Frustrierte digitale Tagelöhner? Zufriedene Zuverdiener am heimischen Rechner? Eine Studie über Crowd Worker

So vieles ist heute im Fluß und auf kaum noch was Verlass. Da ist es irgendwie beruhigend, wenn wenigstens die Rezeptionsreflexe in den Medien je nach ihrer politischen Grundausrichtung funktionieren. Beispielsweise wenn die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung (HBS) eine Studie veröffentlicht, in der es um eine empirische Auseinandersetzung mit den „Crowd Workern“ geht, die ihre Dienste im Internet anbieten.

Stefan Sauer hat seinen Artikel über die neue Studie in der „Frankfurter Rundschau“ überschrieben mit Maximal flexibel, minimal sicher. Das hört sich genau so ungleichgewichtig an, wie es gemeint ist – irgendwie problematisch. Über die gleiche Studie berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hingegen unter der ebenfalls eigentlich unmissverständlichen Botschaft Klickarbeiter fühlen sich selten ausgebeutet. Eine solche nicht nur in Nuancen abweichende Wahrnehmung der gleichen Studie zwingt förmlich dazu, einen Blick in das Original zu werfen.

»Sie sind jederzeit verfügbar. Jeder kann sie anheuern. Sie arbeiten mal hier, mal dort, meistens aber am heimischen Computer. Feste Arbeitszeiten kennen sie nicht, schon gar nicht Kündigungsschutz oder Urlaubsanspruch. Die Rede ist von „Crowd Workern“, die ihre Dienste über das Internet anbieten. Wer sind die digitalen Tagelöhner und was denken sie selbst über ihre Arbeit?« So beginnt die Vorstellung der Studie unter der Überschrift Crowd Worker: Gut ausgebildet, teilweise nicht abgesichert, im Hauptjob nur rund 1.500 Euro Durchschnittseinkommen.

Die Studie von Wissenschaftlern um den Informatikprofessor Jan Marco Leimeister von der Universität Kassel versucht auf qualitativer Basis über eine Befragung von 434 Crowd Workern in Deutschland vertiefende Erkenntnisse zu Tage zu fördern, wie die Klickarbeiter arbeiten:

Jan Marco Leimeister, David Durward, Shkodran Zogaj: Crowd Worker in Deutschland. Eine empirische Studie zum Arbeitsumfeld auf externen Crowdsourcing-Plattformen. HBS Study Nr. 323, Düsseldorf, Juli 2016

Einige Befunde aus der Studie: Crowd Worker sind häufig gut ausgebildet. Viele nutzen die Jobs im Internet als Zuverdienst, doch gut ein Fünftel der Befragten verdient damit den Lebensunterhalt – zum Beispiel als Programmierer oder Designer.

Marktplätze im Internet spielen eine zentrale Rolle beim Zusammenführen von Angebot und Nachfrage und an denen hat man sich in der Studie auch abgearbeitet:

»Einen Hinweis darauf, wie viele Klickarbeiter in Deutschland existieren, liefern die Nutzerzahlen einzelner Marktplätze. Eine der größten und ältesten Plattformen ist „Clickworker“, ein Viertel der mehr als 700.000 Mitglieder stammt nach Angaben des Anbieters aus Deutschland. Auch auf internationalen Marktplätzen wie „Freelancer“, „Upwork“ oder „99Designs“ sind mehrere Tausend Mitglieder aus dem deutschsprachigen Raum registriert. Bislang nutzen vor allem kleine und mittelständische Unternehmen die Dienste von Crowd Workern, aber auch Konzerne wie die Telekom.«

Was hat die Studie herausgefunden über diese „Crowd Worker“? »Der überwiegende Teil der Crowd Worker ist laut der Studie gut ausgebildet – knapp die Hälfte hat einen Hochschulabschluss. Der Anteil der Männer ist geringfügig höher als der der Frauen. Die Mehrheit ist ledig … Gut die Hälfte der Befragten gibt an, dass sie zu unterschiedlichen Tageszeiten arbeiten, häufig abends oder nachts. Nur vier Prozent sind regelmäßig morgens aktiv. Die durchschnittliche Arbeitszeit beträgt knapp 14 Stunden pro Woche. Die Bandbreite der Jobs im Internet reicht von einfachsten Tätigkeiten zum schnellen Nebenverdienst bis hin zu komplexen Projekten. Bei den einfachen Arbeiten kann es zum Beispiel um die Recherche von Adressen oder die Verschlagwortung von Texten und Bildern gehen. Etwas anspruchsvoller wird es beim Testen von Produkten und Apps. Sehr hoch sind die Anforderungen in der Regel in den Bereichen Design und Programmierung.«

Bereits angedeutet wurde eine Zweiteilung der „Crowd Worker“ bei einer in beiden Gruppen ausgeprägten Heterogenität: Zum einen die Mehrheit der „Nebenberufler“ und zum anderen eine deutlich kleinere Gruppe an Klickarbeitern, die versuchen, damit hautberuflich über die Runden zu kommen. Das kann man an den erhobenen Einkommensdaten verdeutlichen:

»Etwa 70 Prozent verdienen weniger als 500 Euro im Monat – als „effektives Einkommen“ nach Abzug der Gebühren der Plattformen, aber vor Steuern. Dabei handelt es sich häufig um Nebenverdienste. Insgesamt liegt das mittlere Einkommen derjenigen, die nebenberuflich als Crowd Worker tätig sind, bei 326 Euro pro Monat. Bei den Crowd Workern im Hauptberuf – dies sind rund 20 Prozent der Befragten – beträgt das mittlere „effektive“ Einkommen rund 1.500 Euro. Etwas mehr als die Hälfte derjenigen, die ihr Haupteinkommen aus der digitalen Erwerbsarbeit erzielen, sorgt der Studie zufolge nicht für das Alter vor.«

Hier setzt dann auch die eher kritische Rezeption an. Kristiana Ludwig liefert in ihrem Artikel Crowdworking: Zum Leben reicht es kaum ein Fallbeispiel:

»Ihr Abschluss als Fleischfachverkäuferin war sehr gut, der Job hinter der Wursttheke schien sicher. Aber manchmal kommt im Leben alles auf einmal, und bei Diana Rönisch kamen ein Kind und die Geschäftspleite zugleich. So werde sie nichts mehr finden, sagte ihr das Arbeitsamt. Da setzte sich Rönisch in ihrer Wohnung im sächsischen Waldheim an den Computer und begann, im Internet ihr Geld zu verdienen. Sie ist eine von vielen, einer crowd, die für das Netz Arbeit erledigt.
Seit sieben Jahren leben Rönisch, 38, und ihre zwei Kinder von Crowdwork. Das Netz benötigt Inhalte, also schreibt Rönisch Gebrauchstexte für Onlineshops, Ratgeber oder Blogs. Mittlerweile liefert sie die ganze Bandbreite: Mode- und Kosmetiktipps, Texte über Möbel, Gärtnern oder Reisen. Zu ihren Auftraggebern gehört der Händler eines Serums, das Wimpern länger wachsen lässt genauso wie ein spanischer Spezialitätenverkäufer. Im Durchschnitt kommt Rönisch im Monat auf 800 Euro, die Künstlersozialkasse bezahlt das Nötigste. „Man kommt über die Runden und liegt dem Staat nicht auf der Tasche“, sagt Rönisch. Das ist ihr wichtig.«

Ein Fall von vielen unterschiedlichen. Ludwig fasst die Befunde aus der Studie zu der Frage, wer ist das eigentlich, so zusammen: »Der typische Crowdworker ist demnach Mitte 30, ledig und hat Abitur. 38 Prozent der befragten 434 deutschen Crowdworker sind Freiberufler oder Selbständige, 19 Prozent Studenten, 20 Prozent haben einen anderen Vollzeitjob – denn für den überwiegenden Teil der Befragten ist die Arbeit in der Crowd ein Nebenverdienst.«

Üblicherweise müssen Texter und Grafiker zunächst mit Kleinstarbeiten ihr Können unter Beweis stellen, um dann besser bezahlte Jobs zu erhalten. Umgekehrt gebe es für sie kaum Möglichkeiten, die Arbeitgeber zu bewerten, kritisieren die Wissenschaftler in ihrer Studie.

Stefan Sauer schreibt in seinem Artikel Maximal flexibel, minimal sicher: »Zwar fühlen sich die Crowdworker laut Befragung mehrheitlich „nicht ausgebeutet“. Bezüglich der Bezahlung und Anleitung erhalten die Auftraggeber überwiegend befriedigende Noten, eher negativ werden Zeitdruck und Arbeitspensum bewertet. Besonders mit den Bedingungen des Crowdworking unzufrieden sind Designer, die im Wettbewerb mit anderen Entwürfe einreichen – und leer ausgehen, wenn sie den Auftrag nicht erhalten. Entsprechend ausgeprägt ist in dieser Berufsgruppe der Wunsch nach Mitbestimmung: Mehr als zwei Drittel fordern eine wirksame Interessensvertretung, von allen Crowdworkern verlangen dies immerhin 51 Prozent.« Er resümiert am Ende: »Fazit: Crowdworking ist nicht per se des Teufels. Aber es bedarf dringend zumindest minimaler Standards für die Entlohnung, soziale Absicherung und Mitsprache der Erwerbstätigen.« Und spiegelt damit sicher die Intention der fördernden Institution, also der Hans-Böckler-Stiftung.

Die FAZ beginnt ihren Bericht Klickarbeiter fühlen sich selten ausgebeutet mit diesem Satz: »Die Klickarbeiter im Internet verdienen zwar vergleichsweise wenig, machen ihre Arbeit aber oft nebenberuflich und fühlen sich auch deshalb mehrheitlich nicht ausgebeutet.« Und um ganz auf sicher zu gehen, heißt es am Ende des Artikel: »Die Mehrheit der Crowd Worker fühlt sich „nicht ausgebeutet“, wie sogar die gewerkschaftsnahe Hans Böckler Stiftung feststellen muss.«

Soweit die naturgemäß sehr verkürzte und interessengeleitete Interpretation der Studienergebnisse. Schaut man in die Studie selbst hinein, erfahren wir natürlich weitaus mehr. Beispielsweise zum „Crowdsourcing-Markt“: Als grundlegende Ausprägungsformen von Crowdsourcing identifizieren die Wissenschaftler Microtask-Plattformen, Marktplatz-Plattformen, Design-Plattformen, Testing- Plattformen und Innovationsplattformen.

»Auf den Microtask-, Testing und Marktplatz-Plattformen herrscht ein zeitbasierter Wettbewerb. Problematisch ist, dass Crowd Worker fortwährend auf aktuelle Ausschreibungen achten müssen, um die Aufgaben, die ihnen zusagen, auch tatsächlich zu erhalten. Dieser Druck steigt insbesondere dadurch, dass deutsche Crowd Worker in einem Wettbewerb mit Crowd Workern aus anderen Ländern stehen.«

»Bei ergebnisorientierten Wettbewerben wird hingegen nur ein einzelner Gewinner entlohnt (in einigen Fällen auch einige wenige Gewinner), was wiederum bedeutet, dass alle restlichen Teilnehmer ohne Vergütung aus den Wettbewerben herausgehen. Zudem ist der Eigentumsübergang nicht einheitlich geregelt, sodass auf einigen Plattformen neben den Gewinnern auch die Verlierer ihre Rechte an den Entwürfen abtreten. Dies ist insofern als kritisch zu betrachten, als erbrachter Arbeitsaufwand nicht finanziell entschädigt wird. Ergebnisorientierte Crowd Work ist vor allem auf Design- und Innovationsplattformen zu beobachten.«

In Deutschland lebende Crowd Worker sind im Schnitt auf zwei Plattformen aktiv. Selbstständige und Freiberufler arbeiten überwiegend auf Marktplatz- und Design-Plattformen, während relativ viele Studierende auf Microtask-Plattformen unterwegs sind. Dies kann darin begründet liegen, dass Studierende (noch) keine speziellen bzw. berufsspezi sch ausgebildeten Fähigkeiten haben und Microtask-Plattformen zum „schnellen“ Nebenverdienst verwenden.

Bei der Diskussion der Ergebnisse ihrer Arbeit resümieren die Wissenschaftler am Ende: »Crowd Work (wird) sehr kontrovers diskutiert und zuweilen auch mit „unfairen“ Arbeitsverhältnissen in Zusammenhang gebracht. Entsprechend wäre zu vermuten, dass die Idee einer Interessenvertretung von Crowd Workern eindeutig befürwortet wird: Dies ist bei einer knappen Mehrheit (51 Prozent) auch der Fall, die Ergebnisse sind aber nicht so eindeutig wie erwartet. Die Tatsache, dass die meisten Crowd Worker aus der Arbeit in der Crowd nur einen Nebenverdienst erzielen, könnte der wesentliche Grund für dieses Ergebnis sein. Lediglich im Design-Cluster wird eine Interessenvertretung mit deutlicher Mehrheit (69 Prozent) befürwortet. Diese und weitere Ergebnisse zum Design-Cluster könnten dem ergebnisorientierten Wettbewerb geschuldet sein.« (Leimeister et al. 2016: 74 f.). Die Ausführungen zeigen – bei aller Begrenzung durch die Nicht-Repräsentativität der Studie -, dass es gewerkschaftliche Kollektivierungsprozesse in diesem überaus heterogenen Feld mehr als schwer haben werden – auch, weil der „Gegner“ weitaus weniger fassbar ist als bei „normalen Unternehmen“.

Und schlussendlich sollte angemerkt werden: Auch wenn man derzeit ganze Leben ausfüllen kann mit dem Forschen, Schreiben und Reden über das, was als „Digitalisierung“ verhandelt wird, so zeigt auch die vorliegende Studie, dass wir es bei den Klickarbeitern  mit einer arbeitsmarktlicht gesehen sehr kleinen Gruppe zu tun haben. Zuweilen bekommt man ja nach dem Konsum der üblichen Presseberichterstattung den Eindruck, dass demnächst die Mehrheit der Arbeitnehmer in der Wolke arbeiten muss/wird. Dem ist bei weitem nicht so. Natürlich ist das Thema „modern“ und möglicherweise fallen viele darauf rein, dass derzeit Angesagte auf alle zu erweitern. Wir bewegen uns hier an den Rändern der Arbeitsgesellschaft, ziemlich weit weg von den Kernbereichen, in denen immer noch und absehbar die große Mehrheit unterwegs ist. Diese Relativierung ist angezeigt, ohne dass mit ihr ein Impuls gesetzt werden soll, sich gar keine Gedanken mehr zu machen, was da passiert und wie man wenigstens eine minimale Ordnungsstruktur hier reinbekommen kann. Wobei das ein ganz langer Marsch werden muss.