Ein ordentlicher Schluck aus der Pulle, sagen die einen. Na ja, halb leeres Glas, sagen die anderen: Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen

Habemus Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst – also für die Angestellten bei Bund und in den Kommunen und sofern die Gremien das auch noch abnicken. Und das sei den folgenden Ausführungen gleich vorangestellt – offensichtlich benötigt man ein Master-Studium, um die filigranen Verästelungen des Verhandlungsergebnisses erfassen, geschweige denn durchdringen zu können. Schauen wir uns die Einschätzung von Frank Bsirske, dem Noch-Vorsitzenden der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ( ein Gewerkschaftstag wird im kommenden Jahr über seine Nachfolge entscheiden) an: »Als „bestes Ergebnis seit vielen Jahren“ hat Verdi-Chef Frank Bsirske die Tarifvereinbarung bezeichnet, auf den sich Gewerkschaften, Bund und Kommunale Arbeitgeber in der Nacht zum Mittwoch geeinigt haben. In drei Stufen und bei einer Laufzeit von 30 Monaten soll es für die 2,3 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Kommunen und des Bundes ein Plus von 7,5 Prozent geben – allerdings nur „im Durchschnitt“.« Das Zitat stammt aus dem Artikel Tarifabschluss behandelt nicht alle gleich von Stefan Sauer. Seine Quintessenz, bevor er sich über die Details des Abschlusses beugt: »Der Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst ist hochkomplex. Er begünstigt die unteren und oberen Gehaltsstufen, in der Mitte sieht es nicht ganz so gut aus.« Es hört sich nicht nur komplex an, es ist im vorliegenden Fall auch wahrlich kompliziert. 

Wieder einmal werden wir mit der Erkenntnis konfrontiert, dass Durchschnitte nicht selten das wahre Bild vernebeln. Mit Blick auf die feststellbaren Unterschiede zwischen unten, oben und der Mitte diagnostiziert Stefan Sauer: »Genau diese Einschränkung ist es, die aus dem „besten Ergebnis“ ein eher mäßiges für viele Beschäftigte macht. Tatsächlich bedeutet das Verhandlungsergebnis für jede Entgeltgruppe und Berufserfahrungsstufe abweichende Steigerungsraten. Über die gesamte Vertragsdauer zwischen März 2018 und August 2020 reicht die Bandbreite von 6,7 bis 13,4 Prozent Lohnsteigerung.« Das ist eine ziemlich große Bandbreite.

Der Blick auf einige Eckpunkte des Verhandlungsergebnisses ergibt das folgende Bild über die wichtigsten Punkte:

➔ Rückwirkend zum 1. März steigen die Entgelte jeweils durchschnittlich um 3,19 Prozent, zum 1. April 2019 nochmals um 3,09 und zum 1. März 2020 um 1,06 Prozent.

➔ Die Einstiegsgehälter werden über die gesamte Laufzeit hinweg im Mittel um gut zehn Prozent angehoben.

➔ Außerdem erhalten alle Beschäftigten der unteren Entgeltgruppen 1 bis 6 mit Wirkung zum 1. März dieses Jahres eine pauschale Einmalzahlung von 250 Euro.

➔ Für alle Azubis gibt es 2018 und 2019 ein pauschales Plus von je 50 Euro monatlich, so dass sie ab April 2020 100 Euro mehr im Monat zur Verfügung haben. Anstelle von bisher 29 Urlaubstagen stehen ihnen von diesem Jahr an 30 Tage zu.

Auf den ersten Blick scheint das doch ein richtig gutes Ergebnis für die Arbeitnehmer-Seite zu sein. Der erste Wermutstropfen:

➔ Die Laufzeit des neuen Tarifvertrags beträgt 30 Monate – eine der längsten Laufzeiten überhaupt. Das bringt mit sich, dass bis Herbst 2020 Ruhe an dieser Tariffront herrscht.

Das muss man auch vor dem Hintergrund sehen, dass die Gewerkschaft ver.di ursprünglich mit der Forderung nach einer 12-monatigen Laufzeit in die Verhandlungen gegangen sind.

Grundsätzlich kann man sich das mit der Tarifstruktur im öffentlichen Dienst so verdeutlichen:

EG: 1 – 15 (Qualifikation und konkrete Tätigkeit) sowie Stufen: 1 – 6 (Berufserfahrung)

Stefan Sauer verdeutlich die Mechanik (und die Änderungen) an einem konkreten Beispiel:

Ein junger Hausmeister einer Schule ohne Berufserfahrung wird in der Entgeltgruppe 6 und Stufe 1 eingruppiert. Die letzte Stufe 6 wird nach 15 Jahren erreicht.

Was ist jetzt neu? Künftig entfällt die alte Stufe 1, wodurch Berufsanfänger gleich in die bisherige Stufe 2 einsteigen und daher deutlich mehr Geld erhalten. Wieder am Beispiel des Hausmeisters einer Schule:

So ergibt sich für einen berufsunerfahrenen neuen Hausmeister einer Schule in der Entgeltgruppe 6 über die 30-monatige Laufzeit ein Plus von 10,36 Prozent oder 242,76 Euro auf 2.586 Euro monatlich.

Das ist schon ein ganz ordentlicher Aufschlag und vor allem, weil im Tarifwerk verankert, eine strukturelle Verbesserung zugunsten der Berufsanfänger. Aber das wird auch oben verlängert: Die Stufe 2 von gestern wird, wie im Beispiel gezeigt, zur neuen Stufe 1. So dass wir statt bislang 6 eigentlich nur noch 5 Stufen haben – eigentlich deshalb, weil man sogleich eine neue Stufe 6 oben raugesetzt hat.

In der Bilanz ergibt sich dieses zweigipflige Ergebnis mit einer Delle in der Mitte:

»Für den Berufsanfänger in der Poststelle im einfachen Dienst wird der Lohn in drei Stufen um insgesamt 10,21 Prozent oder 199,41 auf 2.152,15 Euro monatlich angehoben. Prozentual fällt das Plus „unten“ also stärker aus als in der Mitte. Doch auch im oberen Bereich gibt es überdurchschnittliche Zuwächse: Der akademisch gebildete Leiter einer kommunalen Musikschule mit Entgeltgruppe 14 und Erfahrungsstufe 4 wird ein insgesamt 9,64 Prozent höheres Entgelt erhalten, sein Verdienst steigt bis März 2020 gegenüber Februar 2018 um 485,92 auf 5.524,82 Euro.«

Hier spiegeln sich die beiden ganz unterschiedlichen Ansätze auf der Gewerkschafts- und der Arbeitgeberseite:

➔ Die Gewerkschaft wollte gerade am unteren Ende der Lohntabelle besonders hohe Zuwächse herausholen, um die Lücke zu den hohen Entgeltgruppen nicht noch größer werden zu lassen. Deshalb ist ver.di mit der Forderung nach einem Mindestbetrag von 200 Euro in die Verhandlungen gezogen – der dann auch in die Tariftabellen hätte eingearbeitet werden müssen und damit dauerhaft wirken können.

➔ Auf der anderen Seite hatte die Vereinigung Kommunaler Arbeitgeber (VKA) das Ziel, die Attraktivität des öffentlichen Dienstes insbesondere für hochqualifizierte Experten zu erhöhen, um im Wettbewerb um Fachkräfte mit der freien Wirtschaft bestehen zu können. Daher strebte die VKA überdurchschnittliche Zuschläge in den oberen Entgeltgruppen an.

Herausgekommen ist ein klassischer Kompromiss, in den Worten von Stefan Sauer: »Oben und unten fällt das Plus kräftiger aus als in der Mitte, wobei Berufseinsteiger insgesamt besonders profitieren.«

Und die Bewertung des Abschlusses, soweit man den derzeit wirklich einordnen kann angesichts der Komplexität der Regelungen? Ein richtig fetter Abschluss, so euphorisch kommt die Einschätzung von Tina Groll daher. Es handelt sich gleichsam um eine Vertreterin der „Gute-Laune-Fraktion“: »Seit zehn Jahren hat es kein so gutes Ergebnis bei Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst gegeben. Da macht es auch nichts, dass der Vertrag für 30 Monate gilt.« Auf den ersten Blick stimmt Pascal Beucker dem in seiner Kommentierung unter der Überschrift Solide, aber nicht revolutionär zu, wenn er hervorhebt, »der erzielte Kompromiss liegt deutlich über den Abschlüssen der vergangenen zwei Jahrzehnte.« Aber er ergänzt: »Die waren allerdings auch immer wieder recht lausig ausgefallen, was dazu geführt hat, dass die Löhne im öffentlichen Dienst im Vergleich zur gesamten Tarifentwicklung in Deutschland deutlich hinterherhinken. Dass das angesichts der boomenden Konjunktur und der sprudelnden Steuereinnahmen nur noch schwer zu rechtfertigen ist, war auch der Arbeitgeberseite bewusst.«

Eine andere Bewertung finden wir bei Frank Specht: Der Tarifabschluss ist kein Meisterstück von Verdi-Chef Bsirske, so hat er seinen Artikel überschrieben. Auch Specht weiß natürlich, dass Tarifabschlüsse immer Kompromisse sind und sein müssen.

»Trotzdem ist es zum Abschluss kein Meisterstück geworden. Denn gerade für seine Hauptklientel in den unteren Einkommensgruppen hat der Verdi-Chef dann doch deutlich weniger herausgeholt als erhofft.«

Das macht er daran fest: »Für die unteren Einkommensgruppen gibt es eine Einmalzahlung von 250 Euro. Das ist zwar mehr als der Mindestbetrag von 200 Euro, den die Gewerkschaften gefordert hatten. Dieser wäre allerdings in die Tabellen eingeflossen und nicht nur einmal, sondern jedes Jahr fällig geworden.«

Und mit Blick auf die Kosten (wobei hier nur darauf hingewiesen werden kann, dass es sich immer um Brutto-Kosten handelt, bei denen nicht die Rückflüsse in Form von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen gegengerechnet sind) berichtet Specht: »Dennoch liegen die Kosten für die Kommunen mit insgesamt 7,4 Milliarden Euro über 30 Monate deutlich unter den 6,5 Milliarden, die sie für die ursprüngliche Verdi-Forderung für ein Jahr veranschlagt hatten.«

Aber auch hier sind wir erneut mit einem dieser so typischen Durchschnittsprobleme konfrontiert, denn: Für viele Kommunen, die derzeit von den sprudelnden Einnahmequellen profitieren, ist der Abschluss und die für die Kommunen daraus resultierenden Mehrausgaben gut verkraftbar. Aber es gibt eben auch noch die anderen Kommunen, die faktisch pleite sind und die unter Haushaltssicherung stehen. Denen wird es schwer fallen, die Kostenanstiege zu bewältigen – sie werden letztendlich durch die Rahmenbedingungen gezwungen, dem Kostenanstieg durch weitere Einsparungen in ihren Haushalten zu begegnen.

Das ist vor allem auch deshalb so fatal und wie ein Teufelskreislauf ausgestaltet, weil gerade in diesen Kommunen – man denke hier nur beispielhaft an die im Ruhrgebiet – an sich ein wachsender und oftmals heute schon bei weitem nicht gedeckter Bedarf an sozialer und sonstiger Infrastruktur besteht, der in vielen Fällen (Kitas, Jugendhilfe und sonstige soziale Dienstleistungen) eigentlich einen deutlich höheren Personalbdedarf mehr als rechtfertigt, man nun aber in die Situation rutscht, dass man im bestehenden System sogar noch Personal und Angebote abbauen bzw. weiter reduzieren muss, um die Mehrausgaben stemmen zu können. Dazu auch unter einer reißerischen Überschrift Dieser Tarifabschluss spaltet Deutschland von Nikolaus Doll. »Finanzschwäche Städte und Gemeinden werden ihre Leistungen deutlich reduzieren müssen. Damit beginnt eine Abwärtsspirale«, so seine These – wobei die Abwärtsspirale in den genannten Kommunen schon längst begonnen hat.

Der Bund der Steuerzahler schlägt vor, dass die Städte und Gemeinden mit Finanzierungsproblemen mittels Stellenabbau in kommunalen Betrieben und in der Verwaltung reagieren sollen – das würde aber genau den Prozess beschleunigen, den Doll angesprochen hat – und zugleich würde das die bereits vorhandene Kluft zwischen den armen und besser ausgestatteten Kommunen weiter vertiefen. Nicht wirklich hilfreich – letztendlich auch nicht für die Bürger und Steuerzahler, deren Schutz sich der Bund der Steuerzahler angeblich auf die Fahnen geschrieben hat.

Aber das hier angesprochene Dilemma kann nun keinesfalls gegen die Forderungen der Gewerkschaft gewendet werden, denn eigentlich sind wir hier mit einem Strukturproblem konfrontiert, das immer auf die Schultern der normalen Beschäftigten verlagert werden kann, wenn man keine Ursachen-Bekämpfung vornimmt, in deren Folge die klammen Kommunen besser gestellt werden müssen.
Es sei denn, man übernimmt an anderer Stelle Verantwortung und ermöglicht gerade den finanzschwachen Kommunen deutliche Entlastungen, beispielsweise durch eine seit Jahren geforderte und bereits skizzierte regelgebundene Bundesmitfinanzierung der Kindertageseinrichtungen. Das würde diese Kommunen ganz erheblich entlasten können.