförderung. Der Vorteil für die Investoren: Sie müssten sich nicht auf Förderbedingungen einlassen und könnten die Miete frei festlegen. Meine Anmerkung dazu: »Wie praktisch. Man kann die Mieten nach oben treiben, denn bei einem Wohngeld nach den Vorstellungen der Immobilienwirtschaft und des Beirats würde diese aus Steuermitteln aufzubringende Leistung schön mitwachsen. Was werden wohl Vermieter machen, wenn es eine solche „Stütze“ gibt?«

Und der soziale Wohnungsbau? Wenn wir gerade in den unteren Einkommenssegmenten die krassesten Angebots-Nachfrage-Ungleichgewichte haben – ist es dann nicht zwingend, an der Ausweitung des Angebots anzusetzen? Und wenn die Marktkräfte hier nicht aus eigenem Antrieb ausreichend investieren, dann bietet sich die Förderung des sozialen Wohnungsbaus an, der allerdings, wie die Studie gezeigt hat, mehr als defizitär ist bei uns in Deutschland. Und immer wieder wird uns an dieser Stelle das leuchtende Beispiel Wien als Alternative vorgehalten: In Wien hat sich die Stadt nie von ihrer aktiven Rolle im Wohnungsmarkt zurückgezogen, um sich allein auf den Finanzmarkt zu verlassen. Grundsätzlich interessante und relevante Merkmale des Wiener Modells sind: Wien favorisiert die Objektförderung, also die Förderung der Errichtung von Wohngebäuden, die im Unterschied zur alleinigen Subjektförderung den Bestand an dauerhaft sozial gebundenen Wohnungen erhöht. Und auch relativ hohe Einkommensgrenzen für das Wohnen in geförderten, mietbegünstigten Wohnungen. Das soll Ghettoisierung vermeiden. Damit die besonders Einkommensschwachen nicht zu kurz kommen, gibt es für Wohnungen, die für sie reserviert werden, eine höhere Förderung.

Und derzeit wird in der österreichischen Hauptstadt ein ganz neuer Stadtteil hochgezogen: „Seestadt Aspern“, in einer Zeit, in der bei uns wahrscheinlich noch nicht einmal der Antrag bearbeitet wird – Von den ersten Plänen für Aspern bis zum Einzug in die ersten 3.000 Wohnungen hat es gerade mal sieben Jahre gedauert.. »20.000 Menschen sollen hier einmal leben, am Rande der boomenden österreichischen Metropole Wien. 3.000 Wohnungen sind bereits gebaut, fast alles kommunaler oder geförderter Wohnungsbau. Am Ende sollen etwa 75 Prozent der Wohnungen hier zu günstigen Mieten zu haben sein«, berichtet Volker Schwenck in seinem Artikel Bauen nach Wiener Art? Die Bilanz der Wiener tut aus deutscher Großstadt-Perspektive weh: »Anders als in deutschen Großstädten sind die Mieten in Wien nicht explodiert, trotz anhaltenden Zuzugs. Seit 2007 ist die Zahl der Einwohner um zwölf Prozent auf zuletzt 1,87 Millionen gestiegen – und Wien wächst immer weiter. 62 Prozent der Wiener leben trotzdem in relativ günstigen Wohnungen zu Kaltmieten von sieben bis neun Euro pro Quadratmeter. Die sogenannten „Gemeindebauten“ sind oft noch günstiger. 220.000 gehören der Stadt Wien, etwa nochmal so viel sind geförderte Wohnungen. Fast 450.000 Wohnungen in Wien können so besonders günstig angeboten werden. Der Rest ist rein privat finanziert. Hier sind die Preise höher, aber mit durchschnittlich etwa 13 Euro pro Quadratmeter immer noch weit von Münchner, Stuttgarter oder Berliner Normalmieten entfernt.«

Und man muss die Besonderheiten in Wien zur Kenntnis nehmen: »Über die kommunalen Bauten und einen Bodenfonds hat Wien großen Einfluss am Mietmarkt. Gezielt werden Gelände aufgekauft, möglichst vor der Baureife, und dann mit Auflagen zur Bebauung verkauft. 2,8 Millionen Quadratmeter Baugrund hat die Stadt so derzeit in der Hinterhand.« Und bei uns? »In Deutschland ist das komplett anders. Hier haben Städte ihre Wohnungen und Grundstücke oft längst an private Investoren verkauft, um Haushaltslöcher zu stopfen. Die wollen vor allem Rendite erzielen – mit billigen Mietwohnungen geht das nicht. 2006 wurde zudem im Rahmen der Föderalismusreform beschlossen, dass der Bund sich aus der gezielten Förderung des Sozialwohnungsbaus zurückzieht. Die Länder bauten in der Folge kaum noch Wohnungen für Menschen mit kleinerem Geldbeutel.«

Natürlich kann man das Wiener Modell nicht einfach kopieren per Knopfdruck und auf sofortige Wirkungen hoffen – dazu hat das, was die Wiener machen, eine zu lange Vorgeschichte. Aber man kann die Philosophie einer an den Lebenslagen der Menschen ausgerichteten Wohnungspolitik daran ausrichten. Dazu würde auch gehören, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, aber zugleich deren enorme Potenziale für die Lösung der Wohnraummangelkrise gerade für die Menschen mit niedrigen Einkommen offensiv zu nutzen. Eine wichtige Rolle dafür könnte das sein, was man seit einigen Jahren als „neue Wohnungsgemeinnützigkeit“ diskutiert. Vgl. dazu ausführlicher diese Publikation:

➔ Andrej Holm, Sabine Horlitz und Inga Jensen (2017): Neue Wohnungsgemeinnützigkeit. Voraussetzungen, Modelle und erwartete Effekte, Berlin 2017

Das wird auch von Praktikern vor Ort unterstützt. Ein Beispiel: „Wir brauchen eine neue Wohngemeinnützigkeit“, so ist ein Interview des Deutschlandfunks mit dem Berliner Bezirksstadtrat Florian Schmidt überschrieben, der davor warnt, beim sozialen Wohnungsbau Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Sozialwohnungen müssten dauerhaft zweckgebunden bleiben. Und Kommunen sollten von bestehenden Regelungen zum „Milieu-Schutz“ konsequenter Gebrauch machen.

Andere Stimmen in der Debatte um bezahlbaren Wohnraum: Die Architekten Laura Fogarasi-Ludloff und Jens Ludloff vertreten die Auffassung, dass es am entsprechenden politischen Handeln mangelt. Unter der Überschrift Eine neue Stadt werfen sie einige Aspekte in die Diskussion.
➞  Gewinnbeschränkung: »Oft ist zu hören, hohe Baukosten, also die Herstellungskosten unserer Gebäude, seien an der Misere schuld. Auch die Preistreiber sind in Form unsinniger Baugesetze oder Energieeinsparvorgaben vermeintlich schon gefunden. Doch liegt das Problem in Wahrheit auf einer anderen Ebene: Wenn ein Quadratmeter Wohnfläche heute für 1.300 Euro netto (zuzüglich Grundstücks- und Nebenkosten) gebaut und dann für 4.500 Euro zum Verkauf angeboten wird, lässt sich erahnen, wer hier den Gewinn trägt. Die Gewinne müssen durch steuerrechtliche Mittel abgeschöpft werden und dem sozialen Wohnungsbau zugutekommen.«
➞  Bodenfrage: »Boden ist eine essenzielle Ressource. Er ist ein endliches Gut. Ihn nur in den Händen einiger Weniger zu belassen und ihnen vor allem zu erlauben, damit spekulative, leistungslose Gewinne zu erzielen, muss durch verantwortliches politisches Handeln ausgeschlossen werden. Die Weimarer Republik hat es vorgemacht: Damals wurde in Deutschland eine Hauszinssteuer erhoben und als Lastenausgleich eingeführt. Damit wurden Grundeigentümer effektiv am öffentlich geförderten Wohnungsbau beteiligt. Anders wären die heute weltweit bewunderten, zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten Großsiedlungen in Frankfurt oder Berlin nicht realisierbar gewesen.«
➞  Erbbaurecht: »Im Erbbaurecht wird ein Grundstück für bis zu 99 Jahre vom Hauseigentümer gepachtet – primär ein Instrument für Kommunen. Grund und Haus sind eigentumsrechtlich getrennt. Damit werden die Bewohner vor Grundstücksspekulation geschützt.«
➞  Genossenschaften: »Kein anderes Modell ist langfristig erfolgversprechender für eine sozial ausgeglichene Stadt als die Genossenschaft. Auf einem langfristig gepachteten Boden baut und lebt die Genossenschaft gemeinsam, wie es seit den Anfängen der Gartenstadtbewegung in England am Ende des 18. Jahrhunderts praktiziert wurde. Der genossenschaftliche Wohnungsbau garantiert eine Stadtentwicklung ohne Verdrängung und Gentrifizierung.«

Und wer sich fundiert und differenziert mit den alternativen Vorschlägen auseinandersetzen will, dem sei dieser Aufruf empfohlen: Für eine wirklich soziale WohnungspolitikWissenschaftler_innen fordern Schutz der Bestandsmieten, Gemeinnützigkeit und Demokratisierung, der vor kurzem veröffentlicht wurde.

Und selbst Heribert Prantl, der Großkommentator der Süddeutschen Zeitung, hat sich in diesen Tagen zu Wort gemeldet und der Überschrift Mietpreise sind der Sprengstoff der Gesellschaft. Seine spezielle Diagnose: Das Grundproblem der Wohnungswirtschaft in Deutschland besteht in den irrwitzigen Baulandpreisen. Davon ausgehend machet er vier Vorschläge gegen die Wohnungsnot. »Die Mietpreise sind heute das, was früher die Brotpreise waren. Eine Maurerfamilie in Berlin musste vor zweihundert Jahren mehr als 72 Prozent des Familieneinkommens für Ernährung ausgeben, davon die Hälfte für Brot. Noch vor fünfzig, sechzig Jahren gab ein deutscher Haushalt etwa die Hälfte seines Budgets für Lebensmittel aus; heute sind es zwölf Prozent. Nahrungsmittel sind unglaublich billig geworden. Die Wohnungsmiete dagegen ist zum Teil unglaublich teuer geworden. Für Miete gibt ein Durchschnittshaushalt in Deutschland etwa doppelt so viel Geld aus wie für Ernährung, oft noch sehr viel mehr. Die Miete frisst die Familieneinkommen auf.« Und: »Weil gut 53 Prozent der Menschen hierzulande zur Miete wohnen, ergibt sich daraus die ungeheuer große Bedeutung des Mietrechts – und des Gipfels der Bundesregierung zur Wohnungsnot.« Für Prantl ist das zentrale Problem, »dass die Baulandpreise ungeheuer hoch sind.«

Da sind beispielsweise die Baugenehmigungen: »Die Mehrheit der genehmigten Bauvorhaben wird zur Grundstückswertsteigerung missbraucht; eine Baugenehmigung ist ja nicht personenbezogen, sondern hat seine Wirkung in Bezug auf ein bestimmtes Vorhaben. Nur vierzig Prozent der Bauvorhaben werden realisiert, bei den restlichen sechzig Prozent dient die Baugenehmigung einfach der Wertsteigerung.« Prantl schlussfolgert daraus: »Bodenhaltung muss teuer werden. Eine Stadt muss anders funktionieren als Wetten auf Schweinehälften. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen – kein Silicon Valley, keine Goldgrube, keine Immobilienblase. Wenn Flächen jahrelang brach liegen, weil Land-Banker ihr Geld im Schlaf verdienen können, dann muss eine Kommune nachhaltig etwas dagegen tun.«

Und was sind seine Vorschläge gegen diese Misere?

➞  Erstens: Kommunale und staatliche Grundstücke werden nur noch unter der Vereinbarung bestimmter Nutzung vergeben, unter Auflagen also – zum Beispiel der, dass innerhalb einer bestimmten Zeit auf eine ganz bestimmte Weise gebaut werden muss, ansonsten wird die Vergabe des Grundstücks rückgängig gemacht.

➞  Zweitens: Grundstücke dürfen von der öffentlichen Hand an privat gar nicht mehr verkauft werden. Grund und Boden soll, aus Verantwortung für die nachfolgenden Generationen, an private Bauherren nur noch per Erbbaurecht vergeben werden.

➞  Drittens: Die Republik braucht eine große Renaissance des sozialen Wohnungsbaus.

➞  Viertens: Die Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Kapital- und Arbeitsaufwand entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen. Solche Bodenwertsteuern sind nicht die Vorstufe des Kommunismus, sondern die Verwirklichung des Sozialstaats. Ohne solche grundlegenden Schritte ändert sich nichts. Heimat beginnt mit Heim.

Man kann und muss über solche Ansätze im Detail diskutieren – aber neben der Tatsache, dass man sich diejenigen lebhaft vorstellen kann, die angesichts von so einem Teufelszeug Schnappatmung bekommen, wird erkennbar: Es ist eine ganz große eben auch sozialpolitische Baustelle und die lässt sich nicht weggipfeln.