Wenn die Fundamente bröckeln: Für Berufsschulen werden händeringend Lehrkräfte gesucht. Auch vielen Grund- und Förderschulen gehen die Lehrer aus

Die älteren Semester werden sich noch an die 1980er und 1990er Jahren erinnern, als man ein Lehramtsstudium als fast sichere Eintrittskarte in die Arbeitslosigkeit bzw. in die Karriere als Taxifahrer oder Gastwirt etikettiert hat. Aber das waren eben auch Zeiten, in denen man selbst von einer „Ärzteschwemme“ gesprochen hat, weil es zu viele Mediziner gab, die wie viele andere damals auch in langen Warteschlangen auf dem Arbeitsmarkt ihr individuelles Glück suchen bzw. mit viel Ellbogeneinatz erkämpfen mussten. Die geburtenstarken Jahrgänge strömten auf den Ausbildungsmarkt, in die Hochschulen und dann als Absolventen auf den Arbeitsmarkt. Mittlerweile sind die Angehörigen der „Baby Boomer“-Generation über 50 und stellen (noch) die Mehrheit der Beschäftigten in den Betrieben.

Auf dem Arbeitsmarkt hingegen haben sich die Angebots-Nachfrage-Relationen ganz erheblich verschoben, zugunsten vieler Arbeitnehmer (von denen die meisten diesen fundamentalen Wandel der Marktbedingungen noch gar nicht realisiert haben). Auch wenn man äußerst vorsichtig sein sollte bei der Verwendung des Begriffs „Fachkräftemangel“, unter dem Arbeitgeber naturgemäß etwas anderes verstehen als Arbeitnehmer, so lässt sich doch mit Blick in einzelne Bereiche nicht wirklich leugnen, dass wir mit einem teilweise erheblichen Mangel an bestimmten Fachkräften konfrontiert sind. Für viele Menschen wird das derzeit beispielsweise mehr als offensichtlich im Bereich des Handwerks. Dort kann man immer öfter froh sein, wenn man überhaupt an einen Termin kommt – und der hat dann eine Wartezeit wie die bei Orthopäden oder Augenärzten. Bei den Handwerkern gibt es wie immer bei solchen komplexen Themen mehrere Gründe, vor allem das rückläufige Interesse an einer handwerklichen Ausbildung bei den an sich schon weniger werdenden jungen Menschen, aber wir ernten jetzt auch die Früchte des jahrelangen unterlassenen Tuns, also das zu wenig ausgebildet wurde, als es noch viele Bewerber gab. Die fehlen jetzt natürlich vorne und hinten, vor allem angesichts der vielen älteren Handwerker und Facharbeiter, die sich in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden.

Auch in der Pflege und bei den Erzieher/innen – also Berufen, die in expandierenden Arbeitsfeldern unterwegs sind – wird immer häufiger personalmäßig Land unter gemeldet (zu den Fachkräften in der Kindertagesbetreuung vgl. den Beitrag Die Vergessenen in real existierenden Kita-Welten. Von einem löchrigen Rechtsanspruch, schon heute und demnächst so richtig fehlenden Fachkräften und ja, dem Kindeswohl vom 7. März 2018).

Dabei wird der heute bereits beklagte, angesichts der ansteigenden Nachfrage aber noch deutlich zunehmende ungedeckte Personalbedarf bereits für die Aufrechterhaltung einer reinen Betreuungsfunktionalität der Kitas zu einem Problem. Gemäß des frühpädagogischen Dreiklangs aus Betreuung, Bildung und Erziehung sollte es aber nicht nur um eine reine Parkfunktion für die Kinder gehen. Folgt man den vielen seit Jahren vorliegenden Befunden über die besondere weichenstellende Bedeutung der frühkindlichen Bildung (und Bindung) in den ersten sechs Lebensjahren, dann müsste die Ausstattung dieses Bereichs – vor allem angesichts der ausgeprägten (oftmals wohnbedingten) sozialen Selektivität der Kindertageseinrichtungen – deutlich besser sein als heute und zugleich müsste die Qualität des Personals auf einem hohen Niveau angesiedelt sein. Insgesamt wird man zu dem Ergebnis kommen müssen, dass gerade in diesem Bereich, in denen die Fundamente für die späteren Bildungsbiografien gelegt werden (können), derzeit massiv unterlassene Investitionen zu beklagen sind.

Und ebenfalls von fundamentaler Bedeutung für weitere Entwicklung der jungen Menschen ist der Bereich der Grundschulen. Und auch aus diesem Bereich werden immer öfter Mangelmeldungen abgegeben: Lehrer gesucht! Personalmangel in Schulen, so ist eine Sendung des SWR überschrieben worden: »Vor allem Grund- und Förderschulen gehen die Lehrer aus. Das führt zu Unterrichtsausfall. Oft sind die Schulen auf Quereinsteiger angewiesen. Auch zahlreiche Rektorenstellen sind unbesetzt.« An den Grundschulen fehlen bis zum Jahr 2025 einer aktuellen Studie zufolge rund 35.000 Lehrkräfte, so die Lehrergewerkschaft GEW. Eine Abfrage der GEW-Landesverbände zeigt zudem: Bundesweit konnten an die 2.000 Stellen nicht besetzt werden. Dazu kommen mehrere Tausend Quer- und Seiteneinsteiger.

Aber nicht nur den Grundschulen fehlen Lehrkräfte – auch die Förderschulen melden teilweise Land unter. Und hier kann man auch erkennen, dass die staatliche (Fehl-)Planung mit eine wichtige Ursache für die jetzige Situation ist. So heißt es zu den Lehrkräften an den Förderschulen am Beispiel des Landes baden-Württemberg:

»Bis vor wenigen Jahren noch hat die Landesregierung Studienplätze für Sonderpädagogik sogar abgebaut. Begründung: Durch die Inklusion würden weniger Sonderpädagogen benötigt. Tatsächlich war aber das Gegenteil der Fall. Denn es gibt weiterhin die Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren – kurz SBBZ – die früher Sonderschulen genannt wurden. Parallel dazu gibt es inklusiven Unterricht in Regelschulen. Deshalb brauchte man jetzt sogar mehr Sonderpädagogen als vorher.«

Und hier von besonderem Interesse ist ein weiteres Fundament unseres Bildungssystems: Die beruflichen Schulen, die von zentraler Bedeutung sind im deutschen System der dualen Berufsausbildung – darüber hinaus aber auch für vollzeitschulische Ausbildungen und für das sogenannte „Übergangssystem“ (hier können Teilnehmer berufliche Grundkenntnisse erwerben oder einen Haupt- beziehungsweise Realschulabschluss nachholen, um ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu verbessern, zuweilen werden sich aber auch schlichtweg geparkt in berufsvorbereitenden Maßnahmen; zu den aktuellen Zahlen diesen Bereich betreffend vgl. auch diese Mitteilung des Statistischen Bundesamtes: Weniger Anfänger bei Bildungsprogrammen im Übergangsbereich im Jahr 2017, immerhin waren es noch 292.000).

Und während oft über „die“ Schulen berichtet und diskutiert wird, von den Grundschulen bis hin zu den Gymnasien, segeln die Berufsschulen trotz ihrer enormen Bedeutung für unsere Gesellschaft in der Regel im Windschatten der Debatten über die allgemein bildenden Schulen. Allerdings hat diese Schulform ebenfalls und besonders mit Problemen zu kämpfen, zu denen nicht nur ein auch und gerade hier zu beklagender Lehrermangel gehört. Die Herausforderungen in der dualen Ausbildung und damit auch für den Lernort Berufsschule sind vielfältig. Ursächlich hierfür sind die demografischen Entwicklungen, die Digitalisierung, die Akademisierung der beruflichen Bildung, die Aufgaben im Kontext von Inklusion sowie die Integration der jungen Geflüchteten.

Schauen wir uns den so wichtigen Bereich der Berufsschulen als Partner im dualen Berufsausbildungssystem genauer an:

Als dualer Lernortpartner ist die Teilzeit-Berufsschule eine wichtige Säule im Kontext der Ausbildung im dualen System. Sie hat die Aufgabe, die im Rahmenlehrplan verankerten fachtheoretischen Ausbildungsinhalte zu vermitteln und die Allgemeinbildung der Schüler zu vertiefen. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn hat vor kurzem eine Studie dazu veröffentlicht:

➔ Monika Hackel et al. (2017): Berufsschule im dualen System – Daten, Strukturen, Konzepte. Wissenschaftliche Diskussionspapiere Heft 185, Bonn 2017

Im Fokus der Studie steht die demografische Entwicklung. Bis 2035 wird ein starker Rückgang der Schülerzahlen prognostiziert. Dieser Rückgang hat auch Auswirkungen auf die Beschulung dualer Berufsbilder. Im Rahmen der Ordnungsverfahren wird seit einigen Jahren vermehrt geprüft, ob eine Zuordnung von Berufen zu Berufsgruppen möglich ist, um besonders in strukturschwachen Regionen eine gemeinsame Beschulung unterschiedlicher Berufe durchzuführen. Die Studie kommt zu folgenden Befunden (vgl. Hackel et al. 2017: 7-8):

➔ Der Rückgang der Schülerzahlen an beruflichen Schulen hat bereits zu Schließungen von Klassen und Teilzeit-Berufsschulen geführt; mit der Konsequenz, dass je nach Ausbildungsgang eine wohnortnahe Beschulung im berufsspezifischen Unterricht zunehmend schwieri­ger wird. Insbesondere Berufsschulstandorte in Ostdeutschland sind betroffen.
➔ Im Umgang mit dieser Entwicklung sind sehr unterschiedliche Strategien zu beobachten. Diese reichen von der zentralen Beschulung an einem Berufsschulstandort mit der Möglichkeit differenzierter Klassen bis hin zu einer Favorisierung wohnortnahen Unterrichts mit ho­hem Stellenwert der Binnendifferenzierung bei berufs- oder fachrichtungsübergreifenden Klassen.
➔ Im Fall von Berufen mit Fachrichtungen sehen es die Bundesländer zunehmend als schwierig an, im letzten Ausbildungsabschnitt eine spezifische Beschulung nach Fachrichtungen anzubieten.
➔ Künftige Lösungsoptionen … könnten möglicherweise die Gestaltung standortübergreifender Schulentwicklungsplanung, die Schaffung von Informations- und Kommunikationsstrukturen, E-Learning-Angeboten, jahrgangsübergreifenden Fachklassen, die Bereitstellung berufsspezifischer Lehr-/Lernkonzepte für einen binnendifferenzierten Unterricht oder finanzielle Förderung darstellen. Die finanzielle Förderung könnte sowohl bei der Ausstattung von Schulen als auch bei der Lehreraus- und -weiterbildung ansetzen.
➔ Die Gewinnung von Lehrkräften für den berufsspezifischen Unterricht ist besonders in gewerblich-technischen Berufen ein Problem. Hier sind Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des Lehramts an Berufsschulen erforderlich.

Der letzte Punkt leitet über zu einer weiteren neuen Studie, die im Auftrag der Lehrergewerkschaft GEW erstellt wurde. Die hat ein zentrales Ergebnis dieser Arbeit unter dieser Überschrift veröffentlicht, die wieder einmal das offensichtliche Bedürfnis in der Öffentlichkeit nach der einen Zahl befriedigen soll, die man dann gut transportieren kann: Rund 22.000 Lehrkräfte fehlen künftig an Berufsschulen. Die Berufsschulen brauchen der Studie der GEW zufolge bis 2025 knapp 22.000 zusätzliche Lehrkräfte. Wie kommen die darauf? Ein wichtiger Punkt – und abweichend zu den Annahmen der BIBB-Studie, die sich auf die bisherigen Vorausberechnungen der Kultusministerkonferenz (KMK) bezogen hat („Bis 2035 wird ein starker Rückgang der Schülerzahlen prognostiziert“) – ist die abweichende Modellierung der Schülerzahlen auf der Basis der neuen Studie: Bis 2025 werden fast 340.000 Schülerinnen und Schüler mehr an berufsbildenden Schulen lernen als bisher von der Kultusministerkonferenz (KMK) berechnet, so wird Ansgar Klinger von der GEW zitiert. Bislang ging die KMK von einem Rückgang der Zahl der Schülerinnen und Schüler an Berufsschulen auf gut 2,1 Millionen bis zum Jahr 2025 aus. Wer sich die Studie im Original anschauen will, der wird hier fündig:

➔ Dieter Dohmen (2018): Prognose der Schüler*innenzahl und des Lehrkräftebedarfs an berufsbildenden Schulen bis 2030. Bericht für Gewerkschaft  Erziehung und Wissenschaft  und Max-Traeger-Stiftung, Frankfurt am Main, März 2018

Gerade die Berufsschulen haben hinsichtlich der benötigten Lehrkräfte ein „doppeltes“ Problem. Zum einen brauchen sie entsprechend pädagogisch qualifiziertes Personal, zum anderen aber auch in den einzelnen beruflichen Feldern ausgewiesenes Personal und da konkurrieren sie natürlich mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Zur Frage der Lehrkräfte an den Berufsschulen wurde eine andere aktuelle Studie veröffentlicht:

➔ Dietmar Frommberger und Silke Lange (2018): Zur Ausbildung von Lehrkräften für berufsbildende Schulen. Befunde und Entwicklungsperspektiven. Forschungsförderung Working Paper, Nr. 60, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, März 2018

Und eine weitere Studie wurde in diesen Tagen veröffentlicht:

➔ Karin Büchter (2018): Berufsschulen in der dualen Ausbildung und regionalen Wirtschaft. Gleichberechtigte Partnerschaft durch Reformen?, Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, 2018

Diese Aktivitäten deuten darauf hin, dass es eine Menge offene Fragen und Handlungsdruck im System der berufsbildenden Schulen gibt. Mit Blick auf den von der Gewerkschaft GEW angesichts der neuen Studie hervorgehobenen Bedarf an Lehrkräften stellt sich natürlich die Frage: Was tun?

Die GEW fordert die Bundesländer auf, »für mehrere Jahre Quer- und Seiteneinsteiger einzustellen, diese berufsbegleitend nachzuqualifizieren und durch Mentoringprogramme zu unterstützen sowie die Lehramtsausbildung auszubauen.« Dafür seien aber bundesweite Mindeststandards erforderlich. Zudem müssten die Länder ihre Investitionen in die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer für berufliche Schulen an den Hochschulen und im Vorbereitungsdienst erhöhen sowie die Ausbildungskapazitäten hochfahren. Die Gewerkschaft empfiehlt einer länderübergreifende Zusammenarbeit in der Ausbildung von Lehrkräften der beruflichen Schulen.

Das wird nicht ohne Konsequenzen für die erforderlichen Ausgaben bleiben: Allein 2025 müsse die öffentliche Hand mindestens 1,6 Milliarden Euro mehr ausgeben. Davon entfielen gut 1,3 Milliarden Euro auf die Länder und 300 Millionen Euro auf die Landkreise sowie kreisfreien Städte als Schulträger. Und – so die Gewerkschaft – damit könne man nur die derzeit bestehenden Standards halten, mögliche und nötige Verbesserungen sind da noch nicht eingepreist.