Die Flüchtlinge und ihre (nicht nur) volkswirtschaftlichen Wirkungen. Die „könnten“ positiv sein. Unter Umständen

Im Gefolge der viele Flüchtlinge, die im Herbst des Jahres 2015 bis Anfang 2016 nach Deutschland gekommen sind, gab es auch eine Diskussion über die volkswirtschaftlichen Aspekte – angesichts der für viele Bürger erkennbar hohen Kosten war und ist eine Auseinandersetzung mit den ebenfalls vorhandenen „Erträgen“ auch von gesellschaftspolitischer Bedeutung (vgl. bereits frühzeitig den Beitrag Die Flüchtlinge in der Bruttowelt der Kostenrechner und das – wie so oft vergessene – Netto vom 1. Februar 2016). Nun ist neues Material zu den hier aufgerufenen Fragen veröffentlicht worden. »Die Flüchtlinge haben einen positiven Effekt auf die deutsche Konjunktur. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Demnach erhöht die jüngste Zuwanderung das Bruttoinlandsprodukt bis 2020 um insgesamt rund 90 Milliarden Euro. Der Effekt auf das Pro-Kopf-Einkommen ist vorerst negativ«, berichtet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) unter der Überschrift: Integration schafft Wachstum. Und aus dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wird mit Hinweis auf eine gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erstellte Studie unter der Überschrift Investitionen in die Integration von Geflüchteten lohnen sich gemeldet: »Mehr staatliche Unterstützung beim Deutschlernen und weitere Investitionen in die Bildung von Geflüchteten verbessern nicht nur deren Integration in den deutschen Arbeitsmarkt, sondern lohnen sich langfristig auch für die öffentlichen Haushalte.« Das hört sich doch alles ganz positiv an, was besonders motiviert, einen genaueren Blick auf die Studien und ihre Argumentation zu werfen.

Das IW bilanziert die erwarteten Auswirkungen in einer Studie so:

»In den Jahren 2015 und 2016 sind etwa 1,2 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Die kurz- bis mittelfristigen Effekte der Flüchtlingsaufnahme auf die wirtschaftliche Entwicklung werden anhand eines makroökonometrischen Modells geschätzt. Auf der einen Seite sind die Effekte auf das Pro-Kopf-Einkommen und die fiskalische Bilanz leicht negativ. Auch die Erwerbslosigkeit wird durch die Flüchtlingsmigration ansteigen. Auf der anderen Seite steigern die höheren Staatsausgaben verbunden mit einer zunehmenden Anzahl erwerbstätiger Flüchtlinge das Wirtschaftswachstum. Die kumulierte Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts in Deutschland kann sich im Zeitraum 2016 bis 2020 auf bis zu 95 Milliarden Euro belaufen. Der Effekt hängt dabei entscheidend von der Arbeitsmarktintegration und der Bildungspolitik ab.« (Tobias Hentze und Galina Kolev (2016): Gesamtwirtschaftliche Effekte der Flüchtlingsmigration in Deutschland, in: IW-Trends, Heft 4/2016, S. 59)

Ein sicher ganz entscheidender Satz ist dieser: „Wie stark die simulierten Effekte tatsächlich ausfallen, wird maßgeblich davon abhängen, wie gut die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt“, wird Tobias Hentze vom IW zitiert.

Es ist mehr als naheliegend, dass man gesichert davon ausgehen muss, dass die Frage, ob und wann und natürlich auch in welche konkreten Jobs ein Teil der Flüchtlinge integriert werden kann, von entscheidender Bedeutung ist für die Abschätzung sowohl der Kosten wie auch der Nutzen, die mit den flüchtlingsinduzierten Aufwendungen verbunden sind. Wobei man sich davor hüten muss, alles auf die Arbeitsmarkt-Frage zu reduzieren bzw. zu fokussieren, denn ein nicht geringer Teil der Flüchtlinge wird altersbedingt (noch) nicht arbeiten können und auch viele Mütter werden dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen können bzw. das nicht wollen oder auch nicht dürfen, weil ihnen aus welchen Gründen auch immer der Zugang zur Erwerbsarbeit innerhalb des Familienverbunds nicht ermöglicht wird. Daraus wird dann aber auch – zusätzlich zu einer möglicherweise lange dauernden Integration von erwerbsfähigen Flüchtlingen aufgrund von Aufnahmehemmnissen des deutschen Arbeitsmarktes – eine sehr lange Hilfebedürftigkeit und damit verbunden Angewiesenheit auf Transferleistungen aus dem Grundsicherungssystem resultieren. Damit das nicht falsch verstanden wird an dieser Stelle – auch diese Aufwendungen dürfen nicht nur als Kosten verstanden werden, sondern sie müssen in einer ordentlichen Rückflussrechnung sowie fiskalisch wie auch darüber hinaus volkswirtschaftlich einer Nettobetrachtung unterworfen werden.

Aus der Vielzahl der möglichen und im jeweiligen Modell zu operationalisierenden Annahmen ergibt sich eine erhebliche Unsicherheit, die einen davor zurückschrecken lassen sollte, genau daherkommende Werte in den Raum zu stellen, die sich rechnerisch ergeben, aber eben nur unter Berücksichtigung aller getroffenen Annahmen.

Dazu nur ein Beispiel aus der IW-Studie:

»Im Jahr 2016 stehen annahmegemäß im Jahresdurchschnitt knapp 290.000 Personen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung, hiervon findet jeder Fünfte eine Beschäftigung … Aufgrund des gesetzlichen Mindestlohns wird vereinfachend davon ausgegangen, dass jeder erwerbstätige Flüchtling von staatlichen Transferzahlungen unabhängig ist. Bei den Familien wird dabei implizit unterstellt, dass der erwerbstätige Vater zwar keine Transfers erhält, für die Frau und Kinder dagegen staatliche Ausgaben im Rahmen der Flüchtlingshilfe anfallen, beispielsweise für die Weiterbildung und den Schulbesuch. Zwar werden Kinder von erwerbstätigen Migranten nicht primär vom Staat versorgt, allerdings kommen im Bildungssystem Ausgaben auf den Staat zu.« (Hentze/Kolev 2016: 65 f.)

Das ist zwar alles sehr sympathisch, aber allein die beiden zentralen Annahmen in diesem Absatz können mit einem großen Fragezeichen versehen werden: Wird es wirklich gelingen, dass jeder fünfte dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehende Flüchtling eine Beschäftigung finden wird? Aber selbst, wenn wir das mal akzeptieren – die Annahme, dass die Erwerbseinkommen, die von den meisten Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt erzielt werden können, ausreichen werden, um die Familien aus dem (aufstockenden) Hartz IV-Bezug zu holen, erscheint doch vorsichtig formuliert mehr als optimistisch.

Man muss fairerweise anfügen, dass das IW das durchaus sieht, an anderer Stelle findet man dann diesen Passus: Bei Gültigkeit der Annahmen »muss der Staat im Jahr 2016 rund 18 Milliarden Euro im Zusammenhang mit der Flüchtlingsmigration aufwenden. Dieser Betrag steigt unter Berücksichtigung des in der Simulation ab 2017 einsetzenden Familiennachzugs bis zum Jahr 2020 auf rund 29 Milliarden Euro … Im Wesentlichen liegt dies an den steigenden Sozialausgaben für die nicht erwerbstätigen Flüchtlinge. Zum einen nimmt die durchschnittliche Anzahl der nicht erwerbstätigen Flüchtlinge Jahr für Jahr zu. Zum anderen muss der voraussichtlich ansteigende Familiennachzug, der zu weiteren Ausgaben des Staates führt, hinzugerechnet werden.« (Hentze/Kolev 2016: 67).

Parallel zu dem, was das IW publiziert hat, gibt es eine weitere neue Studie zum Thema – und auch hier werden wir mit einer positiven Grundbotschaft versorgt: Investitionen in die Integration von Geflüchteten lohnen sich, so hat das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit eine Mitteilung über eine neue Studie, die gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erstellt worden ist, überschrieben:

»Mehr staatliche Unterstützung beim Deutschlernen und weitere Investitionen in die Bildung von Geflüchteten verbessern nicht nur deren Integration in den deutschen Arbeitsmarkt, sondern lohnen sich langfristig auch für die öffentlichen Haushalte … Zusätzliche Investitionen von 3,3 Milliarden Euro in Sprachkenntnisse und Bildung der 2015 zugewanderten Flüchtlinge können die fiskalischen Kosten bis zum Jahr 2030 um elf Milliarden Euro reduzieren.«

Ganz offensichtlich ist man hier davon ausgegangen, was passieren könnte, wenn man mehr tun würde: »Bei ihren Berechnungen sind die Forscher davon ausgegangen, dass durch verstärkte öffentliche Investitionen in Integrations- und Sprachkurse der Anteil der Geflüchteten mit guten oder sehr guten deutschen Sprachkenntnissen zehn Jahre nach dem Zuzug um 20 Prozentpunkte von 46 auf 66 Prozent erhöht werden kann. Ein solches Niveau werde von anderen Migrantengruppen auch erreicht. Zudem nehmen die Forscher an, dass durch zusätzliche Investitionen in die Allgemein- und Berufsbildung Geflüchteter der Anteil der Personen, die in Deutschland einen beruflichen Abschluss erwerben, um ebenfalls 20 Prozentpunkte von 13 auf 33 Prozent erhöht werden kann.«

Es handelt sich um diese Studie:

Stefan Bach et al. (2017): Fiskalische und gesamtwirtschaftliche Effekte: Investitionen in die Integration der Flüchtlinge lohnen sich. IAB-Kurzbericht 02/2017, Nürnberg 2017

Auf dort findet man eine fundierte Beschreibung der notwendigerweise zu treffenden Annahmen für die Berechnungen der volkswirtschaftlichen Effekte – und zugleich einen Eindruck, wie unsicher viele der zu beziffernden Bereiche sind.

Sozial- und wirtschaftspolitisch besonders relevant aber sind diese Erkenntnisse, die von den Studienautoren besonders hervorgehoben werden: „In der Vergangenheit haben der Erwerb eines deutschen Bildungsabschlusses und das Erreichen von guten oder sehr guten Deutschkenntnissen die Beschäftigungswahrscheinlichkeit von Flüchtlingen jeweils um rund 20 Prozentpunkte und die Verdienste jeweils um rund 20 Prozent erhöht“.

»Daher sei es sinnvoll, die Investitionen in den Spracherwerb und den Erwerb zusätzlicher Bildungsabschlüsse zu beschleunigen und den Kreis der Anspruchsberechtigten zu erweitern, so die Arbeitsmarktforscher. Mit der Öffnung der Integrationskurse für Asylbewerber, die aus Herkunftsländern mit guter Bleibeperspektive stammen, wurde zwar bereits ein wichtiger Schritt für die Investitionen in die Sprachkenntnisse von Geflüchteten gemacht. „Allerdings bleiben große Gruppen weiterhin bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens ausgeschlossen, obwohl auch von ihnen ein erheblicher Teil länger in Deutschland bleiben wird“, schreiben die Forscher. Vor dem Hintergrund der hohen Erträge sollte daher beispielsweise überdacht werden, ob die Integrationskurse nicht von vornherein für alle Asylbewerber, und nicht nur für Asylbewerber aus Ländern mit einer hohen Anerkennungswahrscheinlichkeit, geöffnet werden.«

Damit sind wir bei einem letztendlich höchst politischen Punkt angekommen, der aber enorme volkswirtschaftliche Folgewirkungen hat. Immer noch wird die überaus heterogene Gruppe der Flüchtlinge selektiert und kategorisiert entlang der alten ausländerrechtlichen Scheidelinie „Hierbleiben dürfen – Weggehen müssen“. Nur dass sie in der Realität – man denke hier an die vielen Geduldeten – schon immer eine eher theoretische war und ist. Und volkswirtschaftlich wie auch gesellschaftspolitisch ist sie kontraproduktiv hoch x.

Tatsächlich – und von vielen Praktikern schon seit Jahren gefordert – hätte man „mit Kanonen auf Spatzen“ schießen sollen, also einen weitreichenden Arbeitsmarktzugang, aber auch eine Einbeziehung in die Sprachförderung, von Anfang an für alle – auch für die, die irgendwann einmal zurück müssen. Denn es macht keinen Sinn, die Betroffenen aufgrund einer Statusentscheidung, die aber oftmals nicht zur Konsequenz der Rückkehr führt, auszuschließen von Erwerbsarbeit oder Sprach- und Integrationskursen, die im wahrsten Sinne des Wortes konfliktverhindernd oder -reduzierend wirken könnten. Und wenn die Leute temporär einen Job finden, dann ist das ökonomisch (und menschlich) im Regelfall immer besser als sie monate- und teilweise jahrelang in einer Blase des Nichtstun und der Exklusion zu halten und sich immer nur dann aufzuregen, wenn sie sich aus dieser Blase entfernen. Und gesellschaftlichen Stress machen.

Und bei allem Respekt für die Fleißarbeiten der Wissenschaftler in den hier skizzierten Studien – wie sieht es denn draußen aus? Viele bemühen sich vor Ort und immer wieder gibt es einzelne Erfolge zu vermelden (und jeder für sich ist eine gute Sache). Aber greifen wir einen Punkt heraus, der durchaus anschlussfähig ist an die Alltagswahrnehmung vieler Menschen, die einen Blick haben auf die Flüchtlinge. Die oftmals monatelang in einer Vakuum der Nicht-Arbeit und des Wartens auf die Möglichkeit, überhaupt einen Asylantrag stellen zu können oder auf dessen Bearbeitung und Entscheidung, eingebunden sind. Die tagsüber umherlaufen, die gespendeten Fahrräder dazu verwenden, von A nach B nach A nach B zu kommen, sich langweilen, frustriert oder aggressiv werden in diesen Blasen, in denen sie sich befinden (müssen).

Natürlich wäre es sinnvoll und hilfreich, wenn man den Betroffenen Beschäftigungen anbieten kann. Idealerweise nicht irgendwelche, sondern wertschöpfende Arbeit. Von der bekanntlich so viel unerledigt auf der Straße liegt. Und irgendwann ist das auch oben angekommen, also in Berlin, man hat dann versucht, damit umzugehen wie immer: Das Anliegen in die vorhandene Instrumentenlandschaft zu pressen und über die – egal ob sie passen – eine Lösung zu offerieren. Grundsätzlich gab und gibt es die Option einer raschen öffentlich organisierten Beschäftigung der Asylbewerber ja schon lange. Arbeitsgelegenheiten nach dem § 5 Asylbewerberleistungsgesetz. Statt da unkonventionell und schnell anzusetzen, den in diesem Fall zuständigen Kommunen schnell die erforderliche finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen und da, wo es Not tut, auch die personelle durch Arbeitsagenturen und Jobcenter, hat Berlin gekreißt und einen neuen Paragrafen geboren – den § 5a AsylbLG. Deutlich länger als der eigentlich relevante § 5 AsylbLG insgesamt. „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“, so hat man das, was man da geschaffen hat, getauft. Das wurde hier bereits mehrfach kritisiert, so beispielsweise in dem Beitrag „Nirwana-Arbeitsgelegenheiten“ zwischen Asylbewerberleistungsgesetz und SGB II. Eine dritte Dimension der „Ein-Euro-Jobs“ und die dann auch noch 20 Cent günstiger? vom 12. Juni 2016 oder – die Kritik leider bestätigend – „80-Cent-Jobs“ für Flüchtlinge – billiger geht’s nun wirklich nicht. Und dennoch: Sie werden kaum genutzt vom 23. Dezember 2016.

Tonnenideologie trifft auf Wirklichkeit. 100.000 Arbeitsgelegenheiten nur für Flüchtlinge im Niemandsland zwischen Ankommen und Asylbescheid sollten geschaffen werden (und damit mehr als für alle Hartz IV-Empfänger in Deutschland an Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung stehen). Und die Bilanz? Im November 2016 waren rund 4.400 der geplanten 100.000 FIM (4,4%) besetzt.

Die praktischen Folgen sind desaströs – weiterhin sind die meisten Flüchtlinge ohne irgendeine Beschäftigung, mit allen Folgen, die damit verbunden sind. Dabei wissen wir genug über die Auswirkungen der Untätigkeit und des Nur-Warten-Müssens. Die Folgekosten werden gewaltig sein. Und dass eine frühzeitige Beschäftigung in Verbindung mit Sprachlernangeboten in und um die Arbeit herum die höchsten Wirksamkeitswerte hat, sei hier nur angemerkt, leuchtet aber sich den meisten auch sofort ein.

Vor diesem Hintergrund ist dann auch eine solche akademisch und fast schon devot formulierte Forderung aus der IAB/DIW-Studie von Bedeutung:

»Vor dem Hintergrund der hohen Erträge und vergleichsweise geringen Kosten sollte überdacht werden, ob die Integrationskurse nicht von vornherein für alle Asylbewerber, und nicht nur für solche mit guter Bleibeperspektive, geöffnet werden.« (Bach et al. 2017: 11)

Das sollte nicht überdacht werden, man hätte es schon längst ändern müssen. Es ist auch keine neue Forderung, sie wurde in der Vergangenheit immer wieder vorgetragen.